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Gefeiert wurde dieses Ergebnis nicht nur von Schülern und Eltern, sondern vor allem vom Bildungsministerium. Haben die Schüler es doch trotz wochenlangen Unterrichtsausfall geschafft die Erfolgsquote – die sogenannte „pass rate“ – von 60,7 Prozent vom Vorjahr um 7,1 Prozent zu steigern.
Doch leise, leise, nachdem die ersten überschwänglichen Reaktionen verblassten und man den Absolventen die Chance gab, ihren Schulabschluss zu feiern, regten sich die ersten Kritiker. Es wurde gefragt wie ein solches „magisches“ Ergebnis zustande kam. Für das Bildungsministerium unter der Ministerin Angie Motshekga gibt es darauf nur eine Antwort. Sie verwies auf den Action Plan to 2014: Towards the Realisation of Schooling 2025, welcher klare Ziele und Ergebnisse fordert und zu einem besseren Schulsystem führen soll. Dieser wurde 2009 verabschiedet, mit dem Ziel bis 2014 eine „pass rate“ von 70 Prozent zu erzielen.
Dabei sagt die „Matric pass rate“ nichts über die Qualität des Schulsystems aus, sondern höchstens wie viele Schüler die Schule nach 12 Jahren mit einem Abschluss verlassen haben. 2010 haben 365.000 Schüler ein Matric-Zertifikat erhalten, aber es sind keine Zahlen darüber bekannt wie viele Schüler auf der Basis der niedrigen – zum bestehen notwendigen Prozentmarke – von nur 30 Prozent bestanden. Weiterhin spiegeln die 67,8 Prozent nicht die Tatsache wieder, dass noch nicht einmal die Hälfte aller Schüler das zwölfte Schuljahr überhaupt erreicht hat.
Von den 1,3 Millionen Schülern die im Jahr 1999 ihre Schullaufbahn begonnen, schrieben nur ca. 550.000 ihr Abschlussexamen. Dies entspricht gerade einmal 44 Prozent. Inwieweit die Schüler, die nicht zum Matric antraten, mit in die Berechnungen des Ministeriums einbezogen wurden ist unklar. Die südafrikanische Tageszeitung „The Sowetan“ stellte ihre eigenen Berechnungen an. Danach hätte das Ministerium all diejenigen, die sich zwar für die Abschlussklausuren angemeldet haben, aber letztendlich nicht an den Prüfungen teilnahmen, aus ihrer Statistik „rausgerechnet“. Würde man diese Schüler mit einbeziehen, ergäbe sich eine Erfolgsquote von nur 57 Prozent. Inwieweit für 2010 die gleiche Berechnungsgrundlage wie für die Erfolgsquote von 2009 angewendet wurde ließ das Ministerium leider nicht verlauten. Auch sonst scheint das Ministerium für Basic Education ein großes Geheimnis daraus zu machen, wie die Erfolgsquote von 67,8 Prozent überhaupt zustande gekommen ist.
Offensichtlich wurde allerdings, dass es große regionale Unterschiede in der Verteilung von „pass rates“ und sehr guten Noten, den sogenannten „distinctions“, gab. Während die Provinzen Gauteng und Western Cape „pass rates“ von 78,6 Prozent und 76,8 Prozent erzielten, schnitten die mehr ländlichen Provinzen Eastern Cape (58,3 Prozent), Limpopo (57,9 Prozent) und Mpumalanga (56,8 Prozent) signifikant schlechter ab. Die privaten Schulen konnten deutlich bessere Ergebnisse vorweisen (98 Prozent).
Das Ministerium feierte sich lieber und verschwieg dabei, dass nur 23,5 Prozent der Schulabgänger sich für ein Universitätsstudium qualifiziert haben. Die südafrikanischen Universitäten setzen nämlich ihre eigenen Standards. Um an einer Universität zugelassen zu werden, müssen die „Graduates“ mindestens die Hälfte aller Anforderungen bewältigen (50 Prozent). Zudem haben weniger Schüler als in den vergangenen Jahren naturwissenschaftliche Fächer als Prüfungsfächer gewählt. Gerade einmal 29 Prozent der Prüflinge erreichten im Fach Mathematik mehr als 40 Prozent in der Endbenotung. Im Fach Naturwissenschaften selbst wurden ähnlich schlechte Ergebnisse erzielt: nur 30 Prozent der Kandidaten bewältigten mehr als 40 Prozent der Aufgaben. Auch in internationalen Vergleichstests schnitt Südafrika in der Vergangenheit in diesen beiden Fächern meistens schlecht ab. Neben dem Fach Mathematik wurde das Fach „Math literacy“ – eine abgespeckte Variante des Mathematikunterrichts, eingeführt. Laut der Bildungsexpertin Lynn Bowie von der Witswatersrand-Universität sollte dieses Fach keine Alternative für Schüler sein, die nach ihrem Schulabschluss Studienfächer mit einem hohen Anteil mathematischer Vorlesungen wählen wollen.
