Wenig überraschend gewann die SWAPO (South West Africa People’s Organisation) mit 65,5 % die Parlamentswahlen vom 27.11.2019. Die Partei stellt, seit der Erlangung der Unabhängigkeit von Südafrika 1990, die Regierung. Hierzu tragen vor allem die Loyalität der Wähler gegenüber der Befreiungsbewegung SWAPO, als auch eine in sich gespaltene Opposition bei, die nach wie vor stark an ethnischen Linien und Individuen ausgerichtet ist. Dass sich die diesjährigen Parlamentswahlen dennoch insgesamt deutlich spannender gestalteten, als ursprünglich angenommen, lag letztendlich aber nicht nur an dem langsamen Auszählungsprozess, sondern auch an neuen politischen Akteuren.
Die Tatsache, dass sich der Prozess der Auszählung trotz der stark abgenommenen Wahlbeteiligung von insgesamt nur rund 54% (2014: 72%) über Tage hinzog, führte zu allgemeinem Unmut in der Bevölkerung. Die Wahl wurde, wie auch schon die im Jahre 2014, mit elektronischen Wahlgeräten (EVM) durchgeführt. Von den rund 1,4 Millionen Stimmberechtigten, also zur Wahl registrierten Namibiern, gaben am Mittwoch nur knapp 800.000 ihre Stimme ab. Ein beeindruckender Anteil von 52% jedoch waren hierbei junge Namibier unter 35 Jahren. 30% der Wähler waren sogar unter 30 Jahren und somit erst nach der Unabhängigkeit des Landes geboren – sie werden als die sogenannte „Born Free“-Generation bezeichnet.
Erstaunlich war der extrem positive Wahlausgang für die oppositionelle KAS-Partnerpartei PDM (Popular Democratic Movement, ehem. Democratic Turnhallen Alliance). Die PDM mit ihrem Spitzenkandidaten McHenry Venaani konnte ihr Wahlergebnis mehr als verdreifachen (von 4,8% in 2014 auf 16,6%). Dies ist vor allem auf das erfolgreiche Rebranding der Partei im Jahr 2017 zurückzuführen, sowie auf die umfangreiche und gut organisierte Kampagnenarbeit. Des Weiteren verlegte die PDM
ihren Hauptsitz in das nördliche vielbevölkerte Region Oshakati und konnte dadurch über einen längeren Zeitraum viele Wähler in der eigentlich SWAPO dominierten Region für sich gewinnen. Dennoch befinden sich unter den neuhinzugekommenen PDM-Wählern sicherlich eine ganze Reihe von Protestwählern, die mit der aktuellen Regierungspartei unzufrieden waren und anstelle von Nichtwählens ihr Kreuz bei der Oppositionspartei gemacht haben.
Alte Bekannte, neue Gesichter
Bei den gleichzeitig stattfindenden Präsidentschaftswahlen trat neben dem amtierenden Präsidenten Dr. Hage Geingob (SWAPO) in diesem Jahr auch erstmals der unabhängige Präsidentschaftskandidat Dr. Panduleni Itula zur Wahl an – und dies trotz gleichzeitiger SWAPO-Parteimitgliedschaft. Dr. Panduleni Itula ist ein in England ausgebildeter Zahnarzt, Jurist und politischer Aktivist, der sich als erklärtes Mitglied der regierenden Partei, aber ohne Zustimmung der Parteiführung als Kandidat für die Präsidentschaft hatte aufstellen lassen. Dr. Itula betonte bei jedem seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte, dass er ein bona fide-Mitglied der Partei sei und auch gedenke, dies zu bleiben, dass er aber mit der Praxis der regierenden Persönlichkeiten nicht einverstanden sei. Während in der Vergangenheit Mitglieder schon wegen deutlich geringeren „Vergehen“ aus der Partei ausgeschlossen wurden, führte Dr. Itulas Kandidatur nicht zu einem Parteiausschluss.
