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Jentsch: „Volkspartei, ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier?“
Prof. Dr. Hans-Joachim Jentsch,
Bundesverfassungsrichter a.D. und
als solcher zuständig für Parteienund
Wahlrecht, äußerte sich in
seinem Statement „Volkspartei, ein
vom Aussterben bedrohter
Dinosaurier?“ dazu, ob das Schicksal
der Dinosaurier als Menetekel für
die Zukunft und die Entwicklung der
Volksparteien gelten muss.
Indes ist der Begriff ‚Volkspartei‘
unscharf. Seitens der Wissenschaft,
so Professor Jentsch, sei er zu
eliminieren, da ihm die Kraft einer analytischen Kategorie fehle. Stelle man bei der Definition auf
Wählergruppen als Kriterium ab, so verliere man das ‚Pars‘ aus den Augen: „Im klassischen Sinne ist
dann der Anspruch eine Volkspartei zu sein, nicht mehr zu erheben“. Quantitativ gesehen, so Jentsch
weiter, verfüge eine Volkspartei über eine Milieubasis von 20 bis 25 %, aus der heraus sich in der
Folge die Bindungskraft für andere Wählergruppen ergebe.
Historisch betrachtet begann die große Zeit der Volksparteien nach 1945. Die CDU verstand es als
„Volkspartei der Mitte“, die Bürger aller Schichten, Berufe und Konfessionen hinter sich zu vereinen.
Die Orientierung in der Gründungsphase war gebunden an die Vorstellung von der Würde des
Menschen im christlichen Sinne: „Und sie gilt noch immer! Die CDU war und ist eindeutig eine
Weltanschauungspartei“, führte der ehemalige Verfassungsrichter aus. Sie war bemüht
konfessionelle, soziale und landsmannschaftliche Grenzen aufzuheben; gleichzeitig sollte das
Christentum mit seinen kultur- und geistesgeschichtlichen Errungenschaften den Menschen Halt
geben.
Mitgliederschwund macht Niedergang offenkundig
Der augenscheinlichste Befund für den Niedergang der Volksparteien sei Professor Jentsch zufolge
der Rückgang der Mitgliederzahlen. Noch 1990 belief sich der Organisationsgrad - die Zahl derer, die
Mitglied einer Partei sein könnten und es faktisch auch waren - auf 3,65 %. Heute ist diese Zahl bei
1,9 % anzunehmen. Auch bei den Werten zur Wahlbeteiligung zeigt sich immer stärker die gewaltige
Entfremdung, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden hat. Bis 1987 rangierte die
Wahlbeteiligung immer über 80 %, seit 1990 immerhin noch über 70 %, führte Jentsch aus. Heute
fänden Landratswahlen statt, die allenfalls mit 25 % zu Buche schlagen. Ebenso zeige die Wahl des
Bundespräsidenten ganz deutlich, in welch hohem Maß die Parteienphobie und die Aversion gegen
die Volksparteien bereits fortgeschritten sei: „Plötzlich steht die Forderung nach einem
überparteilichen Bundespräsidenten im Raum. Das Ideal sollte aber sein, dass ein Bundespräsident
aus einer Partei kommt, sein Amt aber überparteilich führt“.
Politische Diskursebene hat abgedankt
Die Motive dieser Gesamtentwicklung zuungunsten der großen Volksparteien lokalisiert Professor
Jentsch vor allem bei der Globalisierung und Europäisierung und dem somit schwindenden Einfluss
der Parteien insgesamt. „Die Krisenbekämpfung erfolgt in einer Grauzone“, führte der ehemalige
Bundesverfassungsrichter an. Und weiter: „Als Bürger weiß man oft nicht mehr, wer noch zuständig
ist“. Die politische Diskursebene habe seiner Auffassung zufolge abgedankt. Eine politische
Diskussion fände nicht mehr statt und dort, wo politisch gestaltet werde - meist in den Kommunen -
werde ‚outgesourct‘. Im Zuge der Erosion gesamtgesellschaftlicher Werte und zunehmender
Säkularisierung müssten sich die Parteien anpassen und ihre Strukturen ändern. Gegebenenfalls
müsse diese Anpassung auch bezüglich der innerparteilichen Partizipationsmöglichkeiten und -
strukturen geschehen. „Wir müssen akzeptieren, was Realität ist: Die Volksparteien sind geschwächt,
eine Änderung dieses Status quo wird nicht mehr eintreten“, so Hans-Joachim Jentsch.
Was also ist zu tun? Wie sollten sich die Volksparteien verhalten, um ihren Einfluss zu konservieren?
Professor Jentsch zufolge sollte frei nach dem Motto „Retten, was vom Ursprungsgedanken noch zu
retten ist“ der Diskurs der Parteimitglieder wieder stärker gefördert werden. Abschließend lautete
der Appell des Verfassungsrechtlers: „Es sollte keine direkte Demokratie anstelle einer
repräsentativen geben, sondern mehr direkte Demokratie innerhalb der repräsentativen
Demokratie!“.
