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Die Zahlen
Der Prozess der zunehmenden Selbstzerstörung innerhalb der Labour Party und die wachsende Ungeduld der Briten mit den lange versprochenen, aber bislang ausgebliebenen Verbesserungen bei den öffentlichen Dienstleistungen beginnen Premierminister Blair und seiner Partei nunmehr auch in den Umfragen spürbar zu schaden. Erstmals seit 1992 haben zugleich die Tories den Abstand zu Labour auf nur einen Prozentpunkt verkürzt und liegen nach der jüngsten Erhebung bei 36%, gegenüber 37% für Labour. Damit ist die kurzfristige Verbesserung für Labour während des Irak-Krieges verzehrt, und die Partei fällt auf die Werte von Januar und Februar zurück. Die Liberaldemokraten halten sich mit beachtlichen 20% stabil.
Dieser Trend hatte sich auch bei den Teil-Kommunalwahlen am 1.Mai gezeigt, bei denen die Tories 561 Sitze hinzugewinnen konnten und damit die stärkste Partei auf kommunaler Ebene wurden.
Die persönlichen Werte für die drei Parteiführer lassen erkennen, daß bei der Frage nach dem geeigneten Premierminister die dominante Rolle von Tony Blair – trotz beachtlicher Verluste – unangefochten bleibt. Er büßte gegenüber den April-Zahlen 5% ein und liegt jetzt bei 38%. Der eigentliche Vertrauensschwund wird deutlich im Vergleich mit den Zahlen der letzten Wahlen 2001, wo 52% der Befragten Blair als den besten Premier ansahen. Der Vorsitzende der Konservativen, Iain Duncan Smith, konnte sich zwar gegenüber April (14%) um fünf Punkte auf 19% verbessern, erreicht aber gerade einmal die Hälfte der Werte von Blair und liegt sogar ein Prozent schlechter, als William Hague 2001 mit 20%. Der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Charles Kennedy, hält sich konstant bei 15%.
Interessant sind die Antworten auf die Frage, wie Blair bzw. Duncan Smith ihre Aufgabe als Premier bzw. Oppositionsführer versehen. Hier sagen immerhin 57%, Blair mache seinen Job gut (42% finden, er macht es schlecht), bei Duncan Smith sind es nur 32%, während die Mehrheit von 57% der Auffassung ist, er macht es schlecht. Dabei stellen diese Werte bereits eine „Verbesserung“ gegenüber den Zahlen vom Januar dar, wo ihm noch 75% testierten, daß er keine gute Arbeit leiste. Selbst unter den Wählern der Konservativen Partei glauben drei-fünftel nicht, daß Duncan Smith ein starker Vorsitzender ist und etwa die Hälfte der Befragten geben der Partei bessere Chancen, wenn er ersetzt würde.
Von Bedeutung für die immer wieder gestellte Frage nach der Alternative für Tony Blair sind die Zahlen für Gordon Brown: 63% sind mit seiner Amtsführung als Schatzkanzler zufrieden, nur 29% sind es nicht.
Wie auch in den USA, finden bei der Frage nach der Handhabung der Irak-Krise die Briten mehrheitlich, daß ihr Premierminister die Aufgabe besser als Georg W.Bush gemeistert hat. 72% geben Blair dafür die Note „excellent oder gut“, während es bei Bush immerhin noch 52% sind, ein Wert, der sich deutlich von ähnlichen Umfragen in anderen europäischen Ländern unterscheidet.
Dramatisch ist der Vertrauensverlust der britischen Regierung. Während noch 2001 ihr 56% der von Gallup Befragten testierten, sie sei ehrlich und vertrauenswürdig, sind es heute nur noch 29%. Die breite Mehrheit der Bevölkerung, nämlich 62%, finden, die Regierung sei weder ehrlich noch vertrauenswürdig.
Ähnlich fällt auch die Antwort nach der Leistungsbilanz aus. Nur noch 31% sind mit den Ergebnissen zufrieden (2001: 52%), während 58% meinen, die Arbeit des Kabinetts verdiene keine Unterstützung.
