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Country reports

Polen trauert und nimmt Abschied

Derweil bleibt der Staat voll funktionsfähig und werden vorgezogene Präsidentenwahlen notwendig

Der Bericht fasst die Geschehnisse der letzten Tage in Polen zusammen und schildert die politischen Auswirkungen. Im letzten Teil geht der Text auf diejenigen ein, mit denen die Konrad-Adenauer-Stiftung in näherem Kontakt stand.

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Es war der Samstag nach dem Osterfest 2005 als der Sirenenklang in Polen vom Tod des polnischen Papstes Karol Wojtyła - Johannes Paul II. kündete. Das polnische Volk verfiel damals in eine tiefe kollektive Trauer. Es nahm in beeindruckender Weise Abschied von seinem Heiligen Vater, dem größten Sohn Polens.

Fünf Jahre später ist es wiederum der Samstag nach dem Osterfest, an dem der Absturz des Flugzeuges des polnischen Staatspräsidenten und seiner Delegation, die auf dem Weg zum Gedenken an den 70. Jahrestag des Massakers an der polnischen Elite im russischen Katyn war, Polen erneut in tiefer gemeinsamer Trauer vereint. Am Tag vor dem Sonntag „Quasi modi geniti“, an dem die Gläubigen sich eigentlich „wie neugeborene Kinder” fühlen dürfen, nachdem durch die Auferstehung Jesu der Tod besiegt wurde, trat ganz drastisch der Ernstfall des Osterglaubens ein. Alle 96 Flugzeuginsassen kamen ums Leben, darunter das Präsidentenehepaar Lech und Maria Kaczyński und die Führungsspitze der Präsidialkanzlei, drei Vizepräsidenten von Parlament und Senat, 16 Parlamentsabgeordnete aller Parteien, fünf Staatssekretäre, die Präsidenten der Nationalbank und des Institutes der nationalen Erinnerung, der Bürgerrechtsbeauftragte, fast die gesamte Führungsriege des Militärs sowie der Militärseelsorge, die führenden Vertreter der Opfer von Katyn und auch zwei historische Persönlichkeiten: Ryszard Kaczorowski, geboren 1919 und vom 19. Juni 1989 bis zum 22. Dezember 1990 der letzte Exil-Staatspräsident Polens, sowie Anna Walentynowicz, die 1929 geborene kleine Werftarbeiterin und Kranführerin, deren Entlassung kurz vor ihrer Rente im August 1980 in Danzig zunächst zum Streik und dann zur Gründung der Gewerkschaft Solidarność geführt hatte. Volker Schlöndorf hat der Mitbegründerin der Solidarność in dem Film „Strajk – Die Heldin von Danzig“ 2007 ein bewegendes Denkmal gesetzt.

Als Ursache des Unglücks kristallisiert sich immer mehr ein Pilotenfehler heraus beim schwierigen Landeanflug in dichtem Nebel auf den Militärflughafen Smolensk. Der Pilot hatte offenbar mehrmals über dem Flughafen gekreist und dann trotz Warnung der Flugsicherung zur Landung angesetzt, was sofort beim ersten Versuch schief ging. Dass das deutsche Boulevard-Blatt Bild mit der Titelschlagzeile „Das Todes-Rätsel. Zwang Polens Präsident den Piloten zur Gefährlichen Landung im Nebel?“ gleich am Montag nach dem Unglück nach der Schuld des Präsidenten fragte, empfinden nicht wenige in Polen despektierlich und pietätlos. Aber auch in Polen fragt man sich natürlich hinter vorgehaltener Hand, wie es zu dem Unglück kommen konnte und welche Rolle der Präsident dabei hatte. Aber die Betroffenheit und Trauer in der Bevölkerung ist zu groß, als dass über solche Fragen jetzt gestritten würde.

