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Am Ende wähnten sich alle Seiten als Gewinner. Von den 384 abgegeben Stimmen votierten 177 Abgeordnete für die Absetzung von Jacob Zuma, 198 dagegen, während sich neun Abgeordnete enthielten. Da die Oppositionsparteien zusammen über 151 Mandate verfügen, versagten somit mindestens 26 Abgeordnete der Regierungspartei African National Congress (ANC) Präsident Zuma das Vertrauen. Rechnet man die neun Enthaltungen hinzu, so stimmten insgesamt 35 Abgeordnete des ANC gegen die Parteilinie.
Schon lange gärt es in der Dauerregierungspartei ANC. Wegen dreister Korruptionsfälle, Misswirtschaft und Inkompetenz von Zuma und seinem Kabinett sinken die Umfragewerte. Der Unmut in der Bevölkerung ist groß und schlug sich auch in den letzten Wahlergebnissen nieder. Besonders im urbanen Raum laufen dem ANC die Wähler weg. Die Schuld hierfür wird sowohl innerhalb als auch außerhalb des ANC bei Zumas Amtsführung gesehen. Exemplarisch ist die enge Verflechtung zwischen dem Zuma-Clan und der indischen Unternehmerfamilie Gupta, die viele Vertraute in wichtigen Staatsämtern positionieren konnte. Aufgrund des systematischen Aufbaus eines Korruptionsnetzwerks wird Zuma von seinen Gegnern die Vereinnahmung des Staatsapparates vorgeworfen.
Bei dem nun abgehaltenen Misstrauensvotum handelte es sich bereits um das achte seiner Art. Wie zuvor hat der Präsident die Abstimmungen ohne größeren Schaden überstanden, weshalb er in der Presse bisweilen als „Teflon-Zuma“ umschrieben wurde, als ein Politiker, dem sein Fehlverhalten egal zu sein scheint und an dem jedwede Angriffe abperlen. Die Besonderheit war dieses Mal, dass es sich um eine geheime Abstimmung im Parlament handelte. Bei einer namentlichen Abstimmung hätten vermutlich deutlich mehr ANC-Abgeordnete gegen die Absetzung Zumas gestimmt, da bei Misstrauensanträgen Abweichler in der Regel mit Konsequenzen für ihre Politkarriere rechnen müssen.
Der Oberste Gerichtshof machte zuvor deutlich, dass die Entscheidung der Parlamentspräsidentin Baleka Mbethe obliegt, ob der Urnengang geheim abgehalten wird oder nicht. Nach langem Zögern ließ die ANC-Politikerin erst einen Tag vorher die überraschte Öffentlichkeit wissen, dass die Abstimmung geheim sein wird. Als Begründung hieß es, das Ergebnis müsse glaubwürdig sein. Besonders im Nachhinein lassen die Motive der Entscheidung Raum für Spekulationen, denn der Riss innerhalb des ANC wäre durch eine namentliche Abstimmung weniger offensichtlich geworden. Sicherlich war sich der ANC zuvor siegessicher, weshalb er die Parlamentspräsidentin mit ihrer Entscheidung gewähren ließ. Oder handelte es sich um einen Alleingang Mbethes? Immerhin gab Präsident Zuma hinsichtlich seiner Nachfolge seiner Frau Nkosazana Dlamini-Zuma den Vorzug und ließ Mbethe fallen, die sich ebenfalls Hoffnung auf das höchste Staatsamt machte. Letztere wäre zudem laut Verfassung im Fall einer Absetzung Zumas Übergangspräsidentin geworden bis Neuwahlen durchgeführt werden. Zumindest temporär hätte sie sich den Südafrikanern als bessere Alternative zu Zuma präsentieren können.
Diese Idee konnte dem National Executive Committee (NEC), dem Parteivorstand des ANC, nur missfallen. So ließ der ambitionierte ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe im Vorfeld verlauten, dass das NEC Schwierigkeiten hätte, sich innerhalb von 30 Tagen auf einen Ersatz für Zuma zu einigen und somit Neuwahlen anfielen. Die Botschaft der Parteiführung an ihre Abgeordneten war eindeutig: fällt Zuma, fallt ihr auch.
