Interview mit Nicole Stopfer bei youtube.
Lateinamerika-Themen haben es in deutschen Medien nicht leicht. Doch eine Meldung schafft es immer wieder in die Schlagzeilen: die Abholzung des Regenwaldes im Amazonas-Gebiet. Die sogenannte ‚grüne Lunge‘ bindet CO2 und wandelt es in Sauerstoff um. 20 Prozent des weltweiten Sauerstoffvorkommens entstehen hier.
Hat die Region den Klimawandel nicht im Blick? Das Gegenteil ist der Fall, sagt Nicole Stopfer, die das Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel leitet und in Lima, Peru, lebt. Die Folgen des Klimawandels seien in Lateinamerika nämlich bereits unübersehbar:
„Ich sage immer: die Realität des Klimawandels hat die Region voll im Griff. Es gibt Dürren, Hurrikanes, die Gletscher schmelzen. Es gibt schon jetzt klimawandelbedingte Probleme im Bereich Strom- und Wasserversorgung, Menschen werden aus ihren Lebensräumen verdrängt.“
Ein Beispiel: in den Anden gibt es viele Kleinbauern, die ihre Landwirtschaft mit Gletscherwasser bewirtschaften. Doch seit 1970 hat sich die Gletschermasse in den Anden fast halbiert. Die Folge: die Kleinbauern verlassen die Region und ziehen in die Städte, was wiederum dort zu Überlastungen führt. Es entstehen illegale Siedlungen, es gibt Probleme mit Abfall und mit der Wasserversorgung, denn die ist nicht für so viele Menschen ausgelegt.
Wirtschaftswachstum vs. Klimaschutz
Lateinamerika mit seiner großen Biodiversität sollte besonders daran gelegen sein, den Klimawandel zu stoppen, so scheint es. Tatsächlich aber kämpft die Region mit Problemen, die vielen auf lokaler und regionaler Ebene erstmal akuter erscheinen, erklärt Nicole Stopfer:
„Soziale Ungleichheit ist hier ein allgegenwärtiges Problem, das sich durch die Corona-Pandemie nochmal zugespitzt hat. Viele Menschen haben ihre Einkommensquellen verloren. Ein großes Problem ist die Binnenmigration. Deswegen ist es auch so schwierig, über Klimawandel zu sprechen, weil andere Probleme dringlicher erscheinen. Darüber vergessen einige, dass Klimapolitik ja auch Wirtschafts- und Sozialpolitik bedeutet.“
Dieses kurzfristige Denken wird auch am Beispiel der Abholzung im Amazonas-Regenwald deutlich. „Das Bewusstsein in der Region für die Wichtigkeit des Amazonas ist auf jeden Fall da“, so Nicole Stopfer. „Aber man muss auch die Realität vor Ort betrachten. Es werden Bäume abgeholzt, weil es um wirtschaftliche Entwicklung geht, um Wachstum. Der Wald ist für viele eine gute Einnahmequelle. Hier wird das Recht auf Entwicklung gegen den Umweltschutz ausgespielt. Ich aber bin der Meinung, dass man beides verbinden kann und sollte.“
Bolsonaro: vom Klima-Saulus zum Paulus?
Was viele in Europa womöglich überrascht: bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen ist Lateinamerika bereits sehr weit. 60 Prozent des Stroms in der Region werden durch Wasserkraftwerke und Biomasse erzeugt.
In Costa Rica kommen sogar 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energiequellen. Es gibt lokale und regionale Programme, die Nachhaltigkeit fördern.
Auf der anderen Seite gibt es Staatschefs wie den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich den Klimawandel geleugnet hat. Aktuell scheint er allerdings eine 180-Grad-Wende hinzulegen: auf dem Klimagipfel mit US-Präsident Joe Biden diesen März, hat er sich als Klimafreund präsentiert und Hilfsgelder in Milliardenhöhe von der internationalen Gemeinschaft gefordert. Steckt da Kalkül hinter? Nicole Stopfer glaubt, dass Bolsonaros Vorgehen mit der Klimapolitik Joe Bidens zusammenhängt – und dem Interesse vieler Staaten Lateinamerikas an guten Beziehungen zu den USA.
„Einerseits erhoffen sich einige Staaten hier wohl Direkt-Investitionen aus den USA. Joe Biden hat versprochen, neue Jobs im erneuerbare Energie-Sektor zu schaffen, China in dem Bereich zu überholen. Und Lateinamerika hat hier großes ungenutztes Potenzial. Auf der anderen Seite ist es so, dass die USA unter Biden Klimapolitik mehr und mehr auch als Handels- und Außenpolitik verstehen – und das übt Druck auf die Staaten Lateinamerikas aus.“
Brasilien, Argentinien und Mexiko gehören den G20 an. Wenn die USA auf G20-Gipfeln nun darüber sprechen, dass Länder ihre Treibhausgase minimieren müssen und dass sie, wenn sie es nicht schaffen, mit Sanktionen rechnen müssen, dann übt das Druck auf die Region aus. Druck, zu handeln.
Weitere Folgen von #KASkonkret…
…und das ganze Interview mit Nicole Stopfer findet ihr auf dem YouTube-Kanal der Konrad-Adenauer-Stiftung, ‚onlinekas‘.