Die Ursachen: Regierung und Labour Party
Die britische Regierung und Tony Blair selbst haben nahezu ihre ganze erste Wahlperiode davon profitiert, daß die Mehrheit der Bevölkerung nach der langen und zum Schluß ohne Fortune und Inspiration dahindümpelnden Amtszeit der Tories Erneuerung und Erfrischung in Form und Inhalten der Politik des Landes wollte. Die Persönlichkeit von Tony Blair, dem ersten Premier, der während der Regentschaft von Königin Elizabeth II. geboren wurde, seine Dynamik und sein ansteckender Enthusiasmus, hoben sich wohltuend vom traditionellen, stets etwas steifen und biedermännischen Stil seines Vorgängers ab. Regieren sollte Spaß machen – für Regierende und Regierte, und dazu dienten auch neue Kommunikationsformen, ein unverkrampfter Umgang mit Journalisten, Künstlern und Sportlern.
In dieser Zeit entstand eine neue Form der Regierungskunst, Inhalte und Fakten vorrangig auf ihre mediale Wirkung hin zu bewerten, als denn auf ihren Beitrag zur Lösung von Sachproblemen. „Spin-doctoring“ ist als Begriff und Methode heute eingeführt, seine Folgen allerdings sind gravierend: Das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Sachorientiertheit des Regierungshandelns geht verloren, die Bevölkerung fühlt sich getäuscht und manipuliert, die Journalisten fühlen sich instrumentalisiert.
So kann es nicht wundern, daß sich Tony Blair gegenwärtig z.B. massiven Vorwürfen auch aus seiner eigenen Partei ausgesetzt sieht, er und sein engstes Umfeld hätten Geheimdienstinformationen über Massenvernichtungswaffen im Irak manipuliert („sex up“), bevor sie veröffentlicht und schließlich als Hauptgrund genutzt wurden, um die britische Beteiligung am Krieg zu rechtfertigen. Die Dementis verfehlen ihre Wirkung, und jetzt werden sich Geheimdienstausschuss und Auswärtiger Ausschuss mit der Sache befassen.
Blair profitierte in seiner ersten Amtszeit weiterhin von einer boomenden Wirtschaft, gestützt durch eine kluge Haushalts- und Finanzpolitik seines Schatzkanzlers Brown. Der Finanz- und Dienstleistungsplatz London, wo Gehälter bislang unbekannten Ausmasses gezahlt wurden, wurde weltweit zur Stadt mit den höchsten Lebenshaltungskosten. Der Boom steckte an, und bei niedrigen Zinsen beteiligten sich auch Einkommensschwächere unter Inkaufnahme hoher Verschuldung an der Lebensfreude und einem kaum gezügelten Konsum. In einem Land, in dem jeder gerne Hausbesitzer sein möchte, explodierten die Immobilienpreise insbesondere im Süden des Landes mit jährlichen Steigerungsraten um 25%. Der Wertzuwachs von Häusern und Wohnungen diente zur Absicherung weiterer Darlehen. Weitgehend unbeachtet bleibt dabei bis heute, daß der Zinssatz für Darlehen auf Immobilien – anders als in den meisten anderen europäischen Ländern – nur für eine kurze Zeit festgeschrieben wird. Ändert sich der Leitzins, bricht für viele Engländer ihr Finanzierungskonzept zusammen – ein Argument – das jetzt auch in die Kampagne gegen die Einführung des Euro eingeführt wird. Man brauche, so wird argumentiert, angesichts der Bedeutung des Immobilienmarktes für die Wirtschaft Großbritanniens weiterhin die Kontrolle über den Zins und dürfe sie nicht einer Europäischen Zentralbank übertragen, die auf die Besonderheiten des britischen Marktes keine Rücksicht nehme.
