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„Von der Bevormundung zu Befreiung – 20 Jahre friedliche Revolution“
Auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung referierte Rainer Eppelmann im Kurhaus Dhonau bei BollAnt´s im Park. Der unscheinbar wirkende Mann, Jahrgang 1943, ist hellwach und geistreich. Dachdecker und Maurer war er, Bausoldat der Nationalen Volksarmee (NVA), bevor er nach Theologiestudium Kreis-Jugendpfarrer wurde. Eppelmann ist der bekannteste DDR-Bürgerrechtler. Als Volkes Stimme des demokratischen Aufbruchs avancierte er vom Staatsfeind zum Parlamentarier.
Fragt man heute Gymnasiasten, so Eppelmann, wer Erich Hohnecker war, antworten 18 Prozent „ein alter Bandleader“. 19 Prozent halten Wolf Biermann ebenso wie Willy Brandt für einen „langjährigen Generalsekretär der SED in der DDR“. 33 Prozent der Schüler hätten keine Antwort auf den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie gewusst. „Für viele hört Geschichte mit dem 8. Mai 1945 auf“, erklärte Rainer Eppelmann jüngste Studien in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur. Nach wie vor kämpft er gegen das Vergessen und für Demokratie. Sie sei etwas Kostbares, Bewahrenswertes, notfalls auch ein zu verteidigendes Gut. Mit Freya Klier und Mitstreitern würde er gern ein elftes Gebot manifestieren: „Du sollst nicht vergessen!“. Und wer könnte dies besser vermitteln, als einer, der Diktatur am eigenen Leib erfahren hat? Sein gepflegter Berliner Dialekt und ein gradliniger Duktus fesseln die Zuhörer, Erlebtes klingt authentisch.
Rückblick: Wären die Panzer schon am 17. Juni 1953 in den Kasernen geblieben, wäre schon damals die friedliche Revolution geglückt, sinniert Eppelmann das traumatische Ereignis, als sich Menschen unterhakten, um Panzer aufzuhalten: „Aber sie stoppten nicht, fuhren weiter“. Mit der Niederschlagung durch die sowjetische Besatzungsmacht wurden die bürgerlichen Ehrenrechte abgeschafft. 95 Prozent der Kinder sind als Pioniere SED-Organisierte, auch 95 Prozent Jugendliche. 50 Prozent mehr Leistung für gleichen Lohn wird eingefordert. Die Kirche wird infrage gestellt, der Alltag fremdbestimmt. Als „Abschied für immer“ prägt sich der Mauerbau am 13. August 1961 tief in sein Seelenleben. Dennoch hätten den „heiß geliebten Arbeiter-und Bauernstaat“ von 1945 bis 1989 vier Millionen verlassen, 1000 den Versuch mit ihrem Leben bezahlt. Dies dürfe man nie vergessen: „Die haben nicht auf Kaninchen geschossen, sondern auf Kinder, Frauen, Unbewaffnete!“. Und wie geht man damit um? „Wir wurden zu `Flüsterern`. Werft uns nicht vor, dass wir 40 Jahre brauchten, um Schreien zu lernen“ versucht er SED-Diktatur aufzuarbeiten. Man habe dank ARD und ZDF erst schwarzweiß und dann in Farbe in die deutschen Wohnzimmer blicken können, habe mit am Tisch gesessen. „Mann, jeht denen det awwer juuht“ war man neidisch. „Wahrt ihr soviel besser, fleißiger, klüger oder fantasievoller als wir?“, fragt er provokant zynisch. „Nee. Ihr hattet nur bessere Rahmenbedingungen, det war allet!“. 70.000 kamen zu Montagsgebeten zur Leipziger Nicolai-Kirche. Immer wieder beschwört er, dass die friedliche Revolution und Selbstbefreiung im maroden System vom Volke ausging. Eppelmann nennt Details, erinnert sich ganz genau an die „Nacht der Nächte“. Als er mit „Konterrevolutionären“ Schlagbäume auf der Bornholmer Straße öffnete, Menschen nur das Wort „Wahnsinn“ kannten, kopfschüttelnd mit Tränen in den Augen zu Salzsäulen erstarrten, oder Wildfremde sich in den Armen lagen. Gleichzeitig fürchtet der „Große Bruder“ um sowjetische Soldaten in Kasernen, eine heikle Situation, zumal die westliche Welt gespalten ist. Welche Rolle hat Manfred Stolpe in der DDR gespielt, wird Eppelmann gefragt: „Eine bessere als danach“ kommt die Antwort knallhart. Am 9. November 1989 wird im Bonner Bundestag die dritte Strophe des Deutschlandliedes gesungen, die Grünen ziehen aus. Nur im Nachhinein weiß Eppelmann „dankbar und stolz“, wie er bekennt, dass allein dieses kleine Zeitfenster blieb. Deshalb will er beim besten Willen nicht dem Meddersheimer Ex-Kommodore Hans-Peter Koch beipflichten, der zwei Jahre Aufschub zur „innerbetrieblichen DDR-Aufarbeitung“ für besser hielt: Denn da gab es schon die Sowjetunion, Gorbatschow, Glasnost und Perestroika nicht mehr….