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Und schließlich wurden weitere Bereiche der innenpolitischen Reformagenda auch gegen den Widerstand breiter Teile der Bevölkerung erfolgreich abgearbeitet, in erster Linie die überfällige Reform des Rentensystems.
Augenfällig war bei allem Erfolg jedoch ein eklatanter Mangel an politischer Kommunikation seitens der Regierung. Nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ legte man kaum Wert darauf, die Regierungspolitik und ihre Leitlinien in die Gesellschaft zu kommunizieren. Dies betraf die Motive für die Rentenreform ebenso wie die Reform der staatlichen Rückerstattung von Arzneimitteln, die Vorbereitung der Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung sowie die Pläne zur Änderung der Finanzierung von Religionsgemeinschaften. Wenig Empathiebereitschaft, vor allem auch gegenüber abweichenden Meinungen im eigenen Lager, kennzeichnete das Regierungshandeln.
Vor diesem Hintergrund war es kaum verwunderlich, dass es in der zweiten Jahreshälfte zu einem kräftigen demoskopischen Einbruch für Donald Tusk und seine Regierung kam. Im Oktober schien die kommunikationspolitische Katastrophe perfekt, als die PiS die PO erstmals seit langer Zeit in der Wählergunst überholte. Diese negative Tendenz hätte sich vermutlich fortgesetzt, wenn nicht Oppositionsführer Kaczyński in der ihm eigenen Art auf das Stichwort „Smoleńsk“ die Rolle des politischen Springteufels gegeben hätte. Als Journalisten aus neuen Untersuchungsergebnissen am Wrack der Unglücksmaschine vorschnelle Anschlagstheorien konstruierten, reagierte Kaczyński sofort mit Mordvorwürfen gegenüber der Regierung, forderte Rücktritte und strafrechtliche Konsequenzen.
Diese Selbstdesavouierung mit anschließender Abstrafung in den politischen Meinungsumfragen kam zu einem Zeitpunkt, da der Oppositionsführer kurz davor stand, sich mit einer geschickten Kampagne unter dem Titel „Alternative“ ein neues Image als moderner und kompetenter Politiker zu geben. Kaczyński schien mit seinen landesweit kommunizierten Experten-Diskussionen zu den Kernthemen Wirtschafts- und Sozialpolitik die Öffentlichkeit ernst zu nehmen. Doch diese ist überwiegend der Smoleńsk-Debatte überdrüssig und die meisten Menschen denken mit Grauen an die vergiftete innenpolitische Atmosphäre zur Zeit der auslaufenden Kaczyński-Regierung zurück.
Dass sich die PO-geführte Regierung zum Jahresende in den Umfragen wieder stabilisieren konnte, hatte sie zu diesem Zeitpunkt vor allem der Angst der Wähler vor der Alternative zu verdanken.
Zerreißprobe in der PO?
Das neue Jahr hat für die PO mit einer parlamentarischen Pleite ersten Ranges begonnen. Zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Monaten hat bei einer Gesetzesvorlage zu ethisch-moralischen Problemstellungen eine Gruppe von mehr als vierzig Abgeordneten, unter inoffizieller Führung von Justizminister Jaroslaw Gowin, gegen einen von der eigenen Fraktion vorgelegten Gesetzesentwurf gestimmt. Scheiterte im Herbst die Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung am Widerstand dieser Gruppe, die gemeinsam mit den Abgeordneten der oppositionellen PiS gegen die Vorlage stimmte, so wurden am 25. Januar die Gesetzgebungsvorhaben zugunsten von eingetragenen Lebenspartnerschaften abgeschmettert. Justizminister Gowin hatte diese zuvor als verfassungswidrig erklärt, was einen heftigen öffentlichen Streit mit PO-Fraktionschef Grupiński nach sich zog.
Die vermeintliche innere Zerreißprobe der PO wird derzeit von den polnischen Medien mit spürbarem Genuss ausgeschlachtet und skandalisiert. Das wird sich negativ in den Meinungsumfragen niederschlagen. Ungeachtet aller aktuellen Spekulationen in den Medien werden die „abtrünnigen Abgeordneten“ die Regierung aber nicht zum Platzen bringen, noch wird die PO in Kürze in Pragmatiker und Wertkonservative zerfallen. Der Wille zum Machterhalt wird die Bürgerplattform weiter zusammenhalten. Bedenklich jedoch ist, dass die gescheiterten Gesetzesentwürfe in der PO-Fraktion vor Einbringung in den Sejm weder ausreichend diskutiert wurden, noch wurde über sie zur Probe abgestimmt. Diese Lehre hätte nun, nach der Abstimmungspleite vom Herbst, spätestens gezogen werden müssen.
