Im politischen Kontext lassen sich zwei Arten von Umfragen identifizieren. Zum einen sind das repräsentative Bevölkerungsbefragungen. Hier sind Demoskopen am Werk. Mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden messen, analysieren und interpretieren sie Meinungen und Einstellungen der Bevölkerung oder von bestimmten Bevölkerungsgruppen.
Zum anderen gibt es “Do It Yourself” (DIY) Umfragen. Mit Hilfe moderner Softwarelösungen können Parteien und politisch Engagierte Online-Fragebögen eigenhändig kreieren, verbreiten und die Ergebnisse auswerten.
DIY-Umfragen sind nicht repräsentativ! Warum sind sie dennoch sinnvoll?
Die Handhabung von DIY-Umfragen ist einfach. Es gibt zahlreiche Tools, die eine intuitive Anwendung ermöglichen. Der Kostenaufwand ist meistens gering. Wer sich etwas einschränkt, kann sogar auf kostenlose Tools zurückgreifen. Um an dieser Stelle Missverständnissen vorzubeugen: DIY-Umfragen liefern keine repräsentativen Ergebnisse. Dennoch haben sie einen Platz in jedem Kampagnen-Baukasten verdient.
Hier sind 5 Anwendungsbeispiele für DIY-Umfragen, die jeder politischen Kampagne neuen Schwung und innovative Impulse verleihen.
#1 Mitgliederbefragung – Insights und Engagement.
Parteien leben von einer aktiven Mitgliederbasis. Ohne ihren ehrenamtlichen Einsatz wäre keine Kampagne operativ umsetzbar. Doch das Potenzial der Mitglieder ist mit dem Aufhängen von Plakaten, dem Verteilen von Flyern und den Gesprächen an Haustüren bei Weitem nicht ausgeschöpft. Durch DIY-Umfragen können Parteimitglieder direkt in die Planung der Kampagne einbezogen werden. Etwa wenn es darum geht, das Wahlprogramm zu schreiben. Durch eine Online-Befragung können Wünsche, Meinungen und Erwartungen eingesammelt werden. Die Partei profitiert im besten Fall gleich doppelt: Zum einen kann sie auf die Ideenvielfalt ihrer Mitgliedschaft zurückgreifen. Zum anderen steigert die Möglichkeit, sich aktiv an der Gestaltung des Programms zu beteiligen und direkt Einfluss zu nehmen, das Engagement der Parteimitglieder. Nach der Wahl kann das Feedback der Parteimitglieder dabei helfen, die Kampagne zu evaluieren. Immerhin haben sie in der Regel durch zahlreiche Gespräche mit Wählerinnen und Wählern an Infoständen, Haustüren und im persönlichen Umfeld wertvolle Einblicke und Reaktionen erhalten.
“Das Potenzial der Mitglieder ist mit dem Aufhängen von Plakaten, dem Verteilen von Flyern und den Gesprächen an den Haustüren bei Weitem nicht ausgeschöpft.”
#2 Bürgerbefragung – Kummerkasten und Punchingball.
DIY-Umfragen können auch als eine Art „Kummerkasten“ für die Bürgerinnen und Bürger fungieren. An Infoständen können Online-Fragebögen über einen QR-Code zugänglich gemacht werden. Oder sie werden auf der Internetseite der Partei oder eines Kandidierenden eingebunden. Parteien und Kandidierende zeigen so, dass sie bereit sind, zuzuhören und ihnen die Meinungen der Menschen ihres Wahlkreises wichtig sind. Auf diese Weise können diese nicht nur Anliegen und Vorschläge äußern, sondern das Angebot auch als „Punching Ball“ nutzen, um Frustrationen und Kritik auszudrücken. Wichtige Voraussetzung: Die Fragen sollten kurz und knapp formuliert sein und der Fragebogen unbedingt auch “offene Fragen”, also Fragen ohne vorgegebene Antwortoptionen, enthalten.
#3 Lead Maschine – Lust auf ein Quiz?
Eine zentrale Herausforderung von Parteien und Kandidierenden ist es, im Wahlkampf möglichst viele Menschen direkt ansprechen zu können, um sie zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Der Aufbau und die Pflege einer datenschutzkonformen Datenbank mit Kontaktinformationen ist unerlässlich. Auch hierbei können DIY-Umfragen helfen. So sollte die letzte Seite einer Bürgerbefragung stets für eine Handlungsaufforderung, einen “Call to Action”, genutzt werden. Das kann zum Beispiel die Registrierung für einen Newsletter sein.
