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Seit Donnerstag befindet sich Griechenland wieder im Generalstreik – dem ersten seit vier Monaten. Sämtliche staatliche Einrichtungen sind geschlossen, Zug- und Busfahrer, Werftarbeiter, Lehrer, Universitäts- und Fachhochschulangestellte sowie Fluglotsen sind in den Ausstand getreten, Krankenhäuser in den Notbetrieb gewechselt. Die Metro in Athen fährt zwar – die Lokführer sind noch der letzten Arbeitsverpflichtung durch die Regierung unterworfen – ist aber mit großen Verspätungen und Fahrplanstörungen ebenfalls blockiert. Bereits seit Dienstag hatten Journalistengewerkschaften zum Streik aufgerufen, Tageszeitungen, Fernseh- und Radiosendungen entfallen.
Grund für das Ende der relativen Ruhe der ersten Jahreshälfte ist der kurzfristige Beschluss von Ministerpräsident Antonis Samaras, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk Griechenlands zu schließen. Ellinikí Radiofonía Tileórasi, kurz ERT, stand geradezu beispielhaft für viele Negativbilder, die der öffentliche Dienst in Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten bedient hat: teuer, nicht reformierbar, personelles Ergebnis politischer Günstlingswirtschaft und am eigentlich Auftrag vorbei arbeitend. Mit zuletzt 2655 Angestellten – sieben Mal mehr als vergleichbare private Sender – und einem Jahresbudget von 300 Millionen Euro war die Anstalt in Größe und Budget über die von ihr erbrachte Leistung deutlich hinaus gewachsen.
Nicht reformierbar
Die Struktur der ERT war aufgebläht und fragmentiert – und damit kostspielig: Drei griechenlandweit ausgestrahlte Fernsehprogramme, ein Satellitenprogramm, ein HD-Programm, sieben Radioprogramme und 19 regionale Fernsehsender vereinte die Radio- und Fernsehanstalt unter ihrem Dach. Hinzu kamen eine eigene Zeitschrift, drei Orchester und Musikgruppen. Eine undurchschaubare Personalstruktur, Ineffizienzen und unkontrollierte Kosten prägten das Bild. Beispielhaft mögen dafür die allein 3.500 Diensthandyverträge stehen, die am Mittwochmorgen gekündigt wurden. Seit 2012 war immer wieder öffentlich diskutiert worden, dass die einzige Lösung zur Veränderung eine Schließung der ERT sei – aufgrund von Nicht-Reformierbarkeit der bestehenden Struktur. 2011 hatte es Vorstöße des Regierungssprechers von Georgios Papandreou zur Umstrukturieren der ERT gegeben. Der politische Preis war Papandreou jedoch zu hoch, die Pläne verschwanden in der Schublade.
Allein die Betriebskosten der ERT betrugen 230 Millionen Euro bei einem Zuschaueranteil von zuletzt 4 Prozent. Private Sender erreichen in Griechenland im Vergleich einen Marktanteil von 10 Prozent mit einem Budget von 30 Millionen Euro. Selbst unter Berücksichtigung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags, der sich nicht an rein kommerziellen Marktkriterien orientieren darf, ist dieser Schnitt für einen öffentlichen Sender zu schlecht.
Konkreter war seit Anfang 2013 die Schließung des nordgriechischen Regionalsenders ET3 thematisiert geworden. ET3 hat 2013 einen Budgetanteil von 20 Millionen EUR von ERT erhalten. Davon wurden allein 17 Millionen EUR für Betriebskosten und Gehälter veranschlagt. Im Jahr 2011 erhielt die Direktorin von ET3 ein Monatsgehalt von 16.800 Euro. Eine derart unausgewogene Aufstellung von Betriebs- und Gehaltskosten im Verhältnis zum Produktionsbudget ist nicht zu rechtfertigen.
