Event reports
Am 29. und 30. Mai 2013 fand an der Ben-Gurion-Universität des Negev (BGU) die zweite Jahreskonferenz junger israelischer Europaforscher statt. Nach dem Erfolg der ersten Konferenz lud das Auswahlgremium diesmal eine noch größere Anzahl israelischer Studenten unterschiedlicher Universitäten ein. Die Studenten erhielten die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse zu einer großen Bandbreite europabezogener Fragestellungen zu präsentieren. Organisiert wurde die zweitägige Konferenz vom Center for the Study of European Politics und Society (CSEPS) der Ben-Gurion-Universität und der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel in Zusammenarbeit mit der Delegation der Europäischen Union in Israel.
Prof. David Newman, Dekan der BGU am Fachbereich für Geistes- und Sozialwissenschaften, und Dr. Sharon Pardo, Direktor des CSEPS, hießen die Konferenzteilnehmer willkommen und betonten gleich zu Beginn die zentrale Bedeutung für israelische Hochschulen, Europastudien in ihren Fächerkanon zu integrieren.
Mittwoch, 29. Mai 2013
Panel 1: Die Rolle Europas im israelischen Bildungssystem
Das erste Panel beschäftigte sich mit der Rolle Europas im israelischen Bildungssystem. Dr. Rutie Frankel, Direktorin des Bildungsministeriums der Stadt Beer Sheva, verwies in ihrem Vortrag auf aktuelle Fragen und Zukunftsvisionen des israelischen Bildungssystems. Alma Vardari-Kesler, Projektmanagerin und Dozentin an der BGU, stellte anschließend das Projekt „Click“ des CSEPS vor, dessen Ziel es ist, Schülern der Grund- und Oberschulen in der Negevregion ein Verständnis von Europa und der Europäischen Union zu vermitteln.
Hila Zahavi und Yoav Friedman – beide von der Ben-Gurion Universität – zeigten am Beispiel des Bologna-Prozesses auf, welche maßgebende Rolle Europa im Bereich der Hochschulbildung spielt. Die Vortragenden fokussierten sich auf die externe Dimension des Bologna-Prozesses und damit auf dessen Auswirkungen über den europäischen Hochschulraum hinaus. Zum Abschluss des Panels stellte Hannah Moscovitz von der BGU das Bologna Training Center (BTC) vor, das in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel etabliert wurde. Ziel des BTC ist die Förderung und Verbreitung eines besseren Verständnisses des Bologna-Prozesses innerhalb des israelischen Hochschulsystems.
Panel 2: Praktiken der Ausgrenzung und Integrationspolitik
Das zweite Panel befasste sich mit den Themen Immigration und Minderheiten in Europa. Shalom Zarbiv, Student der Hebrew University Jerusalem, präsentierte seine Studie über die Folgen westeuropäischer Integrationsprogramme auf die Einbindung und Ausgrenzung von Einwanderern. Seine Forschungsarbeit zeigt, dass staatliche Integrationsprogramme entweder die Einbindung oder die Ausgrenzung von Immigranten fördern, je nach dem wie das Integrationssystem des jeweiligen Landes als solches angelegt ist. Michael Freedman von der Hebrew University illustrierte im Rahmen seiner Präsentation, inwiefern sich die Einstellungen zum Thema Einwanderung durch die europäischen Schuldenkrise geändert haben. Die Ergebnisse seiner statistischen Analyse zeigen, dass die europäische Toleranz gegenüber Einwanderung tatsächlich wesentlich von der Stabilität der finanzpolitischen Lage eines Landes abhängt. Orit Hirsch von der BGU stellte ihre anthropologische Studie vor, die am Beispiel einer kleinen Inselgemeinschaft in Griechenland die Negativwahrnehmungen von Einheimischen gegenüber Einwanderern untersucht. In ihrer Studie arbeitet Hirsch heraus, wie es zur Abgrenzung der muslimischen Immigranten durch sogenannte „eating-dog“-Geschichten der Inselbewohner kam. Abschließend stellte Binyamin Spanier von der Universität Haifa seine Forschungsarbeit über eine weitere Minderheit in Europa vor – ältere Menschen. Er konzentrierte sich dabei auf die Forderungen von Senioren an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Seine Untersuchungen zeigen, dass sich der EGMR nicht in dem Maß für die Rechte von älteren Menschen einsetzt wie es die EU in ihrem Normen- und Wertekatalog eigentlich vorsieht.
