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Russland der Gegenwart

by Manuel Sroka
Russland der Gegenwart ist brisant. Der Georgien-Konflikt und die aus dem Gasstreit mit der Ukraine resultierenden Lieferengpässe für europäische Energieverbraucher haben das Verhältnis zum Westen belastet. Wiederholt wird der russischen Führung vorgeworfen, sie handle undemokratisch, den Begriff der „souveränen Demokratie“ nur als Vorwand für autoritäre Herrschaftspraktiken nutzend.

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Wo steht Russland? Ist der größte Staat der Erde noch ein wichtiger Partner Europas oder wird er zur Gefahr? Das Seminar versucht ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, zu informieren, die Möglichkeit zu geben Expertenmeinungen zu hören und diese zu diskutieren.

Demokratie in Russland: souverän, gelenkt, normal?

Dr. Andreas Umland, Dozent für osteuropäische Zeitgeschichte an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, spricht über die Regierungsverhältnisse in Russland. Nominell ist Russland ein demokratischer Staat, semipräsidentiell, die Gewalten geteilt. Allein: die Tradition fehlt. Politische Parteien sind nicht etabliert, sowohl im Zarenreich, als auch in der Sowjetunion war gesellschaftlicher Diskurs zur politischen Lage unerwünscht und meist bestraft. Braucht Russland also andere Maßstäbe für Demokratie?

„Nein“, sagt Umland, „es gibt nur eine Demokratie. Der Weg dorthin kann allerdings steinig sein. Ein politisches System wandelt sich nicht in kürzester Zeit.“ Er stellt den Vergleich der heutigen – von Premierminister Wladimir Putin dominierten – Politik mit der Jelzinschen der 90er Jahre an.

„Jelzin war kein Musterdemokrat, aber Russland befand sich zu seiner Zeit auf dem Weg einer Demokratisierung. Unter Putin ist dieser Weg nicht konsequent weiterverfolgt worden.“ So seien in den 90er Jahren das politische Engagement in der Bevölkerung stärker und die Parlamentswahlen tatsächlich spannend gewesen. „Heute“, sagt Umland, „ist Russland faktisch ein Einparteienstaat.“ Die Partei „Einiges Russland“ (Wladimir Putin ist Vorsitzender, aber nicht Mitglied der Partei) dominiere die Politik im Kreml und in der Duma, eine echte Opposition gebe es nicht. „Wen sollen die Russen denn wählen, wenn ihnen außer den Herrschenden nur „Politclowns“ wie etwa Wladimir Schirinowski oder alte Kommunisten zur Wahl stehen?“, fragt Umland rhetorisch.

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Dr. Andreas Umland

Der Volkswille sei tatsächlich gelenkt, vermutlich nicht durch Wahlmanipulationen, aber durchaus durch die Berichterstattung in den Massenmedien. „Russische Massenmedien erinnern heute gewissermaßen an die aktuelle Kamera der DDR.“, kritisiert Umland die Einseitigkeit der Berichterstattung, „ Es gibt feste Zeitspannen, in denen über den Präsidenten und den Premierminister berichtet wird, die Opposition wird als radikal (und somit unwählbar) dargestellt, gemäßigte Opposition wird nicht gezeigt.“

Zwar sei unabhängige und kritische Berichterstattung durchaus zugegen – Zeitungen wie „Nowaja Gaseta“ belegten dies -, aber diese Printmedien adressierten keine so große Leserschaft, wie die Zahl der Zuschauer der überregionalen und vorwiegend staatlich kontrollierten Fernsehsender.

„So genannte Demokratiedefizite existieren im Bereich der Gewaltenteilung, beim Aufbau einer Zivilgesellschaft, aber auch bei dem im Namen „Russische Föderation“ verankerten Föderalismus. Seitdem die Provinzgouverneure nicht mehr vom Volk gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt werden, hat sich die Macht in Moskau zentralisiert.“ Zwar träfen die Gouverneure weiterhin unabhängige Entscheidungen in der Lokalpolitik, sie seien aber der ständigen Kontrolle durch den Kreml unterworfen.

Während Jelzins Regierungszeit eine „unterentwickelte Demokratie“ gewesen sei, ist die russische Demokratie unter Putin laut Umland „gescheitert“. Man könne nicht mehr von einer langsamen, aber kontinuierlichen Entwicklung hin zu Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und pluralistischer Gesellschaft sprechen.

