Country reports
Das Dokument ist bisher das wichtigste im politischen Dialog hochrangiger Vertreter beider Staaten, der seit Oktober 2012 zwischen Serbien und Kosovo stattgefunden hat. Es kann deshalb als ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu guten nachbarschaftlichen Beziehungen und einer europäischen Zukunft für beide Länder, aber auch mit positiven Auswirkungen für die Region bezeichnet werden, wenn nun auch eine klare, nachhaltige Umsetzung der vereinbarten Punkte erfolgt.
Am 19.04.2013 wurde zwischen den Premierministern des Kosovo und Serbiens eine Vereinbarung geschlossen, die zur Normalisierung der Beziehung beider Länder beitragen soll. Sie soll nun verbindlich umgesetzt werden, um beiden Ländern auf dem Weg zur europäischen Integration zu helfen.
Bei der Vereinbarung geht es konkret um Minderheitenrechte für die Gemeinden im Norden des Kosovos, die mehrheitlich von Serben bewohnt werden. Gemäß der jetzt geschlossenen Vereinbarung können sich nun diese Kommunen zu einem Gemeindeverband zusammenschließen. Die wichtigsten Punkte verkürzt im Einzelnen:
- Es wird einen Verein/ eine Gemeinschaft der serbischen Gemeinden im Kosovo geben. Die Mitgliedschaft ist offen für jede andere Gemeinde, wenn die Mitglieder des Gemeindeverbandes zustimmen.
- Der Verband wird durch ein Statut begründet. Eine Auflösung erfolgt nur, wenn dies von den Mitgliedsgemeinden entschieden wird. Rechtliche Garantien werden nach geltendem Recht und Verfassungsrecht (einschließlich einer Zweidrittelmehrheit) zur Verfügung gegeben.
- Die Struktur des Gemeindeverbandes wird im Rahmen der bestehenden Satzung des Verbandes der Gemeinden Kosovos festgelegt werden.
- Im Einklang mit den Befugnissen, die die europäische Charta für Selbstverwaltung und das Kosovarische Gesetz regeln, haben die Gemeinden das Recht, zu kooperieren und ihre Befugnisse gemeinschaftlich zu erfüllen. Der Gemeindeverband hat einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung, Bildung, Gesundheit und Stadt- und Landplanung.
- Der Gemeindeverband kann zusätzliche Kompetenzen von der Zentralregierung übertragen bekommen.
- Der Gemeindeverband soll in allen zentralen Ebenen vertreten sein.
- Es soll eine Polizeigewalt geben, die den Namen Kosovo-Polizei haben wird. Die gesamte Polizei soll in die Struktur der Kosovo Polizei integriert werden. Gehälter werden nur von der Kosovo Polizei bezahlt.
- Mitglieder anderer serbischer Sicherheitsstrukturen wird ein Platz in einer äquivalenten Kosovarischen Struktur angeboten.
- Es soll einen regionalen Polizeikommandanten für die vier serbischen Gemeinden (Nord-Mitrovica, Zvecan, Zubin Potok und Leposavic) geben. Der Kommandeur der Region muss ein Serbe aus dem Kosovo sein der vom Innenministerium von einer Vorschlagsliste der Bürgermeister der vier Gemeinden, die sie im Namen des Gemeindeverbandes erstellen, ernannt wird. Die Zusammensetzung der Kosovo Polizei im Norden wird die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung der vier Gemeinden reflektieren. (Für die Gemeinden Süd-Mitrovica, Skenderaj und Vushtrri wird es ebenfalls einen Regionalkommandanten geben). Der Regionalkommandeur der vier Nord-Gemeinden wird mit den anderen Regionalkommandeuren kooperieren.
- Die Justizbehörden werden in den Rechtsrahmen des Kosovo integriert. Das Appelationsgericht in Pristina wird ein Gremium der Kosovo-Serben-Richter für alle serbischen Gemeinden mit serbischer Mehrheit gründen. Eine Abteilung des Gerichts, bestehend aus Verwaltungskräften und Richtern wird dauerhaft einen Sitz in Nord-Mitrovica, (Amtsgericht Mitrovica) haben.
- Die Kommunalwahlen 2013 sollen in den nördlichen Gemeinden unter Koordinierung der OSZE im Einklang mit dem Kosovo Gesetz und internationalen Standards abgehalten werden.
- Ein Implementierungsplan mit einem Zeitplan soll bis 26. April erstellt werden.
- Die Diskussionen zu Energie und Telekommunikation werden von beiden Seiten intensiviert und bis 15. Juni abgeschlossen sein.
- Es wird vereinbart, dass keine Seite der anderen den Weg in die EU blockiert oder eine andere Partei dazu ermutigt.
- Ein Umsetzungskomitee wird von beiden Seiten mit Unterstützung der EU eingerichtet.
Der Ratifizierung folgte dann zum Wochenbeginn auch - sozusagen als Belohnung - die Empfehlung der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien und zu Verhandlungen mit dem Kosovo über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen. Dies teilte der EU-Erweiterungskommissar, Stefan Füle, mit. Er betonte allerdings auch, dass damit noch kein konkretes Datum für Gespräche fest stehe. Die EU wird über weitere Schritte im Juni entscheiden.
