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Welche Bedeutung kommt dem Heimat-Begriff zu? Wie gewinnen die Menschen ihre Identität und wie wächst Sachsen-Anhalt als Bundesland zusammen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Gesprächsforums der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Naumburg. Das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt hatte ins Gartenlokal „An der Fähre“ bzw. auf das Schiff „Unstrutnixe“ geladen. Alexandra Mehnert (Leiterin des Politischen Bildungsforums Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.) begrüßte das Publikum; Wolfgang Brenneis (freier Dozent) moderierte die Veranstaltung.
Bereits vor Beginn der Veranstaltung konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer besondere Blicke auf ihre Heimat erhaschen, denn bei einer kurzen Rundfahrt mit der „Unstrutnixe“ auf der Saale beobachteten sie Landschaften und Dörfer von der Flussperspektive aus. Manfred T. Schmidt, Geschäftsführer der Saale-Unstrut-Schiffahrts-GmbH, stellte in seinem Grußwort das Unternehmen vor und erinnerte an den schwierigen Start in der Umbruchszeit um 1990, als nach dem Mauerfall die meisten Menschen lieber in die alten Bundesländer oder ins westliche Ausland reisten, aber kaum an die Schönheit der eigenen Region dachten. Erst allmählich gewann der Tourismus an Stärke, vor allem mit Radtouren, Besuche von Weinbergen, Burgen und Schlössern sowie mit Schiffs-Ausflügen auf Saale und Unstrut. Das Heimatgefühl der Menschen wuchs und damit ist auch wirtschaftlicher Erfolg verbunden.
In seinem Eingangsstatement konzentrierte sich Dieter Stier MdB auf die Definition des Heimat-Begriffs: Man versteht darunter nicht nur Herkunft, sondern auch die damit verbundene Identitätsfindung jedes Einzelnen. Doch der Heimatbegriff ist auch erweiterbar und bezieht ein größeres Umfeld ein, etwa – je nach Perspektive - den Wohnort, den Landkreis, das Bundesland Sachsen-Anhalt oder gar ganz Mitteldeutschland. Auch wirtschaftliche oder kulturgeschichtliche Aspekte – z.B. das Weinbaugebiet, die Himmelsscheibe von Nebra oder Burgen und Schlösser, gehören zum Heimatgefühl. Wie wird Heimat Teil einer Identität? Hierzu blickte Stier auf das eigene Engagement und die Verwurzelung in der Region, etwa in Ehrenämtern wie im Sportverein, in politischen Funktionen von der Kommune bis zum Bundestag oder in der Zusammenarbeit mit weiteren Gremien (z.B. Landrat). Nicht nur seinen Wohnort Weißenfels zählt Dieter Stier zur Heimat, sondern den ganzen Burgenlandkreis bis hin zu Teilen des Saalekreises, etwa die Chemieregion.
Um seine Heimat zu stärken, sieht sich Dieter Stier als „Lobbyist“ für die Region, etwa bei der Akquise von Fördermitteln, hinsichtlich der Kultur, der Verbesserung der Infrastruktur (z.B. Straßen, Digitalisierung), aber auch bei der Erhaltung der Bundeswehr-Standorte. Auch das Streben nach Einordnung von Berlin als einzigem Regierungssitz oder der Kampf um ein neues Weingesetz gehören zu seinem Engagement für die Heimat. Als Defizite sieht der Bundestags-Abgeordnete, dass keine Vertreter aus der erweiterten Region in der Bundesregierung vertreten sind und somit Sprachrohre für die Heimat fehlen. Auch gibt es noch immer große Unterschiede zu den alten Bundesländern, etwa hinsichtlich Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsstrukturen oder Energiepolitik.
Die Geschichte Sachsen-Anhalts ist das wichtigste Forschungsfeld von Prof. Dr. Mathias Tullner (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg), der als zweiter Referent sein Statement hielt. Auch Tullner blickt beim Heimatbegriff auf Region und Gefühl. So war für ihn der Heimatbegriff stets mit der unmittelbaren Umgebung und der dort vorhandenen Flora und Fauna verbunden. Heimat hängt zudem von geographischen Gegebenheiten ab und vom Gefühl, dort leben zu können und zu genießen. Doch Heimat kann sich im Leben eines Menschen auch verändern – manch einer muss sich eine neue Heimat suchen.
