Konrad-Adenauer-Stiftung:
Frau Amelsberg, die Coronavirus-Pandemie hat das Leben vieler Menschen „heruntergefahren“ und es finden weniger Reisen, geschäftlich oder privat, statt. Kann man auch in der Natur beobachten, dass es hier Veränderungen seit Beginn der Krise gibt?
Christina Amelsberg:
Veränderungen gibt es definitiv. Es muss aber deutlich sein, dass dies sowohl gute als auch schlechte Veränderungen sind. Wir erinnern uns an kristallblaue Kanäle in Venedig, die Berichte aus Nordindien, wo man das Himalaja-Gebirge erstmals seit Jahrzehnten sehen konnte oder die sich erholenden Massentourismus-Gebiete. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass der Online-Warenversand und das Anbieten von „to-go“-Gerichten zugenommen hat, was schlussendlich zu deutlich mehr Verpackungsmüll geführt hat. Fakt ist weiterhin: Corona war und ist nicht die vielzitierte „Atempause fürs Klima“. Ja, Deutschland hat seine Klimaziele für 2020 eingehalten und ja, Corona hatte Anteil daran. Aber erstens liegen diese selbstgesteckten Ziele deutlich unter den Vorgaben, die das Pariser Klimaabkommen macht, und zweitens sollte es uns erschrecken, dass wir sie nur dank einer Pandemie einhalten konnten und nicht aufgrund ambitionierter, zukunftsmutiger Klimapolitik. Als Resultat dieser Versäumnisse liegen die aktuellen Emissionen für Deutschland bereits wieder über dem Niveau „vor Corona“ und das obwohl sich „Rebound“- bzw. „Backfire“-Effekte noch gar nicht zeigen.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Kann man denn gesellschaftliche Veränderungen beobachten, die konkret die Umwelt betreffen?
Christina Amelsberg:
Ja und nein. Natürlich gibt es einige Veränderungen in unserer Gesellschaft, die sich direkt auf unsere Umwelt und das Klima auswirken. Die Arbeitswelt und wie wir arbeiten ist so ein Beispiel: Homeoffice und das Ersetzen von Dienstreisen durch Online-Meetings sind natürlich gut für das Klima und werden uns auch „nach Corona“ erhalten bleiben. Ich möchte aber davor warnen, diese geringen Effekte mit effizienter und nachhaltiger Klimapolitik zu verwechseln. Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Gräben in unserer Gesellschaft durch die Pandemie tiefer werden. Nicht nur haben soziale Ungleichheiten auf nationaler und globaler Ebene zugenommen, viele Menschen sind auch so bedrückt, frustriert und eingenommen von der aktuellen Situation, dass sie gereizt und abweisend reagieren, wenn es um die Klimakrise geht. Am Ende müssen wir deswegen leider festhalten, dass die Coronavirus-Pandemie für das Lösen der Klimakrise eine Bremse ist und es darüber hinaus auch an optimistischen, langfristigen und gut durchdachten Lösungsstrategien für beide Krisen fehlt.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Wo wären denn Ihrer Meinung nach über Homeoffice und vermiedene Dienstreisen weitere gute Ansatzpunkte, bei denen wir als Gesellschaft auch nach der Krise weiter am Ball bleiben sollten?
Christina Amelsberg:
Neben dem bereits veränderten Arbeitsverhalten erleben Menschen aktuell, dass es nicht Banken, Versicherungen und andere Großkonzerne sind, die eine Gesellschaft am Laufen halten, sondern die Beschäftigten im CARE-Sektor, Lehrer*innen, Kassierer*innen und überhaupt all die Menschen in Bereichen, die vorher weder politisch, gesellschaftlich noch finanziell genug gewürdigt wurden. Diesen Sektoren in Zukunft also einen viel höheren Wert zuzuschreiben und sie finanziell zu fördern, erscheint auf einmal sehr vielen Menschen legitim. Und wo wir schon beim Punkt Wertschätzung sind: Besonders im ersten Lockdown hat sich auch unsere Wertschätzung für Zeit verändert. Auf einmal war dort Raum für Familie, Aktivitäten in der Natur oder Hobbies; das hat den Menschen gutgetan.
Dieses Gefühl der Wertschätzung für bestimmte berufliche Sektoren und auch für uns und unsere Zeit sollten wir uns also in jedem Falle beibehalten.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Sehen Sie als junge ehrenamtliche Klimaaktivistin die Möglichkeit, dass das durch die Krise angestoßene Momentum in umweltpolitischen Themengebieten auch nachhaltig bestehen bleibt?
