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Bis Ende 2006 sollte die Statusfrage geklärt sein. Mit diesem Mandat begann im November 2005 der VN-Sondervermittler Ahtisaari seine Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina. Als man in Belgrad gewahr wurde, dass die internationale Gemeinschaft es ernst meinte und Ahtisaari keine Zweifel ließ, dass eine beobachtete Unabhängigkeit des Kosovos das Beste für beide Seiten wäre, begannen konzentrierte Anstrengungen, dies zu verhindern. In einer Verfassungsänderung wurde klargestellt, dass das Kosovo integraler Bestandteil Serbiens ist, und dank vorgezogener Neuwahlen wurde die Veröffentlichung des Ahtisaariplans bis Anfang Februar 2007 verschoben. Darüber hinaus begannen intensive diplomatische Bemühungen, um Mitglieder des VN-Sicherheitsrates für die Belgrader Position zu gewinnen. Mit Erfolg. Russland weist alle Resolutionen, die den Ahtisaariplan zum Inhalt haben, zurück. Vordergründig mit der Erklärung, Russland könne nur einer Resolution zustimmen, die beiden Seiten gerecht wird. Da es aber auch Russland klar sein dürfte, dass es in der Statusfrage kein Einvernehmen zwischen Belgrad und Pristina geben kann, ist die Kosovofrage wohl eher ein Mittel mehr, dem Westen zu zeigen, dass Russland auf der Weltbühne zurück ist.
Am 19. und 20. Juli wurde im VN-Sicherheitsrat eine neue Resolution beraten, die von den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien und Deutschland eingebracht wurde. Sie sah eine zusätzliche 120 Tagesfrist für Verhandlungen vor, ohne einen anschließenden Automatismus für den Status, wie er im Ahtisaariplan und den vorhergehenden Resolutionsentwürfen vorgesehen war. Sondern es sollte dann nochmals über den Status beraten werden. Die Tatsache aber, dass wesentliche Teile des Ahtisaariplans schon in diesen 120 Tagen umgesetzt werden sollten, wie zum Beispiel der Aufbau der EU-Mission und der European Security and Defense Policy Rule of Law Mission (ESDP-Mission), waren für Russland Grund genug, auch diesen Resolutionsentwurf zurückzuweisen. Das politische Belgrad feiert dies als einen großen Erfolg. Innerhalb der westlichen Staaten wurde viel darüber diskutiert, ob man es nicht drauf ankommen lassen und den Entwurf zur Abstimmung stellen sollte. Das Risiko, dass Russland ein Veto einlegt, war aber am Ende doch zu hoch. Dazu kommt, dass auch China, Südafrika und einige andere Sicherheitsratsmitglieder eher auf Russlands Linie liegen. Es ist aber auch niemandem entgangen, dass in dieser Frage innerhalb der EU ebenfalls kein Konsens herrscht. Länder wie Spanien, Rumänien oder die Slowakei haben ihre jeweils eigenen Gründe, einer Unabhängigkeit des Kosovos bzw. den großzügigen Regelungen des Ahtisaariplans für die serbische Minderheit ablehnend gegenüberzustehen. Deshalb schien eine weitere Vertagung als der sicherere Weg - eine Entscheidung die auch Deutschland ausdrücklich unterstützt hat. Der Grund dafür ist dabei nicht in dem Besuch von Ministerpräsident Kostunica bei Bundeskanzlerin Merkel am 17. Juli zu suchen. Denn dort wurde sehr deutlich, dass - anders als Belgrad es möchte - die Bundesregierung den Ahtisaariplan klar unterstützt. Grund für die Haltung Deutschlands ist vielmehr das überragende Interesse, dass Europa nicht offensichtlich auseinander fällt. Auf dem EU-Außenministertreffen am 23. Juli wird unter anderem das Kosovo auf der Tagesordnung stehen.
Angesichts dieser verfahrenen Situation ist die Überlegung, die nicht zu letzt durch Vertreter der USA ins Spiel gebracht wurde, dass Kosovo könne sich auch ohne VN-Sicherheitsratsbeschluss für unabhängig erklären und dann nach und nach durch die internationale Staatengemeinschaft anerkannt werden, ein Spiel mit dem Feuer. Die EU würde diesen Testfall wohl kaum bestehen - sie würde zu keiner gemeinsamen Strategie finden. Ganz zu schweigen von der Frage, welche Legitimation dann noch KFOR und UNMIK hätten und auf welcher Basis ein EU-Engagement im Kosovo dann möglich wäre. Und das wäre das eigentlich Wichtige: die tatsächliche Hilfe für das Kosovo, damit sich die Lebenssituation für die zwei Millionen Menschen im Kosovo verbessert.
