Nationaler Emissionshandel
Im vergangenen Jahr überraschte China die Weltgemeinschaft als es mitten in der globalen Pandemiekrise neue und äußerst ambitionierte Klimaziele verkündete. Demnach will China noch vor 2030 den Ausstoß seiner CO2-Emissionen verringern und bis 2060 sogar CO2 neutral sein. China ist gegenwärtig der größte CO2-Emittent weltweit, sodass die Verschärfung seiner Klimaschutzziele einen signifikanten Einfluss auf die weitere Entwicklung des weltweiten Klimawandels nehmen dürfte. Entsprechend positiv fielen die internationalen Reaktionen aus.
Um diesen Ankündigungen konkrete Taten folgen zu lassen, wurde der Start des schon länger geplanten nationalen Emissionshandelssystems in China, für den 1. Februar 2021 bekannt gegeben. Und obwohl dieses zunächst nur die Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken betrifft, umfasst es damit schon mehr CO2-Emissionen als der europäische Emissionshandel aktuell abdeckt. Später dürften weitere Industriezweige z.B. der Stahl- und Chemiesektor dazu kommen. Der chinesische Emissionshandel ist damit der größte weltweit. China greift bei seinem nationalen Emissionshandel auf die Erfahrungen seiner Emissionshandelssysteme in den Städten und Provinzen Beijing, Tianjin, Hubei, Chongqing, Guangdong, Shenzhen, Fujian und Shanghai zurück, die bereits zwischen 2013 und 2016 in Betrieb gingen.
Ein wesentlicher Unterschied des neuen chinesischen Emissionshandels im Vergleich zum EU EHS, der seine CO2-Emissionen absolut begrenzt, ist sein relatives CO2-Intensitätsziel. Diese Art der Zielsetzung entspricht den Klimazielen, die China auch im Rahmen des Pariser Klimaabkommens in Relation zur Entwicklung seines Bruttoinlandsproduktes angegeben hat. Chinesische Kohlekraftwerksbetreiber, die unter das neue chinesische EHS fallen, müssen deshalb erst dann CO2-Zertifikate kaufen, wenn ihr CO2-Ausstoß im Verhältnis zur Bereitstellung von Strom einen gewissen Grenzwert übersteigt. Dadurch wird ein Anreiz für Effizienzsteigerungen in der Energiegewinnung geschaffen.
Die aktuellen Grenzwerte entsprechen dem Durchschnitt vergangener Jahre und werden demnach kurzfristig nicht dazu führen, dass die CO2-Emissionen sinken und Kohlekraftwerke geschlossen werden. Im Gegenteil, neuere, effizientere und bereits geplante Kohlekraftwerke werden noch dazu kommen. Die CO2-Emissionen werden deshalb auch mit dem neuen nationalen EHS in China zunächst weiter steigen. Vor diesem Hintergrund ist gegenwärtig nicht klar, inwieweit dadurch kurzfristig ein Umbau der Energieversorgung hinzu mehr erneuerbaren Energien vorangetrieben werden kann. Der Wettbewerb um effizientere Kohlekraftwerke lässt zudem eher darauf schließen, dass damit ein starker Anreiz für Investitionen in Technologien zur Abtrennung, Speicherung und ggf. industriellen Weiternutzung von CO2-Emission (Carbon capture, utilisation and storage, CCUS) entsteht.
Mit Blick auf die mittel- bis langfristige Herausforderung, die von fossilen Energieträgern dominierte chinesische Energieversorgung innerhalb von 40 Jahren CO2-neutral auszugestalten, könnte die Entwicklung und Nutzung von heimischen CCUS-Technologien allerdings noch eine strategisch gewichtige Rolle einnehmen. China gehört zwar zu den größten Konsumenten und Importeuren von Kohle. Allerdings baut China auch heimische Kohle ab, wodurch sie zur Reduktion der Energieimportabhängigkeit beiträgt und damit unter Energiesicherheitsgesichtspunkten kaum verzichtbar ist.
Dessen ungeachtet, läutet der neue nationale Emissionshandel Chinas eine fundamentale Veränderung in der chinesischen Energieversorgung ein. Für die Politik ist es mit dem nationalen Emissionshandel nun vergleichsweise einfach CO2-Emissionen zu reduzieren, indem er bspw. auf weitere Industriezweige ausgeweitet wird und die Grenzwerte verschärft werden. Die politische Steuerungsfähigkeit des CO2-Ausstoßes nimmt dadurch zu.
Klimaschutz im eigenen Interesse
Die Verschärfung der Klimaziele Chinas kommt nicht überraschend. So nahm der Umweltschutz im 13. Fünfjahresplan (2016-2020) bereits eine wichtige Rolle ein. Für China gibt es nämlich zahlreiche Gründe eine aktive Klimaschutzpolitik nach Innen wie auch Außen zu betreiben, wobei dem Emissionshandel eine besondere instrumentelle Rolle zukommt. So ist China zunächst selbst unmittelbar vom Klimawandel bedroht. Der steigende Meeresspiegel verursacht hohe Kosten in den küstennahen Gebieten, die teils sehr dicht besiedelt sind. Innerhalb Chinas sind Fluten zu einem wiederkehrenden Problem geworden. Und Wasserknappheit führt auch in der Landwirtschaft zu neuen Herausforderungen.
