Asset Publisher

Event reports

Extremismuskongress: Wie gefährdet ist Deutschland?

Kongress in Magdeburg

Asset Publisher

mit Michael Thielen (Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.), Heike Luckhardt (Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt), PD Dr. habil. Tom Thieme (Politikwissenschaftler, Technische Universität Chemnitz), Dr. Rudolf van Hüllen (Extremismusforscher, Krefeld), Jan-Henning Wedler (Politikwissenschaftler, Potsdam), Dr. Sabine Pokorny (Konrad-Adenauer-Stiftung, Politik und Beratung), Christoph Bernstiel (Projektmitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung), Dr. Adrienne Krappidel (Politikwissenschaftlerin, Dresden), Philipp Winkler (Schriftsteller, Leipzig), Wolfgang Brenneis (Freier Dozent), Katharina Pongratz, Giorgi Doinjashvili, Jan Rödel (Vertreter des Zukunftsteams der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen-Anhalt)

Das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. bietet künftig jährlich zwei Kongresse an, in denen wir uns mit Inhalten zur Thematik Politischer Extremismus beschäftigen. Die Auftaktveranstaltung fand am 30. November 2016 in Magdeburg statt.

Zur Begrüßung betonte Michael Thielen, Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung, die Bedeutung des Themas des Kongresses und hob hervor, dass die Reihe die aktuell drängenden Themen aufgreift: Junge Menschen radikalisieren sich, im Internet finden sich Hassbotschaften und Verschwörungstheorien, es gibt Aufmärsche von Links und Rechts sowie Fälle von Gewalt gegen Repräsentanten des Staates. Auf der anderen Seite findet sich Engagement für die Gesellschaft, insbesondere in Vereinen und Verbänden. Er verwies auf die Bedeutung kommunaler Mandatsträger, die eine Basis und einen großen Beitrag für ein Miteinander in Deutschland bilden. Politische Bildung trägt zur Ermunterung für die Demokratieförderung bei. Wenn sich Menschen zum Engagement nicht mehr bereit erklären, erodiert die Gesellschaft.

Extremisten treten in unterschiedlichen Spielarten auf (Linksextremismus, Rechtsextremismus, islamistischer Fundamentalismus). Sie eint, dass sie eine autoritäre oder totalitäre Ordnung anstreben, ausgrenzen und Hass säen auf alles vermeintlich Andere. Sie haben mehr gemeinsam, als sie selbst zugeben. Die Konrad-Adenauer-Stiftung setzt die Extremisten unterschiedlicher Couleur nicht gleich, thematisiert aber Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Oft wird heute das „Zeitalter des Postfaktischen“ postuliert, jedoch setzt Thielen weiterhin auf die „Kraft durch Argumentation“. Dazu dienen das Extremismusportal der Konrad-Adenauer-Stiftung, Kongresse wie der aktuelle oder die Veranstaltungsreihe zur Inneren Sicherheit, die das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt derzeit landesweit anbietet.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist zwar Träger außerschulischer politischer Bildung, aber wichtig sei auch der Blick auf die schulische Bildung. Insbesondere auf die historische Bildung wurde in den letzten Jahren wenig geachtet. Hier ist eine Veränderung geboten, um historische Zusammenhänge zu vermitteln und damit die Erziehung zur Demokratie zu verbessern, um sie „wetterfest zu machen“. Nur so kann die freiheitliche Ordnung lebendig gehalten werden!

Heike Luckhardt, Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Abteilung Verfassungsschutz), verwies auf die unruhigen Zeiten, in denen wir leben. Umso wichtiger sei es, sich an Fakten zu orientieren. Auch in Sachsen-Anhalt suchen Flüchtlinge Schutz, da sie durch die aktuelle Situation in ihren Heimatländern existentiell bedroht sind. Schutz zu geben ist die Aufgabe von Staat und Gesellschaft - jedoch auch die Verfolgung von extremistischen Aktivitäten, die die Situation für ihre Ziele ausnutzen. Es ist die Pflicht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen!