Ein relativ neues Gesicht im diesjährigen Wahlkampf war außerdem der ehemalige stellvertretende Minister für Landreform, Bernadus Swartbooi, mit seiner 2019 gegründeten Partei LPM – dem „Landless People’s Movement“. Dieses wurde ursprünglich als zivilgesellschaftliche Bürgerbewegung gegründet, nachdem Swartbooi (zu seiner Zeit als stv. Minister und als SWAPO-Mitglied) in Ungnade gefallen war. Er kritisierte öffentlich, dass die Ethnizität bei der Vergabe von Landflächen durch die Regierung eine Rolle spiele und nicht-ovambostämmige Bewerber bei der Zuteilung von aufgekauftem Farmland benachteiligt würden. Dies sei vor allem in Südnamibia der Fall, wo überwiegend Herero und Nama/Damara (die Ethnie, der auch Swartbooi angehört) leben. Für diese und andere radikale Äußerungen verlor er schließlich seinen Posten und seine Parteimitgliedschaft, nachdem er sich weigerte, diese Aussage öffentlich zu relativieren und sich für diese zu entschuldigen. Die LPM, welche im vergangenen Jahr als neuer Akteur in der politischen Landschaft viel Aufmerksamkeit erhalten hatte, legte im Vorfeld der Wahlen ein umfassendes Programm vor, welches verspricht, die Wirtschaft des Landes zu sanieren, entschlossen gegen die Korruption vorzugehen, vormals benachteiligte Teile der Bevölkerung gezielt zu fördern, das Kabinett von 27 auf 12 Posten zu verkleinern und das Parlament wieder auf seine ursprüngliche Größe von 72 Abgeordneten zurückzuführen. Vor allem fiel die LPM aber immer wieder durch ihre verhältnismäßig radikalen Äußerungen zur Landfrage auf, welche in der namibischen Politik und Öffentlichkeit seit Jahren kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang forderte LPM auch Enteignungen ohne Entschädigung. Auch von gewaltsamer Landnahme und Besetzung, im Zweifelsfall mit Waffengewalt, war immer wieder die Rede. Bei den Parlamentswahlen erreichte die LPM 4,7% und Bernadus Swartbooi als zugehöriger Präsidentschaftskandidat, im Rahmen der Präsidentschaftswahlen, 2,7% der Stimmen.[1]
Regierungspartei SWAPO verliert erstmals Zweidrittelmehrheit – vorläufiges Ende der beherrschenden politischen Dominanz?
Im Endeffekt hatten aber weder die neuen noch die etablierten Herausforderer eine ernstzunehmende Chance gegen den amtierenden Präsidenten Hage Geingob, welcher dann letztendlich auch mit 56,5% wiedergewählt und in seinem Amt bestätigt wurde. Einen deutlichen Verlust an Zustimmung muss er aber trotz seines Wahlsiegs hinnehmen – im direkten Vergleich zu den Wahlergebnissen von 2014 erlitt er einen Stimmverlust von ganzen 31%. Die letzten Parlamentswahlen gewann die SWAPO mit über 85% der Stimmen und Geingob als Präsidentschaftskandidat mit einer komfortablen Mehrheit von 87% als Präsidentschaftskandidat. Damit entging er auch diesmal, mit einer knappen absoluten Mehrheit, einem zweiten Wahlgang.
Seit den letzten Wahlen im Jahr 2014 ist die Bevölkerung der um sich greifenden Korruption überdrüssig, deren Aufklärung und konsequente Ausrottung eines der prominentesten Wahlversprechen Geingobs damaliger Kampagne war. Als Kandidat wollte er zudem den Notstand an mangelndem urbanen Wohnraum durch gezielte Förderung von Bauvorhaben vorantreiben. Der „Harambee Prosperity Plan“, welcher inklusives wirtschaftliches Wachstum, den Aufbau von Infrastruktur und die Bereitstellung effizienter Dienstleistungen vorsieht, war ebenfalls ein zentrales Element seiner Wahlversprechen.
