Country reports
In der Mitte der Wahlperiode und damit zweieinhalb Jahre nach dem Parteitag von Polokwane vom Dezember 2007 fand nun der „Zwischenparteitag“, das National General Council (NGC) statt, an dem über 2000 Delegierte, ein Heer an Journalisten und viel Prominenz teilnahmen. Zur Mitte der fünfjährigen Amtsperiode der Parteiführung dient dieses Treffen dazu, Bilanz darüber zu ziehen, inwieweit die von der Tripartite Alliance gestellte ANC-Regierung die Beschlüsse der Partei umgesetzt hat und was für den Rest der Legislatur noch in Regierungsentscheidungen umzusetzen ist. Austragungsort des vom 20. bis 24. September 2010 dauernden Parteitages war die Hafenstadt Durban in KwaZulu/Natal, der Heimatprovinz von Partei- und Staatspräsident Jacob Zuma.
Am Vorabend des auch als Indaba bezeichneten NGC lud das Progressive Business Forum (PBF) zu einem Gala-Dinner ein, an dem vor allem hochrangige Vertreter aus der Wirtschaft teilnahmen. Für das exklusive Abendessen mit dem Präsidenten, den Ministern und hohen Regierungsbeamten sowie Parteifunktionären bezahlten Unternehmen bis zu 500.000 Südafrikanischen Rand (ca. 55.000 Euro). Für einen der 32 Ausstellungsstände spendierte der dem ANC nahe stehende CEO von African Rainbow Minerals, Patrice Motsepe, 250.000 Rand - eine lukrative Fundraising- und Parteifinanzierungsmaßnahme.
Zu solchen Finanzquellen für die Partei- und Wahlkampffinanzierung haben Oppositionsparteien keinen Zugang. Über die Motive der Unternehmen, diese Summen für die Möglichkeit auszugeben, mit dem Staatspräsidenten und seinen Kabinettsmitgliedern in ein „direktes und persönliches Gespräch zu kommen“, wird heftig gestritten. Der Verantwortliche für das PBF, Renier Schoeman, ein ehemaliger NP-Funktionär und heute im engsten Umfeld von Präsident Zuma und dem mächtigen Finanzchef des ANC, Mathew Phosa, zu finden, windet sich in einem Interview mit der Sunday Times vom 19. September, unmittelbar vor dem Parteitag. Nichts Unrechtmäßiges sei darin zu sehen, dass Wirtschaftsführer die Nähe der politischen Führung eines Landes suchen, sagt er dazu. Nichts Geheimes und schon gar nicht über öffentliche Aufträge würde dort gesprochen. Auf die insistierenden Fragen, warum dann Wirtschaftsführer bzw. deren Unternehmen solch große Summen ausgeben, wenn diese Informationen auch frei zugänglich seien, weiß er nur ausweichende Antworten zu geben.
Anders erging es den gemeinen Delegierten und Journalisten. Bei der Akkreditierung am Montag gab es lange Schlangen in der aufgeheizten Hafenstadt am Indischen Ozean und für Journalisten Räume ohne Klimaanlage. Die beauftragte Veranstaltungsagentur muss als Erklärung für diese Mängel herhalten. Die Situation ist aber symbolisch und kann auf den ANC und dessen Befinden übertragen werden. „The ANC lost his soul“, heißt es dazu in der beliebten Spätnachmittagsendung der Radiostation Kaya FM 95.9. John Perlman, der den vom ANC und der Regierung dominierten öffentlich-rechtlichen Sender South African Broadcasting Corpration (SABC) wegen „political censorship“ verließ, moderiert täglich eine Stunde ab 18 Uhr die vor allem von der schwarzen Mittel- und Unterschicht gehörte Radiosendung. Die Aussagen stammen von Anrufern, die lebhaft teilhaben und ihre Meinung und häufig ihren Ärger mit Namensnennung offen kundtun. Das Zitat bringt die eigentliche Identitätskrise des ANC auf den Punkt. Es ist die Entfremdung von „Ihr da oben –Wir da unten“ wie Jürgen Wallraff seinen Buchtitel in völlig anderem Zusammenhang nannte.
Das Gala-Dinner am Vorabend des Parteitages passte so gar nicht zu der Partei, die sich in öffentlichen Erklärungen als verantwortliche politische Kraft für die „Poorest of the Poor“ sieht. Das haben die Armen, von denen der ANC mit annähernd zwei Dritteln Zustimmung bei den Wahlen im April 2009, noch immer die größte Zustimmung erfährt, inzwischen verstanden.2) Ihrem Ärger machen die Menschen in den sog. „Service Delivery“ Streiks und Aufständen, die nicht selten zu gewalttätigen Straßenschlachten mit Sicherheitskräften ausarten, heftig Luft. Aber sie nutzen leider (noch) nicht die Möglichkeit, die ihnen in der selbst erkämpften Demokratie gegeben ist.
Die Konsequenz nämlich, dem ANC an der Wahlurne den Rücken zu kehren und für eine andere Partei zu stimmen, schaffen bislang die Meisten nicht. Wahlabstinenz ist die Folge. Gerade 60 Prozent Wahlbeteiligung, bezogen auf die gesamte Zahl der Wahlberechtigten, ist für eine junge, aufstrebende Demokratie ein mageres Ergebnis. Bei allem aufgestauten Ärger ist es aber doch noch „ihre“ Befreiungsbewegung und ein anderes Votum würde als Verrat an „meiner“ Befreiungsbewegung empfunden. Hinzu kommt der Gruppendruck, man gehört zusammen im Township. Das hat man unter dem Apartheidregime als Überlebensstrategie gelernt. Deshalb ist die Opposition, unabhängig von deren eigenen Defiziten und Schwächen –positive Ausnahme ist die Democratic Alliance (DA) – (noch) keine Alternative.
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