Das Abkommen, das nach langen zähem Ringen verhandelt wurde, ist sicherlich nicht das Ende des Jahrzehnte andauernden Konflikts, denn es geht nicht nur um zwei Länder, sondern vor allem auch um das Zusammenleben und die Normalisierung zweier Ethnien (Albaner und Serben), deren Probleme sich nicht so einfach regulieren lassen, aber es stellt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar. Die ersten Reaktionen zeigten allerdings, dass die Interpretationen auf beiden Seiten in unterschiedlicher Weise erfolgen und alte Befürchtungen nicht völlig aus dem Weg geräumt sind. Die im Norden lebenden Serben, die das Abkommen bislang kategorisch ablehnen, wollen nach den Gesetzen Serbiens weiterleben und keine Eingliederung in das kosovarische System, auch wenn ihnen das Abkommen die Möglichkeit auf Autonomie ihrer Gemeinden einräumt. Die Frage, die sich nun stellt, ist, wie es Belgrad, Pristina und Eulex, die Rechtsstaatskommission der EU, schaffen wollen, das Abkommen gegen diese Stimmung in der Bevölkerung durchzusetzen, vor allem auch, wenn in Nord-Mitrovica Regierungsvertreter aus Serbien sitzen, die bislang keinerlei Bereitschaft zeigen, positiv auf eine Normalisierung des Zusammenlebens und der Beziehungen einzuwirken.
Sollte auf der anderen Seite die kosovarische Regierung versuchen, mit Gewalt die Umsetzung des Abkommens durchzusetzen, dann bleibt zu befürchten, dass sich der Norden wieder als Pulverfass entpuppt, das leicht explodieren kann.
Mit Sicherheit waren sich Pristina und Belgrad unter der Federführung von Lady Ashton dieser Umsetzungsprobleme sehr bewusst. Sie haben aber ihre Bereitschaft und ihr Interesse gezeigt, mit der EU einen Weg aus einer verfahrenen Situation zu suchen. Beide Seiten erhoffen sich natürlich von dieser Vereinbarung das Wohlwollen des Westens und nun auch Fortschritte auf dem europäischen und internationalen Weg. So erklärte der kosovarische Außenminister, Enver Hoxhaj, vor kurzem bei seinem Besuch in Berlin, dass durch diese Vereinbarung auch eine Mitgliedschaft des Landes in internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen, näher rücke.
Wie schon erwähnt, folgte die „Belohnung“ für diese Vereinbarung, mit den positiven Empfehlungen der EU-Kommission. Ob allerdings auch die Mitgliedstaaten dem Vorschlag zustimmen werden, ist noch nicht sicher, denn es ist zweifelhaft ob tatsächlich bis Juni mit einer Implementierung aufgewartet werden kann. Vor allem auch aus Deutschland wurde immer wieder betont, dass der Dialogprozess zu begrüßen ist, aber das allen Beteiligten klar sein muss, dass man konkrete, überprüfbare Ergebnisse und verbindliche, schriftliche Verträge braucht, die keinen Interpretationsspielraum bieten. Die Verhandlungen über Energie- und Telekommunikationsfragen, z. B. die bis Juni erzielt werden sollen, aber sicherlich auch Fragestellungen des integrierten Grenzmanagements, müssten dazu konkret beantwortet sein. Erst wenn deutliche Umsetzungsergebnisse vorliegen, könnten die Parlamente in den Mitgliedstaaten eine Entscheidung fällen, die auch den Bürgern in ihren Ländern klar macht, dass der Erweiterungsprozess erfolgreich und notwendig ist und keine Entscheidungen auf der Grundlage von Vereinbarungen getroffen werden, die keine Taten folgen lassen. Das würde nur weiter einer kritischen Haltung zur Erweiterung Nahrung geben und somit der gesamten Region Südosteuropas schaden.
Im Falle der jetzt getroffenen Vereinbarung ist sicherlich ein vorsichtiger Optimismus besser als überhöhte Erwartungen an den gesamten Prozess. Wenn man das Wort „historisch“ bemüht, dann vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man überhaupt einen solchen Dialogprozess hat und Politiker beider Länder miteinander reden. Das wäre noch vor einem Jahr nicht denkbar gewesen.
Mit der Vereinbarung zwischen Pristina und Belgrad sollten nun die fünf EU-Mitgliedsstaaten (Slowakei, Griechenland, Rumänien, Zypern und Spanien), ihre Position, Kosovo nicht anzuerkennen, dringend überdenken. Das würde die gesamte EU in ihrer Rolle als Führungskraft entscheidend glaubwürdiger machen. Wichtig ist ebenso für alle weiteren Schritte im Kosovo, dass die Bevölkerung, Zivilgesellschaft und Medien den Dialogprozess mit transparenten Informationen verfolgen können und auf dem Weg mitgenommen werden. Denn ohne diese Kräfte wird eine Normalisierung auf lange Sicht kaum möglich sein.