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Country reports

Nigeria ein Jahr nach der Wahl – Die Konflikte nehmen zu

by Dr. habil. Klaus Paehler
Vor einem Jahr gab es in Nigeria allgemein als fair und frei bezeichnete Wahlen. Seitdem verschärfen sich die inneren Konflikte. Bombenanschläge auf Kirchen häufen sich. Ein friedliches Ende ist nicht in Sicht.

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„Wie viele Tote wird es diesmal geben?“ fragt man sich in Nigeria vor allen wichtigen christlichen Feiertagen. Zu Weihnachten wurde in einem Vorort Abujas eine Kirche bombardiert – während des Gottesdienstes. Etwa 40 Tote hat es gegeben. Eben so viele waren es zu Ostern in Kaduna.

Die Anschläge wurden erwartet. Die Polizei hatte gewarnt, die Sicherheitsmassnahmen wurden verschärft. Auf vielen Überlandstrecken und besonders auf den Einfallstrassen nach Abuja wurden die militärischen Checkpoints vervielfacht. Trotzdem konnte die islamistische Terrorsekte Boko Haram wieder zuschlagen. Zwar wurde das eigentliche Ziel, eine Kirche in Kaduna, knapp verfehlt, aber trotzdem wurden fast 40 Menschen getötet. Beliebige Opfer, wahllos getötet um des Tötens willen, Menschen, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Das Ziel von Terror ist Terror. Mission accomplished.

Im knapp 300 km entfernten Jos, der Hauptstadt des permanenten Krisenstaates Plateau, gab es zu Ostern dagegen „nur“ Verletzte. In Kano, gut 200 km von Kaduna, konnte das Schlimmste verhindert werden. Die islamisch dominierte Millionenstadt im Norden, altes Zentrum des Trans-Sahara- Handels, dessen schöne, rot-braune historische Stadtmauer aus Kameldung auch mit deutscher Hilfe zum Teil restauriert wurde, war erst kürzlich Ziel eines besonders üblen Anschlages mit ca. 200 Toten gewesen, fast alle Moslems, Polizisten, Militärs.

Kaum noch nachzuhalten sind die zahllosen„kleineren“ Angriffe mit nur wenigen Toten besonders im Nordosten Nigerias, der für Ausländer zur „no go area“ geworden ist. Hier sind öffentliche Institutionen wie Polizei-

oder Militärstationen, aber auch „sündige“ Einrichtungen wie Biergärten beliebte Ziele.

Als in Abuja lebender Ausländer konnte man all das lange als „Donner in der Ferne“ aus dem alltäglichen Bewusstsein verdrängen. Die Attentate in Abuja beendeten diese Illusion dann jäh wie ein Blitzschlag: Sylvester

2010 wurde hier ein bei Nigerianern wie Ausländern beliebter Biergarten attackiert. Im Sommer folgten massive Anschläge auf das nationale Polizeihauptquartier in Abuja, als sich ein Fahrzeug mit Sprengstoff und

Selbstmordbomber an Bord dem Konvoi des Polizeichefs angeschlossen hatte und nahe an das Gebäude gelangt war. Bald darauf folgte ein Anschlag auf das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Abuja, in dem sich zu der Zeit wahrscheinlich Hunderte Menschen aufhielten. Es gab „nur“ etwa 30 Tote. Gegenwärtig gehen neue Terrorwarnungen

für Abuja ein: Internationale Hotels und Kirchen sollen die Ziele sein.

Boko Haram tötet Christen wie Moslems

Insgesamt mehr Moslems als Christen hat Boko Haram bis jetzt getötet. Man kündigt zwar an, vor allem Christen und das Christentum in Nigeria vernichten zu wollen, aber auch solche Moslems zu töten, die etwa als Polizeibeamte oder Soldaten Boko Haram-Mitglieder behelligen oder verhaften. Moslems sind meist Hausa-Fulani und machen etwa die Hälfte der ca. 160 Millionen Nigerianer aus. Sie leben überwiegend im Norden, während die Christen, Yoruba (die teils auch Moslems sind), Igbo und zahlreiche kleinere Ethnien im Süden leben. Boko Haram forderte alle Moslems auf, in den Norden zurückzukehren und drohte vor allem den christlichen Igbos, die auch im Norden als Händler aktiv sind. Viele von ihnen haben ihre Familien ins Igbo-Land zurückgeschickt und bereiten sich auf harte Zeiten vor.