Durch die Gestaltung von Umfragen als Wissens-Quiz schaffen Parteien eine unterhaltsame Art der Interaktion. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Kontaktdaten hinterlassen. Vielleicht auch mit dem Hinweis, dass sie künftig häufiger zu Umfragen und Quizzes eingeladen werden. Um hierbei besonders erfolgreich zu sein, also möglichst viele verwertbare Kontaktdaten zu sammeln, sollten diese Art der DIY-Umfragen nicht erst im Wahlkampf, sondern schon Jahre vorher und bestenfalls fortlaufend durchgeführt werden.
“Die Einbindung des “Inner Circles” in den Meinungsbildungsprozess demonstriert Transparenz und Offenheit seitens der Kandidierenden.”
#4 Unterstützer-Panel – Frage deinen “Inner Circle”.
Politikerinnen und Politiker scharen gerne einen Kreis von Vertrauten um sich. Menschen aus ihrem Umfeld, deren Meinung sie schätzen, die ihnen mit Rat zur Seite stehen und auch ehrliches Feedback geben, wenn ein Interview oder eine Rede kein Erfolg war. In vertraulichen Telefonaten werden Botschaften besprochen und Formulierungen abgestimmt. Mit Hilfe von DIY-Umfragen können Kandidierende ihren “Inner Circle” zu einem “Unterstützer-Panel” einladen und regelmäßig befragen. Bevor sie wichtige Reden halten, ein Interview geben oder wenn es darum geht, welchen Claim man auf ein Wahlplakat druckt, kann ohne großen Aufwand die Meinung des “Unterstützer-Panels” eingeholt werden. Genauso können Auftritte und Entscheidungen im Nachgang gemeinsam ohne Zeitverlust evaluiert werden. Die Einbindung des “Inner Circles” in den Meinungsbildungsprozess demonstriert Transparenz und Offenheit seitens der Kandidierenden. Sie stärkt das Vertrauen der Unterstützer und fördert langfristige Beziehungen, die über den Wahlkampf hinausgehen.
#5 Funktionärs- oder Kandidierenden-Befragung – Stimmungsbarometer im Wahlkampf.
Der Erfolg großer landes- oder bundesweiter Wahlkämpfe steht und fällt und mit dem Engagement der Mitglieder vor Ort. Die Kandidierenden, aber auch die Parteifunktionäre verfügen in der Regel über jahrelange Erfahrung. Mit Hilfe von DIY-Umfragen gelingt es, den Puls der eigenen Organisation während der Kampagne zu messen. Sie bieten Einblick in das Meinungsbild der Führungsriege und ermöglichen eine zielgerichtete Weiterentwicklung der Kampagnenstrategie. Wie reagieren die Menschen an den Infoständen auf das Wahlkampfmaterial? Welche Flyer und welche Plakate kommen vor Ort besonders gut an? Welchen Service sollte der Bundes- oder Landesverband anbieten? Welche Services sind bekannt und wie intensiv werden sie genutzt? Was brauchen die Wahlkämpfer vor Ort, um erfolgreich zu mobilisieren und zu überzeugen? Das sind Fragen, die man nicht zufällig, sporadisch oder nebenbei stellen sollte. Sie müssen frühzeitig, regelmäßig und quantifizierbar erhoben werden. Dann liefern sie einen echten Mehrwert für eine effektive und ressourceneffiziente Kampagnenplanung.
Die Liste der Anwendungsmöglichkeiten ließe sich fortsetzen. Klar ist: DIY-Umfragen können repräsentative Bevölkerungsbefragungen nicht ersetzen. Jede Kampagne sollte auf einer Grundlagenstudie aufbauen, bei der die Meinungen und Einstellungen der wahlberechtigten Bevölkerung repräsentativ erfasst werden. DIY-Umfragen haben einen anderen Zweck. Sie vereinfachen die Kommunikation mit Stakeholdern, ermöglichen eine effiziente Generierung von Feedback und Daten und integrieren Menschen niedrigschwellig in die Kampagnenplanung. DIY-Umfragen sind daher ein wertvolles Werkzeug für jede erfolgreiche Kampagne.
Zum Autor:
Dr. Florens Mayer ist Meinungsforscher und berät Parteien und Kandidierende bei Planung und Durchführung datengestützter Kampagnen. Seit 2022 leitet er die Politikforschung beim Berliner Meinungsforschungsunternehmen Civey. Während der Bundestagswahl 2021 war er für die CDU Deutschlands als Koordinator für datengestützte Kampagnen und Demoskopie tätig. Von 2012 bis 2020 arbeitete er für das Markt- und Politikforschungsinstitut dimap, zuletzt als Prokurist und Leiter des Berliner Büros.
About this series
Rund um die Themen Kommunikation, Kampagnenmanagement und Digitale Strategie gibt der Blog Einblicke in aktuelle Trends der Politischen Kommunikation. Kommunikationsexpertinnen und -experten geben innovative, praktische Tipps für die politische Kampagne und für die Umsetzung.