Die Verbesserung der Lebenssituation der Russen – bedingt durch wirtschaftlichen Aufschwung – sei zwar beachtlich, aber bereits in den späten neunziger Jahren begründet. Umland stellt fest: „Die Frage, ob die hohen Wachstumsraten der russischen Wirtschaft trotz oder wegen Putins Politik erreicht wurden, lässt sich nicht eindeutig beantworten.“

Eine tiefgreifende Änderung des Regierungsstils hält Umland nur für möglich, wenn sie vom Kreml selbst ausgeht. „Die Nominierung Dimitri Medwedews als Präsidentschaftskandidat war eine große Überraschung“, sagt Umland. Schließlich gilt der heutige Präsident als liberaler Gegenspieler der Silowiki (Vertreter der Sicherheitsorgane an einflussreichen Positionen der russischen Regierung, meist Vertraute Wladimir Putins), klar hat er sich zu Rechtsstaatlichkeit bekannt und sich gegen eine russische „Sonderform der Demokratie“ ausgesprochen.

Umland weist aber darauf hin, dass Medwedew beim Versuch liberale Reformen durchzusetzen möglicherweise auf massive Widerstände in der noch von Silowiki durchdrungenen Präsidialadministration, sowie im Parlament stoße. „Putin ist immer noch der starke Mann in Moskau. Zudem wissen wir nicht, wie weit Medwedew den russischen Staat überhaupt liberalisieren und demokratisieren will.“

Schließlich aber sind die Machtverhältnisse im Kreml undurchschaubar. „Wer welche Schaltstellen kontrolliert können weder ich noch andere Experten zuverlässig sagen“, bemerkt Umland und fügt hinzu: „Russische Politik wird spannend und unvorhersehbar bleiben.“

Politischer Extremismus in Russland

Statistiken zufolge werden in der russischen Föderation im Durchschnitt jede Woche zwei Menschen von Rechtsextremisten ermordet. Ihr Aussehen, ihre Herkunft oder ihre Sprache wird ihnen zum Verhängnis. Besonders Kaukasier und Zentralasiaten, so genannte „Schwarze“, sind Opfer von Gewalt.

Dr. Andreas Umland diskutiert im Vortrag, wie stark der Einfluss rechtsextremer oder faschistischer Ideen auf Russlands Politik ist.

Umland definiert – dem britischen Faschismusforscher Robert Griffin folgend – den Faschismus als eine ultranationalistische politische Strömung, die eine umfassende Neuordnung der bestehenden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse zum Ziel hat (Palingenese als mythischer Kern der Ideologie).

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Stanislaus von Eichborn (Tagungsleiter) hört Umland aufmerksam zu

Auf die, in den neunziger Jahren häufig als Paradebeispiel für russischen Faschismus betrachtete Partei Russisch Nationale Einheit (RNE) , die durch ihre an den deutschen Nationalsozialismus angelehnte Symbolik und Rhetorik, sowie die paramilitärische Struktur Aufsehen erregte, trifft diese Definition laut Umland nicht zu. Ihr fehle die Neuausrichtung, sagt er und verweist auf die vielfach schlicht von der NSDAP und italienischen Faschisten kopierten Anschauungen.

Eher faschistisch zu nennen sei die Liberaldemokratische Partei Russlands(LDPR) des Populisten Wladimir Schirinowski in ihrer Anfangsphase (vor den Parlamentswahlen 1993) gewesen. So sei Schirinowskis Vorschlag Russland durch einen „Sprung nach Süden“ (d.h. durch die Eroberung und Annexion der Türkei, des Irans und Afghanistans) wiederaufzurichten sowohl ultranationalistisch, als auch vom Gedanken an einen Umsturz und eine „Wiedergeburt“ Russlands geknüpft.

Die Kommunistische Partei der russischen Föderation (KPRF) , die Nachfolgepartei der KPdSU ist, so Umland, durchaus stark nationalistisch anzusehen. Das sie eine stratifizierte (geschichtete) Gesellschaft anstrebe sei sie zwar rechts- und nicht linksextrem, aber aufgrund ihrer Orientierung an der Vergangenheit (Sowjetunion) eher ultrakonservativ, als faschistisch.

