Fest steht, dass andere Themen derzeit schlicht mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dass wir aus vielen Daten eine allgemeine Politikmüdigkeit herauslesen können als Folge von Krisen und Konflikten, die die Menschen als einen Dauerzustand erleben. Und dann ist da auch noch ein Stück weit eine emotionale Distanz gegenüber der EU und ihren Institutionen.
Grund genug für ein demoskopisches EU-Lagebild. Hier sind fünf demoskopische Einordnungen zur europapolitischen Stimmung vor der Wahl.
Die EU steht für Frieden und Freiheit
Auch mehr als 70 Jahre nach der Gründung der “Montanunion” wird die EU noch immer als Friedensprojekt wahrgenommen. Mehr als 40 Prozent der Deutschen bringen den Begriff “Frieden” mit der EU in Verbindung; auf Platz zwei der Assoziationen folgt der Begriff “Freiheit” mit rund 35 Prozent und schließlich “Sicherheit”, “Wohlstand” und “Stabilität” mit jeweils rund 30 Prozent. Doch die Umfrage zeigt auch: Mehr als jeder Dritte bringt keinen der zur Verfügung stehenden positiven Begriffe mit der EU in Verbindung. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar mehr als 40 Prozent.
Jeder Zweite sieht die EU positiv.
Knapp jeder Zweite in Deutschland steht der Europäischen Union grundsätzlich positiv gegenüber. Jeder Fünfte ist unentschieden und jeder Dritte blickt negativ auf die EU. Fragt man die Menschen noch etwas konkreter, ob sie der Meinung sind, persönlich von Deutschlands Mitgliedschaft zu profitieren, fällt das Meinungsbild ähnlich aus: Ungefähr 50 Prozent meinen, sie profitieren persönlich. Es sind vor allem Anhänger von Grünen und SPD, die in sehr großer Mehrheit diese Meinung vertreten. Unter den AfD-Anhängern glaubt nur eine Minderheit von weniger als zehn Prozent, persönliche Vorteile zu haben.
Wenig Vertrauen und keine Transparenz.
Das abnehmende Vertrauen in Institutionen geht auch an der EU nicht vorbei. Weniger als jeder Dritte gibt an, sehr großes oder eher großes Vertrauen in die Europäische Union zu haben. Im Osten Deutschlands ist es jeder Vierte, im Westen jeder Dritte. Deutlich negativer fällt das Urteil über die Transparenz von EU-Entscheidungen aus. Nur gut jeder Zehnte hält diese für offen nachvollziehbar. Dieser Wert wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass Transparenz in Umfragen regelmäßig von politischen Akteuren eingefordert wird.
Mehr Entscheidungen auf Bundesebene
Vor fünf Jahren, zum Zeitpunkt der letzten EU-Wahl, sprachen sich rund 40 Prozent der Menschen dafür aus, wichtige Entscheidungen eher auf europäischer Ebene zu treffen. Heute sagen das nur noch rund 25 Prozent. Dementsprechend spielt die aktuelle Bundespolitik auch für eine Mehrheit der Bevölkerung bei dieser Europawahl eine große Rolle. Europawahlen bleiben damit auf absehbare Zeit in den Augen der Menschen sogenannte “second-order elections”. Mit den bekannten Folgen: Die Wahlbeteiligung fällt geringer aus und die Bereitschaft, einen “Denkzettel” zu vergeben, ist vergleichsweise hoch.
Klassische Lagerbildung bei den wahlentscheidenden Themen
Fragt man die Bürgerinnen und Bürger nach den politischen Aufgaben, die den größten Einfluss auf ihre Wahlentscheidung im Juni haben werden, so steht die Bekämpfung der irregulären Migration ganz oben auf der Liste. Dahinter folgen die “Stärkung der Verteidigungsfähigkeit” und der “Erhalt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit”. Dabei hängt die Priorisierung der Themen stark von der aktuellen Parteipräferenz ab.
Was bleibt unter dem Strich? Von EU-Euphorie kann derzeit nicht die Rede sein. Angesichts der russischen Bedrohung blüht das europäische Friedens- und Wohlstandsprojekt nicht etwa auf, sondern es gibt sowohl Befürworter als auch Skeptiker bzw. Gegner.
Wenn sie die Menschen nachhaltig für sich gewinnen will, muss die Europäische Union deutlich machen, dass sie einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung ihrer drängendsten Probleme leistet. Die Aufgaben geben die Bürgerinnen und Bürger vor: Migration. Verteidigung. Wirtschaft. Erhalt der Demokratie. Sie erfordern koordinierte Anstrengungen aller Mitgliedstaaten.
Zudem muss es der EU und ihren Repräsentanten gelingen, das Vertrauen vieler Menschen zurückzugewinnen. Ohne einen sichtbaren Nachweis von Bürgernähe und Transparenz wird das nicht gelingen. Dieser Wahlkampf schafft die nötige europäische Öffentlichkeit, um beiden Aspekten Rechnung zu tragen.
Und schließlich: Die Tatsache, dass zahlreiche Staaten darauf hoffen, der EU beitreten zu dürfen, zeigt, dass der Staatenverbund nach außen nicht an Strahlkraft verloren hat. Damit diese Strahlkraft auch nach innen wirkt, braucht es eine klare Vision, wofür die Europäische Union künftig stehen möchte.
Die verwendeten Umfragen lesen Sie hier.
Über den Autor:
Dr. Florens Mayer ist Meinungsforscher und berät Parteien und Kandidierende bei Planung und Durchführung datengestützter Kampagnen. Seit 2022 leitet er die Politikforschung beim Berliner Meinungsforschungsunternehmen Civey. Während der Bundestagswahl 2021 war er für die CDU Deutschlands als Koordinator für datengestützte Kampagnen und Demoskopie tätig. Von 2012 bis 2020 arbeitete er für das Markt- und Politikforschungsinstitut dimap, zuletzt als Prokurist und Leiter des Berliner Büros.
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