Wo sich – insbesondere bei den öffentlichen Dienstleistungen – wachsender Unmut in der Bevölkerung über Mängel im Gesundheitswesen, die katastrophalen Zustände bei Eisenbahn und Personennahverkehr, bei staatlichen Schulen und Hochschulen auftat, konnten Blair und seine Minister auf die Fehler der Vorgängerregierung, ihre „brutale Privatisierungspolitik und die Privilegierung der Reichen und Gebildeten“ verweisen. Und bis heute geben in der Tat viele Briten den Tories jedenfalls eine Mitschuld an den Zuständen. Daß sie unter Blair nicht verbessert wurden und das „New Labour“ das Gefälle zwischen arm und reich noch hat größer werden lassen, hat die Mehrheit der Briten jedenfalls bis zur Wahl 2001 nicht realisiert. Nach einem Wahlkampf, den die Tories zum zweiten Mal nicht um die Probleme des Landes geführt hatten, sondern um die verderblichen Einflüsse Europas, die Aufgabe britischer Souveränität und Fremdbestimmung als Folge, um Regulierung aus Brüssel, die Aufgabe des Pfundes und der Traditionen, errang Blair einen weiteren Erdrutschsieg und mit 413 Sitzen nur 6 weniger, als 1997. Er wurde der erste Chef einer Labourregierung, der wiedergewählt wurde und zweimal hintereinander mehr als 400 Sitze erzielte, ein in der britischen Nachkriegsgeschichte bisher nicht erreichtes Traumergebnis. Er schien unverwundbar zu sein, nicht mehr aufzuhalten beim Umbau des Landes und seinen Visionen für eine neue, gerechtere Weltordnung, weder durch die offizielle Opposition, die gerade einmal 166 Mandate errang, noch durch die Traditionalisten in den eigenen Reihen, die die Wut über die Aufgabe von Werten und Inhalten der Arbeiterpartei nirgendwo ablassen konnten.
Noch im letzten Jahr wischte der Premier, dem sie heute einen „präsidialen Regierungsstil“ attestieren, bereits kurz nach der Abstimmung auf dem Labour-Parteitag die Entscheidung der Delegierten vom Tisch, die Regierung möge die Entscheidungen zu „Public-privat partnership“ überprüfen und öffentliche Dienstleistungen nicht privatisieren.
Dies war ein Signal an die Öffentlichkeit und die eigene Partei, daß jetzt Ernst gemacht werde mit den Reformen in den Problembereichen Transport, Schule und Ausbildung, Gesundheitssystem und Altersversorgung.
Der Kurs in der Sache war für die Bevölkerung allerdings immer weniger klar. Bei der Bahn wurden vorgenommene Privatisierungen nach langen, öffentlichen Auseinandersetzungen wieder zurückgeführt. Die täglichen Probleme der tausenden von Pendlern bleiben, Verspätungen, Unfälle, völlig veraltete Schienen und Wagons. Das staatliche Gesundheitssystem soll mit einer Finanzspritze von zusätzlich £ 25 Mrd. in den nächsten fünf Jahren modernisiert und vor dem Kollaps bewahrt werden – dafür werden Steuern erhöht. Gegenwärtig aber müssen Notfallpatienten ausgeflogen werden, weil die eigenen Krankenhäuser hoffnungslos überfüllt und das Personal überfordert ist. Für die staatlichen Schulen gibt es ein Investitions- und Modernisierungsprogramm, das aber erst in einigen Jahren greifen kann.In diesem Jahr mußten hunderte von Lehrern staatlicher Schulen entlassen werde, weil das Geld für ihre Gehälter fehlt. Da bleibt vielen Eltern nur die Alternative der teueren Privatschulen, wo monatliche Gebühren von £ 1000,- keine Ausnahme sind. Den Universitäten soll freigestellt werden, höhere Studiengebühren zu verlangen, um auch dort modernisieren und an internationale Standards anschließen zu können, bei den ohnehin bereits hohen Ausbildungskosten ein weiteres Problem für Kinder aus niedrigen Einkommensgruppen.
