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Europas Konservative - ein schwieriges Terrain

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Um mit ausgewiesenen Experten über den Status quo der Konservativen in Europa ins Gespräch zu kommen, hatte das Politische Bildungsforum Rheinland-Pfalz der Konrad-Adenauer-Stiftung in den Erbacher Hof eingeladen. Der Abend zeigte: die Konservativen in Europa unterscheiden sich stark in der jeweiligen Ausrichtung und jeweiligen Gewichtung. Deutlich wurde auch, dass es angesichts des Wertwandels inzwischen schwierig geworden ist, eine konkrete und umfassend gültige Definition des Begriffs „konservativ“ vorzunehmen.

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In seiner Begrüßung versuchte sich Karl-Heinz B. van Lier an einer Begriffsdefinition: Was eigentlich verstehen wir unter konservativ? Der Trend hin zur politischen Mitte bedeute, so van Lier, eine neue Ortsbestimmung: „Im Diskurs nahm und nimmt der Konservatismus zunehmend eine defensive Haltung ein, da ‚konservativ‘ häufig mit ‚rechts‘ gleichgesetzt wird“.

Der Konservatismus aber sei ohne Wandel nicht möglich und wer wolle, dass sich nichts ändere, sei ein Traditionalist, gab der Leiter des Politischen Bildungsforums Rheinland-Pfalz der Konrad-Adenauer-Stiftung zu bedenken. Und weiter: „Der Konservatismus ist eine sehr menschenfreundliche Politik - das muss der Konservative selbst wieder begreifen. Es ist ein Fehler des deutschen Konservatismus, sich in die reaktionäre Ecke stellen zu lassen.“

Die England-Korrespondentin der Zeitung DIE WELT, Stefanie Bolzen, erläuterte sehr anschaulich die gegenwärtigen Befindlichkeiten in Großbritannien. Zum Thema England – Neustart der britischen Konservativen unter Theresa May! zeigte sie die Entwicklungen seit der Amtsübernahme der ehemaligen Innenministerin May auf. Nicht erst seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 seien die britischen Tories von Europa abgerückt, so Bolzen. Bereits 2009 seien die britischen Konservativen aus der EVP-Fraktion des EU-Parlaments ausgetreten.

Als Grund für die derzeit guten Umfragewerte der Tories nannte die Korrespondentin vor allem die weit links geführte Politik der Labour-Party unter Jeremy Corbyn. Zudem sei es für die Tories von Vorteil, dass die Auswirkungen des Brexits derzeit noch nicht allzu spürbar seien, da das Wirtschaftswachstum noch uneingeschränkt weitergehe. Hinzu käme eine Haltung, die Bolzen als „Inselgefühl“ bezeichnet: „In Großbritannien herrscht die unglaubliche Arroganz anzunehmen, dass die EU ihrer zweitgrößten Volkswirtschaft einen attraktiven Deal für den EU-Austritt anbieten werde“.

Die heute im Königreich vorherrschenden sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten hätten ihren Ursprung in erster Linie in der Amtszeit Tony Blairs: „In dieser goldenen Zeit wurde UK zu einer Art Super Power, doch um den Preis, dass durch die Politik Blairs der Kapitalismus in London entfesselt wurde“. David Cameron sei ideologisch und im Habitus Blair sehr ähnlich gewesen. Doch das Durchsetzen der Homoehe bei den Tories habe vor allem der UKIP starke Zuläufe beschert, so die Einschätzung der Journalistin. Theresa May hingegen wolle Politik für alle machen. Ihr Credo laute daher: „It is going to be politics for everyone!”. Ökonomisch, so beschreibt Bolzen weiter, sei sie stark links orientiert, ansonsten stets wertkonservativ und nicht unbedingt als Modernisiererin zu verstehen.