Panel 3 und 4: Europa und Israel - Herausforderungen und Kooperation
Prof. Jörn Axel Kämmerer, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Bucerius Law School (Hamburg), diskutierte in seinem Vortrag die jüngste Finanzkrise der Europäischen Union und zeigte aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive ihre Ursachen, Folgen und Zukunft auf. Nachdem er das Zustandekommen der europäischen Gemeinschaftswährung und Finanzpolitik historisch nachzeichnete, beschrieb er die ursprünglichen Motive für die Einführung des Euros, zu denen insbesondere der Wunsch nach einer stärkeren Verbindung und Einheit zwischen den Bürgern in Europa gehört. Prof. Kämmerer sprach ferner über die Herausforderungen und Defizite des derzeitigen Finanzsystems. Beispielsweise würden Kontroll- und Sanktionsmechanismen nicht effizient ausgeführt und der Interpretationsspielraum bezüglich der Stabilitätskriterien sei zu groß. Es seien unter anderem diese Schwachstellen, welche die Stabilität des Euros gefährden. Als negative Folgen der Finanzkrise nannte er u. a. die erwiesene Unzufriedenheit mit dem Euro innerhalb der europäischen Gemeinschaft und dass dessen Einführung bisher vielmehr zu einem fortschreitenden Auseinanderklaffen anstatt zu einer Annäherung der Menschen in Europa geführt habe. Positiv merkte er an, dass der Euro von der Krise weitestgehend unberührt geblieben ist. Seiner Meinung nach bedarf es für die Euro-Zone zukünftig eines entscheidenden Durchbruches. Wenn der Euro die Krise auch vorerst überleben werde, müsse sich die Währung mitsamt ihrer politischen Gemeinschaft in der Zukunft zweifelsfrei verändern.
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit untersucht Shirley Gordon von der BGU, welche normativ-politischen Elemente sich in den Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und Israel ausmachen lassen. Anhand des jüngst abgeschlossenen Open-Sky-Abkommens stellte sie die These auf, dass der EU-Grundsatz von einem Gleichgewicht der Gewinnraten tendenziell nicht eingehalten und somit der Stellenwert der eigentlich angestrebten politischen Vorhaben abgewertet wird. Jonathan Rokem, ebenfalls von der BGU, präsentierte eine vergleichende Perspektive auf Initiativen zum bürgerlichen Engagement in der Gemeinschaft in Israel und Europa. Dabei zeigte er, dass obwohl in Israel auch von staatlicher Seite aus ein besonderer Fokus auf Gemeindeplanung liegt, die Initiativen hauptsächlich von der Bevölkerung ergriffen wurden. Im europäischen Kontext werden hingegen Gemeinschaftsprojekte zunächst von politischer Ebene aus gefördert. Or Blan von der BGU untersuchte am Beispiel der deutsch-israelischen Beziehungen, inwiefern Social Media als Instrument der Public Diplomacy genutzt werden. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Forschungsfrage, inwiefern Social Media die Entwicklung und Durchführung der europäischen Public Diplomacy-Strategie in Bezug auf die Beziehungen mit Israel beeinflussen.
Panel 5: Flüchtlingsgemeinschaften: Die jüdische Gemeinschaft und das Bewirken von Veränderung
Im Rahmen des letzten Panels beschäftigten sich die Teilnehmer mit dem Thema jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkrieges und der ersten Jahre der Staatsgründung Israels. Daniel Coussin von der Hebrew University stellte seine Forschungsarbeit über die deutsch-jüdischen Flüchtlinge im Vereinigten Königreich und ihren Einfluss auf die jüdischen Gemeinden in England und Schottland vor. Er veranschaulichte, auf welche Art und Weise sich der zionistische Gedanke durch die Ankunft der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland verbreitete. Benny Nuriely, Student der BGU, fokussierte sich im Rahmen seiner Forschung auf jüdische Flüchtlinge aus Europa und Nordafrika. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie infolge des Zweiten Weltkrieges die Arbeit jüdischer Ärzte mit Juden aus diesen beiden Regionen dazu führen konnte, dass ein System ethnischer Unterscheidung zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden konstruiert wurde.
