Das Wahlergebnis zeugt aber auch davon, dass dieser Urnengang nur bedingt geopolitisch zu deuten ist. Zwar galt Dodon als Vertreter einer Moskau freundlichen Agenda, jedoch hatte sich bereits in der ersten Runde gezeigt, dass sich ein beachtlicher Teil seiner potentiellen Wählerschaft von ihm abgewendet hatte. Dies spiegelte sich vor allem im Ergebnis des in der ersten Runde drittplatzierten Kandidaten Renato Usatii, russischsprachiger Bürgermeister der zweitgrößten, multiethnisch geprägten Stadt Balti, der ein Ergebnis von knapp 17 Prozent erreichen konnte. Ursache war auch eine deutliche Proteststimmung gegen Dodon, die in der zweiten Runde offenbar Maia Sandu zugutekam. Dabei hatte die gewählte Präsidentin selber geopolitische Themen – die bei früheren Wahlen die Agenda dominiert hatten – in den Hintergrund gestellt.
Für den Sieg wird auch entscheidend gewesen sein, dass Sandu schon in der ersten Runde vorne gelegen hatte. Dies löste eine Mobilisierung und Hinwendung vieler Wähler zu Sandu aus, die zuvor kaum möglich erschienen hatte. Die neue Präsidentin erfreut sich ohnehin einer deutlich höheren Glaubwürdigkeit als der scheidende Amtsinhaber. Sandu gilt als Verfechterin der Bekämpfung von Korruption, Vettern- und Misswirtschaft. Ihre Ablehnung von oligarchischen Strukturen und Korruption war immer klar und glaubwürdig. Sandu begann ihre Karriere in Opposition zu dem Oligarchen und früheren Machthaber Vlad Plahotniuc. Mit Dodon war Sandu im Juni 2019 eine Zweckallianz eingegangen, um das Regime Plahotniucs zu stürzen, und wurde kurzzeitig Premierministerin. Dass Dodon ihre Regierung nach wenigen Monaten beendete, indem er eine Zusammenarbeit mit Plahotniucs früherer Partei einging, führte zu einem Glaubwürdigkeitsverlust und trug zu seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl bei. Inkohärentes Handeln und Auftreten beim Umgang mit der Covid-Krise und ihrer wirtschaftlichen und sozialen Folgen verringerte seine Akzeptanz in der Wählerschaft zusätzlich.
Sandu verfügt als Präsidentin nunmehr über ein starkes Mandat der Bevölkerung. Im Parlament wird sie sich jedoch einer breiten Mehrheit von Kräften gegenübersehen, deren Interessen substanziellen Reformen entgegenstehen. Von den 101 Abgeordneten gehören 37 Dodons Partei der Sozialisten an. Weitere 38 Abgeordnete zählen zu Plahotniucs früherer Partei, von ihr abgespaltenen oder nahestehenden Kräften. Sandus Vorstellungen von Rechtstaat und Korruptionsbekämpfung dürfte hier als Bedrohung verstanden werden. Das gilt ebenso wie die Möglichkeit einer vorgezogenen Parlamentswahl. Igor Dodon hat daher nach wie vor Möglichkeiten, seine Machtbasis zu konsolidieren, indem er mit diesen Kräften Mehrheiten bildet und die Regierung weiterhin kontrolliert. Dass Sandu eine Neuwahl herbeiführen sollte, wird weithin erwartet, zumal das gegenwärtige Parlament noch unter der Herrschaft Plahotniucs, unter in keiner Weise fairen und allenfalls bedingt freien Umständen gewählt wurde. Ein Recht zur Parlamentsauflösung hat die Präsidentin allerdings nur unter bestimmten Umständen, sodass ihre Lage zunächst nicht einfach sein wird. Von erheblicher Bedeutung für die Position Sandus wird auch sein, ob und inwieweit die EU künftig die Präsidentin als zentralen Partner in der Moldau behandelt.