Ockenfels: Ordnung und Moral in der Wirtschaft
Zum Thema „Ordnung und Moral in der Wirtschaft“ referierte hiernach Prof. Dr. Dr. Wolfgang
Ockenfels, Lehrstuhlinhaber für Politische Ethik, Sozial- und Wirtschaftsethik und Katholische
Soziallehre an der Universität Trier.
Er konstatierte, dass gerade die CDU immer - und vielleicht ist sie es noch - eine besonders in
Wirtschaftsfragen kompetente Partei war, die fest auf der Identifikation mit dem Wirtschaftsmodell
der Sozialen Marktwirtschaft fußte. „Dass wir im Rahmen der Globalisierung die Soziale
Marktwirtschaft nicht exportieren konnten, hat auch damit zu tun“, kritisiert Ockenfels, „dass wir
wohl selber nicht mehr so ganz daran glauben!“. Die Soziale Marktwirtschaft sei seiner Auffassung
zufolge nicht bloß eine technokratische Organisationsform, sondern aus ethischem Aspekt heraus
grundsätzlich begrüßenswert und förderungswürdig. An der Fort- und Weiterentwicklung der
Sozialen Marktwirtschaft war seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Katholische
Soziallehre immer maßgeblich beteiligt. Allein schon deshalb müsse es, so Professor Ockenfels,
beiden Kirchen ein dringendes Anliegen sein, hierüber zu diskutieren.
Als Ursache dieser defizitären Entwicklung bewertet Professor Ockenfels den Umstand, dass das
Konzept der Sozialen Marktwirtschaft auf Säulen beruhe, die in der Vergangenheit stark
vernachlässigt wurden. Als Beispiel nannte er den Eigentumsbegriff: „Die Privateigentumsvorstellung
ist heute vielfach nicht mehr relevant, vor allem dann, wenn es um Fragen der Privathaftung geht“.
Nach dem Staat zu rufen, wenn man sich ‚verzockt‘ hat, sei hiernach nicht legitim, so Ockenfels
weiter. Die Ordnungspolitik sollte aber diesem Ansatz folgend die Rahmenbedingungen schaffen, um
die Chancengleichheit im Wettbewerb wieder herzustellen.
Staatlicher Mindestlohn nicht wünschenswert
Auch das Beispiel der Tarifautonomie markiere einen staatsfreien Raum, in dem der Bürger selbst
gestalterisch tätig werden kann. Und weiter: „Ein seitens des Staates regulierter Mindestlohn ist
nicht wünschenswert! Denn was wollen sie machen mit einer Sozialen Marktwirtschaft, deren
Subjekte nicht mehr risikobereit, arbeitsam und verantwortungsvoll sind?“. Eine solche Ordnung wird
nach seinem Dafürhalten unweigerlich zusammenbrechen.
Insofern richtete sich der Appell an die Verantwortung des Einzelnen: „Wir sollten immer auch nach
uns selbst, den Subjekten dieser Ordnung, fragen. Denn neben der Rechtsordnung ist das ethischmoralische
Verantwortungsbewusstsein des Individuums immens wichtig und Moral setzt Freiheit
voraus, das Recht hingegen kann Freiheit stark beschränken“. Diese Moral, so die Mahnung
Ockenfels, werde allerdings nicht auf kognitiver Ebene gefördert, sondern erzieherisch durch
Vorbilder. Daher werde es Zeit, hält der Referent abschließend fest, dass wir innerhalb der Parteien
und der gesamten Gesellschaft wieder über die Grundsätze und das Grundlegende sprechen. Vor
allem innerparteilich sei die erneute Vergewisserung auf eine moralisch-ethische Grundlage wieder
dringend notwendig.
Kraus: „Von der Bildungsnation zur Bildungsrepublik, kann das gelingen?“
Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, referierte expertisenreich zur Frage „Von der
Bildungsnation zur Bildungsrepublik, kann das gelingen?“. Er bedauerte im Rahmen seines
Statements die Abschaffung, Aufgabe und Abkehr von den eigentlichen Prinzipien und Vorzügen, die
Deutschland als ‚große Bildungsnation‘ international Anerkennung verschafft haben, zugunsten der
Europäisierung und Globalisierung. Diese Entwicklung, so Kraus, sei das Resultat der grünen und
sozialdemokratischen Lebenslügen, denen zufolge Bildung ohne Anstrengung funktioniere und alles
gerecht sei, was gleich macht. Seine Zwischenbilanz lautet daher folgerichtig: „Es ist nicht mehr weit
her mit einem prinzipientreuen Gestaltungswillen in der deutschen Bildungspolitik“.
Für Josef Kraus rangiert der Begriff ‚Bildungsrepublik‘ semantisch hinter dem Begriff ‚Bildungsnation‘:
„Die CDU muss klar sagen, dass auch in Bildungsfragen die Freiheit Vorrang vor der Gleichheit hat“.
In der Folge, so seine Analyse, sei der pädagogische Egalitarismus dafür verantwortlich, dass die
Unterschiede in der Begabung auf niedrigerem Niveau nivelliert worden sind. Zwar gäbe es eine
Bringschuld des Staates, „aber er muss nicht alle mit einem Abitur ausstatten! Den Fanatikern der
Bildungsgerechtigkeit darf nicht auf den Leim gegangen werden“.