Neue Vokabeln und Akronyme muss man lernen: IED – improvised explosive devices, improvisierte Sprengköper, eine Mischung aus Düngemitteln und haushaltsgängigen Chemikalien abgefüllt in leeren Getränkedosen. Hunderte dieser IED konnten noch rechtzeitig abgefangen werden. Aber auch über „professionellen“ Sprengstoff, wie er

im Straßenbau für Sprengungen verwendet wird, verfügen die Terroristen. In einer Baufirma sollen mehrere hundert Kilo „abhanden gekommen“ sein.

Zwar begann der Terror bereits vor Jahren, z. B. unter dem Label „nigerianische Taliban“. Offiziell wurden „Ausländer“ verdächtigt, die aus den nördlichen Nachbarstaaten Niger und Tschad über die praktisch nicht zu sichernden Wüstengrenzen ungehindert nach Nigeria einreisen können und dort nicht weiter auffallen, sind sie doch verwandt und sprechen mit Hausa dieselbe Sprache.

Die Situation spitze sich aber seit 2011 dramatisch zu, als mit Goodluck Jonathan wieder ein Christ aus dem Süden Präsident wurde. Norden und Süden stehen sich misstrauisch und letztlich inkompatibel gegenüber.

Im besten Falle verachtet man sich gegenseitig. Das wird so natürlich nicht öffentlich gesagt. Um nicht völlig auseinanderbrechen zu lassen, was nicht zusammenpasst, hat man sich teils inoffiziell, teils offiziell auf ein System der Postenteilung und -rotation verständigt. Der Präsident, so die Übereinkunft innerhalb der herrschenden Partei PDP, sollte abwechselnd alle acht Jahre (also nach zwei Amtszeiten, dem Maximum) aus dem Norden bzw. dem Süden kommen. So soll einer einseitigen, dauerhaften Dominanz mit all ihren Konsequenzen

vorgebeugt werden.

Scharia für Nigeria

Das Oberziel, das Boko Haram offiziell herbeibomben will, ist die Einführung des islamischen Scharia-Rechtes in ganz Nigeria. Es gilt bereits seit 1999/2000 in zwölf der 36 Bundesstaaten. Etwa 10.000 Leben soll dieser

Konflikt um die Scharia, die von den Christen im Süden natürlich nicht gewollt wird, bereits gekostet haben. Teile der Scharia, wie etwa das Familienrecht, sind in der islamischen Welt weit verbreitet. Die Körperstrafen, „Hudud“, aber, die von strengen Moslems als unmittelbare Vorschriften Gottes angesehen werden und daher nicht durch Rechtsentwicklung oder -interpretation geändert werden können, werden nur in fundamentalistischen Staaten vollzogen.

Von einem „Religionskrieg“ oder von „Christenverfolgung“ in Nigeria zu reden, wäre zwar nicht völlig falsch, griffe aber doch zu kurz. Die Probleme sind komplexer und bedürfen zu ihrer Lösung oder wenigstens doch Eindämmung einer differenzierteren Analyse als ein stereotypes religiöses Feindbild. Natürlich hat Boko Haram angekündigt, die Christen zu bekämpfen und tut dies auch in äußerst abstoßender und grausamer Weise. Gleichzeitig macht es sich aber auch viele moderate Moslems zu – überwiegend stillschweigenden – Feinden. Vielen Moslems ist es gleichgültig, was und woran die Christen glauben, solange sie sich bloß friedlich und tolerant verhalten. Umgekehrt gilt dasselbe.

