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Am Ende ging es dann doch ganz schnell. Nur wenige Wochen nach dem verheerenden Erdbeben mit mehreren Dutzend Toten und kurz vor den Weihnachtsfeiertagen hat das albanische Parlament das neue Mediengesetz der sozialistischen Regierung von Premierminister Edi Rama durchgewunken. Das sogenannte „Paketa anti-shpifje“ („Anti-Verleumdungs-Paket“) wurde nach langwieriger Debatte am 18. Dezember mit den Stimmen der Regierungspartei (82 zu 13 Stimmen bei 5 Enthaltungen) verabschiedet.
Das Mediengesetz soll vor allem Online-Medien stärker regulieren. Dabei sind es eigentlich zwei separate Gesetze. Mit dem ersten Gesetz erhält die Medienaufsichtsbehörde AMA (nach dem neuen Gesetz AMSH genannt) neue Kompetenzen: Sie kann anordnen, dass Internet-Medien Inhalte von ihren Webseiten entfernen müssen, wenn diese Unwahrheiten veröffentlichen. Wenn das Medium nicht reagiert, drohen Bußgelder in Höhe von umgerechnet bis zu zirka 6.500 Euro oder die Sperrung der Seite. Im zweiten Gesetz erhielt die Telekommunikationsbehörde AKEP, welche u.a. die Internetdomänen Albaniens verwaltet, erweiterte Zuständigkeiten.
Regierung versucht bereits seit längerem die Medien stärker zu kontrollieren
Auch wenn das Mediengesetz nun relativ kurzfristig durch das Parlament gebracht wurde, geht seine Entstehungsgeschichte über ein Jahr zurück. Bereits im Herbst 2018 startete die albanische Regierung eine Kampagne gegen angebliche Diffamierung in den Medien. Um Weihnachten 2018 wurde dazu ein Gesetzesentwurf veröffentlicht, mit dem Ziel Online-Medien stärker zu kontrollieren. Dabei wurden jedoch gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren nicht eingehalten. Viele Interessengruppen wurden nicht am Prozess beteiligt und wenn doch, so wurden deren Empfehlungen komplett außer Acht gelassen. Nach starken internationalen Protesten, u.a. von der Organisation Reporter ohne Grenzen oder dem International Press Institute (IPI), und nachdem mehrere ausländische Institutionen das Gesetz für undemokratisch und verfassungswidrig erklärt hatten, wurde es von der Regierung zurückgezogen.
Neuer Anlauf im Sommer 2019
Nachdem man mehrere Monate nichts mehr über das Gesetz gehört hatte, mehrten sich im Sommer 2019 die Gerüchte, dass die Regierung unter völliger Geheimhaltung an einem neuen Entwurf arbeite. Als dieser Entwurf fertig war, behauptete die Regierung, dass der Entwurf mit der OSZE zusammen erstellt worden sei, wahrte jedoch weiterhin die Geheimhaltung und gab den Entwurf nicht frei. Auch die OSZE bekam den Gesetzesentwurf nicht vorgelegt, bis dieser an die Parlamentskommission geschickt wurde. Dieser Entwurf hatte ebenfalls große Mängel, so dass er nach weiterem Druck von OSZE, Europarat und EU (gemeinsam mit albanischen und internationalen Medienorganisationen) wieder „auf Eis“ gelegt wurde.
Im November 2019 wurde das Gesetzespaket schließlich in ein parlamentarisches Eilverfahren eingebracht. Wie schon zuvor wurden die Entwürfe geheim gehalten, betroffene Akteure wurden erst wenige Tage vor der Behandlung in den parlamentarischen Ausschüssen informiert. Nachdem der Prozess durch das Erdbeben vom 26. November abermals unterbrochen worden war, nahm man ihn zwei Wochen vor Weihnachten schnell wieder auf. Zwar behauptete die Regierung, dass man Änderungen vorgenommen habe, um den Kritikern entgegen zu kommen. Diese stellten aber schnell fest, dass die Änderungen eher kosmetischer Natur waren. Internationale Journalistenorganisationen sowie weitere europäische Institutionen lehnten das Gesetz weiterhin entschieden ab. Die Europäische Kommission kritisierte in Person der Menschenrechtskommissarin Dunya Mijatovic das Gesetz wegen seiner staatlichen Regulierung der Online-Medien.
Im Eilverfahren beschlossen
In den letzten 48 Stunden vor der Verabschiedung wurde der Gesetzesentwurf noch mehrfach geändert und laut Premierminister Rama mit dem Büro des OSZE-Beauftragten für Meinungsfreiheit, Harlem Desir, abgestimmt. Dieser meldete am Abend vor der Abstimmung per Twitter, dass das Gesetzespaket im Einklang mit internationalen Standards sei. Er versprach weitere Mitarbeit bei der Implementierung des Gesetzes, um sicherzustellen, dass „die Medienaufsichtsbehörde das Gesetz auf wirklich unabhängige Weise“ implementiere.
Jedoch bleiben viele Fragen: Wie kann die OSZE die vielen Änderungen in so kurzer Zeit adäquat bewerten? Hatten die Abgeordneten genügend Zeit sich mit dem letzten Entwurf (der ihnen erst am Abend vor der entscheidenden Parlamentssitzung zugänglich gemacht wurde) vertraut zu machen? Warum wurde das Gesetz trotz der offensichtlichen Probleme in der letzten Sitzung des Jahres „durchgeprügelt“?
