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Zur Fortsetzung der Veranstaltungsreihe „Handlungsauftrag Demografie“ hatte das Bildungswerk Mainz der Konrad-Adenauer-Stiftung eingeladen, um mit namhaften Experten und Politikern die Familienpolitik Deutschlands und Frankreichs unter die Lupe zu nehmen und zu vergleichen. Dabei traten eine Vielzahl von Unterschieden, vor allem aber eine ganz unterschiedliche Herangehensweise und Mentalität, zutage.
Karl-Heinz B. van Lier, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz, gab im Rahmen seiner Begrüßung zu bedenken, dass die demografische Entwicklung mit einem 40 Jahre anhaltenden Geburtenschwund in Deutschland ein selbstmörderischer Akt sei und es gleichzeitig keine echte Familienpolitik in Deutschland gebe. Die französische Politik hingegen verbinde hohe Geburtenzahlen mit guten Zukunftsaussichten, so der Leiter des Bildungswerks. „Über eine Geburten fördernde Familienpolitik zu sprechen, gilt in Deutschland als nicht sonderlich opportun“, so van Lier weiter, „im Gegenteil, die fortschreitende Schrumpfung wird als Chance dargestellt“. Daher solle die Veranstaltung dazu beitragen die Expertise der französischen Seite abzufragen und nicht über die Franzosen, sondern mit ihnen zu diskutieren.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im rheinland-pfälzischen Landtag Christian Baldauf erinnerte in seinem Grußwort daran, dass es sich beim demografischen Wandel um langfristige Wirkungen von Jahrzehnten des Geburtenrückgangs handelt. Und weiter: „Es ist ein Unterscheid, ob ein ganzes Land auf kontinuierlichen Wachstum konzentriert ist oder ob die Schrumpfung unkommentiert fortschreitet“. Hinsichtlich des vieldiskutierten Fachkräftemangels sieht Baldauf die Idee, junge Menschen aus den europäischen Krisenländern nach Deutschland zu holen, nicht nur positiv: „Sobald die Krise überwunden sein wird und eine Gesundung eintritt, werden diese Nachwuchskräfte wieder in ihre Länder zurückkehren – mit unüberschaubaren Folgen für unsere sozialen Sicherungssysteme“. Für den Politiker sei daher eine offene Diskussion über die demografische Entwicklung notwendig, die die Menschen insgesamt für die Problematik sensibilisiert. Eine Umwandlung der Familienpolitik in eine echte Bevölkerungspolitik, so wie dies auch Prof. Milbrath im ersten einleitenden Kolloquium gefordert habe, sei vonnöten.
Nadine Morano, Familienministerin unter Sarkozy, formulierte eingangs ihres Vortrags zum Thema die Prämisse der französischen Familienpolitik: „Die Familie ist der Stützpfeiler der Gesellschaft!“. Diese Familienpolitik sei, so Morano weiter, hervorragend strukturiert und organisiert und basiere auf dem unbedingten Willen, die Geburtenrate von derzeit circa 800.000 Geburten pro Jahr hoch zu halten. Daher sei die französische Familienpolitik auch darauf ausgerichtet, Geburten zu begünstigen und gleichzeitig die Berufstätigkeit der Mütter zu fördern und zu ermöglichen, meist mittels Steuererleichterungen. Die ehemalige Familienministerin legte die französische Auffassung dar, der zufolge Familienpolitik keine vertikale, sondern vielmehr eine horizontale Umverteilung sei. Sie sei also keine Sozial- sondern eine Bevölkerungspolitik, so Morano.
Auch stellte sie das weit ausgebaute Betreuungsangebot in Frankreich dar. Die verschiedenen Betreuungsmodelle reichen in Frankreich von der École maternelle, einer Art Vorschule für Kinder auch unter drei Jahren, bis hin zu kleinen wohnortnahen Betreuungseinrichtungen in sozialen Brennpunkten, den sogenannten ‚Hoffnungen der Vororte‘. Zudem gebe es zur Finanzierung der Kinderbetreuung zusätzliches Kindergeld für Eltern, die in speziellen Schichten arbeiteten. Morano ergänzte diese Maßnahmen wie folgt: „Wenn wir Kinder wollen verbunden mit Erwerbstätigkeit, dann muss man diese Maßnahmen ausbauen, um das System zu erhalten“.
Aktuell werde die französische Familienpolitik - nach Auffassung Moranos - jedoch schlecht fortgeführt, da die Steuerbegünstigungen für Familien unter Hollande zurückgefahren worden seien und somit vor allem Familien mit mittlerem Einkommen nun stärker belastet würden. Der familienpolitische Haushalt weise gegenwärtig ein Defizit auf, da aus diesem zum Teil auch Renten bezahlt würden, so die Politikerin. Morano formulierte abschließend den Wunsch, „dass man in einigen Jahren darüber sprechen kann, dass sich Deutschland und Frankreich hinsichtlich der Familienpolitik weiterentwickelt haben“.
