Viele Hochschullehrer an deutschen Universitäten fühlen sich in ihrer Forschung frei. Dennoch kämpfen Forschende und Lehrende tagtäglich mit Problemen, die ihre Arbeit beeinträchtigen. Zu diesen Ergebnissen kam eine aktuelle Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die im Auftrag des Deutschen Hochschulverbandes und der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführt wurde. 93 Prozent der Befragten finden, in Deutschland herrsche „sehr viel“ oder „viel“ Wissenschaftsfreiheit. Deutschland liegt im weltweiten Ranking der Länder im oberen Drittel. Doch die aktuellen nationalen Entwicklungen im Hochschulbereich lassen vermuten, dass sich das Hochschulwesen in einem Wandel befindet.
Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, sieht die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Es gebe „Warnschüsse, die nicht zu überhören“ seien, sagte sie auf dem Symposium in Berlin. „Wir müssen die Wissenschaftsfreiheit behüten.“ An der Goethe-Universität in Frankfurt kam es beispielsweise zu einer Rufmord-Kampagne gegen die Ethnologie-Professorin Susanne Schröter, weil sie eine Konferenz zum islamischen Kopftuch durchführte. „Unsere Hochschulen müssen Orte des freien Diskurses sein“, forderte Karliczek. Sie verurteilte die Anfeindungen und betonte, dass gegensätzliche Meinungen respektiert und diskutiert werden sollten, da der Campus auch ein Ort der Demokratie sei. Das exzellente Wissenschaftssystem impliziere einen offenen Diskurs und Politik könne die Hochschulen und ihre Forschung unterstützen. Vergangenes Jahr haben Bund und Länder ein Paket von drei Wissenschaftspakten beschlossen. Dabei geht es unter anderem um Qualitätssicherung von Studium und Lehre, Förderung der innovativen Lehre und internationale Wettbewerbsfähigkeit. In den kommenden zehn Jahren werden über 160 Milliarden Euro investiert. „Denn Wissenschaftsfreiheit ist die Voraussetzung dafür, dass Deutschland wirtschaftlich und technologisch so stark ist und bleibt“, sagte Karliczek.
Der Staat bietet der Wissenschaft viel Freiheit. Bereits vor 70 Jahren wurde das Recht auf Forschungsfreiheit im Grundgesetz festgehalten. „Es handelt sich um ein Grundrecht, das nach dem Willen der damaligen Verfassungsväter und nach dem Selbstverständnis dieses Staates zu den unanfechtbaren Säulen der demokratischen Bundesrepublik gehören“, sagte Prof. Dr. Norbert Lammert. Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemalige Bundestagspräsident sieht diesen Verfassungsanspruch auf politischer und wissenschaftlicher Ebene bedrängt. „Wir haben es heute mit einer komplizierten Gefährdungslage zu tun, die sich aus einer Mixtur von Bequemlichkeit, Feigheit, Übermut und Fundamentalismus ergibt.“ Lammert kritisierte einige Entwicklungen, die die Wissenschaftsfreiheit auch auf internationaler Ebene ins Wanken gebracht habe. „Es gibt die Ignoranz der Politik gegenüber der Wissenschaft, die in Gestalt des amtierenden amerikanischen Präsidenten eine für nicht möglich gehaltene Personalisierung gefunden hat.“ Zudem bezeichnete er es als Ärgernis, dass in einigen Fällen „die Wissenschaft für politische Zwecke instrumentalisiert“ werde.
Wie ernst es Hochschulen mit den Verfassungsansprüchen nehmen und wo die Herausforderungen sowie Gefährdungen liegen, darüber diskutierten Lehrende, Forschende und Entscheidungsträger in verschiedenen Debattenrunden. Prof. Dr. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, zeigte sich beunruhigt über die Vorgänge im Ausland. „In China, Brasilien, Indien, Sudan, Ungarn und in der Türkei ist Wissenschaft staatlichen Pressionen ausgesetzt“, erläuterte Kempen. Die körperliche Freiheit und Unversehrtheit von Wissenschaftlern seien in zahlreichen Fällen massiv verletzt worden. Aber auch in Deutschland macht Kempen ein verändertes Klima aus. Die Vorfälle um die streitbaren Wissenschaftler wie Jörg Barberowski, Bernd Lucke oder Herfried Münkler, die zu Protesten an den Universitäten geführt hatten, „stehen für eine Spektralverschiebung des wissenschaftlichen Diskussionsspektrums“, die Kempen als bedrohlich einstufte. Kempen sprach sich für eine deutliche Positionierung der Hochschulen aus. „Sie dürfen nicht als Schutzraum missverstanden werden, in dem jede selbst definierte Gruppe festlegen kann, was wissenschaftlich sagbar oder unsagbar ist“. In der Hochschule müsse gelten: „Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen.“
Zu den Faktoren, die die Wissenschaftsfreiheit gefährden, nannte Kempen unter anderem auch die mangelnde Zeit für Forschung und die Bürokratisierung. In der Allensbach-Studie befürworteten 68 Prozent die These, dass „unter Zwang zum schnellen Publizieren die Forschung und die Lehre“ leide. Dr. Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach verdeutlichte dies bei seiner Vorstellung der Studie an weiteren Umfrageergebnissen. 71 Prozent der Befragten beklagten die komplizierten Antragsverfahren, um Forschungsmittel zu beantragen. „Auf der einen Seite fehlen Forschungsmittel, aber um sie einzuwerben gibt es zu große Hürden“, fasste Petersen zusammen. Zudem ergab die Studie, dass sich jeder Vierte in Forschung und Lehre durch formelle und informelle Vorgaben zur „Political Correctness“ eingeschränkt fühlt. Diese und weitere Ergebnisse waren Grundlage der vier Debattenrunden über Finanzierung, internationalen Wettbewerb, strukturelle Zwänge, Grenzen der Meinungsfreiheit sowie Vor- und Nachteile der Exzellenzinitiative.
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