Ausgangslage
Die Parlamentswahl vom Dezember 2016 hatte die Sozialdemokratische Partei (PSD) mit über 45 Prozent der Stimmen deutlich für sich entscheiden können, während die PNL mit nur 20 Prozent eine deutliche Niederlage erlitt. Konflikte um den Rechtstaat, wiederholte Regierungskrisen, Abspaltungen und die Abwendung von Koalitionspartnern führten jedoch zum Verlust der Mehrheit für die in der Folge von der PSD geführten Regierungen. Nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum im Oktober 2019 beauftragte Präsident Iohannis daraufhin Ludovic Orban, der auch Vorsitzender der PNL ist, mit der Regierungsbildung. Orban hatte den Parteivorsitz im Juni 2017 übernommen. Unter ihm gelang eine innerparteiliche Konsolidierung der Partei, die bereits bei der Europawahl 2019 stärkste Partei wurde. Die Wiederwahl von Präsident Iohannis als Kandidat der PNL, selbst ein ehemaliger Vorsitzender, stärkte die Partei zusätzlich.
Unter Orban wurden die Eingriffe in den Rechtstaat beendet, entsprechende Maßnahmen der vorangegangenen Regierungen zurückgenommen. Damit endeten zugleich auch Konflikte mit Brüssel über die Unabhängigkeit der Justiz. Ebenso wie Iohannis verfolgt Orban einen betont pro-europäischen Kurs. Er steht auch für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland. Ein Beispiel dafür liegt in rumänischen Saisonarbeitern in Deutschland, für die die rumänische Regierung während der Covid19-Krise flexible Lösungen gefunden hat, obgleich sie dafür im eigenen Land auch Kritik einstecken musste, insbesondere nachdem es dabei zu größeren Infektionsausbrüchen in Deutschland gekommen war.
Orban muss allerdings gegen eine gegnerische Mehrheit im Parlament regieren. Diese Mehrheit einte bislang nur der Wille, vorgezogene Neuwahlen zu vermeiden. Diese Umstände ermöglichten Orban die Bestätigung seiner Regierung durch das Parlament, bedeuten aber auch, dass er gesetzgeberisch weitgehend nur durch Notverordnungen oder mittels der Vertrauensfrage handeln kann. Ein Vorstoß von Iohannis und Orban, Anfang des Jahres eine Neuwahl zu erzwingen, scheiterte an hohen und vom Verfassungsgericht zusätzlich verschärften rechtlichen Hürden sowie der einsetzenden Covid19-Krise.
Die Covid19-Krise in Rumänien
Auf die Krise reagierte die Regierung frühzeitig mit Schulschließungen, der Erklärung eines nationalen Notstandes - einem weitgehenden Lockdown - und Reiserestriktionen. Das bewirkte, dass das seit langem unterfinanzierte und in der Bevölkerung auch nur mit begrenztem Vertrauen betrachtete Gesundheitssystem trotz anfänglicher erheblicher Engpässe bislang nicht an Kapazitätsgrenzen gelangte. Seitdem der Notstand Mitte Mai durch einen sogenannten Alarmzustand abgelöst und Restriktionen sukzessive gelockert wurden, kam es zu einer zunächst allmählichen, im Juli beschleunigten Zunahme der Neuinfektionen, die die Zahlen zu Beginn der Krise und während des Lockdowns bereits deutlich übertreffen. Seit Anfang August bewegen sich die Zahlen auf einem Plateau zwischen etwa 1000 und 1400 neuen Fällen täglich. Verharren die Infektionen weiter auf diesem Niveau, dürfte das inzwischen besser vorbereitete Gesundheitssystem sie bewältigen können. Für den Fall, dass es zu einem weiteren starken Anstieg kommen sollte, wird über eine erneute Verschiebung der Kommunalwahlen spekuliert. Mitte September, nach dem Ende der regulären Sommerferien, sollen die Schulen wieder öffnen.