Der Zustrom an Flüchtlingen (vor allem im Jahr 2015) ist für die Bevölkerung eine große Herausforderung, doch hat das Land reagiert. Aktuell wird ein Leitfaden zur Unterbringung von Schutzsuchenden in Kommunen erarbeitet. Hinsichtlich der Kriminalität betonte Luckhardt: Zwar gibt es Straftaten durch Flüchtlinge (z.B. hinsichtlich des Bleiberechts oder Kriminalität unter Zuwanderern), doch sind Ausländer nach Faktenlage nicht krimineller als Deutsche. Hingegen haben rechtsextreme Delikte seit 2014 deutlich zugenommen, fremdenfeindliche Straftaten sogar um mehr als das Doppelte (Volksverhetzung, Beleidigung, Körperverletzung). Dabei ist das Internet eine wichtige Interaktions- und Kommunikationsdrehscheibe. Ziel der rechtsextremistischen Aktionen sei es, Ängste in der Bevölkerung zu verstärken. Dies beschäftigt auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden stärker.

Islamismus hat auch in Sachsen-Anhalt an Bedeutung gewonnen und stellt eine Bedrohung für Deutschland und Europa dar. Seit 2006 konnten mehrere islamistisch motivierte Anschläge in Deutschland verhindert werden; gleichwohl wurden mehr als 100 Deutsche bei Anschlägen im Ausland getötet. Aus Deutschland ließen sich 870 Menschen zum Dschihad „locken“ – 140 dieser Terroristen kamen zu Tode; es gab auch einige Rückkehrer nach Deutschland. Der Terror im Heimatland ist wiederum eine der wesentlichen Fluchtursachen – die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen im Jahr 2015 ist eine große Herausforderung für die Arbeit der Sicherheitsbehörden.

„Die Probleme Sachsen-Anhalts hätten andere Bundesländer gerne“, so Luckhardt, denn es gibt hier kaum bedeutsame Hassprediger, Moscheen und Salafisten. Lediglich zwei Mädchen sind ins Dschihad-Gebiet ausgereist. Die Zahl der unspezifischen Hinweise zu Islamisten hat seit einem Jahr stark zugenommen; Hinweise kommen auch z.B. von Polizei und Ausländerbehörde. In jedem Fall wird diesen Hinweisen nachgegangen, doch konnte bisher noch kein Nachweis erbracht werden. Die Sensibilität in der Bevölkerung hat sich nach den Vorgängen in Bayern ab Sommer 2016 verschärft. Die Sicherheitsbehörden sind auf alle Hinweise angewiesen, aber sie sollten möglichst konkret sein.

Luckhardt hob hervor, dass der Islam keine extremistische Ideologie ist und dass politisches Ausnutzen der Religion getrennt werden muss. Wichtig sei auch der Schutz Asylbegehrender vor salafistischen Aktivitäten. Der Verfassungsschutz bemüht sich um Informationen zu Menschen, die eine Radikalisierung anstreben oder zu radikalisierenden Orten. Die Referentin ging auf Beispiele der bundesweiten Zusammenarbeit bei Fragen der Integration ein und verwies auf bestehende Netzwerke, Publikationen, Beratungsangebote und Veranstaltungen, in die auch der Verfassungsschutz involviert ist.

Der Politikwissenschaftler PD Dr. Tom Thieme (Technische Universität Chemnitz) ging auf den Politschen Extremismus ein und erörterte den Begriff, Methoden und aktuelle Entwicklungen. In ganz Europa treten extremistische Hetzer auf, die eine Gefahr für das politische Gemeinwesen darstellen. Von Rechtsextremisten geht vor allem eine soziale Gefahr für Leib und Leben aus, besonders für Flüchtlinge oder Polizisten. Mit Linksextremisten verbindet sich eher eine politische Gefahr. Islamistischer Extremismus führt zu einer Gefahr durch Terroranschläge.

Der Referent ging im weiteren Verlauf auf den wissenschaftlichen Diskurs zum Extremismusbegriff ein und benannte die Kritik sowie Gegenkritik an dem Konzept. Vor allem erläuterte er die mit den sogenannten „extremistischen Grauzonen“ verbundenen Abgrenzungs- und Einordnungsprobleme.

Den einführenden Vorträgen folgten mehrere Foren, in denen verschiedene Aspekte des Politischen Extremismus vertieft wurden. Als Moderatoren der Foren waren jeweils Mitglieder des Zukunftsteams der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen-Anhalt aktiv.

Mit Dr. Rudolf von Hüllen als Referent erarbeitete ein Forum drei Analyseebenen für extremistische Gruppierungen und Parteien erarbeitet: die juristische, die soziologische und die normative Dimension. Alle drei Dimensionen wurden im Forum ausführlich diskutiert und erörtert. Die Teilnehmer des Forums riefen zu gesellschaftlicher Wachsamkeit und kritischem Hinterfragen auf, um zukünftige Radikalisierungen zeitgerecht zu erkennen und im Sinne der Demokratie zu betrachten.

