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Die bereits Ende 2015 beschlossene Aufnahme in die NATO wurde nun mit der Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls protokollarisch festgehalten. In der Bevölkerung ist die Entscheidung allerdings umstritten. Die anstehende Parlamentswahl im Oktober ist somit auch eine Abstimmung über die außenpolitische Grundorientierung Montenegros.
Am 2. Dezember 2015 lud die NATO Montenegro formell zum Beitritt ein. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach dabei von einem guten Tag für alle Beteiligten und einem „wichtigen Schritt in der euro-atlantischen Integration der gesamten Westbalkan-Region.“ Mitte Februar 2016 begannen schließlich in Brüssel die Beitrittsverhandlungen, aus denen die Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls durch die Außenminister der 28 Mitgliedstaaten am 19. Mai 2016 resultierte. Dieses Protokoll garantiert Montenegro nun die Möglichkeit an allen Treffen der NATO, inklusive dem NATO-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juli in Warschau, als Beobachter teilzunehmen. Die endgültige Aufnahme des Landes erfolgt jedoch voraussichtlich erst im Frühjahr 2017, da die Parlamente aller Mitgliedstaaten den Beitritt zunächst noch ratifizieren müssen. Die Arbeit und Struktur der NATO ist dem noch jungen Staat an der Adriaküste allerdings nicht fremd. Als Teil der ISAF-Mission in Afghanistan von 2010 bis 2014 und als Unterstützer der Operation Resolute Support hat Montenegro bereits mehrmals sein sicherheitspolitisches Engagement bewiesen.
Dennoch handelt es sich bei der Aufnahme in die NATO vor allem wohl um eine symbolisch wichtige Geste, welche die Relevanz des Balkans für den Westen unterstreicht und gleichzeitig verdeutlicht, dass die NATO an ihrer Politik der offenen Tür festhält. Die Ressourcen und Kapazitäten der Allianz kann Montenegro mit seinem Beitritt allerdings nicht bedeutend erhöhen. Der Staat am Mittelmeer verfügt über eine lediglich 2000-Mann-starke Armee und trüge zum NATO-Budget in Höhe von gegenwärtig 892 Mio. Dollar lediglich rund 5 Millionen Dollar bei. Angesichts der gegenwärtig angespannten Lage zwischen der NATO und Russland bezweifeln manche Experten daher, ob es klug sei Montenegro in die NATO aufzunehmen. Kritiker werfen dem Verteidigungsbündnis sogar vor, mit der Aufnahme Montenegros einen geostrategischen Schachzug zu verfolgen, durch den ein wachsender russischer Einfluss in Osteuropa eingedämmt werden soll. Russland wird ein strategisches Interesse an einem Militärhafen in der Bucht von Kotor nachgesagt. Mit der Aufnahme Montegros in die NATO würde die östliche Adriaküste nach dem bereits 2009 erfolgten Beitritt Kroatiens und Albaniens vollständig NATO-Gebiet.
Enge Verbindungen zu Russland
Die russische Regierung machte bereits deutlich, dass sie die Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls als Provokation und Eindringen in einen traditionell russischen Einflussbereich empfindet. Der Kreml hat Montenegro den Abbruch aller wirtschaftlichen Beziehungen angedroht, sollte der Staat der Allianz beitreten. Denn auch für Russland ist das kleine Land keinesfalls uninteressant. Viele Immobilien in Montenegro gehören russischen Eigentümern und Touristen aus Russland stellen einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Ein Teil der montenegrinischen Bevölkerung fühlt sich darüber hinaus mit Russland historisch stark verbunden, was bis in die Zeit Peters des Großen zurückreicht. Auf Demonstrationen gegen den Beitritt zu dem Verteidigungsbündnis wurde nicht nur „Nein“ zur NATO und „Lang lebe Russland!“ skandiert, sondern auch russische Flaggen geschwenkt.
Der NATO-Beitritt wird durch die montenegrinische Regierung um Premierminister Milo Djukanovic vorangetrieben. Ob die Regierung nach den Wahlen im Oktober 2016 im Amt bleibt und ihren westlichen Kurs fortführen kann, bleibt allerdings fraglich, besonders weil dem Regierungschef und seiner Partei schwerwiegende Korruption vorgeworfen wird.
Auch mit dem Kurs der Regierung, Montenegro in die NATO zu führen, ist die Opposition nicht einverstanden. So haben die „Demokratische Front“ (DF), die NGO „No to NATO“, die Bewegung „Freedom to the people“ und andere Gruppierungen seit Oktober 2015 mehrmals Proteste gegen die Regierung und den NATO-Beitritt organisiert. Bei diesen Protesten wurden einerseits Premierminister Milo Djukanovic und seine Regierung zum Rücktritt aufgefordert und zum anderen ein Volksentscheid über den Beitritt zur NATO verlangt. Nach Ansicht von Oppositionsparteien und der serbisch-orthodoxen Kirche wäre ein Referendum die einzig mögliche demokratische Legitimation einer solch weitreichenden Entscheidung. Während sie der Regierung vorwerfen, das geforderte Referendum aus Furcht vor der Ablehnung eines NATO-Beitritts zu verhindern, zeigte eine von der Agentur Damar im Januar 2016 durchgeführte Meinungsumfrage zum ersten Mal eine Bevölkerungsmehrheit für den NATO-Beitritt. Demnach befürworten 47,3 Prozent der Montenegriner einen NATO-Beitritt, während sich 37,1 Prozent dagegen und 15,6 Prozent unentschieden aussprachen.
Richtungsweisende Parlamentswahlwahl im Oktober
Die Bevölkerung ist dennoch grundsätzlich gespalten darüber, ob sich Montenegro nach Westen und damit Richtung NATO und Europäischer Union orientieren oder sich eher Serbien und Russland zuwenden soll, um diese Beziehungen zu stärken. Die weiterhin intensiven Verbindungen zu Russland erhielten jedoch vor zwei Jahren einen Dämpfer, als Montenegro sich entschloss die beschlossenen EU-Sanktionen gegen Russland mitzutragen. Russland antwortete auf diese Maßnahmen seinerseits mit Sanktionen und zog sowohl einige Firmen als auch Kapital aus Montenegro ab.
Die Angehörigen der serbischen Minderheit, die fast 29 Prozent der Einwohner Montenegros ausmachen, lehnen einen Beitritt zur NATO mehrheitlich ab, da sie mit dem Bündnis nicht Verteidigung, sondern vor allem Krieg verbinden. Die Bombenangriffe der NATO auf Jugoslawien im Jahr 1999 haben sie nicht vergessen und fühlen sich daher auch heute noch von der NATO ungerecht behandelt.
Die Befürworter einer westlichen Orientierung sind vor allem unter denjenigen zu finden, die beim Referendum im Jahr 2006 für die Loslösung Montenegros von Serbien stimmten. Neben der Unabhängigkeit der montenegrinisch-orthodoxen von der serbisch-orthodoxen Kirche befürworten sie auch die Orientierung in Richtung NATO und Europäischer Union.
Auf die Forderungen der Opposition nach einem Referendum über den NATO-Beitritt ging der montenegrinische Premierminister Milo Djukanovic bisher nicht ein. Er und seine Regierung erklärten, dass die Bürger bei der Wahl im Oktober ihre Meinung über den NATO-Beitritt zum Ausdruck bringen werden.