Die dringendste Frage für die britischen Konservativen sei die nach dem Grad der Bereitschaft für liberales Denken: „In Großbritannien ist der Unterschied zwischen der liberalen Elite und dem Rest von großer Bedeutung. Es stellt sich daher die Frage, wie liberal die Tories noch sein wollen“. Die Briten, so die abschließende Feststellung Bolzens, hassten es, „dass irgendjemand sagt, was sie machen sollen“.

Die gegenwärtige Situation auf der anderen Seite des Ärmelkanals in Frankreich erläuterte die F.A.Z.-Journalistin Dr. Helene Bubrowski. Über allem stand die Frage Schaffen es die französischen Konservativen einen aussichtsreichen Kandidaten aufzustellen? Der konservative Präsidentschaftskandidat Francois Fillon habe zunächst frischen Wind in die konservative Partei gebracht und es habe zunächst eine große Freude über einen so wertorientierten Kandidaten geherrscht, erklärte Bubrowski.

Nach dem Beginn der eigenen Demontage Ende Januar sei die Rhetorik Fillons inzwischen, so die Frankreich-Korrespondentin, „nicht mehr weit entfernt von Le Pen oder Trump. Es ist sogar die Rede von einem Coup d‘ État der Richter, deren Unabhängigkeit angezweifelt wird und die als politisierte linke Richter bezeichnet werden“. Da nun auch Alain Juppé als potenzieller Kandidat zur Verfügung stehe, werde der Druck auf Fillon zwar erhöht, ob sein Rückzug bevorstehe, sei nach Einschätzung Bubrowskis aber fraglich.

Problematisch für die französischen Konservativen sei vor allem die Fähigkeit Marine Le Pens, den Unmut der so genannten Abgehängten und den vorherrschenden Elitenhass aufzugreifen: „Der Front National ist bis ins bürgerliche Lager hinein salonfähig geworden, seine Anhänger treten inzwischen ganz offen für ihn ein“. Letzten Umfragen zufolge kämen die Konservativen nicht einmal in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Und das, obwohl sie es eigentlich leicht gehabt hätten, da die französische Linke zersplittert und zerstritten sei und ihr Hoffnungsträger Emmanuel Macron daher keinen Parteiapparat hinter sich habe. „Ihm fehlt“, erläuterte Bubrowski, „das Verständnis für die Abgehängten und auch als bürgerlicher Sammlungskandidat taugt er nicht, da die Konservativen bei den zuletzt erfolgten Regionalwahlen gezeigt haben, dass sie sich nicht hinter den Sozialisten gestellt haben, um sich gegen den Front National zu positionieren“. So lautete das Fazit der Referentin zur derzeitigen Lage der französischen Konservativen: „Frankreich ist nicht nur ein schwieriges, sondern sogar ein desaströses Terrain - doch leider selbst verschuldet“.

Zu der Frage, wie konservativ die CDU sei äußerte sich zunächst der Journalist Robin Alexander. Seit jeher sei, so seine Auffassung, der Begriff „konservativ“ in der Union diffus. Ein großes Problem sei die negative Wahrnehmung des Begriffs: „Die Demoskopie zeigt, dass ‚konservativ‘ ein in Deutschland nicht sehr populärer und stigmatisierter Begriff ist“. Hier müsse das konservative politische Spektrum dringend nacharbeiten, so der WELT-Journalist.

Sein Vorschlag sei, dass weniger auf eine strikt konservative Programmatik geachtet werden sollte, als vielmehr auf konservative Tugenden, wie beispielsweise die Skepsis. Auch sollte der deutsche Konservatismus auf mehr Ruhe gegenüber dem politischen Betrieb und gegenüber der Demoskopie achten und sich ein Formbewusstsein zu eigen machen: „Es muss wieder ein Bewusstsein für die Werthaftigkeit demokratischer Vorgänge geschaffen werden“. Skeptische Stimmen gegenüber dem Euro oder der brachialen Form des Umgangs mit der Flüchtlingskrise seien politische Kontrapunkte, die es aufzugreifen gelte, so Alexander.