ERT war in fester Hand von ADEDY, der griechischen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst. Mit hohem Organisationsgrad innerhalb der Rundfunk- und Fernsehanstalt wurde früheren Reformideen stets mit massiven Streiks begegnet. So wie auch jetzt haben diese Streiks mit Solidaritätsbekundungen anderer Bereiche des öffentlichen Dienstes schnell eine erhebliche Tragweite und Wirkung erreicht. Die am Donnerstag geäußerte Mutmaßung des Regierungssprechers Kedikoglou, dass eine Ankündigung der Schließung der ERT mit mehr zeitlichem Vorlauf nur zur anhaltenden Lahmlegung des Senders sowie weiterer öffentlicher Einrichtungen geführt hätte, ist sicherlich richtig.
Am öffentlich-rechtlichen Auftrag vorbei gewirtschaftet
Trotz einer Umstrukturierung der ERT 2011 von einer staatlichen zur öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt kam diese ihrem Auftrag im öffentlichen Interesse nur teilweise nach. Vor allem die politische Unabhängigkeit wurde von der griechischen Bevölkerung immer wieder in Frage gestellt. Dies war nicht zuletzt auch eine Auswirkung der starken Politisierung des Senders aufgrund von personellen Einflüssen der großen Parteien: Jede Regierung platzierte ihre Anhänger in Schlüsselpositionen des Senders – und nach Regierungswechseln blieben diese oftmals in der Struktur hängen. ERT war in der unzureichenden Qualität ihrer Arbeit auch Opfer Sender-interner, parteipolitischer Lagerkämpfe. Und im Ergebnis bei der griechischen Bevölkerung hochgradig unbeliebt. Die Hauptnachrichtensendung verfolgten zuletzt nur noch rund sechs Prozent der Fernsehzuschauer. Die Tagesschau erreicht in Deutschland im Vergleich rund 18 Prozent Marktanteil.
Dennoch müssen Alleinstellungsmerkmale der ERT hervorgehoben werden: Kulturberichterstattung, Bildungsprogramme und anspruchsvolle Dokumentationen werden jetzt vorerst in der griechischen Fernsehlandschaft nicht mehr zu sehen sein. Dieser Grundversorgungs- und Programmauftrag ist mit der Schließung der ERT verloren gegangen, denn die schrille Privatsenderlandschaft Griechenlands bietet das alles nicht. Die ERT hat als einzige Institution noch eigene Produktionen in Griechenland umgesetzt. Dem vermeintlich „langweiligen“ Image der ERT hatte die neue Regierung noch im Sommer 2012 mit der zweifelhaften Benennung von Emilios Liatsos, vormals Moderator der Klatsch-Nachrichten des Unterhaltungssenders Star Channel, als Intendaten begegnen wollen. Auch mit dem Korrespondentennetz der ERT geht ein wichtiges Qualitätselement verloren. Und die große Gemeinschaft der im Ausland lebenden Griechen hat sich gerne via ERT mit der Heimat verbunden.
Entscheidung im Alleingang
Die Regierung Samaras steht unter Druck – seitens der europäischen Partnerstaaten und internationalen Kreditgeber ebenso wie von Seiten der griechischen Bevölkerung, die nach über drei Jahren des Sparens auf positive Nachrichten wartet. Noch am Montag vor dem Beschluss zur Stilllegung der ERT hatte die Regierungskoalition mit dem Scheitern der Privatisierung der staatlichen Gasgesellschaft DEPA einen Rückschlag im Reformkurs hinnehmen müssen. Das Privatisierungsprogramm der Regierung gerät wegen der deutlichen Mindereinnahmen im Vergleich zu den ursprünglich erhofften Erlösen in Höhe von 50 Mrd. Euro zusehends in die Kritik.
Nach erfolgreichen Anstrengungen im fiskalischen Bereich wächst nun zugleich die Erwartung von allen Seiten, dass die Regierung strukturelle Reformen entschlossen angeht – die griechische Bevölkerung wartet auf ihre Reformdividende. Entlassungen im öffentlichen Dienst wurden bis jetzt mit allen Mitteln umgangen: Frühverrentungen und Arbeitsreserven boten Auswege. Aber bis Ende 2013 ist die Entlassung von 4.000 und bis Ende 2014 von insgesamt 15.000 Staatsbediensteten mit den Kreditgebern vereinbart. Die EU-Kommission dementierte jedoch noch am Mittwoch, dass die Schließung der ERT einer konkreten Forderung aus Brüssel entspräche.