Alexander Dugin schließlich – besonders tritt er durch seine radikal antiwestliche Haltung hervor – sei durch seine Vernetzung und informelle Einflussnahme auf die Politik der vielleicht gefährlichste Vertreter der politischen Rechten in Russland. Eng verbunden mit dem „Nationalbolschewismus“ sei auch er Vertreter eines revolutionären Ultranationalismus.

In einem Schaubild zeigt Umland die Einseitigkeit der politischen Landschaft in Russland. „Wirklich linke Parteien, die eine egalitäre Gesellschaft anstreben fehlen ebenso wie Liberale oder Sozialdemokraten“, sagt er und resümiert: „In Russland wird eine politische Auseinandersetzung derzeit nur zwischen gemäßigten und extremen Nationalisten geführt. Der national und nicht sehr demokratisch ausgerichteten Kreml-Partei „Einiges Russland“ steht eine überwiegend deutlich extremere Opposition gegenüber.“

Zudem ist die russische, rechtsextreme Skinhead-Bewegung groß. „Man geht von bis zu 70.000 gewaltbereiten Anhängern aus, das wäre die Hälfte aller rechtsextremen Skinheads der Welt.“ Umland unterstreicht: „Die russische Regierung ist sich in der Ablehnung dieser Straftaten einig. Allerdings werden noch immer viele rechtsextreme Straftaten nicht als solche registriert oder nicht ausreichend verfolgt.“ Der Schaden der den Menschen, aber auch dem Russlandbild des Auslandes dadurch entsteht ist immens.

Beziehungen zu Russland in Krisenzeiten - im alten und "neuen" kalten Krieg

Dr. Axel Lebahn, Russlandberater, ehemaliger Osteuropadirektor der Deutschen Bank AG und ehemaliger Geschäftsführer des Zentrums für Deutsch-Russische Wirtschaftskooperation (ZDRW)GmbH, hatte zu Zeiten des kalten Krieges eine Schlüsselrolle für die Wirtschaftskooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion inne.

„Wir haben ein Experiment durchgeführt.“, sagt er rückblickend auf die damals brisanten politischen Voraussetzungen, „Wir haben getreu dem Prinzip „Die Flagge folgt dem Kaufmann“ die wirtschaftlichen Beziehungen vor den politischen intensiviert. So war es möglich friedlich und zu beiderlei Nutzen in Kontakt zu treten.“ Nichtsdestotrotz haben deutsche Firmen Wirtschaft nicht losgelöst von Politik betrachten können.

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v. L. n. R.: Dr. Axel Lebahn, Heinrich Schwabecher

Das ist laut Lebahn auch heute nicht möglich. „Die russische Seite zeigt, dass Energie Politik ist. Da der Energiebereich das Rückgrat der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ist, lässt sich In den Beziehungen zu Russland die Wirtschaft nicht von der Politik trennen“, sagt er und weist darauf hin, dass eine Loslösung vom Sowjetsystem in kurzer Zeit nicht möglich sei.

„Genaugenommen hat das Sowjetregime 800 Jahre Vorlauf gehabt.“, analysiert Lebahn mit Blick auf die autokratischen Gemeinsamkeiten von realem Sozialismus und Zarenreich.

„Unter Putin treten jetzt erstmals jene KGB-Funktionäre aus dem Schatten, die schon lange das Geschick der Russen entschieden beeinflusst haben.“, sagt er und schließt: „Die Beziehungen zu Russland sind etwas besonderes. Die Politik muss einsehen, dass sie Russland eben nicht, wie jedes andere Land behandeln kann.“

Eine einvernehmliche Lösung unter Beteiligung aller Parteien sei dann auch das Mittel der Wahl zur Lösung der ungeklärten Statusfrage der Ukraine, Weißrusslands und des Südkaukasus. Lebahns Vorschlag: „Anstatt Anlass für Streit zu bieten könnten diese Republiken eine Brücke bilden zwischen Europa und Russland.“ Alle Beteiligten müssten freilich mitwirken.

Russische Außen- und Sicherheitspolitik und der Westen: zwischen Partnerschaft und Konkurrenz

„Russland – ein Mysterium?“, fragt Peter Schafranek, ehemaliger Verteidigungsattaché in Moskau und Brigadegeneral a. D. zu Beginn seines Vortags über die Außen- und sicherheitspolitische Kooperation und Konkurrenz zwischen Russland und dem Westen. Churchill zitierend („Die Zukunft Russlands kann ich nicht voraussagen“) weist er auf die Unwägbarkeiten der künftigen politischen Verhältnisse und damit auch der partnerschaftlichen Beziehungen hin.