Christina Amelsberg:
Auf jeden Fall, zur Erläuterung muss ich aber kurz ausholen: Zu Beginn der Pandemie dachte man noch, dass wir als Gesellschaft eine Chance bekommen, neu anzufangen und gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Aber was erleben wir stattdessen? Eine Regierung, die sich ohne langfristigen Plan von Woche zu Woche hangelt, die wieder einmal verpasst, die richtigen Hebel umzulegen und die erneut massiv Gelder in Sektoren pumpt, die auf fossilen Energieträgern beruhen. Dabei auf der Strecke bleiben vor allem Selbstständige und Kleinbetriebe.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Das klingt sehr kritisch. Die Zustimmungswerte zum Handeln der Regierungen in Land und Bund waren doch lange Zeit überragend hoch. Wo sehen Sie als Klimaaktivistin besondere Herausforderungen und zentralen Handlungsbedarf?
Christina Amelsberg:
Außer der Finanzkrise war das politische Fahrwasser in den letzten Jahren doch sehr ruhig und die Regierungen konnten die meiste Zeit ihrem „business as usual“ nachgehen. Dass die Zustimmungswerte in solch einer stabilen politischen Phase recht hoch sind, ist logisch. Doch durch die immer präsenter werdende Klimakrise, die von der Politik immer noch (!) wie ein Nebenthema behandelt wird, und nun auch ganz verstärkt durch die Corona-Pandemie, sind Vertrauen und Zustimmung in die Regierungen geschwunden und Frustration und Unzufriedenheit gewachsen. Diese beiden Krisen machen nun ganz deutlich, was sich in all den Jahren davor abgezeichnet hat: Unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind offensichtlich nicht krisenfest. Und das ist ein Problem, denn die weiteren Krisen, denen wir aktuell ebenfalls gegenüberstehen – zum Beispiel einer Biodiversitätskrise und sozialen Krisen – pausieren ja nicht. Wenn wir uns dann fragen, warum wir als Gesellschaft eigentlich von einer Krise in die nächste rutschen, finden wir die Antwort in unserem Umgang mit diesem Planeten und in unserer Art des Wirtschaftens. Wir setzen lieber auf stetiges Wirtschaftswachstum und Raubbau an der Natur, obwohl das weder glücklich macht noch mit den planetaren Grenzen vereinbar ist. Und schlimmer noch, Pandemien wie Corona sind eine direkte Folge dieses Verhaltens, denn je mehr wilde Tiere wir jagen, ihnen ihren Lebensraum nehmen und sie so in Kontakt mit uns zwingen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Zoonosen wie Covid-19 entstehen. Die wichtigste Lektion die wir also lernen sollten, und damit komme ich nun auf die Frage zurück, ist, dass wir uns am besten vor einer weiteren Pandemie schützen können, indem wir die Natur in Ruhe lassen und den Tieren ihre unberührten Räume lassen. Mehr Naturschutzgebiete, kein Abholzen von Regenwäldern, mehr und globale Aktionen, um die Jagd auf Wildtiere zu beschränken, wären dafür ein guter Ansatz.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Betrachten wir nun das unmittelbare Umfeld eines jeden Einzelnen. Was wären erste Schritte, die man im ganz persönlichen Umfeld verändern kann, um nachhaltig zu handeln?
Christina Amelsberg:
Zuerst möchte ich vor diesem Narrativ der Konsumkritikdebatte warnen, einem nämlich, das den Menschen das Gefühl gibt, sie müssten mit ihrem individuellen Verhalten retten, was auf politischer Ebene versäumt wurde. Dadurch wird die Verantwortung lediglich sehr gezielt und bequem auf Einzelpersonen abgewälzt. Aber Wandel kommt nicht in die Welt, weil sich Menschen den Kopf darüber zerbrechen, ob sie die unverpackte konventionelle Gurke oder die in Plastik verpackte Bio-Gurke kaufen sollen. Der Wandel passiert, indem sie sich mit anderen Menschen dazu austauschen, sich vernetzen, aktives politisches und/oder gesellschaftliches Engagement zeigen und ihren politischen Willen deutlich machen – z.B. durch Petitionen, Demonstrationen, Bürgerbegehren etc. Trotzdem fängt nachhaltiges Handeln zuerst bei mir selbst an. Sich der eigenen Verantwortung gegenüber der Umwelt bewusst zu werden und sich über das Thema zu informieren, ist ein erster wichtiger Schritt. Danach kann man diese Informationen an Mitmenschen weitertragen und darüber diskutieren. Das schafft ein Bewusstsein in der Gesellschaft. Und schließlich kann ich natürlich meinen eigenen Konsum so verändern, dass ich als Vorbild agiere und weitere Leute zum Nachahmen motiviere. Ganz wichtig dabei: niemals Verzicht und Verbot empfinden, sondern das Ganze positiv framen. Denn das ist auch der Kern der gesamten Klimadebatte: Wenn den Menschen bewusst wird, dass es nicht um Einschränkung und Verzicht geht, sondern um ein gutes Leben für Alle, darum, wie schön unsere Zukunft aussehen könnte und was für Möglichkeiten sie bietet, dann ist wahnsinnig viel erreicht
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Welche besondere Rolle übernimmt hier die jüngere Generation?
