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Wie bewältigt Sachsen-Anhalt die Herausforderungen des demografischen Wandels? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines mit über 100 Teilnehmern gut besuchten Demografiekongresses, den das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Kooperation mit dem Bildungswerk der KPV Sachsen-Anhalt e.V. in Magdeburg durchführte. Nach Begrüßung durch Alexandra Mehnert (Konrad-Adenauer-Stiftung) und Tim Rohne (Bildungswerk der KPV Sachsen-Anhalt) sprach Thomas Webel (Minister für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt) in seinem Minister-Impuls das Dilemma zwischen Demografie als Bedrohung und Demografie als Chance an. Rolf-Dietmar Schmidt (aspekt Magazin) moderierte den Kongress.
Minister Webel verwies auf die demografische Entwicklung, wonach die Menschen immer älter werden und dabei meist auch gesundheitlich in guter Verfassung sind. So ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern auf 77 Jahre gestiegen, bei Frauen gar auf 82 Jahre – vor 100 Jahren lagen die Zahlen noch bei 46 bzw. 52 Jahren. Diese höchst erfreuliche Entwicklung verstärkt sich sogar, indem die Tendenz weiter steigend ist. Auf der anderen Seite gibt es immer weniger Kinder – die Quote liegt in Sachsen-Anhalt bei 1,54 Kindern pro Frau. Zwar liegt diese Zahl leicht über dem Bundesdurchschnitt, aber für das notwendige Reproduktionsniveau müsste die Quote bei 2,1 liegen. Die Folge ist, dass es in Sachsen-Anhalt derzeit pro Jahr etwa 15.000 Sterbefälle mehr als Geburten gibt. Um so wichtiger sind Anreize für eine Familiengründung und die Schaffung eines familienfreundlichen Umfeldes im Land, wobei alle gefragt sind: Staat, Kommunen, Unternehmen, Nachbarschaft sowie die Familien selbst.
Ein weiterer Aspekt ist die jahrelange Abwanderung vor allem junger Menschen, die vor allem aus beruflichen Gründen ihre Heimat verließen. Zwar ist dieser Trend gestoppt und viele junge Leute kommen nach Ausbildung oder Studium zurück, so dass sich der Wanderungssaldo sogar umgekehrt hat: Seit 2014 kommen mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt als dass sie es verlassen. Trotz dieser positiven Entwicklung wird aber die Bevölkerungszahl weiter zurückgehen. Bereits seit 1990 ist die Einwohnerzahl um mehr als 600.000 Menschen gesunken – 22 Prozent der Bevölkerung. Das sind mehr Menschen, als in Magdeburg und Halle zusammen leben. Die abgewanderten – zumeist jungen – Menschen fehlen heute in Unternehmen, in Vereinen sowie als junge Eltern. So betrug gemäß Zensus von 2011 der Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Sachsen-Anhalt 12,7 Prozent – der niedrigste Wert in Deutschland. Umgekehrt liegt das Bundesland beim Alter auf einem Spitzenplatz. Die Folgen sind Pflegebedarf und Ärztemangel, vor allem im ländlichen Raum.
Webel betonte, dass es Aufgabe des Landes ist, den demografischen Wandel aktiv zu gestalten. So hat sich Sachsen-Anhalt bereits früh den Herausforderungen gestellt und den Bereich Demografie fest in der Landespolitik verankert. Bereits seit 2005 werden in seinem Ministerium als strategischer Rahmen Handlungskonzepte zur Nachhaltigen Demografiepolitik erstellt. Es wurde ein Demografie-Beirat ins Leben gerufen und es gibt einen Demografiepreis für engagierte Bürger, Vereine und Institutionen. Zudem sind in der Demografie-Allianz mehr als 70 Partner aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammengeschlossen, um Initiativen und Aktivitäten zu bündeln und neue Ideen zu entwickeln. Weitere Instrumente sind das Förderprogramm Demografie sowie die Mitarbeit in der Demografiestrategie des Bundes, etwa die Beteiligung an den Modellvorhaben der Raumordnung zur Optimierung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum. Zudem erfolgt ein Austausch auf europäischer Ebene.