Die Entscheidung zur Schließung der ERT konnte innerhalb so kurzer Zeit nur mit Hilfe einer Regelung der griechischen Verfassung für Ausnahmefälle umgesetzt werden. Diese Regelung sieht vor, dass in besonderen Situationen – bisher waren dies in der Regel Fälle von Naturkatastrophen – ein Ministerialdekret an Stelle einer Entscheidung des Parlaments treten kann. Binnen 40 Tagen nach Erlass der exekutiven Order muss diese mit einfacher Mehrheit durch das Parlament abgesegnet werden. In der Zeit bis dahin kann die Exekutive jedoch weitere Entscheidungen in der Sache fällen. Sollte das Parlament dagegen stimmen, werden alle bis dahin getroffenen Maßnahmen ungültig.
Der Ministerialerlass von Dienstag umfasste dabei konkret den Beschluss zur Schaffung einer neuen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt namens NERIT (Néa Ellinikí Radiofonía Internet Tileórasi). Dazu wurden ein 14-seitiger Gesetzesentwurf mit 17 Artikeln zu den Details der NERIT, ihren Aufgaben und ihrer Struktur vorgelegt. NERIT soll noch vor Beginn der griechischen EU-Ratspräsidentschaft mit der Hälfte der Beschäftigtenzahl von ERT ihren Betrieb aufnehmen. Die Abschaffung der ERT ging mit diesem Gesetzesentwurf einher.
Lackmus-Test für die Koalition
Die politischen Folgen der Entscheidung von Dienstag sind bisher schwer abzuschätzen. Der Alleingang von Ministerpräsident Samaras hat die vor allem im strukturellen Reformprozess weniger entschlossen vorgehenden Koalitionspartner PASOK und DIMAR weiter unter Druck gesetzt. Die beiden linken Parteien finden ihre Wählerklientel traditionell im öffentlichen Dienst und haben sich bisher erfolgreich gegen Entlassungen in diesem Bereich zur Wehr gesetzt. Für sie ist die Schließung der ERT ein Schlag ins Gesicht. Ersten Verlautbarungen nach möchten sie die notwendige Abstimmung des Ministerialerlasses im Parlament blockieren. Die Schließung soll revidiert werden, man möchte einen Kompromiss mit dem Ministerpräsidenten finden – wie dieser jedoch nach der vollzogenen Schließung der ERT jetzt noch aussehen könnte, ist völlig unklar.
An Neuwahlen hat in Griechenland derzeit niemand Interesse. Zwar erreicht Antonis Samaras hohe persönliche Zustimmungswerte, doch ist die Position der Nea Dimokratia als treibende Reformkraft im Regierungsbündnis, die seit einem Jahr unliebsame Prozesse in die Wege leitet, durchaus prekär. Die in der Wählergunst von der absoluten Mehrheit auf rund 7 Prozent abgestürzte PASOK droht eventuell im nächsten Parlament gar nicht mehr vertreten zu sein. DIMAR hat in der Regierung an Profil verloren und könnte ebenfalls an der Dreiprozenthürde scheitern. Das Bündnis der radikalen Linken Syriza ist immer noch nicht als Partei geeint und daher nicht in der Lage, hinter seinem – durchaus beliebten – Parteiführer Alexis Tsipras mit einer Stimme zu sprechen. Einzige Profiteure möglicher Neuwahlen wären nach jetzigem Stand voraussichtlich die neofaschistische Chrysi Avgi, die nach Umfragen drittstärkste Partei werden könnte.
Die griechische Bevölkerung unterstützt mehrheitlich Strukturreformen im öffentlichen Dienst. Insbesondere die vielen Arbeitslosen, die ihre Beschäftigung im Privatsektor verloren haben, haben kein Verständnis mehr für eine weitere Privilegierung des öffentlichen Dienstes. Dennoch haben das Verfahren und die Vorgehensweise zur Schließung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Griechenland einen Schock ausgelöst. Inwiefern es der Regierung gelingt, diesem Schock eine positive Dynamik zu verleihen und Glaubwürdigkeit auf der Grundlage von entschlossenem Handeln zu gewinnen, wird maßgeblich von den Entwicklungen in der kommenden Woche abhängen.