Noch im April dieses Jahres zeigen alle Umfragen, daß die von der Regierung Blair beschlossenen Maßnahmen die Sorgen und Erwartungen der Menschen nicht haben verändern können. Die Liste der wichtigsten Probleme hat diese Reihenfolge:
- Verbesserung des Gesundheitssystems (74%)
- Reduzierung von Gewalt und Kriminalität (63%)
- Reduzierung der Zahl der Asylbewerber (62%)
- Verbesserung des Transportsystems (43%)
- Erhöhung der Standards in staatlichen Schulen (36%)
- Erhalt einer niedrigen Arbeitslosenquote (32%)
- Keine Steuererhöhungen (29%)
- Erhöhung der staatliche Rente (28%)
- Erhalt der eigenen Währung (25%)
Vertrauensschwund und Konflikte in Sachfragen belasten aber nicht nur die Stellung des britischen Premier in der Öffentlichkeit. Was sich über längere Zeit hinweg an Widerstand und teilweise aggressiver Ablehnung von Inhalt und Stil der Politik Tony Blair´s aufgestaut hatte, entlud sich in den Debatten über die britische Beteiligung am Krieg gegen den Irak. Niemals zuvor versagten Abgeordnete einer Regierungspartei in so großer Zahl ihrem Regierungschef die Gefolgschaft, wie die Labour-Rebellen in zwei Abstimmungen im Unterhaus. Nicht nur, daß sie es taten, sondern vor allem auch wie sie es begründeten, zeigt die dramatischen Risse bei Labour und die schwindende Unterstützung, die Blair in den eigenen Reihen hat. Wer glaubte, mit dem erfolgreichen Abschluß des Krieges und dem Respekt, den sich dabei Blair, sein Außenminister Straw und Verteidigungsminister Hoon weltweit erworben haben, würde eine Beruhigung eintreten, sah sich getäuscht.
Der Vorwurf, Blair habe Partei, Parlament und Öffentlichkeit belogen und Dokumente manipulieren lassen, um den innenpolitischen Druck gegen eine britische Beteiligung im Irak zu überwinden, wird in den eigenen Reihen erhoben, noch dazu von zwei ehemaligen Ministern, Clare Short und Robin Cook, die mit am Kabinettstisch saßen und ihn unter Protest gegen die Politik Blair´s verließen.
Als sei es damit noch nicht genug, sind auch die jetzt anstehenden Fragen zu einem möglichen Euro-Beitritt und zu den erwarteten Empfehlungen des Europäischen Konvents geeignet, die Konflikte zu vertiefen und das europapolitische Konzept von Tony Blair zu gefährden. In beiden Themen geht ein Riß durch Partei und Bevölkerung, wobei der euroskeptische Flügel verstärkt wird durch eine massive Pressekampagne („Sun“, „Daily Mail“, „Daily Telegraph“), die Blair mehr fürchten muß, als die Opposition der Tories. Die Europathematik verlangt Führungswillen und –kraft. Beides hat Blair in beeindruckender Weise während des Irak-Konfliktes unter Beweis gestellt. Nie zuvor war er entschlossener, für seine Überzeugungen einzutreten und seine Ziele durchzusetzen, nie zuvor war er unbeeindruckter von öffentlicher Meinung und Widerständen in den eigenen Reihen. Ob er sich dies ein weiteres Mal zumutet und zutraut, hängt nicht zuletzt auch von der Verständigung ab, die er mit Gordon Brown getroffen hat. Brown´s Ehrgeiz und politisches Talent reichen zweifelsfrei über die Rolle des Schatzkanzlers hinaus, und bis heute weiß wohl keiner außer ihm und Blair, was wirklich 1994 im „Granita“- Restaurant in Islington verabredet wurde, aus dem jedenfalls Blair die Unterstützung Brown´s für die Nachfolge des kurz zuvor verstorbenen Labour-Führers John Smith und damit auch für die Spitzenkandidatur für die Wahlen 1997 mitnahm. Unstreitig ist indes, daß diese Unterstützung für Blair heute wieder wichtiger geworden ist, als sie es in den zurückliegenden Jahren war. Sollte Brown in einem Konflikt gegen Blair Partei ergreifen, wird es eng für den Premierminister. Dennoch: Blair ist in einer formidablen Form, nahezu unbeeindruckt von allen Widerständen, und die nach wie vor dominierende Persönlichkeit in der britischen Politik.
