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Rentenreform in Deutschland und Polen

Entwicklungen, Schwierigkeiten, Strukturfehler

Bericht zu einem deutsch-polnischen Fachgespräch zur Rentenreform.

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Angesichts steigender Lebenserwartung, anhaltend niedriger Geburtenraten und andauernder offener oder verdeckter Arbeitslosigkeit, bei einer gleichzeitig hohen Anspruchshaltung gegenüber dem System sozialer Sicherung stehen die Rentenversicherungen in Deutschland wie in Polen vor einer Zerreißprobe.

Gemeinsam mit dem Institut für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP) in Warschau führt die Konrad-Adenauer-Stiftung deshalb ein Projekt über das politische Schlüsselproblem der Rentenreform durch. In einem ersten Schritt ging es bei einem Fachgespräch in den Räumen der Adenauer-Stiftung am 1. Dezember um die demographischen Bedingungen und den Stand der Rentenreform in Deutschland und Polen. In einem zweiten Schritt wird von Experten ein Arbeitspapier erstellt mit Daten, Perspektiven und Vorschlägen zur Rentenreform, das dann in einem dritten Schritt mit Politikern und Öffentlichkeit diskutiert werden soll.

In dem Fachgespräch stellte Prof. Irena Kotowska von der Handelshochschule Warschau die seit langem bekannte demographische Entwicklung in Europa dar. Die Alterspyramide wird sich europaweit und in besonderem Maße in Deutschland und Polen nach oben zu den älteren Jahrgängen verschieben. Die „Alterung“ der Gesellschaft bei gleichzeitiger starker Abnahme der berufstätigen Altersgruppe, die etwa in Polen um ca. 30 % schrumpfen wird, gleichwohl aber eine größere Zahl von Altersrenten finanzieren soll, macht Reformen unumgänglich.

Für diese Reformen gibt es verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die von den EU-Staaten mit unterschiedlicher Priorität wahrgenommen werden:

•die Erhöhung der Rentenbeiträge,

•die Senkung des Rentenniveaus,

•die Erhöhung des Renteneintrittalters, verbunden mit Fragen der Gesundheitsvorsorge und altersgerechter Arbeitsverhältnisse,

•die stärkere Berücksichtigung der Kindererziehung bei der Rente als konstitutivem Faktor der Generationenumlage,

•die Erhöhung der Beschäftigungsrate, verbunden mit entsprechenden bildungs-, arbeitsmarkt- und familienpolitischen Maßnahmen,

•eine grundsätzliche Systemreform etwa nach dem Schweitzer Drei-Säulen-Modell: 1. beitragspflichtige Grundsicherung, 2. kapitalgedeckte betriebliche Vorsorge, 3. staatliche geförderte Eigenvorsorge.

Prof. Hans-Joachim Reinhard vom Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Sozialrecht in München ging anschließend auf das deutsche Rentensystem und den Stand der Rentenreform ein: gesetzliche Rente, Betriebsrenten, Riesterrente, Vorruhestandregelungen, Verringerung der Rentenansprüche, Erhöhung des Renteneintrittalters auf 67 Jahre waren hier die Stichworte.

Das polnische Rentensystem basiert auf drei Säulen:

1. Pflichtbeiträge, die an die Staatliche Sozialversicherungsanstalt (ZUS) gezahlt werden nach dem Prinzip der Generationenumlage in Höhe von 12,22 %;

2. Pflichtbeiträge in Höhe von 7,3 %, die die ZUS an offene Rentenfonds zahlt, denen jeder nach 1969 geborene Versicherungspflichtige bei eigener Wahl des Fonds beitreten muss;

3. freiwillige zusätzliche Rentenversicherung, die in Form von privaten Versicherungen oder eines Rentenprogramms für Arbeitnehmer abgeschlossen werden kann.

Der Beitragssatz liegt zusammen bei 19,52% für die Altersrente (1. und 2. Säule). Männer können offiziell ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Lebensjahr Rente beanspruchen. Die Auszahlungen bestehen aus einer Grundrente und einem einkommensabhängigen Betrag.

Auch in Polen setzen die Veränderungen der Altersstruktur der Gesellschaft die Finanzierung des ohnehin schon unterfinanzierten Rentensystems unter Druck, das vom Staat mit Milliardenbeträgen gestützt werden muss. Deshalb schlägt die Regierung jetzt eine Reform der zweiten Säule vor: Sie soll auf 5 % reduziert werden, die zudem in Anleihen des polnischen Staates investiert werden sollen. Dadurch erhielte die Rentenkasse wie auch der Staat mehr Geld. Zuvor hatte Sozialministerin Jolanta Fedak von der Polnischen Volkspartei sogar die vollständige Eingliederung der kapitalgestützten zweiten Säule in die Umlageversicherung gefordert.