Der Potsdamer Politikwissenschaftler Jan-Henning Wedler zeigte in einem Forum Erscheinungen, Popkultur und Codes extremistischer Subkulturen. Die Teilnehmer fragten nach konkreten Hinweisen, wie Extremisten zu erkennen seien. Welche Symbole nutzen Extremisten? Wie sind Linke und Rechte zu unterscheiden? Wie sprechen Islamisten Jugendliche im Internet an? Der Referent berichtete dazu aus seiner Erfahrung in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen.

Heike Luckhardt stellte sich in einem weiteren Forum direkt den Fragen des Teilnehmerkreises zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes in Sachsen–Anhalt. Als Kernthemen wurden u.a. die aktuellen Tätigkeiten der Reichsbürger ausführlich aus Sicht des Verfassungsschutzes dargestellt und beleuchtet. Zur Extremismusprävention im Bundesland wurden die Programme für Schulen, Verwaltungsbehörden und die generelle Information der Bevölkerung erörtert. Zudem verwies die Referentin auf die besondere Rolle der sozialen Medien und des Internets. Das Forum fand den Konsens, dass es notwendig ist, die Medien im Sinne der Extremismusprävention zu nutzen. Es seit notwendig aufzuklären und die Menschen durch Information und Bildung von Radikalisierungstendenzen zu lösen.

Im Forum zu Extremistischen Einstellungen in der Gesellschaft stellte Dr. Sabine Pokorny aus dem Bereich Politik & Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung aktuelle Studien zu den Themenfeldern Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus vor. Sie wies zudem darauf hin, dass im Themenfeld Rechtsextremismus eine ausreichende Anzahl repräsentativer, aktueller Studien vorliegt. Das Themenfeld Linksextremismus ist aus wissenschaftlich repräsentativer Sicht weniger stark beleuchtet und es fehlt an aktuellen Studien und Auswertungen. Beim Themenfeld Islamismus liegen hingegen kaum bis gar keine repräsentativen Studien vor, welche keine aktuelle Trendanalyse ermöglichen. Zusammenfassend wurde hervorgehoben, dass in allen drei Bereichen weitere Untersuchungen erforderlich und notwendig sind.

Als weitere Form der Extremismusprävention dient ein Internetportal der Konrad-Adenauer-Stiftung, das Christoph Bernstiel vorstellte. Er erläuterte Aufbau sowie Inhalte und betonte, dass bereits für Kinder und Jugendliche die Medienbildung notwendig sei. Dabei sei nicht nur Faktenwissen zu vermitteln, sondern Menschen müssen befähigt sein, in modernen Kommunikationskanälen Extremisten entgegen zu treten. Umso wichtiger ist es, in einem Online-Portal die Begriffe erklärt zu bekommen sowie Hintergründe zu extremistischem Gedankengut und Einstellungen zu erfahren.

Ein Forum mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Adrienne Krappidel beschäftigte sich mit dem Auftreten und den Strategien rechtsextremer Mandatsträger in kommunalen Parlamenten sowie mit den Möglichkeiten der Auseinandersetzung von Vertretern demokratischer Parteien mit den Extremisten.

Zum Abschluss stellte der Schriftsteller Philipp Winkler seinen Debütroman „Hool“ vor. Im Mittelpunkt des Romans steht eine Gruppe von Hooligans, die am Rande von Fußballspielen gewalttätige Straftaten verüben. Nicht zuletzt aufgrund der inneren Struktur, der Verschwiegenheit sowie der Verabredung zu den Taten, die Methoden eines Geheimbundes gleichen, handelt es sich hierbei um eine Form von Extremismus. Auch die politische Dimension ist für die Hooliganthematik von Bedeutung, denn in den Gruppen finden sich – je nach regionaler Bedeutung – auch eine große Zahl von Rechts- und Linksextremisten wieder, die sich an den Gewalttaten beteiligen und aus der jeweiligen Szene auch politische Mitstreiter rekrutieren.

Wolfgang Brenneis (Freier Dozent) moderierte den Kongress; Mitglieder des Zukunftsteams der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen-Anhalt (Katharina Pongratz, Giorgi Doinjashvili sowie Jan Rödel) die einzelnen Foren.


Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher