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Zu Beginn richtete Karl-Heinz van Lier, der Leiter des Bildungswerks Mainz der Konrad-Adenauer-Stiftung, ein kurzes Grußwort an den Referenten des Abends und bescheinigte ihm eine meisterhafte Beobachtungsgabe, die er über die 60jährige Geschichte der Bundesrepublik in vielen Büchern mit vielen Appellen an die Gesellschaft niedergeschrieben habe.
Ute Granold, MdB, betonte in ihrem Grußwort als Rechtspolitikerin den Erfolg und den hohen Stellenwert, den das Grundgesetz - auch bezogen auf seine internationale Wahrnehmung - seit der Gründung der Bundesrepublik erringen konnte. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 wurden die menschenverachtenden und anti-demokratischen Motivationen des Staatswesens überwunden und gegen die Vorstellungen eines demokratischen, föderalen und sozialen Rechtsstaats eingetauscht. Seit diesem Tag sei das Grundgesetz „der Garant für die Freiheitlichkeit der Bundesrepublik und die Verfassung aller Deutschen“, so Granold. Die enorme Integrationsfähigkeit, die in den Ost-Verträgen, dem Beitritt zur NATO und EU und der Wiedervereinigung Deutschlands ihren Ausdruck fand, stand dabei zu keinem Zeitpunkt im Kontrast zur Aufrechthaltung der deutschen Souveränität. Eben diese Eigenschaft mache aus dem Grundgesetz einen „Exportschlager“, der als Inspiration und Vorlage vieler anderer Verfassungen diente. Zwar genieße das Grundgesetz in Deutschland einen hohen Zuspruch in der Bevölkerung, es müsse aber, mahnte Granold an, „erfahrbar bleiben“.
In der Einleitung des Vortrags stellte Prof. Dr. Andreas Rödder, Historiker an der Universität Mainz, Professor Baring als „einen der letzten großen Intellektuellen des Landes“ vor. Baring sei, so Rödder weiter, „ein scharfsinniger Beobachter der Politik, der zwar unabhängig, aber nicht unpolitisch“ und somit „liberal im Sinne des Bürgers – ein homo politicus, der die Streitkultur als solche vorlebt und vertritt“ sei.
Prof. Dr. Arnulf Baring schilderte die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik in drei Abschnitten. Die ersten Jahre von 1949 bis 1969 seien die „tüchtigsten und optimistischsten Jahre der Republik“ gewesen, so Baring, „die stark vom staatsmännischen Geschick Konrad Adenauers geprägt waren und die in der Wirtschaftsphilosophie eines Ludwig Ehrhards Demokratie und Wohlstand geschickt zu vereinen wussten“. Das internationale politische Ansehen Deutschlands und der wirtschaftliche Aufschwung würden von den nachfolgenden Generationen nach Auffassung Barings viel zu oft als selbstverständlich angenommen. Die Westintegration durch Adenauer und die erfolgreiche und vereinende Kraft der Union seien weitere Grundlagen gewesen, um die Entschlossenheit und den Zukunftsoptimismus der Deutschen zu bestärken. Somit ist Prof. Baring zufolge diese ersten Phase als vorbildlich, tüchtig, aber nachträglich wenig anerkennt zu beschreiben.
Die zweite Phase von 1969 bis 1989 beginnen mit der Regierung Brandt, die außenpolitisch durch die Ostpolitik herausgefordert war. Diese Politik war laut Arnulf Baring charakterisiert durch einen politischen Balanceakt und Loyalitätskonflikt zwischen Paris (mit dem man die Westintegration vorantreiben wollte), Washington (auf das man nach wie vor, dem militärischen Schutz wegen, angewiesen war) und Moskau (mit dem man sich auf einen bestimmten Umgang besonders im Bezug auf die DDR einigen musste). Die innenpolitische Belastung lässt sich in der Entwicklung vom Sozialstaat zum Wohlfahrtsstaat treffend beschreiben, die eine Überanstrengung für zukünftige Entwicklungen kreierte und dazu führte, dass der Sozialstaat eingeschränkt werden musste, um die einzige Ressource dieses Landes - nämlich die Bildung - nicht weiter zu beschränken. Allerdings bewertet Baring die Konsolidierung der Republik am Ende dieser zweiten Phase unter der Regierung Kohl per se als positiv, wenngleich diese Endphase von der Ausbreitung einer bequemen Spaßgesellschaft negativ begleitet wurde.
Die letzte Phase von 1989 bis heute wurde durch die „äußerst glücklich verlaufende Wiedervereinigung Deutschlands“ eingeleitet, so Baring. Dieses Ereignis verdeutliche einmal mehr, wie viel Glück und auch Geschick Deutschland bewies, indem es die historischen Gegebenheiten nutzte, um sich mit dem Osten zu vereinigen, was gegenwärtig ebenfalls oftmals als Selbstverständlichkeit begriffen werde. Die zweite Phase der Regierung Kohl waren mit den Folgen eben dieser Wiedervereinigung belastet, denn die DDR wurde als „materiell und seelisch verwüstet“ integriert. Nichtsdestotrotz „sollte man diese Belastungen der Wiedervereinigung als ungeheueres Glück begreifen, trotz ihrer Finanzierung auf Pump“, meint Arnulf Baring. Die letzten Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik seien von den Problemen der Integration von Zuwanderern und der damit verbundenen Entstehung von Parallelgesellschaften gekennzeichnet, die, der Einschätzung des Historikers zufolge, in naher Zukunft zu großen sozialen Konflikten führen werden. Baring äußerte zudem die Ansicht, dass auch die sich zunehmend verschlechternde demographische Entwicklung wird diese Problematik negativ verschärfen wird.
Barings Fazit: „Die Deutschen müssen sich einerseits das ungeheure Glück ihrer Entwicklung seit 1945 immer wieder ins Bewusstsein rufen, stolz auf ihre Fähigkeiten sein und diese auch offen kundtun und andererseits wieder zurückfinden zu der Tüchtigkeit und dem Zukunftsoptimismus, die sie nach dem Schock und Tiefpunkt durch das NS-Regime wieder nach vorne gebracht hat“. Somit schließt Baring mit den zuversichtlich gesprochenen Worten: „Es lebe die Republik, es lebe Deutschland!“