Viele seiner Wahlversprechen konnte Präsident Geingob bis heute nicht einlösen und verlor dementsprechend an Zuspruch. Auch der SWAPO selbst ist es seit der Unabhängigkeit 1990 nicht gelungen, der Mehrheit der ehemals benachteiligten Namibier Arbeitsplätze und sozio-ökonomische Perspektiven zu bieten. Die Ungleichheit im Land ist ungebrochen hoch (Namibia befindet sich unter den Top 10 der Länder mit dem höchsten Gini-Koeffizienten weltweit), ein großer Teil der Bevölkerung hat nur unzureichenden Zugang zu qualitativer Bildung, zu Ausbildungsmöglichkeiten, zu einer formellen Beschäftigung oder zu staatlichen Dienstleistungen. Während die ältere Generation aus einem Gefühl der Loyalität ihren Befreiern gegenüber automatisch ihr Kreuz bei der SWAPO macht[2], regt sich vor allem in der Generation der „Born Free“, die keine Erinnerung an die Apartheid und die damit verbundene Unterdrückung haben, zunehmend Unmut über die vorherrschende Perspektivlosigkeit. Die Rezession, die Namibia nun schon seit mehr als einem Jahr im Griff hat, verschlimmert die Situation zusätzlich. So sollte es dann eigentlich auch nicht überraschen, dass die SWAPO mit 65,5% auch bei den Parlamentswahlen einen Stimmverlust von 21% hinnehmen musste – was außerdem bedeutet, dass sie damit ihre Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung einbüßt. In den kommenden fünf Jahren wird die SWAPO lediglich 63 von 96 Sitzen im Parlament belegen.[3]
Suche nach Ursachen
Die enormen Verluste der regierenden SWAPO lassen sich, wie bereits angedeutet, zu einem beträchtlichen Teil darauf zurückführen, dass nach der Unabhängigkeit geborene Wähler ihre Wahlentscheidung eher von ihren Aussichten auf Beschäftigung und personellem Fortkommen abhängig machen, als von den vergangenen Heldentaten der Befreiungskämpfer gegen das Apartheitssystem. Die Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit wurden trotz großer Wahlversprechungen im Jahr 2014 weitgehend nicht erfüllt. Dies wird von Beobachtern vor allem auf die Unfähigkeit der amtierenden Regierung zurückgeführt, die notwendigen strukturellen Änderungen umzusetzen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, tiefgreifenden Versorgungskrisen im Gesundheitswesen, eklatanten Schwächen im Schul- und Ausbildungssystem sowie einer rapide wachsenden Auslandsverschuldung, fruchtet das bestehende und oft bediente SWAPO-Narrativ für viele Wähler nicht mehr. Auch die Korruption, die schon damals wichtiger Gegenstand des Wahlkampfes war, wird heute schlimmer als zuvor eingeschätzt.
Gerade im Endspurt zu den aktuellen Wahlen wurde durch einen leitenden Mitarbeiter eines isländischen Fischereikonzerns ein Fall von massiver Korruption bekannt, welcher die Wähler erschütterte. Dieser ehemalige Mitarbeiter der Firma Samherji spielte Mitschnitte von Gesprächen und umfangreiche Daten über Wikileaks an einige relevante Medienhäusern. Mitschnitte äußerst brisanter Konversationen und andere Unterlagen wurden kurz vor den Wahlen veröffentlicht. Ein umfangreiches Video mit einer schonungslosen Darstellung der korrupten Praktiken der Minister für Fischerei und Justiz, sowie anderer bekannter Persönlichkeiten drang sogar erst nach Bekanntgabe der aktuellen Wahlergebnisse an die Öffentlichkeit und sorgte für einen großen Aufschrei in der Bevölkerung. Es lassen sich jedoch nicht nur strukturelle Mängel, Mängel an politischer Bereitschaft zur Umsetzung notwendiger Reformen und mangelhafte Bereitstellung an Dienstleistungen für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich machen. Ein Verlust an Vertrauen in die Partei scheinen in diesem eine mindestens genauso große Rolle zu spielen.