Alles in allem dokumentieren die Vorfälle die Defizite in der Diskussions- und Kommunikationskultur der PO.
Herausforderungen für die Bürgerplattform
Zunächst besteht für die Regierungspartei die dringende Notwendigkeit, mehr Feinmotorik in Sachen politischer Kommunikation zu entwickeln. So kam, um nur ein Beispiel zu nennen, nach der Jahreswende eine landesweite Verschärfung der Radarkontrollen erst bei der Haushaltsdebatte im Sejm ans Licht, als damit erwartete Mehreinnahmen im Haushalt ausgewiesen wurden. Die verkehrspolitisch längst überfällige Maßnahme wurde in der Öffentlichkeit nicht verstanden und als verdeckte Steuererhöhung umgedeutet.
Dabei stehen weitere wichtige politische Entscheidungen für die PO-geführte Regierung an, bei denen eine sorgfältige Einbeziehung der öffentlichen Meinung unerlässlich ist, z.B. die Diskussion um einen zügigen Beitritt Polens zur Euro-Zone.
Darüber hinaus steht die PO vor der kurzfristigen Herausforderung, ihre wertkonservative Mitgliedschaft nicht in offenen Streit mit den Verfechtern einer vorwiegend pragmatisch und liberal orientierten Politik geraten zu lassen. Parteichef Tusk wird daher vermutlich von Sanktionen gegenüber den „abtrünnigen“ PO-Vertretern im Sejm absehen.
Als nächstes ergibt sich aber auch die Notwendigkeit, eine angemessene innerparteiliche Diskussions- und Streitkultur zu entwickeln. Dies wird für die Parteiführung nicht einfach werden angesichts der Neigung manch polnischer Politiker, Meinungsverschiedenheiten hochemotional und in oft persönlich beleidigender Form auszutragen. Es ist zu hoffen, dass der Weg aus diesem Dilemma in den erfolgreichen Versuch mündet, sich den Wählern als moderne und lebendige Volkspartei zu präsentieren, in der liberale und wertkonservative Meinungen beide ihren Platz haben. Womöglich wird der PO auf diesem Weg aber auch eine Phase der Selbstreflexion nicht erspart bleiben.
Will sie in der Zukunft mehr Bürgerplattform oder mehr Bürgerpartei sein?
Anders als die Konkurrentin PiS ist die PO innerparteilich weniger organisiert und tritt, außer wenn sie in Wahlkampfzeiten unter Dampf gesetzt wird, als Partei kaum in Erscheinung. Sie ist z.B. auch nicht Bestandteil des sozialen Lebens in den Städten und Kommunen und verfügt außer einer Jugendorganisation auch nicht über innerparteiliche Gliederungen für soziale Gruppen.
Vielmehr präsentiert sich die PO als eine Plattform für vernünftige und ideologiefreie Menschen mit pragmatischem Politikansatz, gegründet mit dem Ziel des Machterwerbs und fortgeführt mit dem Ziel des Machterhalts, oder, in den Augen vieler Wähler, zur Verhinderung von PiS.
Dieses Image hat die PO an die Macht gebracht, und derzeit hält es sie auch dort. Es fragt sich nur, ob es auch in der Zukunft trägt, denn das polnische Parteiensystem ist noch jung und wenig fest gefügt. Es spiegelt die gesellschaftliche Realität im Lande auch nur teilweise wieder. Denn deren Hauptkennzeichen ist eine Art Abkapselung, die einen großen Teil von Menschen betrifft, die ängstlich, misstrauisch, eigenbrötlerisch, verschlossen gegenüber allem Fremden und stets empfänglich für Verschwörungstheorien jedweder Art durchs Leben gehen.
Solche Menschen gibt es in jedem Land, doch in Polen haben sie in Gestalt der PiS eine politische Heimat gefunden.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass PO und PiS in einer Art Symbiose auf der polnischen politischen Bühne existieren. Die Einen sind dazu da, die Anderen zu verhindern.
Es ist kaum vorstellbar, dass diese Konstellation allein auf Dauer die Existenz der PO sichern kann. Es sollte also etwas geschehen in dieser Partei, die sich deutlich mehr in der polnischen Gesellschaft verankern muss, wenn sie die nächste Legislaturperiode überleben will.