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Das Rote-Khmer-Tribunal oder „Die Außerordentlichen Kammern in den Gerichten von Kambodscha“ (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, kurz ECCC) nahmen am 3. Juli 2006 mit der Vereidigung von Richtern und Staatsanwälten ihre Arbeit auf. Das Tribunal wurde von der Regierung Kambodschas und der internationalen Gemeinschaft gemeinsam errichtet, um die Taten des Unrechtsregimes der Roten Khmer rechtlich aufzuklären. Während der dreijährigen Herrschaft der Roten Khmer kamen ca. 1,7 Millionen Menschen zu Tode. Einige Tausend starben bereits bei der zwangsweisen Deportation der städtischen Bevölkerung auf die Reisfelder des Landes. Die größere Anzahl von Menschen verlor das Leben aber bei sogenannten Massensäuberungen oder bei der Zwangsarbeit auf den Reisfeldern. Acht Jahre später ist es nun im Verfahren 002/01 zu einer Verurteilung zweier Angeklagter gekommen.
Seit Arbeitsbeginn des Tribunals wurden in zwei separaten Verfahren (sog. Fällen) insgesamt fünf Personen angeklagt. Zum einen wurde im Juli 2010 im ersten Verfahren der ECCC (Fall 001) Kaing Guek Eav, besser bekannt als „Duch“, Leiter des Foltergefängnisses Toul Sleng, durch die Hauptverfahrenskammer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu 30 Jahren Haft verurteilt. Später erhöhte die Berufungskammer das Strafmaß, wegen der unzureichenden Berücksichtigung der Schwere der Verbrechen und des Verhaltens des Angeklagten auf lebenslänglich.
Das Verfahren 002
Im zweiten Verfahren (Fall 002) wurden die verbliebenen hochrangigen Führer des Demokratischen Kampuchea angeklagt. Die Anklage gegen Nuon Chea, Ieng Sary, Khieu Samphan und Ieng Thirith umfasste den Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord. Nach Beginn der Beweisaufnahme im November 2011 trennte die Hauptverfahrenskammer den Fall jedoch in zwei einzelne Segmente (Fall 002/01 & 002/02), um den Umfang der Verfahren im Einzelnen zu beschränken.
Das Verfahren 002/01 fokussierte demnach die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung im April 1975 und damit verbundene Straftaten, sowie die Massenhinrichtung von Soldaten des gestürzten Lon-Nol Regimes in Tuol Pro Chrey.
Das Verfahren 002/02 umfasst Anschuldigungen bezüglich des Genozids an Vietnamesen und den Cham (davon ausgenommen sind jedoch Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Vietnamesen, die auf vietnamesischem Territorium verübt wurden); interne Säuberungsaktionen; Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Brüche der Genfer Konvention basierend auf Straftaten, die mutmaßlich in vier Gefängnissen (S-21 Security Centre, Kraing Ta Chan Security Centre, Au Kanseng Security Centre, Phnom Kraol Security Centre), an drei verschiedenen Arbeitsstätten (1st January Dam, Kampong Chhnang, Trapeang Thma Dam) und im Zusammenhang mit den Tram Kok Kooperativen verursacht wurden.
Der Prozessverlauf im Verfahren 002/01
Der gesundheitliche Zustand der Angeklagten führte zu einer Verkomplizierung des Verfahrensverlaufs. Im November 2011 wurde die frühere Sozial- und Familienministerin Ieng Thirith aufgrund einer fortschreitenden Alzheimererkrankung für ver-handlungsunfähig erklärt. Das Verfahren wurde abgetrennt und Ieng Thirit im Oktober 2012, nachdem keine Besserung ihres Gesundheitszustands zu erwarten war, aus der Untersuchungshaft entlassen. Ieng Sary, früherer Außenminister, verstarb im März 2013, woraufhin das Verfahren gegen ihn beendet wurde.
Ebenso war angesichts des hohen Alters der beiden verbliebenen Angeklagten, Nuon Chea (88 J.), Chefideologe und sog. „Bruder Nr.2“ und Khieu Samphan (83 J.) ehemaliger Staatschef der Roten Khmer, lange nicht klar, ob sie das Ende des Verfahrens noch erleben würden. Nach der Anhörung von 92 Zeugen an 222 Tagen konnte es jedoch am 07. August 2014, fast drei Jahre nach Beginn des Verfahrens, zu einer Verurteilung der beiden Angeklagten kommen.
Nuon Chea und Khieu Samphan leugneten in ihren Abschlusserklärungen, für den Tod von zwei Millionen Menschen verantwortlich zu sein. Dementsprechend sagte Nuon Chea bei Abschluss des Verfahrens, es sei während des Prozesses klar bewiesen worden, dass er keine Verbrechen angeordnet habe. Auch Khieu Samphan wies jegliche Verantwortung zurück. Er habe als Staatschef lediglich symbolischen Rang und keine wirkliche Machtposition inne gehabt. Das Rote-Khmer-Tribunal sprach die Angeklagten dennoch schuldig und verurteilte beide zu lebenslangen Haftstrafen.
Das Urteil
Die Verurteilung Nuon Cheas und Khieu Samphans basiert auf Anklage der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, deren Plan es war, eine sozialistische Revolution, mit jedweden Mitteln, durchzuführen. 1975 stürzten die Roten Khmer, die Regierung Lon Nol’s. Dieser war 1970 durch einen von den USA unterstützten Putsch an die Macht gekommen. Von den Roten Khmer wurde danach das „Demokratische Kampuchea“ ausgerufen, dessen Ziel es war eine kommunistische Agrargesellschaft aufzubauen. Zur Durchsetzung dieses Ziels wurde die innerstädtische Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit gezwungen auf das Land umzusiedeln und dort Schwerstarbeit auf Reisfeldern zu leisten.