Es dürfte wohl auch nur eine Minderheit von Moslems für den Vollzug der Hudud-Strafen wie etwa das Abhacken von Diebeshänden oder die Steinigung von Ehebrechern sein. Skeptiker glauben jedenfalls, es würde sowieso

nur die kleinen Diebe treffen, während die Grossen wie immer unamputiert davon kämen. Die angestrebte Durchsetzung der Scharia dient nicht so sehr der Herstellung von Gerechtigkeit, derer Nigeria allerdings dringend bedarf. Scharia ist nach Ansicht von Beobachtern nicht wirklich Ziel, sondern Instrument und Vehikel, um die politische Dominanz des Nordens über den Süden zu befördern.

Kampf um Vorherrschaft in Nigeria

Es gehe nicht darum, die „Ungläubigen“ des Südens, die Christen und Animisten, zum wahren Glauben zu bekehren um ihre Seelen zu retten. Es gehe vielmehr darum, dass Hausa-Fulani-Eliten ganz Nigeria dominieren und zu ihren Zwecken beherrschen wollen. In einem pluralistischen Nigeria, in dem verschiedene Lebensformen und -entwürfe frei miteinander konkurrieren können, seien die Lebensformen und Herrschaftsstrukturen des Nordens aus eigenen Kräften genauso wenig überlebensfähig wie erst recht nicht in einer sich immer rascher wandelnden

globalisierten Welt. Um nur einige Beispiele zu nennen: In Teilen des Nordens können nur 5% der Frauen und Mädchen lesen und schreiben, Schwangere dürfen sich aus Tabugründen nicht von männlichen Ärzten gynäkologisch untersuchen lassen und werden lieber ihrem vermeidbaren Schicksal überlassen. Kinder werden nicht gegen Polio geimpft, sondern oft genug von religiösen Autoritätspersonen zu Bettlern „ausgebildet“. Millionen solcher „Almajiri“ soll es geben. Um diese Lebensform mit ihren autoritären Strukturen im Wettbewerb der Gesellschaftssysteme in Nigeria zu erhalten, müssten „der Norden“ bzw. seine Eliten den Fortschritt im ganzen Land behindern oder gar verhindern. Fundamentalistische religiöse Überzeugungen seien dabei natürlich hilfreich.

Die ethnischen Gegensätze sind zudem noch tiefer als die religiösen. Dies erkennt man u. a. an der Geringschätzung, die Moslems aus dem Norden gewöhnlich für ihre Glaubensbrüder aus dem Süden, die islamischen Yoruba, zu erkennen geben. Sie seien keine „echten“ Moslems, dürfen oft nicht einmal als Vorbeter fungieren. Der Differentiator ist Ethnizität, nicht Religiosität. Auch eine vollständige Bekehrung aller Nigerianer zum Islam würde daran nichts ändern. Sie wären Moslems zweiter Klasse.

Boko Haram will Jonathan „verschlingen“

Nach den Oster-Anschlägen erklärte der Chief of Army Staff: „Wir sind im Krieg gegen Boko Haram.“ Bis Juni will Nigeria mit dem Terror fertig werden, hört man von offizieller Seite.

Boko Haram ist nicht beeindruckt und kontert. In dem You-Tube-Video „Botschaft an Goodluck Jonathan“ erklärt Sheik Abubakar Imam Shekau, einer der mutmaßlichen Führer Boko Harams, in al-Qaida-Manier flankiert von vier maskierten und bewaffneten Männern: „Du, Jonathan, kannst uns nicht aufhalten. Wir werden Dich innerhalb von drei Monaten verschlingen…wir sind stolze Soldaten Allahs, wir werden den Kampf gegen die Ungläubigen niemals aufgeben… wir werden siegen, Dich fertig machen und Deine Regierung beenden.“ Allah sei mit dem Pharaoh und anderen bösartigen Herrschern fertig geworden, denen Jonathan nicht das Wasser reichen könne. Quasi als Ausrufezeichen zum Video überfielen Boko Haram Grenz- und Zollstellen im nördlichen Staat Borno.

