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Die von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel und den Palästinensischen Gebieten unterstützten „Joint Israeli-Palestinian Polls“ deuten auf eine widersprüchlich anmutende Entwicklung hin: Einerseits nimmt in den Bevölkerungen beider Seiten die Kompromissbereitschaft zu, andererseits werden die Aussichten auf eine baldige Lösung zunehmend pessimistisch beurteilt. Sowohl in den Palästinensischen Gebieten als auch in Israel – dort auf der rechten wie auf der linken Seite des politischen Spektrums – mehren sich die Stimmen, die sich für eine „Ein-Staat-Lösung“ (unter Ausschluss des Gazastreifens) aussprechen.
Nach Ansicht einiger israelischer Gesprächsteilnehmer wäre die „Ein-Staat-Lösung“ inakzeptabel, weil sie den jüdischen und zugleich demokratischen Charakter Israels untergraben würde: Alle demographischen Indikatoren weisen darauf hin, dass es zwischen dem Jordan im Osten und dem Mittelmeer im Westen eine arabische/palästinensische Mehrheit geben wird. Vor diesem Hintergrund hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Juni 2011 bei der Vorstellung eines Demographieberichts erklärt, ihm sei „eine solide jüdische Mehrheit innerhalb des Staates Israel“ wichtiger als eine stärkere jüdische Präsenz im Westjordanland: „Mir ist es gleichgültig, ob dort eine halbe Million mehr oder weniger Palästinenser leben, denn ich habe nicht die Ansicht, sie dem Staat Israel einzuverleiben.“ (Siehe Netanyahu: Israel needs to separate from the Palestinians, Haaretz online vom 21. Juni 2011.) Die demographische Problematik, so merkte ein Israeli hierzu an, lasse sich mit der des Klimawandels vergleichen: Die spürbaren Auswirkungen träten zeitversetzt auf und würden deshalb von der Bevölkerung weniger ernst genommen als unmittelbar drohende Gefahren.
Andere israelische Fachleute wandten sich zwar gegen eine Ein-Staat-Lösung, warnten jedoch davor, mit demographischen und anderen Prognosen zu weit in die Zukunft zu blicken. Der Nahe Osten sei eine Region im Umbruch und deshalb immer für – positive wie negative – Überraschungen gut. Einig war man sich auf israelischer Seite, die politisch ein breites Spektrum von links bis rechts abdeckte, dass die Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses derzeit sehr gering seien. Einige Israelis äußerten allerdings die Erwartung, dass es nach der US-Präsidentschaftswahl im November 2012 zu einer neuen Dynamik kommen könnte.
Bemerkenswert war die Übereinstimmung auf israelischer Seite im Blick auf den politischen Stellenwert des israelisch-palästinensischen Konflikts. Seit dem Ende der zweiten Intifada gestalte sich das Zusammenleben zwischen Israel und dem Westjordanland relativ friedlich. Die Kooperation zwischen israelischen und palästinensischen Sicherheitskräften sei enger denn je. Aus israelischer Sicht hätten andere Themen weitaus höhere Priorität: die Bedrohungen im Südwesten (Gaza, Sinai), die Unsicherheit über die politische Entwicklung in Ägypten, neue Sicherheitsprobleme an den Grenzen zu Syrien und dem Libanon, die Gefahr einer Destabilisierung Jordaniens, die Rolle des Iraks nach dem Abzug der amerikanischen Truppen – und nicht zuletzt das iranische Atomwaffenprogramm. Dieses Desinteresse am israelisch-palästinensischen Konflikt sei insofern problematisch, als der Zwei-Staaten-Lösung die Zeit davonlaufe. Fundamentale Differenzen und steigendes Misstrauen zwischen beiden Seiten machten indes ein permanentes Statusabkommen derzeit unmöglich. Gerade deshalb müsse man aber auf diplomatischem Wege zumindest schrittweise auf eine Lösung hinarbeiten und kleinere Übergangsabkommen schließen. Es sei an der Zeit, dass mutige Entscheidungen „von oben“ getroffen werden, da die derzeitige Sicherheitslage im israelisch-palästinensischen Verhältnis jeden Moment kippen könne.
Aus dem Kreis der deutschen Teilnehmer kam die Frage, weshalb die israelischen Gesprächspartner das Thema „Siedlungspolitik“ nicht angesprochen hätten; dies sei doch das Kernproblem des israelisch-palästinensischen Konflikts, ja überhaupt der Friedlosigkeit im Nahen Osten. Dem widersprachen die israelischen Teilnehmer mit unterschiedlichen Argumenten.
- Einige wiesen darauf hin, dass (auch) mangelnde Kompromissbereitschaft auf palästinensischer Seite eine endgültige Beilegung des Konfliktes verhindere – als Beispiele wurden das von den Palästinensern beanspruchte Rückkehrrecht und der künftige Status Jerusalems genannt.
- Andere meinten, die territoriale Ausdehnung der jüdischen Siedlungen im Westjordanland werde in der europäischen Öffentlichkeit stark übertrieben dargestellt. Letztlich gehe es nur um grenznahe Siedlungsblöcke (Ariel, Ma’ale Adumim, Gusch Etzion), die weniger als zwei Prozent des palästinensischen Territoriums ausmachten; bei einer abschließenden Friedensregelung würden den Palästinenser dafür als Kompensation israelische Gebiete abgetreten werden.
- Es sei auch ein zentrales Problem, dass es kein politisch geeintes palästinensisches Gebiet gebe. Der innerpalästinensische Konflikt zwischen dem Westjordanland und Gaza scheine unüberbrückbar, jegliche Versöhnungsversuche der letzten Jahre und Monate seien an dem rigorosen Bruderstreit zwischen der nationalistischen Fatah und der radikalislamischen Hamas gescheitert.
Einig war man sich auf israelische Seite darüber, dass einseitige Schritte Israels keine Lösung seien. Das hätten der Gaza-Rückzug von 2005 und seine verheerenden Folgen für den israelischen Südwesten bewiesen. Der Abbau aller Siedlungen in diesem Gebiet sei von der palästinensischen Seite nicht mit einem Gewaltverzicht, sondern mit einer Verfünffachung des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen honoriert worden. Gerade jetzt, zu Beginn des neuen Schuljahres, hätten die Raketenangriffe wieder zugenommen. Ein Rückzug aus dem Westjordanland komme nach Ansicht einer überwältigenden Mehrheit der Israelis nur in Frage, wenn hundertprozentig sichergestellt sei, dass die Folge kein neuer Raketenterror sei.