Im öffentlichen Leben ist der Flugzeugabsturz allenthalben gegenwärtig: bis kommenden Montag herrscht Staatstrauer, viele Häuser und Autos sind mit Nationalflagge und Trauerflor versehen, in Zeitungen und Rundfunkmedien dominiert die Tragödie, überall im Land wird durch niedergelegte Blumen, Kerzen, Trauerprozessionen und Gottesdienste der Opfer gedacht. Sejm und Senat traten zu einer gemeinsamen Gedenksitzung zusammen und feierten anschließend in der Warschauer Johannes-Kathedrale mit Altprimas Józef Glemp zu Mozartklängen die Heilige Messe. In Warschau gaben hunderttausende Menschen an den Straßen dem Präsidenten und seiner Gattin Geleit, als deren Särge am Sonntag und Dienstag vom Flughafen in die Präsidentenkanzlei überführt wurden. Acht und mehr Stunden stehen die Menschen in Warschau in langen Schlangen an, um dem Präsidentenpaar die letzte Ehre zu erweisen.

Hatte Präsident Kaczyński zu Lebzeiten durch seine Parteilichkeit das Volk politisch gespalten und wenig Anerkennung erfahren, so eint er durch seinen tragischen Tod nun die Bevölkerung in gemeinsamer Trauer und lässt den häufig aggressiv geführten politischen Kampf ruhen. Angesichts des Schicksalsschlages treten die politischen Unterschiede zurück und Mitgefühl sowie gemeinsame Verantwortung in den Vordergrund.

Allerdings führt die Entscheidung des Krakauer Metropoliten Stanisław Kardinal Dziwisz, der Familie des Staatspräsidenten die Wawel-Kathedrale auf dem Krakauer Königsberg als Begräbnisort anzubieten, zu einigen öffentlichen Unstimmigkeiten und Protesten. Als Grablege für die polnischen Könige, für Heilige und Dichterfürsten hat der Ort einen spezifischen Charakter und so meinen etliche, dass der aus Warschau stammende und mit der Stadt eng verbundene Präsident Kaczyński doch besser in der Hauptstadt seinen Platz finden sollte. Neben der Redaktion der linksliberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die sich geschlossen gegen die Beisetzung auf dem Wawel aussprach, wurde die Entscheidung etwa auch vom bekannten Regisseur Andrzej Wajda, von Władysław Bartoszewski oder dem früheren Sekretär der Bischofskonferenz, Weihbischof Tadeusz Pieronek, kritisiert.

Dagegen verteidigen die Springer-Boulevard-Zeitung Fakt und die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita die Entscheidung. In der „Rzepa“ heißt es, damit könne die Nation ihrem Präsidenten gegenüber, dessen Verdienste um die Stärkung der polnischen Identität und die Festigung des historischen Bewusstseins bisher nicht ausreichend anerkannt wurden, „eine Art Entschuldigung aussprechen, ihm historische Gerechtigkeit“ widerfahren lassen. Kardinal Dziwisz, der langjährige Sekretär des polnischen Papstes, begründete seinen Entschluss damit, dass der Staatspräsident „als Held“ auf dem Weg nach Katyn ums Leben gekommen sei. Das nivelliere den Begriff des Heldentums sagen die aufgebrachten Gegner. Die polnische Bischofskonferenz bat in einer Erklärung deshalb darum, die getroffene Entscheidung zu respektieren und den Streit angesichts der bevorstehenden Trauerfeierlichkeiten nicht fortzusetzen.

Zu dem staatlichen Trauerakt am Samstag auf dem Piłsudski-Platz in Warschau werden eine Millionen Menschen erwartet. 67 der 96 Leichnahme sind bisher überführt worden. Rund achtzig Staatschefs aus aller Welt, darunter US-Präsident Barack Obama, Russlands Präsident Dimitri Medwedjew, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, Bundespräsident Horst Köhler und die Bundeskanzlerin Angela Merkel, werden dann am Sonntag zur Beerdigung des Präsidentenpaares auf dem Wawel in Krakau erwartet.

Die Anteilnahme in aller Welt, besonders aber im östlichen Nachbarland Russland, wo Präsident Medwedjew für Montag Staatstrauer ausgerufen hatte, wird dankbar wahrgenommen. Die Umarmung des russischen Premiers Putin mit seinem deutlich mitgenommenen polnischen Amtskollegen Tusk auf dem Flughafen von Smolensk am Sonntag hat in Polen Eindruck hinterlassen und wurde unzählige Male im Fernsehen gezeigt. Die Polen sehen, dass auch die Menschen in Russland bis hin zur Führungsspitze angesichts des Unglücks ihre Herzen öffnen. Das verändert die Atmosphäre und die Beziehungen. Mitgefühl kann auch politisch viel bewegen. Es eröffnet ein neues Miteinander.