Als ein Qualitätsmerkmal der CDU erachtete der Referent die strukturierte Streitkultur innerhalb der Volkspartei: „Die Integrationskraft der Union hat immer sehr viel ausgehalten“. Die Auffassung der politischen Klasse und des politischen Journalismus sei vielfach, dass man das Momentum nutzen müsse, „um den Karren aus dem Dreck zu ziehen und alles neu zu machen“. „Allerdings glaube ich“, so Robin Alexander abschließend, „dass die parlamentarische Demokratie nicht so und auch nicht so schnell funktioniert“.

Auch der Vorsitzende der Jungen Union Deutschlands, Paul Ziemiak, erläuterte seine Einschätzung zum derzeitigen Stellenwert des Konservatismus in der CDU. Dabei gab er zu bedenken, dass sich heutzutage kaum noch junge Menschen als konservativ bezeichnen und dieses Attribut sogar ablehnten. Gleichzeitig seien Dinge wie verlässliche Partnerschaften und Freundschaften, Treue und Sicherheit im Berufsleben die meistgenannten Werte, die jungen Menschen wichtig sind. „Daher sind viele junge Menschen konservativ, bezeichnen sich aber nicht mehr so“, erklärte Ziemiak.

Die gegenwärtige Diskussion um populistische Strömungen sieht der Bundesvorsitzende der JU äußerst kritisch: „Populisten wie Le Pen und Trump sind nicht der Ausdruck von konservativer Politik, sie sammeln lediglich Frustrierte auf. Und auch ein Björn Höcke ist kein Konservativer, da er kein Wertefundament hat!“.

Veränderungen im konservativen Profil der CDU hätten sich in der Vergangenheit in erster Linie auf dem Feld der Familienpolitik ergeben, so die Überzeugung Ziemiaks. Die Kernfrage konservativer Familienpolitik sei heute „die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und nicht die Quotierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt“, stellte er fest. Die Auffassung, dass der Staat Kinder besser erziehen könne als die Eltern selbst, sei in seinen Augen grundlegend falsch. Auf diese Weise, so der JU-Bundesvorsitzende weiter, gehe die Fähigkeit verloren, Probleme subsidiär zu lösen. Daher müsse die Union diejenige politische Kraft sein, die die Familie wieder in den Mittelpunkt rückt, lautete sein abschließender Appell.

Prof. Dr. Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, fasste die Diskussion unter der Fragestellung Europas Konservative im Aufwind? zusammen. Der Brexit, so Rödder, sei beispielsweise der Versuch der Briten, die Kontrolle wiederzugewinnen – die Kontrolle über die eigene Nation. „Die EU besteht aus Demokratien, ist aber selbst keine. Insofern ist der konservativ gedachte Nationalstaat auch heute noch relevant und ein Demokratiegarant“, erläuterte er.

Maß und Mitte seien wichtige Bestandteile des integrierenden Konservatismus, führte der Historiker aus. Und weiter: „Der deutsche Konservatismus wurde salonfähig, als er sich nicht mehr zum Konservativsein bekannte und es ist ein Paradoxon, das Konservative verteidigen, was sie gestern bekämpft haben“. Zudem trete der Konservative einer Kultur der Unbedingtheit entgegen und versuche aus Erfahrungswerten heraus zu argumentieren.

In Europa müsse es insgesamt neue Denkstrukturen geben und flexiblere Strukturen geschaffen werden: „Konservative müssen auch darüber nachdenken, wie man produktiv mit Muslimen umgehen kann und konservative Politik muss hierzu auch eigene Ressentiments überwinden“. Das Fazit Rödders lautete daher: „Der Konservative ist klug genug zu wissen, dass man den Wandel nicht aufhalten kann. Aber ihn menschlich zu gestalten, darin besteht der beinahe historische Auftrag, den konservative Politik in Europa gestalten muss“.

Buchtipps zum Weiterlesen:

Andreas Rödder: 21.0 – Eine kurze Geschichte der Gegenwart

Robin Alexander: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht (erhältlich ab 13.3.17)

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