Nigeria als Wirtschaftsstandort

Kurz vor den Osteranschlägen war Präsident Jonathan in Korea und versuchte, Nigeria als Standort für Direktinvestitionen schmackhaft zu machen. Es gebe nur in einigen Teilen Nigerias Terror, nicht überall. Eine absurde Beruhigungspille für das Kapital, das bekanntlich scheu ist wie ein Reh, zumal Entführungen zunehmen. Ein deutscher Ingenieur wurde Ende Januar in Kano am helllichten Tage von einer Baustelle entführt, ein Brite und ein Italiener kamen kürzlich nach Monaten der Geiselhaft bei einem Befreiungsversuch ums Leben.

Auch die deutschen Wirtschaftsvertreter, die Jonathan bei seinem Arbeitsbesuch vom 18.-20. April in Berlin trifft, werden daher vermutlich erst einmal abwarten, bevor sie sich zu größeren Neuinvestitionen entschließen. Immerhin wollen Deutschland und Nigeria ihre Beziehungen durch die Gründung einer bilateralen Kommission vertiefen. Dies war während Merkels Nigeria-Besuch im letzten Jahr vereinbart worden. Zweifellos hat Afrikas bevölkerungsreichstes ölreichstes und gasreiches Land riesige Potenziale. Diese sind aber genau das – Potenziale, die vom Öl abgesehen, derzeit nicht annähernd realisiert werden.

Die Kosten, in Nigeria Geschäfte zu machen, sind nämlich hoch. Um rentabel zu sein, müssen hohe Gewinne erzielt werden. Dies wird in einem derart korrupten Milieu nicht immer ohne Probleme gehen können. Im vertraulichen Gespräch mit Managern wird deutlich, dass schärfer werdende Antikorruptionsrichtlinien in aller Welt Unternehmen nachdenken lassen, bevor sie in Nigeria bleiben oder aktiv werden und wegen einiger Gewinne hier ihr internationales Renommee und vielleicht sogar ihren Status als staatlicher Lieferant oder Dienstleister in wichtigeren Ländern gefährden. Dasselbe gilt für Manager, die sich hier durchaus strafbar machen können.

Wachstum ohne Entwicklung

Zwar hat das Land nach Angaben von Weltbank und anderen eine beeindruckende Wachstumsrate von über sieben Prozent, und die Islamic Development Bank kürte es soeben zur nach der Mongolei und China am

schnellsten wachsenden Volkswirtschaft weltweit. Man muss – bei allem Respekt – aber doch fragen, ob es für Nigeria überhaupt belastbare Zahlen gibt. Nicht einmal die Größe der Bevölkerung ist ja verlässlich bekannt: 2006 hatte u. a. die EU eine Volkszählung finanziert. Damals wurden ca. 140 Mio. Nigerianer gezählt. Heute sollen es bis zu 170 Mio. sein.

Aber selbst wenn die hohen Wachstumsraten zutreffen sollten, könnten sich hier jene „Wachstumskritiker“, die sonst immer so schnell mit ihrer Binsenweisheit bei der Hand sind, dass „BIP-Wachstum allein nichts über das Wohlergehen eines Volkes aussage“, endlich einmal mit Recht zu Wort melden. Nigeria und wahrscheinlich manche andere der in letzter Zeit so gelobten afrikanischen – ja, sollte man sie vielleicht „Löwenbabys“ taufen? – schnell wachsenden Volkswirtschaften leben ja bloß von ihrer Substanz. Dort, wo einfach nur Rohstoffe

extrahiert und ohne jede Veredelung oder inländische Wertschöpfung am Weltmarkt verhökert werden, wird der Kapitalstock („Bodenschätze“) abgebaut. Der Wert des Landes nimmt ab. Noch dazu verschwindet ein guter Teil der Erlöse im Ausland, statt in das Land investiert zu werden. Die qualifizierte Finanzministerin Okonjo-Iweala, die letztendlich erfolglos für den Chefposten bei der Weltbank kandidiert hat, macht sich erhebliche Sorgen um die steigende Verschuldung. Und vor allem: Nigerias (zu?) schnell „nachwachsender Rohstoff“, seine Menschen, wird nicht in „Humankapital“ veredelt sondern verelendet.