„Etwas hat in unseren Herzen gebebt“. Es sei so, als wäre ein gigantischer Damm gebrochen, aus dem bisher unausgesprochene Worte und Gesten hervorströmten, schreibt der Herausgeber der Gazeta Wyborcza und alte Solidarność-Kämpfer, Adam Michnik, in einem auf Seite zwei am Freitag in polnischer und russischer Sprache gedruckten Beitrag. Nicht nur die Welt habe angesichts der erneuten Tragödie in den letzten Tagen vom Massaker in Katyn erfahren. Auch russische Politiker hätten sich zu präzedenzlosen Schritten entschlossen. Medwedjews Worte über Stalins Schuld und die bereits zuvor erfolgten Gesten und Worte Premier Putins seien das Fundament unter den neuen Beziehungen zwischen Polen und Russland.

Unterdessen geht für die polnische Bevölkerung trotz aller Trauer das Leben aber weiter seinen Gang. Auch die Regierung, von der kein Mitglied in der Unglücksmaschine saß, und die staatlichen Institutionen funktionieren ohne Einschränkung. Eine politische Krise, wie in manchen Medien in Deutschland gemutmaßt, gibt es nicht. Wie es die Verfassung in Artikel 131,2 vorsieht, hat Sejmmarschall Bronisław Komorowski, der Parlamentsvorsitzende und Präsidentschaftskandidat der regierenden Bürgerplattform PO für die turnusgemäß im Herbst anstehenden Wahlen, die Pflichten des Präsidenten vorübergehend übernommen. Er trifft die notwendigen Entscheidungen schnell und effizient. Wichtige Staatsämter wurden umgehend mit relativ neutralen Übergangsbeamten besetzt, so die Spitze der Präsidialkanzlei mit dem Solidarność-Aktivisten Jacek Michałkowski, der früher für die Premierminister Mazowiecki und Buzek tätig war, und das Büro des Nationalen Sicherheitsrates mit General Stanisław Koziej, einem früheren Staatssekretär des Verteidigungsministeriums. Den polnischen Afghanistan-Einsatz hat Komorowski um sechs Monate verlängert und das Militärkontingent von 2.200 auf 2.600 Soldaten aufgestockt, wie es die Entscheidungsvorlage der Regierung, die seit Mitte März beim Präsidenten lag, vorsah. Dennoch bleibt Kritik nicht aus. Manche meinen, Komorowski entscheide ohne ausreichende Beratung, zeige zu wenig Mitgefühl und handle zu pragmatisch. So wurde die Entscheidung über den Termin der Präsidentschaftswahlen, über den der Sejmmarschall bereits in dieser Woche mit den Fraktionsvorsitzenden der Parlamentsparteien beraten hat, auf den 21. April vertagt. Laut Artikel 128,2 der Verfassung muss der Sejmmarschall innerhalb von 14 Tagen nach Amtserledigung, also bis zum 24. April, den Wahltermin festlegen. Der Wahltag ist dann auf einen arbeitsfreien Tag festzusetzen, der innerhalb eines Zeitraums von sechzig Tagen nach dem Tag der Wahlanordnung liegt. So wird spätestens am 20. Juni die vorgezogene Präsidentenwahl stattfinden. Die Parteien müssen für die Registrierung ihrer Kandidaten bis zum 6. Mai mindestens 100.000 Unterschriften sammeln. Dies könnte für die größte Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit PiS und die postkommunistische Linkspartei SLD ein Problem werden, die ihre Kandidaten und führende Politiker bei der Flugzeugkatastrophe verloren haben.

