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Ausgehend von Gerhard Richters Gemälde „Tante Marianne“ führt das Bildungsforum Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Gedenkstätte Großschweidnitz ein Projekt durch, in dem sich Jugendliche mit der Tante des Künstlers, Marianne Schönfelder, und anderen vergessenen NS-„Euthanasie“-Opfern beschäftigen. Die Schüler sollen Biographien erarbeiten und sich künstlerisch mit diesen Lebensläufen auseinandersetzen. Die Grundlage dafür bilden die historischen Patientenakten der Opfer.
Am Morgen des 12. September 2017 versammelte sich eine Schulklasse des Gymnasiums Dresden-Bühlau vor den Toren der Gedenkstätte Großschweidnitz. Dieser Ort erinnert heute an die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen in der kleinen sächsischen Gemeinde. Zu Beginn erhielten die Schüler eine Führung von den Historikern Christoph Hanzig und Dr. Maria Fiebrandt. Dabei erfuhren sie, dass zwischen 1939 und 1945 in der Landesanstalt Großschweidnitz über 5700 Menschen verstarben. Sie sind Opfer der sogenannten Medikamenten-„Euthanasie“ geworden. Seit 1940 und systematisch ab 1943 töteten Ärzte und Pflegekräfte Patienten mit erhöhten Medikamentendosen und durch Nahrungsmittelentzug. Zudem war Großschweidnitz eine Durchgangsstation für die T4-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Patienten, die arbeitsfähig waren, hatten eine Chance zu überleben. Arbeitsunfähige Patienten selektierten die NS-Ärzte aber aus, um sie in Pirna-Sonnenstein zu vergasen oder in Großschweidnitz zu töten.
Mit diesem Hintergrundwissen schauten sich die Schüler das Friedhofsgelände an, auf dem die rund 5000 Opfer vermutlich immer noch begraben liegen. Bestandteil des Geländes ist zudem ein Gedenk-Ensemble mit einer großen Fichte und Plastik von Detlef Hermann (1944-2013). In der Führung wurden ebenfalls die Trauerhalle und die ehemalige Pathologie besichtigt.
Nach der Mittagspause setzten sich die Jugendlichen anhand von Quellen- und Bildmaterialen mit der juristischen Aufarbeitung der „Euthanasie“-Verbrechen am Beispiel des Dresdner Ärzteprozess 1947 auseinander. Am Ende fand eine kleine Auswertungsrunde statt, in der die Schüler ihre Ergebnisse präsentierten und offene Fragen noch beantwortet wurden.
Am darauffolgenden Tag, den 13. September traf sich die Gruppe früh im Albertinum wieder. Das Gebäude beherbergt unter anderem das Gerhard Richter Archiv und die Galerie Neue Meister. Die Mitarbeiterinnen des Archivs, Kerstin Küster und Janice Bretz, gaben den Schülern einen Einblick in das Werk Gerhard Richters und die Arbeit des Archivs.
Der Künstler hat sich auf vielfältige Weise mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Ein Druck seiner Bilder „Birkenau“ ist in der Galerie Neue Meister ausgestellt. Besonderes Interesse zeigten die Schüler an dem Abstraktionsgrad der Gemälde. Zu Entstehungsbeginn waren es noch handgemalte Kopien erhaltener Fotos aus dem Vernichtungslager. Einige Zeit später sahen die Werke anders aus. Im Gespräch mit Frau Küster äußerten die Schüler die Vermutung, dass der Holocaust zu furchtbar für eine realitätsgetreue Abbildung gewesen sei. Dieser Erläuterung stimmte Frau Küster zu. Die Verfremdung der Fotomotive habe Richter vorgenommen, weil der Holocaust mit seinen Verbrechen undarstellbar sei. Darüber hinaus erfuhren die Schüler, dass Gerhard Richters Schwiegervater Heinrich Eufinger ein NS-Arzt gewesen war und sich bis 1945 an Zwangssterilisationen beteiligte. Frau Küster konstatierte, dass das vor dem Hintergrund von Marianne Schönfelders Schicksal ein tragischer biographischer Zusammenhang sei. Die Rolle Eufingers wurde Richter erst sehr viel später bekannt. Nach der Restaurierung der Gedenkstätte Großschweidnitz und der Eröffnung der Dauerausstellung wird der Maler eine Kopie seines Bildes „Tante Marianne“ der Gedenkstätte überlassen.
Im letzten Teil des Projekttages gab der Historiker Christoph Hanzig den Schülern eine Einführung in die Arbeit mit historischen Patientenakten der ehemaligen Landesanstalt Großschweidnitz. Er erklärte, dass Gewichtsverlust, Medikamente wie Luminal und bestimmte Stationen wie A 30 auf einen gezielt herbeigeführten Tod deuten könnten. Auch die Daten des Aktendeckels, Meldebögen und so genannte Trostbriefe des Anstaltspfarrers seien hilfreiche Quellen für die Erstellung einer Opferbiographie.
Nach den Exkursionstagen wird das Projekt „Tante Marianne“ in den Schulen fortgeführt. Die Klasse erhielt sechs Patientenakten, um unter Anleitung der Lehrerin in Kleingruppenarbeit Biographien zu erstellen und sich mit diesen anschließend künstlerisch auseinanderzusetzen.
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