Auch in Rumänien wird die Wirtschaft durch die Krise schwer getroffen. Im zweiten Quartal soll der Einbruch des Bruttoinlandsproduktes bei etwa 10 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal liegen. Das Finanzministerium schätzt das Haushaltsdefizit in diesem Jahr auf knapp 9 Prozent des BIP. Vor der Krise lag die Staatsschuldenquote Rumäniens bei unter 40 Prozent. Zur unmittelbaren Unterstützung der Wirtschaft wurden u.a. Steuererleichterungen bzw. -stundungen beschlossen, staatliche Kreditgarantien für Unternehmen, Maßnahmen zur Stundung von Kreditzinsen sowie zinslose Darlehen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen.
Um Entlassungen zu vermeiden, wurde das rumänische Instrument der sogenannten technischen Arbeitslosigkeit äquivalent zur deutschen Kurzarbeit ausgebaut und flexibilisiert. Die Zahl der Angestelltenverhältnisse ist daher zwischen Januar und Juli kaum gesunken. Allerdings sind zeitwillig über eine Million Arbeitnehmer in technischer Arbeitslosigkeit gewesen – bei etwa 6,5 Millionen Angestelltenverhältnissen insgesamt. Welche Herausforderungen die Regierung beim Einsatz dieser Instrumente zu bewältigen hatte, mag daran deutlich werden, dass Rumänien vor der Krise nur ein sehr begrenztes Problem mit Arbeitslosigkeit hatte und die Arbeitsbehörden entsprechend begrenzte Ressourcen. Es mussten daher in sehr kurzer Zeit Kapazitäten geschaffen werden, um über 100.000 Anträge von Unternehmen für die technische Arbeitslosigkeit zügig bearbeiten zu können.
Am 1. Juli hat die Regierung einen ambitionierten nationalen Wiederaufbau- und Investitionsplan vorgelegt. Neben kurz- und mittelfristigen Hilfen für Unternehmen und Arbeitnehmer sieht dieser Plan ein breit angelegtes staatliches Investitionsprogramm vor. Förderungsschwerpunkte liegen in den bislang chronisch unterfinanzierten Bildungs- und Gesundheitssystemen, in einer Modernisierung der Infrastruktur – Rumänien fehlt es an einem ausgebauten Netz von Autobahnen, das Eisenbahnsystem ist veraltet – sowie der Digitalisierung und Reform des öffentlichen Dienstes. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Reformen und Investitionen, die die Regierung Orban auch bereits zuvor als ihre Prioritäten für die Entwicklung Rumäniens bestimmt hatte. Dafür sollen auch die Mittel aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds verwendet werden, aus dem Rumänien 33,5 Mrd. Euro erhalten soll, was etwa 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2019 entspricht.
Politische Situation
Die Bevölkerung bewertet das Krisenmanagement der Regierung bislang nach aktuellen Umfragen durchaus positiv. Die PNL führt mit Werten um die 35 Prozent deutlich vor der PSD, die in einem Abstand von 10 oder mehr Punkten folgt. Geschwächt wird deren Position dabei auch durch die Partei Pro Romania des früheren Ministerpräsidenten Victor Ponta, die sich von der PSD abgespalten hat, dasselbe Wählerspektrum anspricht und sich relativ konstant zwischen 5-10 Prozent hält. Hinzu kommt, dass wiederholte Wechsel im Vorsitz, der Machtverlust und die verlorene Präsidentschaftswahl in der PSD eine Führungskrise verursacht haben, die noch nicht völlig überwunden ist. Am 22.8. wurde Marcel Ciolacu zum neuen Vorsitzenden gewählt, seitdem er das Amt bereits seit November kommissarisch innegehabt hatte. Ciolacu ist relativ schnell in die Führung der Partei aufgerückt, er verfügt vermutlich nur über eine begrenzte Hausmacht und wurde wohl auch als Kompromisskandidat gewählt, wozu auch beigetragen haben dürfte, dass er als Präsident der Abgeordnetenkammer nach dem Verlust der Regierung der ranghöchste Amts- und Mandatsträger der Partei ist. In der PSD ist er nicht unangefochten und muss seine Position erst noch konsolidieren. Die bevorstehenden Wahlen bieten ihm dafür die Gelegenheit, weil er als Vorsitzender über Kandidaturen entscheiden kann. Zuvor aber muss er umsichtig agieren.
