Country reports
Diesen Rückenwind sieht Cameron als Ermutigung und Verpflichtung an, den Tories eine Reform an Haupt und Gliedern abzuverlangen, ihnen ein neues Image zu geben, Kandidaten und Themen zu bestimmen und Proteste und Widerstände dagegen zu ignorieren.
Ein Beispiel dafür hat er am Wochenende in Nottingham auf dem „kleinen Parteitag“, der traditionellen Frühjahrskonferenz der Konservativen gesetzt.
Bereits das äussere Bild der Konferenz stellt einen völligen Bruch mit der Vergangenheit dar:
Statt des britischen Landadels in Tweedjackets sitzen junge Leute in den Delegiertenreihen, „young professionals“ aus der Londoner Bankenwelt, aus Medien und Agenturen, Ärzte und Mittelständler.
Kleidung und Umgangsformen sind zeitgemäss bis unförmlich, es wird zur Sache diskutiert, die steife, gelegentlich floskelhafte Rhetorik früherer Parteitage ist kaum noch in den Reden und Diskussionsbeiträgen anzutreffen.
Kühle Effizienz bestimmt die Abläufe, die älteren Teilnehmer vermissen die Wärme und das „Wir-Gefühl“, die Schlachtordnung scheint zu verrücken. Klar ist nur noch, dass Labour der Feind und die eigene Rückkehr an die Macht das Ziel ist. Aber die Instrumente dafür, Themen und Inhalte haben sich verändert.
Nicht nur die Bühne sieht anders aus – statt der Fackel in der Faust besteht das Kulissenbild jetzt aus Bäumen, Blumen und Blättern, wenn William Hague redet oder aus grossformatigen Fotos, die Ärzte und Krankenschwestern zeigen und einem „NH yes“, wenn David Cameron die neu erwachten Sympathien der Tories zum National Health Service beschreibt.
Hague hatte seine Rede unterbrochen, um Fernsehaufnahmen zu zeigen, die bei einem Zwischenstop von Cameron auf seiner Fahrt nach Nottingham gedreht wurden: Nahezu 12.000 demonstrierende „Junior Doctors“ des öffentlichen Gesundheitsdienstes feierten den Vorsitzenden der Konservativen wie einen Filmstar, nachdem er in einer zupackenden Rede seine Unterstützung für sie geäussert hatte. Kaum denkbar, dass einem konservativen Parteiführer jemals zuvor diese Form des Zuspruchs zuteil wurde.
Dafür ist der Saal in Nottingham nicht vollbesetzt, als Cameron am Sonntag zum Parteitag spricht. Viele Mitglieder sind verunsichert über den neuen Kurs oder lehnen ihn schlichtweg ab. Die Zustimmung im Lande und die erstmals klaren Chancen für einen Regierungswechsel bei den nächsten Wahlen verhindern offenen Widerstand. Aber unstreitig ist, dass sich Partei und Vorsitzender gegenwärtig nicht sonderlich nahe zueinander befinden, dass Modernisierung exekutiert wird und in vielen Einzelfällen mühsam erstritten werden muss, von der Aufstellung von Frauen und Vertretern ethnischer Minderheiten in sicheren Wahlkreisen bis hin zur Akzeptanz der Themen und Formate, die nach Auffassung der Tory-Führung die Entscheidung im nächsten Wahlkampf bringen sollen.
Die Themen, mit denen frühere Tory-Vorsitzende die Delegierten auf die Stühle trieben, werden von Cameron kaum noch angesprochen oder in ihr Gegenteil verkehrt:
- Kein Wort zu Asyl, Immigration und Ausländern.
- Kein Wort zu Europa.
- Kein Versprechen von Steuersenkungen.
Cameron hat sich klar zur Besteuerung von Umweltbelastungen („bad things“) bekannt (Autos, Flugzeuge), allerdings zugleich für die steuerliche Entlastung der „good things“ ausgesprochen (Familie, Wirtschaft). Dazu zählt auch eine Entlastung bei den Unternehmenssteuern. Insgesamt soll die Reform aufkommensneutral gestaltet werden, d.h. zusätzliche Einnahmen durch die Besteuerung der „bad things“ werden in Begünstigungen bei den „good things“ umgewandelt.
William Hague, immer noch in der Partei und ihrer tratitionellen Mitgliedschaft stark verwurzelt und hochgeachtet, hat in einer brillianten Rede Cameron und seinem Reformkurs seine volle Unterstützung gegeben: „When some commentators write that the Conservative Party should simply stick to its well-worn grooves, I say they`re wrong. I say the challenges we face are so great and party loyalties among younger voters are so weak, and that the failure of Labour across the board is so absolute, that the time has indeed come for us to fight with as much confidence for a cleaner environment and a better health service as we have always fought for strong defense and fairer tax.”
In den nächsten Monaten werden die Tories in sechs “policy reviews” weiter an ihrer Programmatik arbeiten. Die Entwürfe sollen auf dem Parteitag im Oktober diskutiert werden, müssen aber auch bereit stehen, falls es nach einem Wechsel in Downing Street 10 zu kurzfristig angesetzten Neuwahlen kommen sollte.
Aber bereits jetzt schon hat sich eine signifikante Verschiebung der Gewichte zwischen Labour und Konservativen ergeben: 43% der Wähler bevorzugen gegenwärtig eine von David Cameron geführte Regierung, gegenüber 34%, die eine von Gordon Brown geführte Regierung wünschen. 30% glauben, die Tories könnten die Wirtschaft des Landes erfolgreich lenken, nur noch 27% trauen dies Labour zu. Und 21% der Befragten nennen den Namen von David Cameron, wenn gefragt wird, wer „grüner“ sei, nur 7% denken dabei an Gordon Brown.