Zudem passen die verschärften Klimaschutzziele auch in eine wirtschaftliche Gesamtentwicklung, die China schon länger vorantreibt. Chinesische Unternehmen sind in den vergangenen Jahren in die Riege der größten Anbieter weltweit für erneuerbare Energien-Anlagen, z.B. in der Windkraft, vorgedrungen. Hier schließt sich die steigende Produktion eigener Elektroautos und die Einführung entsprechender Quoten für die Elektromobilität bei der Neuwagenproduktion an. Im globalen Vergleich investiert China zudem am meisten in den Ausbau der heimischen erneuerbaren Energien. Im regionalen Vergleich war China zudem nahezu das einzige Land, das einen signifikanten Anteil seiner Corona-Konjunktur-Hilfspakete tatsächlich zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und entsprechenden Infrastrukturen einsetzt.
China ist damit bereits heute ein bedeutender globaler Akteur in der Nachhaltigkeitswirtschaft, von der zahlreiche Länder in Asien profitieren und abhängig sind. Eine Verschärfung der eigenen Klimaziele kann der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas deshalb zuträglich sein. Dieser Ansatz entspricht zudem der Strategie der „doppelten Kreislaufwirtschaft“, die im Entwurf des 14. Fünfjahresplans (2021-2025) Chinas auftaucht und auf eine Stärkung des Binnenmarktes abzielt.
Regionale und internationale Einordnung
In der Region wird diese Entwicklung genau beobachtet und antizipiert. Vergleichsweise schnell zogen Japan und Südkorea, die wirtschaftlich eng mit China verflochten sind mit eigenen CO2-Neutralitätszielen nach. Es scheint, dass der Klimaschutz als wirtschaftspolitischer Wettbewerbsfaktor in Ostasien angekommen ist. Insbesondere die Rolle der CO2-Bepreisung wird dabei immer bestimmender. Südkorea will sich dabei als Vorreiter profilieren und kann auf viel Erfahrung in der CO2-Bepreisung verweisen. Sein Emissionshandel geht bereits in die dritte Handelsphase. In zahlreichen südostasiatischen Staaten Vietnam, Thailand, Indonesien und den Philippinen gibt es zudem Pläne und Ansätze zur Einführung von Emissionshandelssystemen. Für China ergibt sich damit ein aus Klimagesichtspunkten heraus betrachtet anschlussfähiges wirtschaftspolitisches Umfeld in der Region, das mittelfristig ebenfalls CO2 bepreist.
Auch international wird die CO2-Bepreisung zu einer immer wichtigeren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingung. Noch bevor China seine neuen Klimaziele verkündete, war es die Europäische Union (EU), die ihren Green Deal trotz der Pandemie fortführte und sogar noch ein Green Recovery-Programm draufsetzte und damit die Klimapolitik zu einer alle Politikbereiche umfassenden Priorität erhob. In der Außenpolitik soll das u.a. in Form eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism) geschehen. Ziel ist es, zu verhindern, dass Unternehmen aufgrund der europäischen CO2-Bepreisung, in andere Länder mit geringeren oder gänzlich ohne CO2-Preise abwandern und damit die europäischen Klimaschutzbemühungen unterlaufen. Der Import von Gütern in die EU, die co2-intensiv außereuropäisch produziert werden, könnte damit im Nachhinein bepreist werden.
Für China, das mit der EU intensive Handelsbeziehungen unterhält, wäre das eine enorme Herausforderung, die Potential für eine handelspolitische Auseinandersetzung hat. Es wird viel davon abhängen, wie der geplante EU-CO2-Grenzausgleich letztlich ausgestaltet wird. Der neue nationale Emissionshandel in China könnte jedoch als Entgegenkommen verstanden werden und letztlich auch zu einer Annäherung der klimapolitischen Rahmenbedingungen zwischen der EU und China führen. Die Höhe der CO2-Preise und die vom Emissionshandel abgedeckten Sektoren würde dabei zu einer wichtigen Verhandlungsgröße werden. Eine gegenseitige Anrechnung der CO2-Emissionen wäre aber davon unabhängig immer noch eine höchst komplexe Angelegenheit, die ggf. auch die Frage nach einer Verbindung beider Emissionshandelssysteme nach sich zöge. Die Herausforderung läge dann vor allem darin, das absolute Klimaziel des europäischen Emissionshandels mit dem relativen CO2-Intensitätsziel des chinesischen EHS zusammenzubringen.
Schluss
Der nationale Emissionshandel wird eine zentrale Rolle bei der Erreichung der neuen Klimaziele Chinas einnehmen. Darüber hinaus wird er den Umbau der chinesischen Energieversorgung politisch steuerbarer machen. In der regionalen und internationalen Betrachtung fügt er sich in die allgemeinen klimapolitischen Rahmenbedingungen, die zunehmend von CO2-Preisen geprägt sind, ein. Mit Blick auf die EU könnte er zudem, dem dort angestrebten CO2-Grenzausgleich politisch entgegenkommen. Die handelspolitischen Rahmenbedingungen zwischen der EU und China, die zuletzt durch die vorläufige Einigung auf ein Investitionsabkommen, das bereits ein vergleichsweise großes Umweltkapitel enthält, könnten damit um eine gemeinsame verbindlichere Klimakomponente erweitert werden. Mit Blick auf den globalen Klimaschutz ist der chinesische Emissionshandel und die klimapolitischen Ziele, die damit erreicht werden sollen, deshalb sinnvoll und begrüßenswert. Für die transatlantischen Beziehungen zwischen der EU und den USA, die unter der neuen US-Regierung auch einen starken klimapolitischen Fokus erwarten lassen, könnte die engeren klimapolitischen Beziehungen zwischen der EU und China jedoch eine strategische Herausforderung bedeuten.
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