War die rumänische Politik zu Beginn der Krise – von März bis in den Mai – von einer Art Burgfrieden zwischen den Parteien geprägt, verschärfen sich Gegensätze zwischen Regierung und PSD seither wieder. Dabei versucht sich die PSD einerseits durch Kritik an den von der Regierung erlassenen Restriktionen zu profilieren und baut dabei offenbar darauf, dass wirtschaftliche und soziale Sorgen in der eigenen Anhängerschaft schwerer wiegen als der Gesundheitsschutz. Gleichzeitig versucht sie, ihre Wählerklientel durch soziale Wohltaten und populistische Maßnahmen zu mobilisieren. Bereits die frühere PSD-geführte Koalition hatte noch eine Erhöhung der Renten um 40 Prozent beschlossen, die im September in Kraft treten soll und selbst unter normalen wirtschaftlichen Verhältnissen finanziell kaum tragbar wäre. Eine von der Regierung Orban beabsichtigte Senkung dieser Erhöhung auf 14 Prozent lehnt die PSD mit der von ihr dominierten Parlamentsmehrheit ab. Mit dieser Mehrheit hatte die PSD bereits früher im Jahr eine drastische Erhöhung des Kindergeldes gegen die Regierung beschlossen. Auch gegen die Regierung wurde u.a. ein Gesetzentwurf verabschiedet, das den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen künftig auf langjährig in Rumänien Ansässige beschränkt, worin auch ein Appell an xenophobe Motive in der Wählerschaft liegt. Die PNL hatte dagegen das Verfassungsgericht angerufen.
Mittlerweile hat die PSD auch ein erneutes Misstrauensvotum gegen die Regierung Orban eingebracht. Dagegen hat die Regierung Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt, da der Antrag während der Sommerpause des Parlaments erfolgt sei. Diese Prozedur dürfte vor allem einem Aufschub der Abstimmung dienen. Für eine alternative Regierungsbildung dürfte auch die PSD kaum eine konstruktive Mehrheit finden, dem stünde auch Präsident Iohannis entgegen, bei dem zunächst das Recht läge, den nächsten Premierminister zu nominieren. Vermutlich verschafft die Oppositionsrolle der PSD auch den besseren Ausgangspunkt für die Wahlen als eine Regierungsübernahme unter den gegenwärtigen Bedingungen. Ciolacu steht unter Druck, das Profil der Partei durch eine entschiedenere Opposition zu schärfen, dürfte dabei aber kein Interesse haben, sich zu sehr zu exponieren. Bei dem Misstrauensantrag und dem Umgang damit handelt es sich dabei wohl vor allem um politische Manöver. Wenn die PSD einen Misstrauensantrag durchbringen will, dann vermutlich näher am Wahltag, und nicht um die Regierung zu stürzen oder zu ersetzen – sie bliebe dann kommissarisch im Amt -, sondern um sie zu schwächen.
Wichtigster Konkurrent, gleichzeitig aber auch Partner der PNL im bürgerlichen Lager ist die Allianz 2020 USR PLUS. Sie ist ein Zusammenschluss aus der Union Rettet Rumänien (USR) mit ihrem Vorsitzenden Dan Barna, die aus einer anti-Establishment und anti-Korruptions-Bewegung entstand, und der Partei Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS) des früheren technokratischen Ministerpräsidenten Dacian Ciolos, derzeit Fraktionsvorsitzender von Renew Europe im Europaparlament. Nachdem zuvor schon ein gemeinsames Wahlbündnis bestand, haben beide Parteien am 15.8. ihre auch formale Fusion beschlossen. Die Zugwirkung einer von Skepsis gegen das bestehende Establishment getragenen und zugleich von einer Präferenz für Technokratie geprägten Kraft ergibt sich aus dem in Rumänien gerade in urbanen und bürgerlichen Schichten weit verbreiteten Misstrauen gegen Politiker und Parteien im Allgemeinen. USR PLUS kommt in Umfragen zwischen über 10 und über 15 Prozent. PNL und USR PLUS würden aller Voraussicht nach die nächste Regierung bilden, wenn sie gemeinsam die kommende Parlamentswahl gewinnen. Beide Parteien ergänzen sich teilweise, indem USR PLUS Wähler erreicht, die die PNL als altetablierte Partei nur schwer gewinnen kann. Zugleich aber konkurrieren beide Parteien auch um dieselben Wählerschichten, insbesondere auch in Bukarest.