Christina Amelsberg:
Wir nerven! Und zwar richtig laut. Denn viel zu lange wurde der Jugend kein Gehör von der Politik geschenkt. Das hat über die Jahre zu viel Frustration geführt, die sich schließlich unter anderem in FridaysforFuture entladen hat. Eine Bewegung, die am Anfang vor allem Protest gegen etablierte Strukturen war und die in allen anderen Umwelt- und Naturschutzorganisationen viel Zuspruch findet. Wir als junge Generation fordern von den Älteren in machtvollen Positionen, nicht so weiterzumachen wie bisher und sich ihrer Verantwortung zu stellen. Wir sind diejenigen, die kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darum geht, die Schuldigen an der Klimakrise ganz klar zu benennen. Wir sind da, um zu zeigen, dass es anders gehen kann und dass niemand das Recht haben darf, sich für Produkte und Dienstleistungen zu entscheiden, die unsere Zukunft zerstören. Und nebenbei bemerkt, sollten wir endlich aktiv in politische Prozesse eingebunden werden. Die Jugend (15-24) macht ca. 10 % der deutschen Bevölkerung aus, da wäre es mehr als fair, ein bundesweites Wahlrecht ab 16, ein partizipatives Gremium im Bundestag und eine Jugendquote für das Besetzen von Listenplätzen der Parteien einzuführen.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Andererseits beklagen Parteien aber doch selbst eine Überalterung und Mitgliederschwund. Wäre hier nicht die Möglichkeit gegeben, sich als junger Mensch aktiv in der Parteienlandschaft einzubringen?
Christina Amelsberg:
Das muss man differenziert betrachten, denke ich. Auf der einen Seite stimmt es natürlich, dass die Parteien selbst das Problem der Überalterung und des Mitgliederschwundes bemerkt haben. Aktiv etwas dagegen unternommen haben sie aber auch nicht. Selbst bei Bündnis 90/Die Grünen, die als recht junge Partei gelten, liegt das Durchschnittsalter bei 48 Jahren. Wir müssen also unbedingt die Frage der Repräsentanz stellen. Ist eine Gesellschaft, in der die Hälfte der Menschen weiblich ist, in der ein Viertel der Menschen einen Migrationshintergrund besitzt und in der nur ein Fünftel Akademiker*innen sind, im Bundestag gut repräsentiert, wenn unter den Abgeordneten dort nur etwa 30% weiblich sind, 8% einen Migrationshintergrund besitzen und weit über 80% zu den Akademiker*innen zählen? Liegt das an festgefahrenen Strukturen oder mangelnder Attraktivität politischen Engagements? Trotzdem muss man unabhängig davon auf der anderen Seite auch festhalten, dass diese Entwicklung einer zunehmend politisch interessierten Jugend noch relativ neu ist und vor allem durch die Klimakrise, die die jüngeren Generationen am stärksten treffen wird, Aufwind erhalten hat. Deswegen ist es natürlich essenziell, dass junge Menschen sich aktiv in der Parteienlandschaft einbringen, man muss ihnen aber auch die strukturellen Möglichkeiten dazu bieten und Anreize schaffen.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Ist es möglich, dass klassische Statussymbole, wie der Familienurlaub in weit entfernte Länder oder große Autos durch neue Merkmale abgelöst werden, die Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein widerspiegeln?
Christina Amelsberg:
Ehrlich gesagt ist das doch keine Frage des Statussymbols, sondern viel mehr eine Frage der neuen Normalität. Und dafür müssen wir uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft wirtschaften wollen, welchen Dingen wir Wert zuschreiben und was uns individuell wichtig ist. Sind das Macht, Wirtschaftsinteressen und Geld – oder doch Gesundheit, ein intakter Planet und persönliches Wohlbefinden?
Corona hat uns gezeigt, dass Politik schnell handeln kann, dass sich die Natur erholt, wenn man sie lässt und dass wir uns, unsere Zeit und unsere Gesundheit anders wertschätzen sollten. Jetzt müssen wir eigentlich nur noch zukunftsmutig sein und uns trauen, anzufangen. Change is possible!