Allerdings ist der Schwung, den Blair vom Sieg im Irak für seine Europapolitik mitnehmen wollte, zunächst einmal von den innerparteilichen Konflikten abgebremst.
Zum Euro hatten sich Blair und Brown seit langem auf die „five economic tests“ verständigt, die Vor- und Nachteile eines Euro-Beitritts für die britische Wirtschaft bewerten helfen sollen. Die Bewertung sollte der Schatzkanzler vornehmen, sein Votum entscheiden. Es ist unstreitig, daß die auf der Rückbank eines Taxis in Washington verfassten Tests im Ergebnis für eine politische Bewertung offen sind und Argumente für oder gegen den Beitritt erlauben.Unstreitig ist auch, daß sich Brown die einmal zugesagte Entscheidungskompetenz nicht aus der Hand nehmen lassen will, während Blair den Eindruck vermeiden muß, er würde von seinem Schatzkanzler in einer zentralen Frage fremdbestimmt.
Das Verfahren, auf das sich beide schließlich verständigt haben, sah vor, allen Ministern zunächst Gelegenheit zu geben, die über zweitausend Seiten Stellungnahme des Schatzamtes in Einzelgesprächen mit Blair und Brown zu erörtern. Am 5.Juni fand dann die Kabinettssitzung statt, die abschließend über die Vorlage zu entscheiden hatte, die Schatzkanzler Brown am Montag nachmittag (9.Juni) im House of Commons vorträgt. Sie wird – nach allem, was zu hören ist – einen Kompromiss enthalten, auf den sich Blair und Brown verständigt haben. Er hat folgende Elemente:
- Die Entscheidung zum Euro muß vorrangig von den wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens abhängig gemacht werden.
- Die Kriterien, aufgestellt in den fünf Tests, sind noch nicht vollständig erfüllt. Wann eine neuerliche Bewertung durch das Schatzamt erfolgt, bleibt offen. Das Verfahren bleibt in den Händen von Gordon Brown.
- Zugleich wird jedoch in der zweiten Jahreshälfte ein Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Referendums zum Euro-Beitritt geschaffen werden sollen. Dieses Referendum kann gfls. noch in dieser Legislaturperiode abgehalten werden.
Daß am Tag der Kabinettssitzung die EZB den Leitzins auf ein historisches Tief von 2% absenkte, dürfte eher Wasser auf die Mühlen der britischen Beitritts-Kritiker sein. Sie beeilten sich, darauf hinzuweisen, daß die Zinssenkung allein im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands liege, das die größte Krise seit Jahrzehnten durchlaufe. Für die Interessen Großbritanniens mit einer stabileren Wirtschaft, aber auch für Länder wie Irland oder Spanien, sei der Zins zu niedrig.
Die Bank of England hielt denn auch konsequent an ihrem Leitzins von 3,75% fest.
Eine Volksabstimmung wird nun auch von der Opposition und Teilen von Labour für die parallel laufende Debatte über eine „europäische Verfassung“ verlangt. Nach einer neuen Umfrage von YouGov wollen 75% der Briten ein Referendum, das Blair bislang abgelehnt hat. In der gleichen Umfrage sprechen sich 51% der Befragten dafür aus, daß sich Großbritannien lieber ganz aus der EU zurückziehen solle, als sich „Brüssel auszuliefern“. Nur 29% sagen, Großbritannien könne einen Verlust an eigenen Rechten und Zuständigkeiten in Kauf nehmen, wenn es dafür in der EU bliebe.
Diese Grundstimmung überlagert – jedenfalls gegenwärtig – die Detaildebatte über einen europäischen Präsidenten, die Rolle und Rechte eines europäischen Aussenministers, die Aufnahme des Menschenrechtskatalogs in eine europäische Verfassung, oder eine gemeinsame Asyl-, Justiz- und Steuerpolitik. Eine breite öffentliche Debatte findet dazu in Großbritannien, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, nicht statt, was naturgemäß den rationalen Zugang zu den Problemen durch sehr viel Emotionalität überlagert. Diese euroskeptische Grundstimmung wird nur durch eine entschlossen geführte Kampagne zu überwinden sein, die Stärke und Geschlossenheit von Regierung und Mehrheitsfraktion voraussetzt. Daran fehlt es gegenwärtig.
