Event reports
„Stellt Euch vor, es ist Demokratie und keiner macht mit.“ Diese Aussage beinhaltet viele Aspekte, warum Engagement für die Demokratie wichtig ist. Wie gefestigt ist die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere hier in Sachsen-Anhalt, besonders in dieser Zeit? Im Rahmen der Themenreihe „25 Jahre Sachsen-Anhalt – Von der Neugründung zum Zukunftsland in der Mitte Deutschlands“ hatte das Politische Bildungsforum Sachsen-Anhalt der Konrad-Adenauer-Stiftung zu seiner Abschlussveranstaltung ins Landesmuseum für Vorgeschichte nach Halle (Saale) eingeladen, um mit prominenten Gesprächspartnern zu diskutieren. Moderiert wurde die Veranstaltung von Tino Grosche (Agentur REDEzeit).
In einem Grußwort sprach die Abteilungsleiterin Dr. Bettina Stoll-Tucker über die Geschichte des Landesmuseums und der aktuellen Ausstellung „Krieg – eine archäologische Spurensuche“. Die Führungen durch diese Ausstellung vor Beginn der Veranstaltung fanden beim Publikum einen sehr großen Anklang. In ihren Ausführungen erläuterte Stoll-Tucker, mit welchem Engagement bereits die Gründer des Heimatvereins 1814 sich für einen Ort der Begegnung eingesetzt hatten.
In seinem Eingangsstatement erinnerte der ehemalige Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Wolfgang Böhmer nach dem Systemwechsel 1989/1990. Es wurden Demokratie, Freiheit und Meinungsvielfalt gefordert, doch wusste damals niemand, wie alles funktioniert. Böhmer stellte Vergleiche zu anderen Regierungsformen und Wahlsystemen her (z.B. das Mehrheitswahlrecht in Großbritannien oder die Direkte Demokratie in der Schweiz) und erklärte, warum es zur Parlamentarischen Form trotz vorhandener Nachteile keine Alternative gibt. Meinungsbildung durch Parteien ist in Deutschland verfassungsmäßig verankert und auf rechtsstaatlicher Basis etabliert. Dies muss dem Bürger stets verdeutlicht werden, denn nur Meckern ist keine Alternative. Grundsätzlich gehört zur Demokratie, andere Meinung zu akzeptieren, auch innerhalb einer Partei. Als große Herausforderung sieht Böhmer den zunehmenden Rückgang der Wahlbeteiligung. Dem kann nur durch ständigen Dialog zwischen Bürgern und Politikern entgegengewirkt werden.
Der ehemalige Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Magdeburg Dr. Willy Polte erinnerte ebenfalls an die Anfangszeit 1989/1990 und verwies auf die beiden vergangenen Unrechtssysteme: „Diktaturen schaffen den unmündigen Bürger“, so Polte. Sein Motto „Stellt Euch vor, es ist Demokratie und keiner macht mit“ wurde mit zustimmenden Äußerungen des Publikums kommentiert und zeigte, wie aktuell das Thema Engagement in der Demokratie gerade in der heutigen Zeit ist. Polte sprach u.a. davon, dass auch im 25. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands noch nicht alle Bürger in der Demokratie angekommen sind und bei Problemen eher die einfache Lösung suchen als sich eingehend mit der Thematik zu beschäftigen. Demokratie braucht den bewussten Staatsbürger, der mitgestaltet und sich engagiert. Demokratie und Engagement heißt mitzumachen und sich auch mal „zu schinden“. Als Grundbedingung sieht der ehemalige Oberbürgermeister Magdeburgs die politische Bildungs- und Erziehungsarbeit an, ohne die junge Menschen die Bedeutung von Demokratie und die Möglichkeit des eigenen Engagements nicht erlernen können. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Menschen schnell auf von Pegida & Co. propagierte Patentrezepte hereinfallen, die weit von der Rechtsstaatlichkeit entfernt sind. Dennoch, so Polte: „Wir leben heute im besten Deutschland aller Zeiten“. Noch nie habe es soviel Wohlstand, Freiheit, Mitwirkungsrechte und Freunde an den Grenzen gegeben. Doch müsse das demokratische Deutschland jeden Tag verteidigt werden.