Fraktionschef Jackson Mthembu erhöhte den Druck auf seine ANC-Kollegen indem er versicherte, dass der ANC geschwächt dastehen würde, sollte Zuma fallen. Für ihn und das NEC ging es bei der Abstimmung um viel mehr als um die Person Zuma. Der ANC stellt seit seiner Gründung die Organisation vor das Individuum. Die Abgeordneten sind in erster Linie der Partei und nicht ihrem Gewissen untergeordnet, so die gängige Lesart. Eine Rebellion von unten ist daher nicht vorgesehen, erst recht nicht, solange der Zuma-Flügel im NEC noch die dominierende Kraft ist. Doch gerade Zumas Eskapaden lassen viele innerhalb des ANC zweifeln. Noch vor der Abstimmung wurden blumige Whatsapp-Nachrichten an die Abgeordneten versendet. „Revolutionäres Gewissen heißt für den ANC zu stimmen und nicht gegen ihn, deine Stimme gegen den ANC ist ein Verrat an den armen Massen unseres Landes“, lautete eine Kettennachricht, die mit dem sozialistischen Spruch: „Der Kampf geht weiter“, auf Portugiesisch endete, in Anlehnung an die ideologischen Brüder in Angola und Mosambik zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Nachricht wirkt geradezu zynisch, wenn man bedenkt, dass die Selbstbereicherung Zumas im Mittelpunkt der Kritik steht und auch die sozialistischen Mitstreiter in den lusophonen Ländern der Region sich heutzutage nicht weniger an den Staatstöpfen bedienen.
Während auf der einen Seite die Parteiführung alles unternahm, um die Abgeordneten auf Linie zu bringen, übten ANC-Veteranen auf der anderen Seite Druck aus, indem sie öffentlich an die Parlamentarier appellierten, Zumas Absetzung per Misstrauensvotum herbeizuführen. Auch Thabo Mbeki, der im Dezember 2007 an Zuma den Parteivorsitz und in der Folge das Amt des Staatspräsidenten verlor, warb darum, seinem einstigen Widersacher das Vertrauen zu entziehen.
Seitens der Opposition waren es vor allem die Democratic Alliance (DA) und die Economic Freedom Fighters (EFF), die die Bevölkerung mobilisierten, um mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und den öffentlichen Druck zu erhöhen. Vor allem am Parlamentssitz in Kapstadt, aber auch andernorts, demonstrierten viele Bürger für eine Absetzung Zumas. Der ANC wiederum mobilisierte seine Anhänger zu Gegendemonstrationen.
Am Abstimmungstag selbst gab sich der ANC siegesgewiss. Die Abwesenheit von ANC-Abgeordneten an diesem Pflichttermin offenbarte dies. Auch Minister Mduduzi Manana hielt sich fern, vermutlich um sich der Öffentlichkeit zu entziehen. Auf einem kürzlich erschienen Video sieht man, wie er bei einem Restaurantbesuch auf eine Frau einprügelt. Dass Manana den Termin verpasste, muss vorher abgestimmt gewesen sein, auch wenn Fraktionschef Mthembo Konsequenzen ankündigte.
In der Debatte selbst attackierten die ANC-Abgeordneten die Opposition und warfen ihr gar vor, einen Staatsstreich durchführen zu wollen. Das Verhalten Zumas verteidigten sie derweil nicht. Die Opposition ihrerseits appellierte an das Gewissen der Abgeordneten. DA-Vorsitzender Mmusi Maimane rief den ANC dazu auf, das Erbe Mandelas nicht zu verspielen. Allerdings scheint es nicht mehr darum zu gehen, sondern vielmehr um reine Machtpolitik. Eine Befürchtung der Inkatha Freedom Party (IFP), die Abstimmungskarten würden nummeriert und somit das individuelle Abstimmungsverhalten zurückverfolgbar, bewahrheitete sich. Der DA-Fraktionschef John Steenhuisen beantragte daher erfolgreich den Neudruck der Stimmzettel.
Bei Ergebnisverkündung jubelte die ANC-Fraktion und zeigte sich glücklich über den Verbleib Zumas. Offenbar war die Nervosität schließlich doch größer als zu Sitzungsbeginn. DA-Vorsitzender Maimane äußerte gleichermaßen Zufriedenheit und sah in dem Ergebnis den Machtverlust Zumas innerhalb des ANC. Der EFF-Vorsitzende Julius Malema, bekannt für seine derbe Ausdrucksweise, sagte man habe den ANC „gekillt“ und sah ihn „am Ende“. „Jeder der zweifelte, hat nun die Gewissheit“, so Malema.
In der Tat spiegelt das Ergebnis Unmut und Uneinigkeit innerhalb des ANC wider und offenbart eine Führungsschwäche von Jacob Zuma. Man darf gespannt sein, ob er bis zum Nominierungsparteitag Ende des Jahres die Mehrheit hinter sich bringen und seine erste Frau, Dlamini-Zuma, als seine Nachfolgerin durchsetzen kann. Auch für ihn steht viel auf dem Spiel, denn mit Blick auf die Korruptionsvorwürfe kann Zuma vermutlich nur straffrei bleiben, wenn er politischen Schutz genießt. Es wäre daher wenig verwunderlich, wenn er zunehmend radikal agiere, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden. Der Machtkampf im ANC hat gerade erst begonnen.