Nuon Chea wird dabei sowohl eine direkte, als auch eine symbolische Verantwortung als obere befehlshabende Gewalt zugesprochen, wohingegen die Verurteilung Khieu Samphans sich lediglich auf seine Organisationsherrschaft im Sinne einer entscheidungstragenden Kompetenz stützte. Sie wurden für schuldig befunden, Verbrechen der Vernichtung, sowie der politischen Verfolgung und andere unmenschliche Behandlungen geplant, zu diesen angestiftet, unterstützt und begünstigt zu haben.
Die Gerichtskammer sah die Beteiligung beider Verurteilten an der zwangsweisen Evakuierung (1. Phase) von zwei Million Menschen unter erschreckenden und gewaltsamen Umständen als erwiesen an.
Die Umstände waren deshalb so schwerwiegend, da zum Zeitpunkt der Vertreibung die Bevölkerung Phnom Penhs von langer Belagerung gezeichnet und durch Lebensmittelknappheit geschwächt war. In diesem entkräfteten Zustand, zur heißesten Zeit des Jahres, ohne ausreichende Wasser-, Nahrungs- und medizinische Versorgung wurde die Bevölkerung Phnom Penhs, darunter auch Kinder und Altersgeschwächte, Schwangere, sowie Kranke, gezwungen in ländliche Gebiete zu marschieren. Während dieser Zeit kamen viele Menschen zu Tode – durch Erschöpfung, Unterernährung, Krankheit oder durch Erschießungen.
Die Kammer beurteilte außerdem die Umstände der zweiten Phase der Zwangsumsiedlung, wenige Monate nach der zwangsweisen Evakuierung, als miserabel und befand, dass angesichts der humanitären Krise, mit der sich viele Menschen konfrontiert sahen, auch eine Entscheidungen derjenigen, die sich mit der Umsiedlung einverstanden erklärten, nicht als Ausübung einer freien Wahl angesehen werden konnte.
Bezüglich des Vorwurfs der Massenhinrichtung von Lon-Nol Soldaten in Toul Pro Chrey, sah die Kammer die Beteiligung der Angeklagten ebenfalls als bewiesen an. Nach Machtübernahme durch die Roten Khmer wurden die Soldaten und Funktionsanhänger der Lon-Nol-Regierung samt ihrer Angehörigen hingerichtet, um jeglichen möglichen Widerstand zu beseitigen.
Im Urteil wurde die Schwere der begangenen Straftaten, insbesondere die enorme Zahl der zu Tode gekommenen Opfer, die Auswirkungen der Taten auf die Bevölkerung und Kambodscha selbst, sowie die Bedingungen der Zwangsumsiedlung berücksichtigt. Erschwerend wurde gewertet, dass Nuon Chea und Khieu Samphan aufgrund ihrer guten Ausbildung die Folgen ihres Handels bewusst gewesen sein mussten und sie ihre Machtpositionen wissend ausnutzten.
Die beiden Angeklagten nahmen die Verkündung des Urteils ohne jegliche Regung hin.
Die Reaktionen in der Bevölkerung über das Urteil und die Rezeption in den Medien waren gemischt. Zwar begrüßt ein Großteil der Bevölkerung den Richterspruch, jedoch räumen viele Opfer ein, dass die Verurteilung angesichts der Vielzahl und Schwere der begangenen Straftaten nicht ausreiche um Gerechtigkeit herzustellen. Dennoch ist insgesamt eine positive Wahrnehmung des Beitrags des ECCC zur rechtlichen Aufarbeitung des Unrechtsregimes der Roten Khmer festzustellen.
Das Tribunal sah sich wegen der langen Verfahrensdauer und der Höhe der verursachten Kosten (seit Aufnahme der Arbeit ca. 200 Millionen Dollar) immer wieder Kritik ausgesetzt. Gleichwohl ist die Wahrnehmung der Arbeit des ECCC in der Bevölkerung positiv zu bewerten. Denn auch wenn ein Ungleichgewicht zwischen der Verfahrenszeit und dem daraus resultierenden Ertrag besteht, leisten die Verfahren einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung, Vergangenheitsbewältigung und Stärkung des Rechtsbewusstseins in Kambodscha. So kann das Tribunal entscheidend zur Stabilisierung des Landes beitragen, indem durch die Verfolgung und Ahndung der Verbrechen der Roten Khmer das Rechtsverständnis durch Ziehung einer deutlichen Trennlinie zwischen Recht und Unrecht weiter geschult wird.
Zudem ist auch die Entscheidung des ECCC, das Verfahren 002 in zwei Segmente zu teilen als angebracht zu bewerten. Dies mag zwar eine Verzögerung des Abschlusses des Falls 002 und der Arbeit des ECCC insgesamt bedeuten, allerdings konnte so, angesichts des fortgeschrittenen Alters und des gesundheitlichen Zustands Nuon Cheas und Khieu Samphans zumindest eine (Teil-) Verurteilung beider erreicht werden.
Dennoch ist die Aufnahme der Arbeit im Verfahren 002/02 von gehobener Bedeu-tung, denn nur auf diese Weise kann eine umfassende rechtstaatliche Aufarbeitung der Taten der Roten Khmer gewährleistet werden. Befragungen haben ergeben, dass die juristische Verfolgung der Führungspersonen der Roten Khmer in den Augen der Kambodschaner einen wichtigen Teil der nationalen Versöhnungskultur darstellt.
Damit stellt der ECCC ein unabdingbares Instrumentarium der Förderung der kambodschanischen Erinnerungskultur dar und ist bei der Aufarbeitung der Verbrechen der Khmer Rouge nicht wegzudenken.