Denn diese ist mehr als schlecht. Eine hohe Arbeitslosigkeit nimmt den überwiegend jungen Kosovaren die Perspektive. Es fehlt am Nötigsten: im Sommer wird das Wasser knapp, im Winter der Strom. Der Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen geht nur langsam voran. Nicht ohne Grund sieht der Ahtisaariplan die Entsendung einer starken Mission von mehr als 1300 Juristen und Polizisten zum Aufbau des Rechtsstaats und der Polizei vor.
Im Nachgang zur erfolglosen Beratung im VN-Sicherheitsrat hat der kosovarische Ministerpräsident Ceku den 28. November als Tag zur Erklärung der Unabhängigkeit ausgerufen. Auch wenn politische Analysten davon sprechen, dass hiermit eher der Wahlkampf eingeläutet wird als dass damit eine feste Absicht verbunden ist, so steht dieses Datum erstmal im Raum und kaum eine Partei wird im Wahlkampf umhin kommen, sich dazu zu positionieren. Noch ist zwar nicht entschieden, ob es wirklich zu Wahlen im November im Kosovo kommen wird. Der Ahtisaariplan sah diese im Anschluss der 120 Tage Übergangsfrist und nach Verabschiedung einer neuen Verfassung vor. Aber auch ohne Umsetzung des Planes scheint es geboten, die politischen Gewalten mit einer neuen Legitimität zu versehen. Die letzten Wahlen fanden am 23. Oktober 2004 statt und zu der Zeit lagen die hauptsächlichen Entscheidungen noch in den Händen von UNMIK. Das Unity Team, das Kosovo bei den Wiener Verhandlungen vertreten hat und sich aus den großen Regierungs- und Oppositionsparteien zusammensetzt, hat sich zumindest am 19. Juli für Neuwahlen im November ausgesprochen.
Vor diesem Hintergrund ist der Auftrag an die Kontaktgruppe, neue Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina zu initiieren, vor allem ein Zeichen der Ratlosigkeit und ein legitimer Weg, Zeit zu gewinnen. Am 25. Juli wird die Kontaktgruppe zu dieser Sache beraten. Die Frage ist, wie offen die neuen Verhandlungen geführt werden können. Immer öfter ist in Belgrad zu hören, eine Teilung Kosovos plus Ahtisaariplan für das übrige Kosovo wäre ein Weg, der zu einem Kompromiss führen könnte. Das ist aber ein Gedanke, der von vornherein durch die Kontaktgruppe im November 2005 bei der Formulierung ihrer Leitlinien in der Formal einmal Ja, dreimal Nein ausgeschlossen wurde. Ja zu Statusverhandlungen, Nein zur Rückkehr zur Situation vor 1999, Nein zur Teilung des Kosovo und Nein zum Anschluss an andere Gebiete. Zu groß ist die Sorge, dass dadurch auch Mazedonien oder andere Regionen destabilisiert werden könnten. Allerdings ist diese Sorge auch bei dem Vorschlag einer beobachteten Unabhängigkeit des Kosovos vorhanden, trotz aller Bemühungen, diesen Fall als einmalig darzustellen. Warum nicht auch die Teilung als einmaligen Fall deklarieren? Zumal so eine Teilungslösung dann den großen Vorteil hätte, dass beide Seiten zustimmen würden. Das ist sicherlich eine höhere Hürde für etwaige Nachahmer als eine Entscheidung, die von außen vorgegeben wird.
Nur eines ist in diesem Moment sicher: dass die Kosovofrage noch länger auf der Tagesordnung bleiben wird. Es ist zu hoffen, dass über die vielen anderen schwerwiegenden Probleme auf der Welt, das Kosovo nicht zu sehr an den Rand gedrängt wird. Dann könnte es passieren, dass es in einiger Zeit mit neuen Gewaltausbrüchen auf seine Not hinweist.