„Volkes Wille ist manchmal schwer zu beschreiben“, damit begann Thomas Keindorf MdL in Sachsen-Anhalt sowie Präsident der Handwerkskammer Halle (Saale) und Vizepräsident des Handwerkstages Sachsen-Anhalt sein Eingangsstatement. Insbesondere aus Sicht der Unternehmer erläuterte Keindorf die Schwierigkeiten und Entfaltungsprobleme, ein eigenes Unternehmen aufzubauen und sich in der heutigen Zeit zu behaupten. Unternehmen verändern die Welt und sind Träger des Fortschritts. Die Nachwuchsfindung ist allerdings enorm schwer und die Zukunft des Mittelstands gefährdet. Für Keindorf beginnt Engagement immer bei einem selbst und kann von niemanden übertragen werden. Die vorherrschende Politikverdrossenheit in der Bevölkerung ist veränderbar, indem man die Lösungsmöglichkeiten für den Bürger erkennbar macht und diese umsetzt. Jeder Bürger ist selbst verantwortlich, etwas für die Demokratie zu unternehmen und die Verantwortung nicht nur auf die „Die-da’s“ abzuwälzen und diese anschließend dafür zu kritisieren. Keindorfs Fazit: „Demokratie ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich.“
Die aus dem Iran stammende Somaiyeh Mohammadi, Promotionsstipendidatin der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und Literaturpreisträgerin der Martin-Luther-Universität Halle, sprach in Ihren Ausführungen über ihre persönlichen Erfahrungen: In den 1980er Jahren erlebte sie einen Krieg mit. Auch aus dieser Erfahrung heraus sind Freiheit und Sicherheit die zentralen Punkte, für die sie heute junge Menschen für die Demokratie begeistert. Demokratische Freiheiten und die Wertschätzung für die Demokratie sind aus Mohammadis Sicht für viele Deutsche geschwunden und bei einigen Bürgern ganz verloren gegangen. Sie verwies darauf, dass weltweit Menschen für diese Werte kämpfen und ihr Leben lassen. Auch hier kann jeder etwas mit seinem Engagement für die Demokratie in Deutschland und weltweit leisten. Für Mohammadi bedeutet das u.a., dass man jungen Menschen Demokratie erklären muss - sonst werden sie mutlos. Durch Nichtwahl verstummt unsere Stimme – dies ist gleichbedeutend mit der Wahl radikaler Kräfte.
In der anschließenden Diskussion stellten die Podiumsgäste und Zuhörer fest, dass auch Mehrheiten mal irren und Minderheiten Recht haben können und dass Demokratie in einer Gesellschaft wachsen müsse. Jedoch sollten demokratische Entscheidungsprozesse für die Bürger transparent sein. In einer Demokratie ist die Kompromissfähigkeit eine wichtige Grundbedingung, um Politik verstehen zu können. Ob werden Plebiszitäre Elemente gefordert, um die Demokratie zu stärken. Solche Abstimmungen, wie jüngst zur Olympiabewerbung in Hamburg 2024 sind sehr gute Beispiele im Willensbildungsprozess und Engagement von Menschen. Allerdings wiesen auch die bisherigen Volksabstimmungen nur sehr geringe Beteiligungen auf. Zudem sind Volksabstimmungen zu Einzelfragen mit einem hohen organisatorischen und finanziellen Aufwand auf Kosten der Steuerzahler verbunden. Auch die Möglichkeit zur Nichtwahl wurde für die Demokratie erkämpft, aber – so Böhmer – „Ich dachte nicht, dass so viele davon Gebrauch machen.“