Administrative Herausforderungen
Bei der diesjährigen Wahlbeobachtung wurde die KAS von Klaus Hess, Präsident der Deutsch-Namibischen Gesellschaft und Professor Heribert Weiland, dem ehemaligen Direktor des Arnold-Bergstraesser-Instituts unterstützt. Insgesamt können die Wahlen als frei und demokratisch betrachtet werden. Zum selben Schluss kamen auch die Wahlbeobachterkommissionen der AU und SADC sowie die unabhängigen Wahlbeobachter der vielen diplomatischen Vertretungen. Dennoch offenbaren organisatorische Defizite, wie allzu lange Wartezeiten (bis zu sechs Stunden und mehr) vor den Wahllokalen und langsame Abfertigung bei der Stimmabgabe Mängel in der Administration der Wahlen. Zum Teil sind diese Defizite auch auf die Nutzung der umstrittenen EVMs zurückzuführen, die am frühen (Wahl-)morgen erstmals konfiguriert und getestet werden mussten, bevor sie zur offiziellen Stimmabgabe genutzt werden konnten. Ebenfalls mussten ältere Wähler bei der Wahl durch EVMs unterstützt werden und die einzelnen Schritte der Stimmabgabe genau erklärt werden. Dies führte zu erheblichen Verzögerungen und zeigt, dass im Bereich der „Voter Education“ auch technische Neuerungen stärker in den Fokus rücken müssen. Insbesondere auf Seiten der Oppositionsparteien wurden die Verzögerungen bei der Auszählung als fragwürdig betitelt und die Nutzung der EVMs am Ende des Wahltages stark kritisiert.
Präsidentschaftskandidat Dr. Panduleni Itula hatte vor dem Wahltag vergeblich versucht, die Nutzung der Maschinen mit einem Eilantrag am obersten Gerichtshof zu verhindern. In den Wochen nach der Wahl ist zu erwarten, dass von Seiten der Oppositionsparteien weiter gegen die Nutzung der EVMs vorgegangen wird. Itula erklärte in einem Schreiben am 3.12. an die ECN, dass er die Wahlergebnisse in dieser Form nicht akzeptieren werde und setzte der ECN eine Frist bis zum 5.12., um der Allgemeinheit Unterlagen über den Zugang zu und die Funktionsweise der EVMs zu verschaffen. Ebenfalls könnten weitere Enthüllungen, im Rahmen des großen Korruptionsskandals, die SWAPO Regierung weiter erschüttern.
Ausblick
Die aktuellen Wahlergebnisse scheinen die Regierung wachgerüttelt zu haben. Insbesondere die guten Ergebnisse auf Seiten der offiziellen Oppositionspartei sind ein Zeichen der Unzufriedenheit gegenüber Teilen der SWAPO-Regierung. Dass die PDM ihr Wahlergebnis im Gegensatz zu 2014 sogar verdreifachen konnte, kann als Stärkung demokratischer Strukturen verbucht werden. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen und der damit verbundene Verlust der 2/3-Mehrheit der SWAPO lassen darauf schließen, dass die Zeiten der unangefochtenen Alleinherrschaft der ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO sich dem Ende nähern. Inwiefern dies Räume für neue politische Debattenkulturen öffnet und wie die gestärkte Opposition mit dem Ergebnis umgeht, bleibt jedoch abzuwarten.
[1] Neben diesen beiden „Überraschungskandidaten“ fanden sich jedoch überwiegend vertraute Akteure im Wahlkampf wieder: McHenry Venaani (PDM), Apius !Auchab (UDF-United Democratic Front of Namibia), Tangeni Iijambo (SWANU-ehem. South-West African National Union), Mike Kavekotora (RDP-Rally for Democracy and Progress), Utjiua Muinjangue (NUDO-National Unity Democratic Organisation of Namibia), Bernadus Swartbooi (LPM), Ignatius Shixwameni (APP-All People’s Party) und Epafras Mukwiilongo (NEEF-Namibia Economic Freedom Fighters) stellten sich als Präsidentschaftskandidaten zur Wahl.
[2] Besonders in den nördlichen Regionen des Landes besteht noch immer eine starke Verbundenheit zum Befreiungskampf und damit auch zu der SWAPO.
[3] Die PDM (vormals „Democratic Turnhallen Allianz”, DTA) ist die offizielle namibische Oppositionspartei im Parlament und eher konservativ/liberal ausgerichtet. RDP, ADP, UDF, NUDO, WRP, SWANU, UPM, RP und COD lassen hingegen programmatisch Aspekte in ihrer politischen Arbeit vermissen, da sie zumeist um eine bestimmte Person herum entstanden sind oder aber auf ethnischen Zugehörigkeiten begründen. Da es in Namibia keine Fünf 5%-Hürde gibt, gelang aber auch zahlreichen dieser Parteien der (erneute) Einzug ins Parlament.
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