Leistung muss sich lohnen
Kraus betonte, dass es hierbei nicht um den Erhalt der vermeintlichen Diskriminierung durch die
dreigliedrige Struktur gehen kann. Vielmehr müsse vor allem die CDU einen emanzipatorischen
Gerechtigkeitsbegriff pflegen in dessen Rahmen die Schule Leistung adäquat belohnen kann. Kraus
weiter: „Das Kriterium Leistung ist eine unglaubliche Chance für die Allokation eines Individuums und
schafft echte Gerechtigkeit“. Letztlich schade man mit der derzeitigen Vorgehensweise dem
Sozialstaatsprinzip, denn je gleicher eine Gesellschaft strukturiert ist, umso wichtiger werden Eliten.
Eine Effizienzsteigerung habe immer auch mit Strukturfragen zu tun und nicht ausschließlich nur mit
Qualitätsfragen, mahnte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands.
Auch kritisierte er die Forderung nach inhaltsleerer Kompetenzvermittlung als absurd: „Wir müssen
zurück zu den Inhalten! Zu lange schon wird - ohne beweisbare Erfolge - die Kompetenzenpädagogik
praktiziert“. Seiner Erfahrung nach seien junge Menschen meinungs- aber nicht wissensstark: „Wir
kommen an einen Punkt, an dem Abiturienten immer weniger wissen, dies aber kompetent und mit
immer besseren Noten! Das Problem ist klar: Wer nichts weiß, muss alles glauben!“. Diesem
Dilettantismus in der Bildungsrepublik kann nur durch Aufklärung, dem Prinzip kompetitiven
Föderalismus folgend, bekämpft werden. Notwendig sei gleichzeitig eine Renaissance des Wissens,
denn je mehr der Staat im Bereich der Erziehung an Kompetenzen an sich ziehe, desto totalitärer
werde Erziehung.
Der Appell in Richtung der CDU lautet daher folgerichtig: „Die CDU darf Bildung nicht ökonomisch
denken. Schule kann nicht nach Rentabilitätsgesichtspunkten geführt werden und die CDU muss den
Mut haben sich in Sachen Bildung als professionelle Kraft darzustellen“. Im Sinne eines ‚aufgeklärten
Konservatismus‘ muss eine realitätsnahe Diskussion über Bildung wieder möglich sein - auch gegen
die vorherrschende Gleichmacherei und den Dogmatismus.
Bleser: Volkspartei mit bewährten Grundsätzen und nachhaltigen Zielen
Den Vormittag aus der Sicht eines aktiven Politikers abrundend sprach Peter Bleser, MdB, zum
Thema „Volkspartei mit bewährten Grundsätzen und nachhaltigen Zielen!“. Der
Bundestagsabgeordnete berichtete hierbei ganz offen von seinen persönlichen Motiven und
Vorstellungen einer Volkspartei.
„Wir brauchen Parteien als Organisation der Macht, als Bindeglied zwischen Bürgern und Politik“, so
die Auffassung Blesers. Im Unterschied zu Bürgerinitiativen stünden sie dabei auf dem Fundament
einer Weltanschauung. Die Kritik an der mangelnden Diskurskultur innerhalb der Parteien selbst
widersprach er: „Die Zieldefinition wird innerhalb der Partei durch Diskussion und Debatten
festgelegt!“. Das Problem sei vielmehr, dass die politisch Handelnden dem Bürger oft keine
Entscheidungsalternativen vorlege: „Der Bürger braucht Entscheidungsorientierungen und diese
Leistung erbringen Volksparteien heute nur sehr selten“. Und auch die Verantwortung die
Entscheidungswege betreffend sei heute anders gewichtet, als es früher der Fall war: „Früher konnte
man Schuld einfach nicht delegieren oder Anderen anlasten“, hält der Bundestagsabgeordnete fest.
Die Ursachen für die zunehmende Skepsis der Wähler gegenüber den Parteien sieht er einerseits
durch die vielfachen medialen Eingriffe und Beeinflussungen von außen und andererseits innerhalb
der Parteien durch den Mangel an Führung bedingt. Das Einnehmen einer klaren Position versteht
Bleser nicht als Kriterium für den Wähler, welches einen Vertrauensentzug nach sich zieht:
„Politische Festigkeit wird auch heute noch gesucht und genau hier haben wir ein Defizit“.
Die Grundsätze der CDU seien seiner Meinung nach nicht nur nach wie vor richtig, sondern auch
zeitlos. Notwendig sei es allerdings in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft die Menschen
dazu zu bringen, sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Dieser Herausforderung müsse sich die
CDU stellen und sich nicht aus der Fassung bringen lassen: „Die CDU muss lernen und den Mut
finden, zu widersprechen! Wir müssen wieder unbequem sein!“. Und in die Zukunft gerichtet urteilt
der Abgeordnete abschließend: „ Wir haben nach wie vor das richtige Menschenbild und deshalb bin
ich zuversichtlich. Die Zeit läuft uns entgegen, die Menschen werden wieder zu uns kommen“.