In der Diskussion kamen auch die politischen Faktoren zur Sprache, die für die Durchführung von Rentenreformen förderlich oder hinderlich sind: einerseits ein langfristig orientiertes Verantwortungsbewusstsein und eine große Mehrheit wie sie die Große Koalition in Deutschland mit sich brachte, anderseits die kurzfristige Orientierung an Wählergruppen mit Blick auf die nächsten Wahlen und die damit verbundene Scheu vor Einschnitten und Zumutungen im Zusammenhang mit Reformen.

Ebenso wurde auf den prinzipiellen Konstruktionsfehler der auf der Basis einer Generationenumlage finanzierten Altersrente hingewiesen. Als Bundeskanzler Konrad Adenauer 1957 die Finanzierung der Rentenversicherung auf eine Generationenumlage umstellen ließ, soll er sich über Warnungen seines Wirtschaftsministers Ludwig Ehrhard mit dem Hinweis hinweg gesetzt haben: „Kinder kriegen die Leute immer“. Dies war – wie sich später angesichts stark reduzierter Geburtenraten zeigen sollte – eine überzogene Erwartung, die allerdings einen ordnungs- und verteilungspolitischen Konstruktionsfehler in der Rentenversicherung nach sich zog: denn Erziehungsleistungen als konstitutiver Beitrag in einem Rentensystem, das auf der Umlagefinanzierung durch nachfolgende Generationen basiert, schlagen sich im Rentenanspruch nicht oder nicht angemessen nieder.

Dies wirkt sich vor allem in Deutschland negativ aus. Hier werden bei Geburten ab dem 1.1.1992 nur die ersten drei Lebensjahre, bei früheren Geburten sogar nur das erste Lebensjahr eines Kindes als Erziehungszeit auf der Grundlage eines Durchschnittsverdienstes bei der Rente anerkannt. In Polen werden Erziehungszeiten von zuvor berufstätigen Müttern dagegen seit 1999 unbegrenzt auf der Basis des Mindestlohnes und ab 2012 auf der Grundlage von 65 % eines Durchschnittslohnes anerkannt.

Solange eine Gesellschaft eine hinreichend hohe Geburtenrate aufweist, fällt dieser Konstruktionsfehler nicht so sehr ins Gewicht, auch wenn er unabhängig von der Höhe der durchschnittlichen Geburtenrate immer eine im Grunde verteilungspolitisch nicht zu rechtfertigende Umverteilung von den Familien zu den Kinderlosen darstellt. Besonders problematisch wird dieses Missverhältnis aber bei niedrigen Geburtenraten und einer hohen Zahl von Kinderlosen, die dann die Rentenlast für die nachfolgenden Generationen steigen lassen. Das grundlegende Funktionsdefizit bleibt im einen wie im anderen Fall das gleiche: Eine unzureichende Berücksichtigung der Erziehungs- und Bildungsleistungen durch die Rentenversicherung, die dazu führt, dass Kinderlose unverhältnismäßig profitieren und Eltern benachteiligt werden, die neben den oft familienbedingt geringeren monetären Beiträgen und damit geringeren Rentenansprüchen auch für den für das Umlagesystem notwendigen generativen Beitrag sorgen. Diesen Konstruktionsfehler zu beseitigen ist die wohl größte Herausforderung für die staatliche Sozialpolitik. Allein die Handlungslogik der Politik und die verbreitete Unkenntnis der Zusammenhänge bieten kaum Aussicht, dass diese Herausforderung angenommen wird.

Der Druck auf das Rentensystem wird jedoch so oder so demographiebedingt weiter steigen. Am Ende wird wohl kein Weg an einer absehbaren Reduzierung der Rentenansprüche, einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit und einem Mehr an Eigenverantwortung, aber auch Solidarität vorbeiführen.

Vgl. weiterführend:

Jörg Althammer, André Habisch, Lothar Roos: Grundwahrheiten des Schreiber-Plans. Bedingungen für eine ehrliche Sozialpolitik (Diskussionsbeiträge 30, hrsg. vom Bund katholischer Unternehmer), Köln 2004.

http://www.bku.de/html/img/pool/disk30Grundwahr.pdf

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