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Brigadegeneral a. D. Peter Schafranek

Der Georgien Krieg habe das Verhältnis zum Westen stark belastet, obwohl man durchaus gemeinsame sicherheitspolitische Interessen habe, wie etwa die Stabilisierung Afghanistans. „Russland kooperiert hier auch mit NATO-Staaten. So gewährt es den deutschen Militärtransporten für Afghanistan den Überflug seines Territoriums.“

Das Ziel Russlands sei es ein stabiles, geeintes Land und auch eine respektierte Weltmacht zu werden, die Innenpolitik sei daher häufig mit der Außenpolitik verknüpft. Als belastende Faktoren für dieses Streben nennt Schafranek die niedrigen Energiepreise, die hohe Inflation, sowie den schlechten Zustand der Streitkräfte, von denen gegenwärtig möglicherweise nur 17% einsatzbereit seien.

„Die USA werden darüber hinaus häufig als Bedrohung dargestellt, auch wenn die tatsächliche militärische Gefahr für Russland nicht vom Westen ausgeht.“, sagt Schafranek. Konkurrenz gebe es auch im Ringen um internationale Partner.

„Es bleibt zu hoffen, dass die neue US-Administration Bewegung hin zu mehr Kooperation bringt“, schaut er voraus und regt an: „Der Westen sollte konsequent bleiben. Das Versprechen eines MAP (Membership Action Plan) für Georgien und die Ukraine muss eingehalten werden. Zugleich sollte man aber Vertrauensbildung durch gegenseitigen Respekt fördern.“

Energiepolitik Russlands. Eine Energiegroßmacht oder Ressourcenstaat?

Dr. Stefan Meister, Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP), zeigt zunächst die Bedeutung der Energiewirtschaft für die russische Föderation.

Russland kontrolliert ca. 25% der bisher bekannten Erdgas- und ca. 6% der Weltölvorräte. Der Rohstoffsektor hat einen Anteil von nahezu 60% am Export des Landes und macht ungefähr 20% des BIP aus. Energiebeziehungen sind also vital.

Trotz Anzeichen der holländischen Krankheit ist es gelungen die drittgrößten Währungsreserven der Welt zu schaffen. „Der Stabilisierungsfonds kommt Russland in der Finanzkrise sehr zugute.“, so Meister.

Den Energiebeziehungen zur Europäischen Union misst er besondere Bedeutung bei: „Europas Energiebedarf wird steigen und vom finanziellen Umfang machen die Lieferungen in die EU heute schon den Löwenanteil des russischen Gasgeschäfts aus. Natürlich versucht Russland auch seine Exporte zu diversifizieren und den asiatischen Markt zu erschließen, aber China wird in absehbarer Zeit keine „europäischen Preise“ für Gas zahlen.“

Die angestrebte Diversifizierung der Energieversorgung der EU durch Projekte wie die Nabucco Pipeline sei ebenfalls durch hohe Preise belastet. „Einige Staaten beziehen auch gar kein Gas aus Russland, was unterschiedliche Interess en bedingt und eine gemeinsame europäische Energiepolitik erschwert.“, sagt Meister.

Eine große Herausforderung in der Zukunft sieht Meister bei der Erschließung neuer Gasfelder gegeben, da die bereits nutzbaren ihren Förderhöhepunkt überschritten haben. Gazprom habe zwar weitreichende Investitionen auch mit Beteiligung westeuropäischer Konzerne, deren Know-how weiterhin gebraucht werde, geplant, aber die Finanzkrise bremst laut Meister den Prozess. „Zudem ist mehr Energieeffizienz nötig. Der derzeitige Eigenverbrauch der russischen Föderation, aber auch anderer GUS-Staaten, wie der Ukraine ist viel zu hoch.“

Meister betont auch die weiter bestehende Brisanz des Gaskonflikts mit der Ukraine: „Zur Zeit werden die Gasspeicher geleert, die eigentlich zur Versorgung Europas im Winter gedacht sind.“

Eine gemeinsame Lösung durch höhere Energieeffizienz und Stabilität gerade in der Ukraine, aber auch durch Erschließung neuer Lieferwege, wie etwa die neue Ostseepipeline scheint notwendig.

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