Donnerstag, 30. Mai 2013
Panel 6: Spanisch-israelische Beziehungen
Das erste Panel des Tages widmete sich den israelisch-spanischen Beziehungen. Dr. Eliezer Papo, Direktor des Moshe David Gaon Center for Ladino Culture an der BGU, ging der Frage nach, ob das Zentrum der sephardischen Forschung in Israel oder Spanien liege. Nachdem er die Entwicklung des Forschungsstandes in Israel und Spanien beschrieben hatte, argumentierte er schließlich, dass es kein „Mekka“ für sephardische Studien benötige, sondern diese weltweit gefördert werden sollten. Aya Shoshan von der BGU präsentierte ihre vergleichende Analyse zu den jüngsten sozialen Bewegungen in Israel und Spanien. Im Rahmen ihrer Forschung diskutiert sie sowohl die Wahrnehmungen von als auch die Reaktionen auf Demokratie, die innerhalb dieser sozialen Bewegungen existieren. Ihr Fokus liegt hierbei darauf, wie diese Wahrnehmungen/Reaktionen unter israelischen und spanischen Aktivisten kommuniziert werden. Hila Levi von der Hebrew University untersucht am Beispiel der Cast Lead Operation, inwiefern sich die Einstellungen der spanischen Regierung und Öffentlichkeit gegenüber Israel unterscheiden. Ihre Forschung zeigt, dass die öffentliche Meinung zu Israel grundsätzlich negativ ausfällt, dass jedoch im Gegensatz dazu die allgemeine Einstellung der spanischen Regierung – zumindest auf operativer Ebene – als positiv zu bewerten ist.
Panel 7: Die Ursprünge ökonomischer Liberalisierung und staatlicher Regulation in Europa
Das zweite Panel fokussierte sich auf unterschiedliche ökonomische Aspekte der Europäischen Union. Nir Yamin von der Hebrew University stellte seine Forschungsarbeit zu EU-Verordnungen über staatliche Beihilfen vor. Seine Studie eröffnete eine rechtliche Perspektive und veranschaulichte die Korrelation der Regelungen im Kartellrecht und der staatlichen Beihilfen innerhalb der Mitgliedsstaaten. Naama Klar, ebenfalls von der Hebrew University, befasste sich mit den Ursprüngen des liberalen Außenhandelssystems und der Rolle der Freimaurergesellschaft bei dieser Entwicklung. Nach Klar stellen Freimaurer eine zentrale Interessengruppe dar, die den Handel über den Atlantik befördert und eine entscheidende Rolle beim Übergang vom Merkantilismus zum Liberalismus gespielt haben.
Panel 8: Das jüdische Volk in Europa – zwischen Aufstieg und Niedergang
Gal Hadari von der Universität Haifa stellte ihre Forschungsarbeit zum „Neuen Antisemitismus“ in Europa vor. Mittels einer vergleichenden Diskursanalyse zu Studien über den neuen, europäischen Antisemitismus, zeigte er gegenwärtige politische Mythen über Israel auf. Dan Haruv von der Hebrew University präsentierte in seinem Beitrag die Rolle des jüdischen Historikers Shimon Dubnov als „Fremder“ in der russisch-jüdischen Gemeinschaft des 19. Jahrhunderts. Haruv untersucht, wie sich die verschiedenen Darstellungen über Dubnov in Russland entwickelt haben und zeigte auf, wie die Aktivitäten von Dubnov innerhalb der nationalen Bewegung sowie der jüdischen Gemeinschaft diese Darstellung beeinflusst haben.
Panel 9: Europäische Kultur und Philosophie
In einem weiteren Panel widmeten sich die Teilnehmer den kulturellen Aspekten der Europastudien. Sonia Mazar vom Institut für Musikwissenschaft an der Hebrew University stellte ihre Forschungsarbeit über die Bedeutung des Todes in italienischen Opern vor. Mazar zeigt auf, wie sich der emotionale Ausdruck in der visuellen und auditiven Darstellung verändert hat. Tal Feder von der Universität Haifa beschäftigte sich im Rahmen seiner Forschungsarbeit mit europäischer Kunstpolitik, insbesondere mit den ökonomischen und sozialen Begründungen für staatliche Regelungen im Bereich der Kulturpolitik in westeuropäischen Ländern. Zum Abschluss hielt Aliza Nezhdanov von der Bar-Ilan Universität einen Vortrag über das „Schauspielerische Ich“ während der englischen Reformationszeit. Sie zeigte auf, wie sich das Konzept des schauspielerischen Ichs zu einer Ideologie entwickelt hat; diese konnte sich in England insbesondere aufgrund des aufkommenden Absolutismus und der religiösen Verfolgung etablieren.
