Country reports
Es zeichnete sich schon in den letzten Wochen vor den Wahlen ab, dass die Konservative und die Liberaldemokratische Partei nicht gut abschneiden werden. Zu viel ist einfach schief gelaufen: Die Vorlage des Haushalts des Finanzminister Osbornes erntete vor allem viel Kritik. Die bekannt gewordenen Abendessen des Ministerpräsidenten mit Parteispendern gaben Raum für Spekulationen über die Käuflichkeit von Politikern. Die Aussagen von James Murdoch im Anhörungsverfahren gegen führende Mitarbeiter von News of the World führten erneut zu der Frage, wie nahe Cameron dem Medien-Unternehmen stand. Und die Liste ließe sich fortsetzen.
Noch im letzten Jahr bei den Kommunalwahlen in England und Schottland, hatten die Tories mit leichten Zugewinnen relativ gut abgeschnitten. Der Wählerzorn hatte sich vor allem auf die Liberaldemokraten bezogen. Mit der Zustimmung zur Erhöhung von Studiengebühren hatten sie eines ihrer Kernversprechen ihres Wahlprogramms kassiert, weshalb sie hart abgestraft wurden. Bei diesen Wahlen traf es beide gleichermaßen. Die Tories haben insgesamt 405 ihrer Councillors (am ehesten mit Kreistagsabgeordneten zu übersetzen) verloren, die Liberaldemokraten 330. Insgesamt wurden 4857 Councillors gewählt, davon in England für 128 Councils (in etwa vergleichbar mit Kreistagen), in Schottland für 32 und in Wales für 21 Councils.
Der große Gewinner der derzeitigen politischen Stimmung war Labour mit einem Plus von 823 Sitzen. Dank des schlechten Erscheinungsbilds von Cameron in den Wochen vor der Wahl, konnte Ed Miliband, der Vorsitzende der Labour Party, mit seiner Partei an Boden gewinnen. Nimmt man ihre Zugewinne von den Kommunalwahlen in 2011 dazu, so hat sich Labour ein gutes Fundament auf lokaler Ebene, die für die Schlagkraft bei künftigen nationalen Wahlen eine große Rolle spielt, geschaffen.
Ein Trost bleibt für die Konservativen: Ihr Kandidat, der Amtsinhaber Boris Johnson, gewann die Wahl zum Bürgermeister von London. London spielt für Großbritannien eine große Rolle, so dass dem Ausgang der Wahl in dieser Stadt die höchste Aufmerksamkeit zukam. Der Labour Kandidat, Ken Livingston, war für die ersten acht Jahre, seit es eine Direktwahl des Bürgermeisters für London gibt, in diesem Amt und verlor bereits in 2008 gegen Johnson. Seine Popularitätswerte lagen deutlich hinter der seiner Partei, so dass seine Nichtwahl viel mit ihm selbst zu tun hat. Gemessen an dem allgemeinen Stimmungstrend und der Tatsache, dass London traditionell Labour geprägt ist, hätte er gewinnen müssen.
Allerdings hat dieser Wahlausgang auch viel mit der Persönlichkeit Johnsons zu tun. Er hat vor vier Jahren Versprechen abgegeben, zu denen er am Ende der Legislatur Ergebnisse vorweisen konnte, wie den weiteren Ausbau der Untergrundbahn, die Verringerung der Kosten für die Londoner Administration oder die Vermeidung von höheren Gemeindesteuern.
Für David Cameron hat die erfolgreiche Wahl von Boris Johnson auch eine Kehrseite. Denn dieser ist kein einfacher Mitstreiter. Nicht nur Boris Johnsons Neigung zum Exzentrischen macht Cameron von Zeit zu Zeit das Leben schwer, sondern auch seine ausgeprägte Interessenvertretung für London sorgte für manche Differenzen zwischen den beiden. Manche sehen in Johnson einen künftigen Cameron-Nachfolger, was zu einer stillen Konkurrenz zwischen beiden führt.
Der Bürgermeister wird es allerdings nicht leicht haben. In der Londoner Assembly hat er zwei Councellors weniger. Seinen 9 Un-terstützern stehen 12 Labour, 2 Grüne und 2 LibDem gegenüber.
Es gab einen weiteren führenden Politiker, der mit den Kommunalwahlergebnissen nicht wirklich zufrieden sein konnte: Alexander Salmon, erster Minister von Schottland und Vorsitzender der Schottischen Nationalpartei (SNP). Seine Partei konnte zwar leichte Gewinne verzeichnen und gewann erstmals in zwei Kommunen die absolute Mehrheit. Ziel war allerdings, Städte wie Glasgow zu gewinnen. Aber in Glasgow errang Labour eine absolute Mehrheit. In Edinburgh und Aberdeen werden sich Koalitionen in den Councils bilden müssen.
In Wales konnte Labour 231 Councillors hinzugewinnen. Demgegenüber waren die Verluste für die Liberaldemokraten mit 66 ver-lorenen Councillors sogar höher als die der Konservativen mit 61. Besonders dieser Trend lässt die Zukunftsperspektive für die Liberaldemokraten düster erscheinen. Wales und Schottland waren einst ihre Kernländer. Es gibt bereits einige Beobachter, die sich vorstellen können, dass die LibDem in ihrer jetzigen Form nicht mehr lange existieren.
Cameron versicherte in den Tagen nach den Kommunalwahlen, er habe das Wahlergebnis verstanden. Er versäumte nicht, hinzuzufügen, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihre Ursache vor allem in der Krise in der Eurozone und im Koalitionspartner hätten. Trotz dieser Vorwürfe demonstrierten der Ministerpräsident und sein Stellvertreter, Nick Clegg, der Vorsitzender der Liberaldemokraten ist, Einigkeit und besuchten demonstrativ gemeinsam eine Traktorenfirma in Exeter. Es sollte das Signal sein, dass sie sich um die wichtigen Themen kümmern und das zusammen tun. Beide habe auch keine andere Wahl, als zu versuchen, gemeinsam die Stimmung im Land zu verbessern und die Wirtschaft zum Wachsen zu bewegen. Für beide Seiten wäre die Aufkündigung des Bündnisses politisch nicht wünschenswert. Dass vorzeitige Wahlen nicht zu ihr beider Vorteil ausgehen würden, lassen jedenfalls die Lokalwahlergebnisse vermuten.
Allerdings rumort es in beiden Parteien. Vor allem viele Hinterbänkler beklagen, dass vom Programm der jeweils eigenen Partei zu wenig sichtbar ist und zu viele Konzessionen an den Koalitionspartner gemacht werden müssen. So sollte Cameron einen konservativeren Kurs einschlagen, während Clegg sich politisch nicht in die Gefangenschaft der Tories treiben lassen sollte.
Es wird das Wichtigste für diese Regierung sein, endlich politische Erfolge vorzuweisen und das bedeutet vor allem, wirtschaftliche Erfolge zu generieren: weniger Arbeitslose, die Verhinderung einer neuen Rezession und stattdessen Wachstum. Der Streit, wie das am besten erreicht werden kann - über Haushaltsdisziplin und Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben oder über mehr Ausgaben und Investitionen –, wird in Großbritannien in gleicher Weise geführt, wie in allen anderen EU-Ländern. Bislang ist Cameron und sein Finanzminister auf der Seite der Sparer. Die Wähler haben gezeigt, dass sie diese Haltung eher nicht teilen.