Country reports
„Wir hatten noch nie so friedliche, faire und freie Wahlen in Mazedonien wie am vorletzten Sonntag“ sagt eine kenntnisreiche Beobachterin der mazedonischen Politik. In der Tat, nicht nur internationale Wahlbeobachter, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung bestätigen diese frohe Botschaft. Doch politische Stabilität hat es dem Land und den bitter enttäuschten Mazedoniern nicht beschert. Im Gegenteil, die letzten Tage waren ein Beispiel für undemokratisches Handeln par excellence. Die Staatskrise nimmt kein Ende. Unruhen könnten die Folge sein.
Aktuelle Situation
Am Dienstag nahm das Verwaltungsgericht eine Beschwerde der oppositionellen Sozialdemokraten (SDSM) gegen die Entscheidung der staatlichen Wahlkommission (SEC) an. In dem Wahllokal Nr. 2011 des nordwestlichen Ortes Tearce, Gemeinde Tetovo (Wahlkreis 6) findet am kommenden Sonntag eine Wahlwiederholung statt, die durchaus die Sitzverteilung um einen Sitz zugunsten der SDSM verschieben könnte. Ein daraus resultierendes Patt zwischen beiden großen Parteien (jeweils 50 Sitze) würde die Chance der SDSM zur Bildung einer Koalition erhöhen. Bei 714 registrierten Wählern in Tearce braucht SDSM insgesamt 304 Stimmen, um die bisherige Regierungspartei VMRO-DPMNE im Wahlkreis 6 zu überholen. Ob das realistisch ist, weiß keiner vorauszusagen, zumal nur 87 Wähler für die Sozialdemokraten stimmten. Eigentlich spielt es keine Rolle. Die Partei des langjährigen Premierministers Nikola Gruevski hat noch vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts jegliche Beteiligung an Wahlwiederholungen abgelehnt – eine grobe Missachtung des Wahlrechts.
Ignoranz des Wählerwillens
Mit dem Verlust von 19 Parlamentssitzen haben die Wähler der Regierungskoalition ein starkes Signal für Veränderungen gesandt, welches insbesondere von der VMRO-DPMNE nicht aufgenommen wird. Anstatt innerparteiliche Reformen einzuleiten, wird versucht, die erodierende Macht zu sichern. Mit der Veröffentlichung der‚ Proclamation adopted by the highest body of the party‘ und der Rede Gruevskis vor dem Sitz der SEC am vergangenen Samstag wurde die Legitimation der Wahlkommission und des Verwaltungsgerichts konterkariert, deren Mitglieder desavouiert und die Tür zur internationalen Gemeinschaft geschlossen. Unverständlich bleibt, warum die Parteiführung ohne Not, noch vor Entscheid über die eingereichten Wahlbeschwerden der Opposition, diesen Schritt an die Öffentlichkeit gerichtet, tat. Offensichtlich herrscht kein Vertrauen in die staatlichen Institutionen.
Feindbild Ausland
Die politische Rolle mancher Botschaften und die nicht immer geschickte Vermittlerrolle der EU zu kritisieren, ist legitim. Botschaftern und Vertretern ausländischer Organisation Einmischung in innere Staatsangelegenheiten im Allgemeinen und direkte Einflussnahme auf Mitglieder der SEC im Besonderen zu unterstellen, ist jedoch ein durchschaubares Manöver, um von den eigenen Problemen abzulenken. Die Drohung, über neue Finanzregularien ausländische Nichtregierungsorganisationen „gefügig zu machen“, wird keinen Erfolg zeitigen. Demokratie muss Widerspruch ertragen.
Szenarien
Prognosen haben in diesen schwierigen Zeiten nur eine Halbwertzeit. Zünglein an der Waage sind die vier, untereinander zerstrittenen, albanischen Parteien. Es mehren sich die Anzeichen, dass die bislang mitregierende DUI wegen der hohen Verluste und der daraus resultierenden parteiinternen Diskussionen keine neue Koalition mit den Konservativen eingeht. Die SDSM hatte sich erstmalig für albanische Wähler geöffnet. Ob dies ein geschickter Schachzug war, wird sich herausstellen. Eine Fünf-Parteien-Koalition hätte eine ausreichende Mehrheit. Verwunderung bei den Mazedoniern lösten die Treffen der vier albanischen Parteiführer mit dem Ministerpräsidenten Albaniens, Edi Rama, in Tirana aus. Mögliche Träume eines albanischen Großreichs kommen in Skopje gar nicht gut an.
Die nächsten Wochen werden spannend. Von Neuwahlen im Frühling in Verbindung mit den Kommunalwahlen bis hin zum offenen Kampf um die Macht ist alles möglich. Eine Garantie, dass es friedlich bleibt, kann keiner geben. Während das gemeine Volk nur noch wütend zuschaut, ist die Stimmung bei den Anhängern aller Parteien sehr gereizt. Die Parteiführer stehen daher nun in der Verantwortung rhetorische Zurückhaltung zu üben, mäßigend auf ihre Unterstützer einzuwirken und die Legitimität staatlicher Institutionen nicht zu untergraben.
Fazit
Mit 66,80% (2014: 62,96%) war die Wahlbeteiligung hoch. Die Wähler haben ihre Reife gezeigt und mit ihrer Stimme Veränderungen bei dem politischen Establishment angemahnt. Dieses wird dem Wunsch nach politischer Stabilität und Normalität weiterhin nicht gerecht. Persönliche Interessen scheinen wichtiger als das Wohl der Gemeinschaft zu sein. Mazedonien schlittert noch tiefer in die Krise.