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Für die Zukunft Europas aber von zentraler Bedeutung: Am 9. Juni wird nicht nur zwischen Lissabon und Berlin gewählt, über den künftigen Kurs der Europäischen Union wird auch in Warschau, Prag, Budapest und Bratislava entschieden – und in Skopje, Sarajevo und Belgrad alles genau beobachtet. Für die österreichische Außenpolitik steht diese Region im Fokus. Für das Wiener Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung ist das Anlass genug, aktuelle Probleme und Herausforderungen in der Region zu thematisieren. Dabei hat sich gezeigt, dass die Länder in der Region mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.
Die bisweilen tiefgreifende gesellschaftliche Spaltung ist eine zentral und betrifft alle Länder in der Region. Diese äußert sich in den jüngsten Wahlergebnissen in der Slowakei und Polen und in täglichen politischen Debatten, wurde auf tragische Weise jedoch nochmals durch das Attentat auf den slowakischen Premierminister Fico wenige Tage nach der Veranstaltung veranschaulicht.
Darüber hinaus sehen sich die Staaten in der Region mit der Verbreitung von Desinformationen konfrontiert. In Polen, betonte Malwina Talik vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM), stellt die Verbreitung von Fake News über Plattformen wie WhatsApp und Telegram eine wachsende Bedrohung dar. Diese Desinformationen zielen dabei nicht zwangsläufig darauf ab, Polens Westbindung zu untergraben, tragen aber zur Verunsicherung der Bürger bei und könnten langfristig zu einer Destabilisierung führen.
Polen
Die Rolle Polens in der EU befindet sich im Wandel. Die neue Regierung sieht sich „back on the table“ und strebt eine stärkere Positionierung als Sprecher für die Staaten in Mittel- und Osteuropa sowie insbesondere für die Ukraine an. Hinsichtlich eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine bestehen jedoch weiterhin Bedenken, die das Land in Zukunft berücksichtigen muss. Der polnische Klempner, vor dem man sich vor 20 Jahren am (west-)europäischen Arbeitsmarkt gefürchtet hat, sei jetzt der ukrainische Bauer, wurde in der Diskussion argumentiert. Diesem Thema müsse man sich stellen. Innenpolitisch ist der Rückbau gewisser justizieller und medienpolitischer Entscheidungen der PiS-Vorgängerregierung langsam und teilweise sehr umstritten.
Tschechien
Tomislav Delinic, Leiter der Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag und Bratislava, hob hervor, dass Tschechien unter anderem durch seine Munitionsinitiative bewiesen habe, dass es eine aktive Führungsrolle in Mitteleuropa übernehmen könne. Ein pro-russisches Narrativ findet in Tschechien keinen Anklang, was das Land von einigen seiner Nachbarn unterscheidet.
Slowakei
Nach der Präsidentschaftswahl im April ist in der Slowakei eine deutliche Wahlmüdigkeit zu beobachten, die Europawahlen spielen dort kaum eine Rolle. Europa wird dort zudem oft in einem negativen Licht gesehen. Tomislav Delinic warnte zudem, dass der Wahlkampf im Vorfeld der vergangenen Präsidentschaftswahl als Blaupause für künftige Wahlkämpfe auch in anderen EU-Ländern dienen könnte. Dieser war geprägt von intransparenter Finanzierung von Wahlkampagnen und einer starken Verwendung von Negative Campaigning.
Ungarn
Die politische Lage in Budapest ist aufgrund zahlreicher politischer Skandale ungewohnt angespannt, so Dr. Tobias Spöri von der Universität Wien. Er wies darauf hin, dass Ungarn sich selbst als EU-Mitglied zweiter Klasse betrachte, was sich auch im Alltag der Bürgerinnen und Bürger des Landes bemerkbar mache. Die neue politische Bewegung rund um Peter Magyar hat viel Frust an die Oberfläche gespült. Die EU- und gleichzeitigen Lokalwahlen werden ein Gradmesser für zukünftige Machtverhältnisse sein.
Westbalkan
Dr. Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) gab einen Einblick in die aktuelle politische Lage auf dem Westbalkan. Die Region fühlt sich von der EU vernachlässigt, was ein Erstarken Chinas begünstigt. Des Weiteren wies Dzihic darauf hin, dass die Frage einer Erweiterung der EU im Westbalkan auch eine sicherheitspolitische Dimension habe. Die Diskussionsteilnehmenden waren sich einig, dass die EU ihre geopolitische Kraft in der Region stärker sichtbar machen muss, um den Einfluss von China und Russland in der Region einzudämmen
Die Veranstaltung veranschaulichte eindrucksvoll die Herausforderungen, denen Mittel- und Osteuropa im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni gegenübersteht. Die gesellschaftliche Polarisierung, die Verbreitung von Desinformationen sowie das geopolitische Umfeld betreffen jedoch nicht nur die Staaten in der Region, sondern die gesamte Europäische Union. Besonders mental gibt es viele Unterschiede zu Westeuropa, die nach wie vor nicht adäquat wahrgenommen werden. „Wäre der Europäische Kontinent ein ICE, so säßen die Westeuropäer in der 1. Klasse, die Mittel- und Osteuropäer in der 2. Klasse und der Westbalkan ganz weit hinten in der 3. Klasse“. Gegenüber der deutschen Außenpolitik wünscht man sich zunehmend ein Heruntersteigen vom moralischen Ross. Österreichs Reputation in der Region ist grundsätzlich sehr hoch, leidet aber auch durch die zurückhaltende Positionierung bei der Verteidigung der Ukraine. Klar ist, die Mittel- und Osteuropäer in der EU, nun seit 20 Jahren Vollmitglieder, werden sich in Zukunft noch mehr Gehör verschaffen.
Die Podiums-Diskussion wurde initiiert von den KAS-Stipendiaten in Österreich.
Veranstaltungsbericht verfasst von Johannes Hollunder, studentische Hilfskraft bei der KAS Wien, und Michael Stellwag, Referent.