Die Konservative Partei
Auch wenn sich die Zahlen für die Tories etwas verbessern – von einem wirklichen Durchbruch in der Wählergunst ist jedenfalls gegenwärtig noch nichts zu spüren. Es ist offenkundig, daß die Konservativen bislang nicht entscheidend von der Enttäuschung über New Labour profitieren konnten, daß ihre Akzeptanzprobleme bei den Wählern, ihre mangelnde Attraktivität bei jungen, urbanen Menschen und insbesondere bei Frauen, ihre Zerstrittenheit in Sach- und Personalfragen immer noch nicht überwunden sind. Der Partei fehlen Profil und konzeptionelle Stringenz, und ihr Vorsitzender wird in der konservativen „Times“ mit einem gen-manipulierten Huhn verglichen, das jetzt Zähne bekommen habe. Aber da es nicht wisse, wie man damit zubeiße, beschränke es sich weiter darauf, nur zu gackern. Auf einen wirklichen Punktsieg bei Unterhausdebatten mit Tony Blair warten auch die Anhänger von Iain Duncan Smith noch.
Die Unterhausfraktion besteht aus vielen, z.T. höchst eindrucksvollen Individualisten, die gegenüber der Partei ein Gefühl großer Unabhängigkeit demonstrieren. Wer die letzten beiden Wahlen 1997 und 2001 überlebt und in seinem Wahlkreis wiedergewählt wurde, ist gesichert und weiß, daß es schlimmer nicht mehr werden kann. Solidaritäts- und Loyalitätsappelle der Partei- und Fraktionsführung stoßen sich gelegentlich an dieser Unabhängigkeit und am guten Gedächtnis vieler Abgeordneter, die sich daran erinnern, daß es Duncan Smith und sein jetziger Schatten-Justizminister Bill Cash waren, die ihrem Premierminister John Major in mehreren Abstimmungen, insbesondere zum Vertrag von Maastricht, Niederlagen beigebracht haben.
Mit großer Regelmäßigkeit finden in der Öffentlichkeit sowie in Partei und Fraktion daher Diskussionen über ein Mißtrauensvotum gegen Duncan Smith statt, zuletzt für den Fall, daß die Kommunalwahlen am 1.Mai kein befriedigendes Ergebnis für die Tories bringen würden. Kurz zuvor gab es eine Rebellion über den eigenmächtigen Rausschmiß von zwei führenden Mitarbeitern des Tory-Central Office, die Duncan Smith selbst geholt hatte. Ihr Kurs galt als zu reformorientiert, und als der Wiederstand im rechten Lager der Partei wuchs, wurden sie kurzerhand gegen einen alten Freund von IDS aus den Schlachten „gegen Europa“ ausgetauscht. Auch er hat inzwischen das Hauptquartier der Partei wieder verlassen, weil seine Einstellung ohne Zustimmung des Boards erfolgte und die Person selbst ein falsches Signal über die Reformwilligkeit der Parteiführung gesetzt hätte.
Duncan Smith profitiert nicht zuletzt von einem Wahlsystem für die Führerschaft der Partei, das William Hague zur vermeindlichen Demokratisierung der bis dahin allein von der Unterhausfraktion vorgenommenen Kür des Vorsitzenden eingeführt hatte. Danach muß die Unterhausfraktion zwei Vorschläge machen, über die die Mitglieder in Urwahl abstimmen. Zwar dürften die 25 Unterschriften, die in der Fraktion ausreichend sind, um ein Mißtrauensvotum gegen den „Leader“ zu bekunden, relativ leicht zustandekommen, die Verständigung auf die beiden Wahlvorschläge unter den vielfältigen Gruppen der Fraktion indes schwierig sein. Käme es wieder zur Abstimmung über „Reformer“ und „Traditionalisten“, einem „europafreundlichen“ und einem „europaskeptischen“ Abgeordneten, wäre die Vorhersage des Ergebnisses klar: Das Durchschnittsalter der knapp 300.000 Mitglieder liegt bei 63 Jahren, nur 2% sind Frauen unter 40, und der weit überwiegende Teil lebt in den ländlichen Gegenden Großbritanniens.