Panel 10: Widerstand und Diplomatie in Europa
Noam Tirush von der BGU beschäftigte sich im Rahmen einer komparativen Analyse damit, wie der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Holocaust-Museen in Frankreich, Israel und den USA dargestellt wird. Es sei ein Mangel an Geschichten über deutsche Widerstandskämpfer im israelischen Holocaust-Museum zu beobachten, was als „Vergessene Erinnerung“ in der israelischen kollektiven Erinnerung an die Shoa verstanden werden kann. Lior Alpertovitz von der Hebrew University untersucht im Rahmen seiner Forschungsarbeit die israelische Außenpolitik in den Jahren nach der Staatsgründung. Er fokussiert sich dabei auf die außenpolitischen Beziehungen zu Österreich, Italien und Spanien - Länder, die während dem Krieg mit Deutschland verbündet gewesen waren. Alpertovitz zeigte die unterschiedlichen außenpolitischen Entscheidungen der israelischen Regierungen in Bezug auf diese Länder auf und verdeutlichte, dass Israel die Vergangenheit nutzt, um gewünschte und notwendige politische Strategien zu entwickeln.
Panel 11: Die Legitimität der EU – zwischen Staatsbürgerschaft und Außenpolitik
Dimitry Kortukov von der Universität Tel Aviv stellte seine wissenschaftliche Arbeit zum politischen Denken Carl Schmitts vor und zeigte seine Relevanz für das Verständnis des europäischen Integrationsprozesses auf. Kortukov argumentierte, dass das politische Denken von Schmitt einen Beitrag zu unserem gegenwärtigen Verständnis der europäischen Legitimität, Staatsbürgerschaft und den gemeinsamen Werten der EU-Bürger geleistet hat. Or Tuttnauer von der Hebrew University folgte mit einem Vortrag über die parlamentarische Opposition in europäischen Staaten. In einem quantitativ vergleichenden Ansatz untersucht er die parlamentarische Opposition in 21 europäischen Staaten. Dabei liegt sein Schwerpunkt auf der strukturellen und institutionellen Stärke der Opposition sowie ihrer Geschichte als Teil des Staates.
Panel 12: Die Rolle im Konflikt: Politische Kultur, Aktivismus und Justiz in der EU
Das letzte Panel war jenen Forschungen gewidmet, die sich mit der Rolle der EU in politisch en Konflikten weltweit beschäftigen. Mori Ram von der BGU stellte seine Arbeit zur Rolle Europas und der EU im Zypern-Konflikt vor. Im Speziellen untersucht er den Prozess des EU-Beitritts von Zypern und wie sich dieser im Laufe der Zeit auf den Konflikt ausgewirkt hat. Neta Gruber von der Hebrew University hielt anschließend einen Vortrag über die Rolle europäischer Aktivisten im israelisch-palästinensischen Konflikt. In ihrer Forschung untersucht sie, wie normative EU-Diskurse durch europäische Aktivisten in den palästinensischen Gebieten genutzt werden. Ferner befasste sich Netta Moshe von der Hebrew University mit dem Fall Kosovo, wobei sie der Frage nachging, welche Verbindung zwischen der politischen Kultur im Kosovo und seiner demokratischen Regierung besteht. Ihre Annahme ist, dass die uneinheitliche politische Kultur, die im Kosovo besteht, dem Aufbau einer stabilen demokratischen Regierung nicht zu Gute kommt.
Die Themen, die auf der Konferenz diskutiert wurden, umfassten viele verschiedene Aspekte – von der Integration von Minderheiten und Flüchtlingen über staatliche Regulierungen, Euro-Krise, Beziehungen zwischen Israel und Europa, politische Kultur in der EU bis zum Einfluss des Bologna-Prozesses auf das israelische Hochschulsystem. Die Vorträge und die 29 Präsentationen der wissenschaftlichen Arbeiten führten zu lebhaften Diskussionen und demonstrierten das stets wachsende Interesse an Europastudien innerhalb der akademischen Welt und der allgemeinen Öffentlichkeit sowie die Bedeutung der europäisch-israelischen Beziehungen auf allen Ebenen.
Die Studien zu Europas Vergangenheit und Gegenwart leisten einen Beitrag zur konstruktiven Zusammenarbeit und zum Austausch unter den jüngeren Generationen. Diese jungen Studenten studieren nicht bloß die europäische Politik und Gesellschaft, sondern spielen eine wichtige Rolle für die Gestaltung der künftigen Beziehungen zwischen Israel und Europa.
Text: Hannah Moscovitz
Übersetzung: Johannes Pitsch