Für Sachsen-Anhalt sind die Begriffe Heimat und Identität komplizierter als in den anderen „neuen“ Bundesländern, wo sich mit der friedlichen Revolution auch das Bewusstsein für die jeweilige Region zeigte – etwa grün-weiße Fahnen in Sachsen oder der rote Adler in Brandenburg. Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt gab es eine sehr wechselvolle Geschichte und die kurze Zeit als Bundesland nach 1947 war im Bewusstsein der meisten Menschen bereits vergessen, so Tullner. Erst mit Gründung des CDU-Landesverbands im Februar 1990 kam der Name wieder auf die Tagesordnung. Eine Identität als Sachsen-Anhalter hatten die Bewohner der einstigen Bezirke Magdeburg und Halle jedoch nicht – sie sahen sich als Altmärker, Anhalter, Harzer usw. Zudem war das heutige Bundesland schon lange Zuwanderungsland, vor allem im Zuge der Industrialisierung (Chemieindustrie, Braunkohleförderung usw.). Angesichts des demografischen Wandels ist Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren eher zum Abwanderungsland geworden, aber auch hier ist wieder eine Umkehr möglich. Sachsen-Anhalt weist zwar eine komplizierte Geschichte auf, erringt aber in allen Regionen Spitzenwerte europäischer Kultur. So gibt es im Bundesland vier UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten – nach Bayern liegt Sachsen-Anhalt da an zweiter Stelle. Und zudem weist das Land hervorragende Bildungsstätten auf.
Zu diesen Bildungsstätten gehört das traditionsreiche Domgymnasium in Naumburg, dessen Leiterin Angelika Römer als weitere Referentin ihr Statement hielt. Sie bezog sich auf das Jahresmotiv der Konrad-Adenauer-Stiftung „Was uns prägt, was uns eint“, denn diese Begriffe stehen symbolisch für Heimat und Identität. Prägende Elemente seien der Kulturkreis, der geographische Raum, Traditionen, Lebensweise, das Elternhaus sowie das Umfeld – all dies löst Emotionen aus. Einend wirken ebenfalls der geographische Raum, die Traditionen sowie der Kulturkreis, aber auch die politischen Grundhaltungen. Zu diesen Begriffen gibt es viele Gemeinsamkeiten, Emotionen, Gefühle, während Lebensweise, Elternhaus und das persönliche Umfeld von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind. Im begriff „Heimat“ steckt das Wort „Heim“ , was „Zuhause“ bedeutet – dies ist der Ort, wo man „ich“ sein kann, sich nicht verstellen muss, zu einer kleinen Gruppe (z.B. Familie) dazugehört. Heimat ist emotional besetzt und muss nicht an einen Ort gebunden sein; sie ist dort, wo man selbst am „richtigen Platz“ ist, wo man die soziale Prägung erhalten hat.
Für die Entwicklung der Persönlichkeit und damit auch des Heimatgefühls kommt der Schule eine große Bedeutung zu – die Zugehörigkeit zu einer Schule schafft eine „Corporate Identity/CI“ für Schüler und Lehrer. Dies zeigt sich auch am Domgymnasium, das eine der ältesten Schulen in Deutschland ist (wohl 1030 gegründet, 1088 belegt). Heute sehen die die Schüler und Lehrer in dieser Tradition. Angelika Römer berichtete, dass sich das Gymnasium 1998 als UNESCO-Schule beworben hatte, zumal Bildung nicht nur über Wissen, sondern gleichermaßen über Werte erfolgt und die UNESCO-Werte vertritt (z.B. demokratisches Wirken, Toleranz). Damit verbunden ist auch die Anerkennung als Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Allerdings gibt es auch betrübliche Entwicklungen, vor allem die hohe Abwanderung von Schülern nach dem Abschluss – insbesondere der Wegzug junger Frauen. Umso wichtiger ist es, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in der Region aufzuzeigen, so dass das Gymnasium mit zahlreichen Unternehmen der Region kooperiert. Für die Prägung der Jugendlichen sieht es die Schulleiterin als wichtig an, das CI ihren Schülern mit auf wem Weg zu geben, um die Heimat auch in der globalisierten Welt und angesichts der weltweiten Freunde im Herzen zu behalten und zu schätzen.