Der Minister hob hervor, dass im ländlichen Raum mit dünner Siedlungsstruktur, von dem Sachsen-Anhalt geprägt ist, der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung liegt. Als Klammer dienen dabei die Grundzentren, die attraktiv und leistungsfähig zu gestalten sind. Neben Projekten des Landes sind hierbei auch die Kommunen selbst gefragt, die Prozesse mitzugestalten. Von Bedeutung sind beispielsweise die sozialen Infrastrukturen, das bürgerliche Engagement, die Identifikation mit der Heimatregion, der Zusammenhalt, bezahlbares Wohneigentum und nicht zuletzt die Natur – all dies stellt oft einen Vorteil gegenüber den Großstädten dar. Entsprechend bedeutsam ist ein Städtebauprogramm, aus dem zwischen 2010 und 2016 ca. 30 Mio. Euro an 33 Kommunen flossen. Zusammen mit deren Eigenanteil liegt die Summe an Städtebaufördermitteln bei ca. 45 Mio. Euro.
Von Bedeutung ist zudem der Öffentliche Personennahverkehr, damit verbunden der Ausbau des Straßennetzes, was auch dem Individualverkehr zugute kommt. Zum Verkehrsmix von Bahn und Bus sind zudem flexible Modelle im ÖPNV nötig. Als weitere Instrumente zur Gestaltung des demografischen Wandels sind, so Webel, Familien- und Jugendpolitik, ärztliche Versorgung sowie Arbeitsmarktpolitik zu nennen, zudem Fragen der Migration, was sich nicht nur auf Flüchtlinge bezieht, sondern ebenfalls auf Zuwanderung aus dem europäischen Ausland. Von Bedeutung ist es, insbesondere den ausländischen Auszubildenden und Studenten eine Bleibeperspektive zu geben. Voraussetzung dafür ist wiederum eine stabile Wirtschaft, die ihrerseits nach Fachkräften sucht.
Der Minister zeigte auf, dass bei der Bewältigung des demografischen Wandels alle Generationen gefragt sind – junge Menschen und Familien ebenso wie Senioren, die sich mit Energie und Schaffenskraft in die Prozesse einbinden lassen, vor allem ins Ehrenamt. Unter Mitwirkung aller Menschen und mit einer gelebten Willkommenskultur wird der demografische Wandel positiv gestaltet, so Thomas Webel.
Im Anschluss an den Minister-Impuls fanden drei parallele Workshops statt, um unterschiedliche Initiativen vorzustellen und über den Umgang mit dem demografischen Wandel zu diskutieren. Am Workshop 1 unter dem Titel „Menschen ergreifen Initiative“ (Moderation: Wolfgang Brenneis) wirkten Marcus Weise (Bürgermeister der Stadt Harzgerode), Steffi Trittel (Bürgermeisterin der Gemeinde Hohe Börde) sowie Frank Nase (Gemeinde Barleben) mit. Im Workshop 2 „Kommunen starten in die Zukunft“, moderiert von Tobias Krull MdL, waren Heinz-Lothar Theel (Geschäftsführendes Präsidialmitglied Landkreistag Sachsen-Anhalt), Martin Stichnoth (Bürgermeister der Stadt Wolmirstedt), Thomas Barz (Bürgermeister der Stadt Genthin) sowie Ina Zimmermann (Bürgermeisterin der Gemeinde Salzatal) die Gesprächspartner. Workshop 3 „In Sachsen-Anhalt Heimat finden“ mit Staatssekretärin a.D. Carmen Niebergall als Moderation wurde von Minister Thomas Webel, Sibylle und Udo Lucas (Feuerwehr-Dorfgemeinschaftsverein Wolfsberg e.V.) sowie Dr. Annette Schneider-Reinhardt (Geschäftsführerin Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V.) gestaltet.
Die wichtigsten Thesen der Workshops wurden in einem Poetry Slam durch Dr. Karsten Steinmetz und Herbert Beesten zusammengefasst. Wichtige Ergebnisse waren die Forderung nach einem kommunalen Entwicklungsplan, in dem Fachleute eine Anpassungsstrategie zur Gestaltung des demografischen Wandels entwickeln. Auch gelte es, eine „Engagement-Drehscheibe“ zu etablieren, um den Bedarf der Bevölkerung zu ermitteln und das Ehrenamt zu stärken, denn „Menschen suchen Begegnung“. Vereine seien zu fördern, um das Leben vor Ort lebenswerter zu gestalten und zugleich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Region zu halten und deren Identität zu stärken. Zudem müssen im ländlichen Raum Einkaufsmöglichkeiten vorgehalten werden, Märkte müssten zu den Menschen kommen. Auszubildende sollen mit bestimmten Angeboten angesprochen werden, um sie in der Region zu halten bzw. ausländische Bewerber seien gezielt anzuwerben. Auch sei das Miteinander der Generationen besser zu organisieren.
Daseinsvorsorge sei extrem wichtig, um den Menschen das Bleiben in ihrer Heimat zu ermöglichen. Der Begriff Heimat ist dabei nicht nur auf den Geburts- oder Wohnort anzuwenden, sondern es ist zweitrangig, wo die Wurzeln sind – wichtig ist, wo sich Menschen wohlfühlen und wo sie nett miteinander umgehen. Heimat ist zugleich Erlebnisraum und gelebte Geschichte. Das soziale Netzwerk muss stimmen, um sich eine Heimat zu schaffen – entsprechend wichtig ist das gemeinsame Agieren. Heimat beginnt mit Engagement. Auch gilt es, Menschen nicht auszugrenzen!
Welche Ideen es für die Zukunft gibt, zeigte eine Versuchswerkstatt unter Leitung von Carmen Niebergall auf: Diskutiert wurde über die „digitale Gemeinde“, über Kinderfreundlichkeit der Kommunen, der Unternehmer sowie der Gesellschaft insgesamt, über Generations- und Wertekommunikation, über Bürgerbeteiligung, über Telemedizin, über ein Seniorentelefon, die Bedeutung von Social Media, über den Gesellschaftsvertrag oder über das Image von Start-Ups bzw. „Garagenunternehmern“. Von Bedeutung sind die Stärkung des Ehrenamtes und der Stolz auf die Heimat. Heimat, Familie und Sicherheit sind drei Begriffe, die oft im Zusammenhang genannt wurden.
Im Ausblick zeigte Dr. Sigrun Trognitz (Geschäftsführerin Allgemeiner Arbeitgeberverband der Wirtschaft für Sachsen-Anhalt e. V.) auf, dass Sachsen-Anhalt Zukunft anbietet: Es gilt, mehr miteinander zu sprechen und die unternehmerische bzw. Wirtschaftssicht einzubeziehen. Wichtig sei zudem die Kenntnis für junge Menschen, wo es Ausbildungsplätze gibt. Es darf nicht nur bei Zukunftsvisionen bleiben, sondern diese müssen in Aktionen umgesetzt werden. Auch benötigt Sachsen-Anhalt mehr Unternehmen, denn die Vielfalt der Ideen ist ein großes Potenzial. Diese müssen jedoch umgesetzt werden. Vor allem gibt es einen Mangel an großen Unternehmen; Ansiedlungen, auch von Start-Ups sind wichtig. Die bereits bestehenden Unternehmen müssten ihre Türen verstärkt für junge Leute öffnen. Im Land gibt es gute Rahmenbedingungen; gerade die Entwicklung der letzten Jahre sei immens, auch der Wandel in der Unternehmenskultur.
Innerhalb der Unternehmen gilt es, dass sich die Generationen gegenseitig akzeptieren. Zudem hob die Referentin die Hochschullandschaft in Sachsen-Anhalt hervor. Zugleich stellte sie aber die Frage, ob Wissenschaft und Unternehmen zu wenig voneinander wissen. Hier gilt es, die Zusammenarbeit besser zu pflegen. Auch gilt es, gute Leute im Land zu behalten, womit Trognitz die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz verband. Das Potenzial von Zuwanderern ist für die Wirtschaft in Sachsen-Anhalt zu nutzen.
Während des abschließenden Mittagsbuffets wurden weitere Ideen ausgetauscht und gesammelt.