Staatliche Regulierung, hohe Bußgelder und Selbstzensur als Hauptprobleme
Die zentralen Probleme der beiden neuen Mediengesetze sind:
- Regulierung statt Selbstregulierung. Ethische Probleme mit den Medien können nicht durch ein Gesetz gelöst werden.
- Die Sanktionen der AMA umgehen die Gerichte, indem sie die Rolle eines Verwaltungsgerichts übernehmen. Die Bußgelder sind unverhältnismäßig hoch. Ein Bußgeld von 6.500€ kann eine Online-News-Webseite in den Ruin treiben.
- Das Gesetz zielte auf Online-Medien ab. Gedruckte Zeitungen und ihre Veröffentlichungen auf Social Media bleiben davon unberührt, aber ihre Online-Publikationen sind im Fadenkreuz.
- Die AMA bzw. AMSH als Regierungsbehörde garantiert keine unparteiische, professionelle Beurteilung.
- Das Gesetz könnte zu einer Selbstzensur der Medien führen, so dass diese nur noch protokollarisch berichten und nicht mehr investigativ tätig werden.
Nach der Verabschiedung des Gesetzes kritisierten weitere internationale Akteure das Gesetz und die albanische Regierung. Michael Gahler, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, erklärte: „Wir stellen mit tiefer Besorgnis fest, dass die parlamentarische Mehrheit der albanischen Regierung unter Führung des sozialistischen Premierministers Rama gestern zwei Mediengesetze verabschiedet hat, die in offenem Widerspruch zu spezifischen Empfehlungen der internationalen Gemeinschaft stehen. Die Europäische Kommission, der Europarat sowie die albanischen und internationalen Medien und Organisationen der Zivilgesellschaft hatten starke Einwände gegen diese Gesetze geäußert. Wir stellen fest, dass unser EVP-Mitglied, die Demokratische Partei, starken Widerstand gegen die Verabschiedung dieser Gesetze geäußert hat und die europäischen und internationalen Empfehlungen unterstützt“.
Unterdessen warnte David Lega, EVP-Berichterstatter für Albanien: „Medienfreiheit und das Recht auf Information sind Grundfreiheiten in Europa und ein unverzichtbarer Teil der Kopenhagener Kriterien für die EU-Mitgliedschaft. Die verabschiedeten Gesetze bedrohen diese Freiheiten, die das albanische Volk vor langer Zeit erworben hat. Freie Medien haben konsequent über Machtmissbrauch berichtet und viele Korruptionsskandale aufgedeckt. Die Verabschiedung muss daher als ein schwerer Rückschlag für Albanien auf seinem Weg zur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie angesehen werden. Diese Entscheidung könnte, wie wir vor der Abstimmung öffentlich erklärt haben, negative Auswirkungen auf die Aufnahme von Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft Albaniens haben - woran die EVP-Fraktion fest glaubt. Wir fordern die albanischen Behörden dringend auf, die Entscheidung zu überdenken und rückgängig zu machen“.
Die Hoffnungen der albanischen Journalisten ruhen nun darauf, dass Staatspräsident Ilir Meta das Gesetz nicht unterzeichnet. Zwar hat der Präsident sich noch nicht geäußert, es wird jedoch erwartet, dass er von seinem Veto Gebrauch machen wird. Dann allerdings geht das Gesetz zurück ins Parlament, wo die sozialistische Mehrheit es gegen den Willen des Präsidenten verabschieden kann. Die letzte Überprüfung fände dann durch das (momentan nicht funktionsfähige) Verfassungsgericht statt.
An der roten Absatzmarke bei Bedarf einen Seitenumbruch einfügen
Online-Medien im Visier der Gesetzgeber in Südosteuropa
Auch in anderen Ländern der Region und der Europäischen Union gibt es Initiativen zur Verabschiedung von Mediengesetzen, die auf Online-Medien abzielen. Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte der Europarat eine vergleichende Studie über die EU-Mitgliedsstaaten. Der Bericht hebt hervor, dass sich innerhalb der Europäischen Union die rechtliche Regulierung auf die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste beschränkt und keine inhaltlichen Anforderungen für Online-Medien enthält, wenn es sich nicht hauptsächlich um audiovisuelle Mediendienste handelt.
Zwar gibt es in einigen Mitgliedstaaten (Österreich, Kroatien, Finnland, Ungarn, Lettland und Slowenien) Definitionen von Online-Medien. Allerdings ist dies nicht gleich zu setzen mit einer inhaltlichen Regulierung, wie sie gerade in Albanien passiert. Ziel der Definition ist es vielmehr, das Entstehen einer branchenspezifischen Inhaltsregulierung für Online-Medien zu verhindern und die Meinungsfreiheit dadurch zu gewährleisten. Allerdings ist zu beachten, dass beispielsweise die kroatische Regierung für das erste Halbjahr 2020 angekündigt hat, sein Gesetz für elektronische Medien anzupassen. Genaue Änderungsvorschläge sind noch nicht vorgestellt worden. Ebenso sind Änderungen in der Mediengesetzgebung in Montenegro angekündigt, um eine Harmonisierung an die EU-Gesetzgebung und internationale Standards vorzunehmen. Der Kulturminister Montenegros Aleksandar Bogdanović erklärte Anfang Dezember, dass der neue Gesetzesentwurf fertig sei und nun auch Online-Medien in diesem Gesetz definiert sind. Allerdings wurde der finale Entwurf bisher nicht der Öffentlichkeit vorgestellt.
Ob sich diese Länder ein Beispiel an Albanien nehmen, bleibt abzuwarten. Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird aber weiterhin die Entwicklungen in Albanien und in der Region Südosteuropa beobachten.