Country reports
Es war zwar nicht fünf vor zwölf, aber 25 min vor zwölf und damit äußerst knapp als die neue Regierung Serbiens endlich ihr Amt antreten konnte. Dem vorausgegangen waren lange, zum Teil heftige Debatten im Parlament mit zum Teil dramatischen Situationen. Trotz der Erleichterung über die Bildung einer Regierung durch die Parteien des sogenannten demokratischen Blocks sitzt der Schreck und die Enttäuschung über die Wahl des amtierenden Vorsitzenden der Radikalen Partei, Tomislav Nikolic, zum Parlamentspräsidenten bei vielen noch tief. Sein Rücktritt nur wenige Tage später aufgrund der Einigung zwischen der Demokratischen Partei (DS) und der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) auf eine gemeinsame Koalition kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Serbien in einer sehr kritischen Situation befand.
Neuwahlen konnten zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Sie hätten bedeutet, dass der politische Stillstand in Serbien um viele weitere Monate verlängert worden wäre. Eine Regierung unter Mitwirkung der Radikalen, in welcher Form auch immer, hätten den EU-Integrationsprozess sogar ganz zum Erliegen gebracht.
Demgegenüber bestehen jetzt gute Chancen, dass die EU-Annäherung eine Beschleunigung erfährt. Schon einen Tag nach dem Regierungsantritt konnte Serbien die neuen Visa-Regelungen unterzeichnen, die ab 2008 für einige Gruppen Reiseerleichterungen bringen werden. Es kann nach den Signalen aus Brüssel erwartet werden, dass die Verhandlungen zum Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen bald fortgeführt und bei voller Kooperation der neuen Regierung mit dem Haager Tribunal auch noch in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden. Das könnte bedeuten, dass der durch den Erweiterungskommissar Olli Rehn in Aussicht gestellte EU-Kandidatenstatus bis Ende 2008 eintritt.
Das alles sind wichtige Voraussetzungen, damit die Menschen in Serbien ganz praktische und vor allem positive Erfahrungen mit der EU sammeln. Nur so kann der wachsenden Skepsis gegenüber Europa entgegengetreten werden. Die Lebensbedingungen für die Menschen im Land zu verbessern, muss damit einhergehen, womit auch die Korruptionsbekämpfung verbunden ist. Dafür hat die jetzige Regierung die Schlüssel selbst in der Hand. Inwieweit die neuen Ministerinnen und Minister ihren zukünftigen, mit Sicherheit nicht leichten Aufgaben gewachsen sein werden, lässt sich nicht vorhersagen. Das neue Kabinett ist eine Mischung aus Experten und politischen Zugeständnissen an „alte“ Weggefährten. So dürfte die Ernennung des Außenministers Vuk Jeremic und des Ministers ohne Geschäftsbereich, zuständig für den nationalen Investitionsplan, Dragan Djilas, in erster Linie ihrer Nähe zum Präsidenten Tadic zu verdanken sein. Ähnliches gilt für den Infrastrukturminister Velimir Ilic von der Partei Neues Serbien, die zusammen mit der DSS auf einer Liste angetreten ist. Andere Minister können dagegen fachliche und einige auch politische Erfahrungen vorweisen.
Bleiben die zwei wichtigsten Probleme: die Zusammenarbeit mit dem Tribunal in Den Haag und die Statusfrage des Kosovo. In den Koalitionsverhandlungen rangen DS und DSS vor allem um die Kontrolle über die Sicherheitsdienste. Das Argument für die DS war dabei, nur wenn sie den Sicherheitsorganen vorstehen, ist die Kooperation mit dem Haager Tribunal gesichert und nur so der Weg nach Europa frei und unumkehrbar. Sie wurde in dieser Argumentation dabei nicht zuletzt vom EU-Außenbeauftragten Solana unterstützt, was allerdings als Einmischung in innere Angelegenheiten empfunden und in der Parlamentsdebatte heftig kritisiert wurde. Die jetzige Aufteilung der Verantwortung über die Sicherheitsdienste nimmt beide Parteien in die Pflicht. Da aber Präsident Tadic den Sicherheitsrat leiten wird, ist aller Wahrscheinlichkeit er künftig die erste Adresse, falls es weiterhin Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem UN-Tribunal geben sollte. Die Erwartungen an die DS sind dementsprechend hoch.
Erste Priorität für den alten und neuen Ministerpräsidenten Kostunica hat erwartungsgemäß der Schutz der staatlichen Integrität und das meint vor allem die Frage des Kosovostatus. Seine erste Erklärung gegenüber dem Parlament stellte dies nachdrücklich dar. Er machte deutlich, dass sich seine Regierung darauf stützt, dass der UN-Sicherheitsrat das letzt Gremium sein dürfte, das die UN Charter verletzt und einem Land 15% seines Territoriums wegnimmt. In dieser Frage besteht Einigkeit innerhalb der Regierung. Keine der drei Parteien könnte einen Verlust Kosovos akzeptieren. Wie allerdings die Reaktion der Regierung ausfallen würde für den Fall, dass Kosovo als unabhängiger Staat anerkannt wird, ist längst nicht so klar. Die Unterbrechung diplomatischer Beziehungen mit den Staaten, die Kosovo anerkennen, wird zwar immer mal wieder erwähnt, aber ob es dazu eine einheitliche Meinung im Kabinett gibt, ist nicht sicher.
Entschieden wird allerdings der versteckte Versuch abgelehnt, die EU-Mitgliedschaft als eine Art Kompensation für das Kosovo anzubieten. Wer in Brüssel oder in den EU-Mitgliedsländern solche Gedanken mit sich trägt, wird bei keiner der Regierungsparteien dafür Unterstützung finden.