Prof. Gérard-François Dumont, Professor für Demografie an der Sorbonne Paris, definierte die gegenwärtige Situation in Europa mit einem ‚demografischen Winter‘, d. h. mit gesamteuropäisch sehr geringen Geburtenzahlen. Prof. Dumont erklärte, dass die Entwicklung der Fruchtbarkeit zwar sehr unterschiedlich gewesen sei, vor allem in zeitlicher Hinsicht, dass aber in allen Ländern Europas die Fruchtbarkeit gesunken sei. Hinsichtlich der Geburtenzahlen in Deutschland erklärte er: „Die Zahl der Geburten in Deutschland ist abnormal hinsichtlich der Tatsache, dass Deutschland das bevölkerungsreichste Land in Europa ist“.
Die Gründe für die Abnahme der Geburtenzahlen seien innerhalb Europas sehr unterschiedlich, obwohl die Länder Europas doch in der gleichen Gesellschaftsordnung lebten. Prof. Dumont erklärte dies mit dem Migrationseffekt und der statistischen Auswirkung von Mehrkindfamilien: „Die Geburtenzahl hat stark zu tun mit der Zahl der Migranten im jeweiligen Land - in Frankreich zeugen die Migranten überdurchschnittlich viele Kinder. In Deutschland ist die Zahl derer, die in einer Ehe keine Kinder bekommen, viel höher als in Frankreich und in Frankreich ist die Zahl der Familien mit drei und mehr Kindern relativ hoch“. Deutschland, so Prof. Dumont weiter, seien Mehrkindfamilien nicht gut anerkannt. Gleichzeitig würden in Frankreich - statistisch gesehen - viel mehr Kinder außerhalb der Ehe geboren als in Deutschland, wo die Zahl der unehelichen Kinder geringer sei.
Auch erläuterte der Demografieforscher den Zusammenhang zwischen Familienpolitik und Fruchtbarkeit: „Die Franzosen vertrauen ihrer Bevölkerungspolitik. Gleichzeitig haben die europäischen Länder mit wenig finanziellen Aufwendungen für Familien die geringsten Fruchtbarkeitsraten und umgekehrt. Hierbei ist Deutschland ein Sonderfall ohne positive demografische Wirkung“. Nach Auffassung Dumonts beruhe der Erfolg von Familienpolitik auf den Maßnahmen der Politik, v.a. auch auf lokaler Ebene, denn die Bevölkerungspolitik bliebe in Frankreich ungeachtet der jeweiligen Regierung gleich. Insgesamt betrachtet, sei Familienpolitik daher ein wichtiges Mittel, um die Fertilitätsrate hoch zu halten, die in Frankreich gegenwärtig 20-30 % höher liege als der europäische Durchschnitt. Sein Fazit lautete daher: „Wir müssen darauf bestehen, dass Familienpolitik wichtig ist, denn die zunehmende Alterung in Europa wird Kosten nach sich ziehen, die niemand wird tragen können“. Dass Bevölkerungspolitik Erfolge zeitige, belegt der Demographieexperte mit dem Beispiel, dass solange das Saarland nach dem Krieg französisch regiert worden sei, die Fertilitätsrate genauso hoch gelegen habe, wie in Frankreich, um danach wieder auf das niedrige deutsche Niveau zu fallen.
Dr. Albin Nees, ehemaliger Staatssekretär im sächsischen Staatsministerium für Soziales, stellte im Rahmen seines Vortrags die Frage in den Raum, ob die demografische Entwicklung lediglich verwaltet oder auch gestaltet werden sollte. Die klar erkennbaren Veränderungen der Familienstrukturen beträfen ganz Europa. Insofern sei auch der Handlungsauftrag, so Dr. Nees, gesamteuropäisch.
Der ehemalige Staatssekretär erläuterte sein Konzept und seine Forderung nach einer dringend notwendigen Einführung einer ‚Familienverträglichkeitsprüfung‘. Gemeint ist hier bei allen politischen Entscheidungen nicht nur an sich, sondern auch an die nächste und übernächste Generation zu denken, „so, wie es Familien üblicherweise tun“. Der Beitrag, so Dr. Nees, den Familien für die Gesellschaft leisten, sei vielen zu wenig bewusst: „Um unserer Zukunft willen müssen alle gesellschaftlichen Vorhaben geprüft werden. Bei allem was wir tun, haben wir zu prüfen, ob es familienverträglich ist: Bei der Neuverabschiedung von Gesetzen oder bei der Gesetzesinventur oder auch bei der Unterlassung von Initiativen“. Demnach bedeute eine Demografie- oder Familienverträglichkeitsprüfung, zu prüfen, ob der aus dem Handlungsauftrag Demografie erwachsende Anspruch an die jeweilige Maßnahme erfüllt sei.
Sehr kritisch beurteilt Dr. Nees die offenbar unzureichende Bereitschaft der Politik, die familienrelevanten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. „Angesichts der schnellen Umsetzung der steuerlichen Gleichstellung der Homoehe kann dies nur verwundern“, äußerte er. Ein Familiensplitting im Steuerrecht hält Dr. Nees ebenso wie einen höheren Steuerfreibetrag für Kinder und eine Erhöhung der Bezugsdauer des Elterngeldes sowie eine gleichzeitige Staffelung des Betrags bei jedem Kind für dringend geboten.
Die von Jürgen Liminski im Anschluss moderierte Gesprächsrunde mit den Referenten und dem Publikum vertiefte einige Aspekte des Vormittags und zeigte, wie groß der Gesprächs- und Handlungsbedarf hinsichtlich einer erfolgreichen Familien- oder Bevölkerungspolitik ist.