Die Hoffnungen, daß Duncan Smith, dem die Mehrheit seiner Parteifreunde den Vorzug über Ken Clarke gegeben hatte, mit der Unterstützung, die er in erster Linie vom „rechten Mehrheitsflügel“ der Tories bekommen hat, die Partei auf einen Mittelkurs führt, der ihre Attraktivität bei Wählern außerhalb der traditionellen Zielgruppe zu erhöhen geeignet ist, hat sich nur teilweise erfüllt. Die Partei hat zu den zentralen Themen der Innenpolitik, zu innerer Sicherheit, Erziehung und Bildung sowie zum öffentlichen Gesundheitswesen und zur Rentenreform überzeugende Konzepte vorgelegt, die die zuständigen Mitglieder des Schattenkabinetts in eindrucksvollen Präsentationen im Landes vertreten. Die Versuche, mehr Frauen, junge Leute und Vertreter ethnischer Gruppen für die Partei zu gewinnen und als Kandidaten für die nächsten Wahlen aufzubauen, sind nicht ohne Erfolg geblieben. Die Aufarbeitung der eigenen Regierungsverantwortung in der Vergangenheit ist mit dem öffentlichen Eingeständnis von Fehlern erfolgt, die frühere Präsentation der Partei selbst wurde vom gegenwärtigen „Chairman“, der Unterhausabgeordneten Theresa May, auf dem letzten Parteitag als „nasty“ bezeichnet.
Dennoch: In einer Gesellschaft, die mit wachsender Skepsis darauf schaut, ob Politik glaubwürdig präsentiert wird, gelingt es den Tories nicht, mit ihren Konzepten wirklich durchzudringen und den Eindruck auszuräumen, das Ganze sei ebenfalls nur „Spin“ und Taktik, um gegen Blair zu punkten. Als z.B. die Regierung die Erhöhung der Studiengebühren für erforderlich hielt, um den Universitäten zusätzliche Einnahmen zu ermöglichen, forderten die Konservativen die völlige Abschaffung dieser Gebühren. Wirklich überzeugt hat dies nur wenige, weil jederman weiss, daß die Universitäten schon irgendwie finanziert werden müssen, und wenn denn nicht von den Studenten, dann eben von allen Steuerzahlern.
Zu den Europathemen hat sich Duncan Smith seit seiner Wahl darum bemüht, den tiefgreifenden Konflikt in der Fraktion nicht erneut aufleben zu lassen. Der Schwerpunkt und damit die gemeinsame Klammer liegt in der Innenpolitik und in der Erstellung von Konzepten gegen New Labour und Tony Blair. Zur Frage des Euro-Beitritts ist die ablehnende Haltung der Führung bekannt, zugleich ist aber auch unbestritten, daß sich Abgeordnete und Parteimitglieder in der Pro-Kampagne engagieren können. Die ebenfalls „spaltungsträchtigen“ Fragen aus dem Konvent versucht man zunächst, durch die Forderung nach einem Referendum von der Partei auf die Bevölkerung abzuschieben. Daß dies auf Dauer nicht reichen dürfte, muß als Einsicht unterstellt werden.
Weil es an Grundsatzprogrammen fehlt – man hält dies hier für Ideologie – sind die Fundamente der Partei schwankend und deshalb gelegentlich schwer erkennbar. Das inhaltliche Profil richtete sich letztlich immer nach den jeweiligen Gegebenheiten und wurde von der jeweiligen Führung der Partei bestimmt. Erfolgreich waren die Konservativen mit dieser Methode immer nur, wenn sie regierten. In die Regierung kamen sie in der Vergangenheit gelegentlich schon dann, wenn man ihnen einfach nur zutraute, das Land besser regieren zu können, als die anderen. Auch davon sind sie gegenwärtig noch ein Stück entfernt.