Für weitere Verwirrung sorgte die Anpassung von Noten. Die Ergebnisse in neun Unterrichtsfächern wurden nach unten und in zehn Fächern nach oben „korrigiert“. Inwieweit die Noten angepasst wurden und in welchen Fächern, wurde bislang nicht verkündet. Das Ministerium nennt dies „Standardisierung“ des Verfahrens. Die Qualitätssicherungsbehörde Umalusi – Council for Quality Assurance in General and Further Education and Training setzt und überprüft die Standards im Bildungsbereich sowie in der Benotung von Zertifikaten wie dem Matric. In einem Interview der „Sunday Times“ mit dem Vorsitzenden dieser Behörde, Professor Sizwe Mabizela, war dieser, trotz mehrfacher Nachfragen, nicht bereit das Benotungs- und „Standartisierungsverfahren“ offen zu legen und zu erläutern in welchen Prüfungsfächern die Ergebnisse „korrigiert“ wurden. Laut Mabizela handelt es sich hierbei um einen vertraulichen Prozess. Diese Vorgehensweise beschönigt nicht nur die eigentliche „pass rate“. Die Matric-Beurteilung sagt wenig über den eigentlichen Bildungslevel der Schulabgänger aus.
Besonders die Universitäten werden dies zu spüren bekommen. Niedrige Standards im Bildungssystem, die „Anpassung“ von Noten und die Inflation von „distictions“ führen dazu, dass Studenten nicht die verlangten Vorraussetzungen für ein erfolgreiches Studium vorweisen können, viele Studenten scheitern daher bereits im ersten Studienjahr.
Langfristig wird dies negative Auswirkungen auf die südafrikanische Industrie haben. Nach Aussage des Ministeriums für Basic Education beenden nicht genügend Absolventen ihre Schullaufbahn mit soliden Abschlusszeugnissen, die der Arbeitsmarkt in Südafrika benötigen würde. Minderqualifizierte Arbeitslose hat das Land genug. Was es benötigt, ist ein wettbewerbsfähiges Schulsystem, welches allen Schülern ermöglicht, einen soliden Schulabschluss vorzuweisen, unabhängig davon ob sie im Western Cape und Gauteng oder Limpopo und Mpumalanga zur Schule gehen oder eine private Bildungseinrichtung besuchen. Ziel ist es nicht nur, langfristig eine Anstellung zu finden, sondern auch, mündige und gesellschaftlich aktive Bürger zu entwickeln.
Denn: Obwohl das Bildungsministerium jährlich mit 165 Milliarden Rand finanziert wird ist das Bildungssystem in einem desolaten Zustand. Mitte Januar begann in Südafrika das neue Schuljahr, zwei Wochen später warten viele Schüler nicht nur auf ihr Unterrichtsmaterial, einige Schulen haben nicht einmal genügend Unterrichtsräume. Bauarbeiten waren bis zum Schulstart nicht beendet, so dass sich viele Erstklässler ihre Zeit auf dem Schulhof anstatt im Klassenraum vertreiben.
Auch sonst beherrschen negative Schlagzeilen über das Schulsystem die Tageszeitungen des Landes. Eine Studie, die vom Bildungsministerium in Auftrag gegeben wurde, belegt, dass täglich zwischen 10 bis 12 Prozent der Lehrer dem Unterricht fern bleiben.
Trotz oder gerade wegen der negativen Entwicklungen im Bildungssystem konnte vor den Matric-Examen ein Zusammenrücken der Gesellschaft beobachtet werden. Religionsgemeinschaften öffneten ihre Kirchen und boten Nachhilfe an, Radiostationen und Fernsehsender versuchten medial Unterrichtsstoff zu vermitteln und Elterninitiativen schlossen sich zusammen, um möglichst viele Schüler auf die Prüfungen vorzubereiten. Diese Initiativen sollten fortbestehen und vom Bildungsministerium und der Ministerin Rechenschaft fordern. Denn wie die 67,8 Prozent berechnet wurden und zustande kamen, das sollte kein Staatsgeheimnis sein.