Das Ausbildungssystem sei derartig katastrophal, dass es eine Generation dauere, es wieder auf den Stand wie bei der Unabhängigkeit 1960 zu bringen, sagte die ehemalige Präsidentenberaterin für die Millenniumsziele.

112 Mio. der offiziell über 160 Mio. Nigerianer leben in absoluter Armut, von weniger als 1 Dollar pro Tag, ließen die Behörden jüngst offiziell verlauten. Damit ist der Anteil der Armen sogar noch deutlich angestiegen. Wenn Nigeria tatsächlich Wachstum hat, so ist es jedenfalls ein Wachstum ohne Entwicklung. Von „trickle down“-Effekten kann keine Rede sein. Manche Beobachter äußern zudem die Vermutung, das Wachstum, das am Immobilienmarkt zu beobachten ist, sei darauf zurückzuführen, dass es zunehmend schwerer und teurer werde, illegal erworbene Finanzmittel im Ausland anzulegen. Soeben wurde etwa in London James Ibori, ehemaliger Gouverneur von Delta State, wegen Korruption zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Etwa 200 Mio. US Dollar sind kürzlich aus dem Pensionsfonds der Polizei verschwunden, usw. usw. Daher kaufe man Bauland um fast jeden Preis und baue aberwitzig teure und luxuriöse Häuser völlig unabhängig davon, ob man sie rentabel vermieten könne.

Generalstreik

Zu all diesen Problemen hat sich die Regierung zu Anfang des Jahres ein weiteres massives Problem – ja, man muss wohl sagen – selbst eingebrockt. In einer Blitzaktion erhöhte sie zum Jahreswechsel die Be nzinpreise auf mehr als das Doppelte. Am grünen Tisch der Volkswirte war es vielleicht sogar eine vernünftige Absicht, Subventionen abzubauen und die Ersparnisse in Infrastruktur zu investieren. In den schmutzigen Strassen von Lagos sah man das anders und rief einen Generalstreik aus. Politische Ökonomen haben dies vorhergesehen. Niemand glaubte hier, dass die Ersparnisse dem öffentlichen Wohl zu Gute kommen würden, aber die Benzinpreiserhöhungen würden jeden hart treffen. Transportleistungen stecken ja in fast allen Gütern und Dienstleistungen, deren Preise folglich spürbar steigen würden. Zudem: Transportkosten sind im strukturschwachen Nigeria, wo mangels fehlender Bahnen oder Binnenschiffahrt fast alle Transporte Straßen- oder Lufttransporte sind, sowieso hoch. Dadurch wird z. B. die Massenproduktion geringwertiger Produkte unrentabel, da deren Vermarktung mit zu hohen Transportkostenanteilen belastet wird. Dies ist einer der vielen

Gründe für die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes.

Eine Woche Generalstreik - weite Teile des Landes standen still. Die dadurch entstandenen Verluste an Sozialprodukt wurden etwa mit der Hälfte der angegeben „Einsparungen“ an Subventionen berechnet. Zunächst hatte man gehofft, ca. 8 Mrd. USDollar einzusparen. Durch die teilweise Rücknahme der Benzinpreiserhöhungen sank dieser Betrag auf ca. 4. Mrd. Davon wiederum dürften etwa 2 Milliarden durch die Produktionsausfälle verloren gegangen sein. Wegen netto 2 Mrd. USD Einsparungen hat die Regierung das Land an den Rand des Abgrunds geführt. Hätte man nach einer Woche nicht einen Kompromiss gefunden, wäre ein Putsch oder ein Abgleiten in allgemeines Chaos nicht mehr auszuschließen gewesen. Dies ist keine Politik, die ausländische Investoren anzieht.