Ob der Parteivorsitzende und Oppositionsführer, der Zwillingsbruder des verstorbenen Präsidenten, Jarosław Kaczyński, für die PiS als Kandidat antreten wird, ist mehr als ungewiss. Deutlich gezeichnet durch das Unglück wird sehr kurzfristig abzuwägen haben, welche Vor- und Nachteile eine Kandidatur hätte. Die Partei kann ihn nach dem Verlust wichtiger Führungsleute als starken Anführer kaum entbehren. Mit der Fraktionsvorsitzenden Grażyna Gęsicka, dem ehemaligen Vizepremier und stellvertretenden PiS-Vorsitzenden Przemysław Gosiewski, der zuletzt die Arbeit des Schattenkabinetts koordinierte, dem stellvertretenden Sejmmarschall Krzystof Putra oder der Finanzexpertin und stellvertretenden Parteivorsitzenden Aleksandra Natalli-Świat sind Lücken in der Leitung zu schließen. Deshalb wird wahrscheinlich ein anderer Kandidat gesucht werden. Dafür käme etwa der noch junge frühere Justizminister und heutige Europaabgeordnete Zbigniew Ziobro, 39, oder die frühere stellvertretende PO-Vorsitzende und ehemalige Finanz- und Vizepremierministerin der PiS-Regierung, Prof. Zyta Gilowska, in Frage. Die noch junge Partei, 2001 von den Brüdern Kaczyński gegründet, hat jedoch mit ihren 155 Sejmabgeordneten und 15 Europaabgeordneten genügend Potential, um den Verlust auszugleichen. Auch bei den Linken ist offen, wer und ob überhaupt jemand als Kandidat antreten wird, da der angesehene frühere Außenminister Włodzimierz Cimoszewicz offenbar nicht kandidieren will. So gilt Parlamentspräsident Komorowski als hoher Favorit bei den Präsidentenwahlen, wobei der Wahlkampf sich angesichts der Umstände eher piano, denn forte abspielen wird.

Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung hat viele gute Partner, mit denen sie in näherem Kontakt stand, verloren. Präsident Lech Kaczyński, war 2005 Gast im politischen Salon der Stiftung und hielt 2007 den Eröffnungsvortrag der alljährlich im September stattfindenden Europa-Kirchen-Konferenz in Krakau.

Grzegorz Dolniak, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PO, der gerade erst seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, den Schalk im Nacken sitzen hatte und 2009 bei den Europawahlen erfolgreich als Wahlkampfchef fungierte, nahm 2008 am Informationsprogramm der Stiftung für die PO-Fraktionsführung in Berlin teil.

Arkadiusz Rybicki, 57, in den 1980er Jahren ein enger Mitarbeiter Lech Wałęsas und Kulturstaatssekretär in der Regierung von Jerzy Busek 1999-2001, Buchautor, Abgeordneter der PO und deren Vorsitzender in Danzig, war mehrmals Referent bei Veranstaltungen der Stiftung.

Dies gilt auch für Kulturstaatssekretär und Landesdenkmalpfleger Dr. Tomasz Merta, 44, der die geschichtspolitischen Debatten fachkundig begleitete.

Verteidigungsstaatssekretär Dr. Stanisław Komorowski, 56, ehemals Botschafter in Den Haag und London, war zuletzt im November Teilnehmer des deutsch-polnischen Parlamentarierdialoges der Stiftung in Cadenabbia.

Außenamtsstaatssekretär Dr. Andrzej Kremer, 48, nahm noch Mitte März Gesprächspartner beim politischen Diskussionsring im Haus der Stiftung teil.

Mit dem Bürgerbeauftragten der Regierung Dr. Janusz Kochanowski, 69, und dem Präsidenten des Instituts für Nationales Gedenken Prof. Janusz Kurtyka, 49, verband die Stiftung eine langjährige Zusammenarbeit.

Nationalbankpräsident Sławomir Skrzypek, 46, sprach kurz vor Weihnachten noch auf der internationalen Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Instituts für Marktforschung über die Vertrauenskrise auf dem europäischen Finanzmarkt. 2008 veranstalte er gemeinsam mit der Stiftung eine Expertenkonferenz zur Einführung des Euro in Polen.

Mit dem Rektor der Stefan-Kardinal-Wyszyński-Universität Warschau, Pfarrer Prof. Ryszard Rumianek, 62, war die Adenauer-Stiftung über ihre alte Partnerschaft mit dem Institut für Politologie der Universität verbunden.

In tiefer Trauer mit den Familien und Angehörigen der Opfer und dem gesamten polnischen Volk nimmt die Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen Anteil an dem furchtbaren Flugzeugunglück in Smolensk. Sie wird den Toten ein ehrendes Gedenken bewahren.

Gott, unser gemeinsamer Vater, gebe ihnen und allen Opfern die ewige Ruhe! Das ewige Licht leuchte ihnen!

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