Ausblick auf die Kommunal- und Parlamentswahlen
Bei den Kommunalwahlen wird ein besonderes Augenmerk dem Ausgang der Bürgermeisterwahl in Bukarest gelten. Nach geltendem Wahlrecht werden die Bürgermeister in nur einer Runde mit gegebenenfalls auch relativer Mehrheit gewählt. In der Vergangenheit und besonders in Bukarest hat dieses Wahlrecht die PSD begünstigt, weil sie als Einzelpartei in einer stärkeren Position war als das in höherem Maße fragmentierte bürgerliche Spektrum. 2016 gewann daher die Kandidatin der PSD, Gabriela Firea, die Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt. In diesem Jahr nominierte die PNL Nicusor Dan, den Zweitplatzierten der letzten Bürgermeisterwahl, der jedoch auch Gründer und erster Vorsitzender der USR war. Dan hatte die Partei allerdings bereits 2017 aufgrund eines Richtungsstreites selbst verlassen. Er hat in der Wählerschaft von USR PLUS noch eine so breite Anhängerschaft, dass eine Gegenkandidatur aus deren Reihen gegen Dan eine erhebliche Selbstbeschädigung bedeuten musste. Mit der Nominierung von Dan forcierte die PNL daher eine gemeinsame Bürgermeisterkandidatur mit USR PLUS. Letztere nominierte in der Folge ebenfalls Dan, der sich seither als „Kandidat der (politischen) Rechten“ präsentiert. Auch in den sechs Sektoren von Bukarest kam es daraufhin zu gemeinsamen Kandidaten für die lokalen Bürgermeisterwahlen.
Dan hat damit eine gute Ausgangsposition, um als Bürgermeister von Bukarest gewählt zu werden. Erschwert werden seine Chancen, da zugleich auch der frühere Staatspräsident Traian Basescu, Vorsitzender der Partei Volksbewegung (PMP) und Mitglied des Europaparlaments, seine Kandidatur angekündigt hat. In Umfragen liegt die PMP um oder unter der fünf-Prozent-Hürde, muss also um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten. Als ehemaliger Bürgermeister von Bukarest (2000-2004) dürfte Basescu dort aber noch über eine stärkere Anhängerschaft verfügen. Gewinnen kann er die Wahl damit kaum, da seine Wähler aber ebenfalls dem Mitte-Rechts-Spektrum entstammen, dürfte seine Kandidatur vor allem Dan Stimmen kosten. Basescu hat ein Interesse daran, die eigene Anhängerschaft im Blick auf die folgenden Parlamentswahlen zu mobilisieren. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass es ihm um politische Zugeständnisse von PNL und USR PLUS geht.
Für den Ausgang der Parlamentswahlen dürfte mit ausschlaggebend sein wie die Wähler den weiteren Verlauf der Covid19-Krise wahrnehmen. Es ist auch deshalb offen wie aussagekräftig aktuelle Umfragen sind. Gelingt die weitere Eindämmung des Virus, dürfte sich die Aufmerksamkeit der Wähler umso stärker auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen richten, von denen die meisten Menschen sehr viel direkter betroffen sind. Nach Umfragen ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung inzwischen gespalten, zwischen einer Hälfte, die die Krise primär als gesundheitliche Bedrohung sieht und einer anderen Hälfte, die sie primär als wirtschaftliche und soziale Bedrohung wahrnimmt. Es ist möglich, dass die Stimmungslage am Wahltag noch stärker von wirtschaftlichen als von gesundheitlichen Sorgen bestimmt wird – und dass Maßnahmen, insbesondere Restriktionen, die die Regierung zur Bekämpfung des Virus eingeleitet hat, von einem Teil der Wähler dann auch kritischer gesehen werden. Das dürfte Teil des Kalküls sein, aufgrund dessen die PSD, bislang recht verhalten, die Regierung und die von ihr verhängten Einschränkungen zunehmend angreift. Für die Regierung dürfte eine zentrale Herausforderung darin liegen, eine wachsende Polarisierung der Gesellschaft über die gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Sorgen zu vermeiden.Topics
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