Zukunftsaussichten

Immer wieder hört man die Frage, ob sich das Land spalten werde und ob dies nicht besser wäre. Praktisch wäre dies wohl kein leichtes Unterfangen. Insbesondere wäre die Grenzziehung ein Problem. Viele Christen leben auch in Bundesstaaten, die oft zum „Norden“ gezählt werden. Ohne blutige Auseinandersetzungen wäre eine Trennung wohl kaum möglich. Einstweilen – einstweilen! - sind die Kosten einer Trennung für alle Beteiligten wohl noch zu hoch. Das könnte sich ändern, wenn es der Regierung Jonathan nicht gelingt, mit Boko Haram fertig zu werden und das Land immer unregierbarer werden sollte. Auch im Nigerdelta nehmen die Spannungen ja wieder zu.

Ein Jahr nach den „freiesten und fairsten Wahlen“ die das Land nach Meinung der Wahlbeobachter je hatte, sieht es nicht gut aus in Nigeria. Nichtsdestoweniger streitet man sich schon, ob Jonathan 2015 noch einmal „antreten“ darf. Er hatte zwar als Vizepräsident seines im Amte verstorbenen Vorgängers Yar’ Adua klug agiert. Seit er aber Präsident ist, enttäuscht er die Nigerianer durch mangelnde Führungsfähigkeiten.

Antworten auf Nigerias Probleme könnten sich in der modernen politischen Ökonomie finden lassen. Politik ist Nigerias „extraktive Industrie“ Nummer eins, wohl noch vor der Ölindustrie. Hier kann man reich werden,

unermesslich reich. Die „Gegenleistung“, die die Politik für die Bürger erbringt, ist nach Meinung vieler Nigerianer fast null oder sogar negativ, da sie permanent schlechte Beispiele gebe und die Moral zerstöre.

Institutionelle Reformen, ein Umbau der extraktiven politischen und ökonomischen Institutionen und Anreizsysteme, die es den Politikern ermöglichen, sich ohne größere Risiken zu bereichern, könnten hier vielleicht einen Ausweg eröffnen (vgl. z. B. Acemoglu und Robinson, 2012). Dies sind im Wesentlichen inklusive (im Gegensatz zu extraktiven) Institutionen, wie sie z. B. Deutschland so erfolgreich gemacht haben: Demokratie mit tatsächlichen Machtwechseln, Rechtsstaat vor allem mit wirklich geschützten Eigentumsrechten und kostengünstig durchsetzbaren Verträgen, halbwegs kompetitive Märkte mit freiem Zugang usw., letztlich also die Institutionen der Sozialen Marktwirtschaft. Auf dem Papier hat Nigeria zwar ganz ordentliche Institutionen,

in der Wirklichkeit sind es oft aber nur schöne Fassaden, hinter denen ganz andere, wenig schöne Dinge ablaufen.

Wie und warum aber ausgerechnet die, die von den extraktiven Institutionen profitieren, diese umbauen sollten, ist nicht leicht zu erkennen. Ein Personalwechsel – ob demokratisch, durch Putsch oder Revolution wie in Nordafrika – wäre ohne erhebliche Verhaltensänderungen aber keine Lösung, solange die gegenwärtigen Anreizsysteme weiterbestehen. Aus den alten goldenen Schüsseln würden sich bloß neue Herrscher bedienen, meinen nigerianische Beobachter. Jedenfalls ist auch ausländisches Geld nicht die Antwort auf Nigerias Probleme. Es ist dem Land nicht damit geholfen, auch noch fremde Ressourcen zu vergeuden, wenn es schon mit den eigenen nicht umgehen kann. Institutionelle Beratung mit zunehmendem nationalem („Arab spring“) und internationalem Druck, keine Toleranz gegenüber Korruption und die Entschlossenheit, Kriminelle zu verurteilen wie soeben Ibori in Großbritannien, könnten vielleicht einen langsamen Prozess in Gang setzen. Die Hauptarbeit müssen die Nigerianer aber selbst leisten.

Der klügste Satz, den der Berichterstatter seit langem von einem nigerianischen Politiker gehört hat, stammt von einem Landesminister im Süden: „We must finally claim ownership of our own problems“ – frei: „wir müssen endlich selbst die Verantwortung für unsere Probleme übernehmen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Hildegard Behrendt-Kigozi

Gläubige strömen zum Gebet Pähler (KEINE Widerverwendung gewünscht)

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