Erst mit rund zwei Stunden Verzögerung konnte Präsident Ramaphosa mit seiner Rede zur Lage der Nation beginnen. Grund waren die permanenten Störungen der 44 Abgeordneten der Fraktion der Economic Freedom Fighters (EFF). Die linksradikale Partei kündigte bereits Tage zuvor an, dass man die Rede stören werde, so wie dies schon zu Präsident Zumas Zeiten der Fall war. Die übrigen 356 Abgeordneten der Nationalversammlung, geladene Vertreter der Exekutive, der Judikative, des diplomatische Korps, religiöse Würdenträger, ehemalige Amtsträger, Medienvertreter sowie weitere hochrangige Gäste mussten erleben, wie die EFF die demokratischen Spielregeln missbrauchten, um auf populistische und aggressive Weise um die Aufmerksamkeit der Nation zu heischen.
Permanente Ein- und Widersprüche der EFF in Bezug auf die Geschäftsordnung wurden mit politischen Botschaften gespickt, die bisweilen zu lautstarken Ausrufen führten. Erst wurde gefordert, dass der anwesende Ex-Präsident de Klerk den Saal zu verlassen habe, später sollte der Minister und Abgeordnete Pravin Gordhan gehen, da dieser die Schieflage der Staatsunternehmen zu verantworten habe.
In einem Gespräch am Rande gaben EFF-Vertreter unumwunden zu, dass man alles daran setzen werde, die SONA so lange es geht zu stören. Nicht nur wurde die Autorität der zögerlichen Parlamentspräsidentin Thandi Modise und ihres Stellvertreters Amos Masondo untergraben, sondern Ramaphosa verlor einen Teil der Medienaufmerksamkeit bei der für ihn so wichtigen Ansprache vor der politischen Elite des Landes.
Ramaphosas Rede zur Lage der Nation im Überblick
Dabei sprach der Präsident durchaus die richtigen Dinge an. Leitthema der Rede war integratives Wachstum und der Aufruf, gemeinsam an einem prosperierenden Südafrika zu arbeiten, an dem alle Bürger teilhaben. Er erinnerte an den Gründungsmythos des demokratischen Südafrikas, als Unterschiede überwunden und Kooperation zwischen den verschiedenen politischen Kräften und auch den Sozialpartnern möglich war. Ferner sprach der Präsident die Probleme des Landes an. So erwähnte er die – besonders unter jungen Leuten – hohe Arbeitslosigkeit, ökonomische Ungleichheit und Armut, das Haushaltsdefizit, die Missstände im Bildungssystem, die Schieflage der staatseigenen Betriebe oder auch überbordende Gewalt gegen Frauen.
Als lobenswerten Lichtblick versprach der Präsident, dass es künftig der Privatwirtschaft und Kommunen gestattet werden soll, ihren Strom mit einer größeren Kapazität als ein Megawatt selbst zu produzieren. Vor allem soll dadurch der Ausbau regenerativer Energien gefördert werden. Ferner solle der staatseigene und bisherige Strommonopolist Eskom restrukturiert werden. Strom aus erneuerbaren Energien, Gas, Wasserkraft und Kohle sowie die Kapazitäten von Batteriespeicherung sollen dahingehend ausgebaut werden, dass die für die Wirtschaft so schädlichen Stromausfälle vermieden werden.
Zur weiteren Stimulation der Wirtschaft und zur Arbeitsplatzbeschaffung sollen arbeitsintensive Industrien gefördert werden. Ein Infrastrukturfonds soll den Bausektor unterstützen. Mehr Wettbewerb soll für besseren Marktzugang für Anbieter sorgen. Sektoren wie die Landwirtschaft, die eine hohe Zahl Niedrigqualifizierter absorbiert, sollen verstärkt gefördert werden. Gezielte Maßnahmen sollen zudem die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Etwa zwei Drittel der jungen Leute geht keinerlei Tätigkeit nach.
Besondere Maßnahmen sieht Ramaphosa auch zur Stärkung der Regierungsführung auf lokaler Ebene vor. Dazu zählt auch die Bekämpfung der Korruption, die in Südafrika eines der größten Hindernisse bei der Umsetzung der Regierungspolitik darstellt.
Ramaphosa ist zudem um die Stärkung der staatlichen Institutionen bemüht. Allen voran Justiz und Strafverfolgungsbehörden, aber auch die Steuerbehörde sind wichtige Instrumente, um Vetternwirtschaft und Korruption zu bekämpfen, aber auch um die Staatseinnahmen zu erhöhen.
Das Zeitfenster für Reformen schließt sich
Wichtigstes Ziel ist jedoch die Erhöhung des Wirtschaftswachstums. Gemeinhin ist die südafrikanische Wirtschaftsstruktur so beschaffen, dass Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze für Arbeitssuchende aller Qualifzierungsgrade schafft. Dadurch steigen Steuereinnahmen, während Sozialausgaben sinken. Zur Steigerung des Wirtschaftswachstums ist Südafrika auch auf Auslandsinvestitionen angewiesen. Hierfür müssen jedoch die wirtschaftlichen Eckdaten stimmen. Ein ausgeglichener Haushalt, eine stabile Währung und Rechtssicherheit sind wichtige Voraussetzungen.
Trotz der positiven Worte gelang es Ramaphosa nicht zu überzeugen. Zu sehr ähnelte seine Rede zur Lage der Nation seinen früheren Ansprachen. Seit zwei Jahren ist Ramaphosa mittlerweile im Amt, doch scheint sich der Alltag für viele Südafrikaner nicht zum Besseren, sondern eher zum Schlechteren zu wandeln. Während in den Medien von Fällen maßloser Korruption berichtet wird, scheinen die Strafverfolgungsbehörden nur langsam oder gar nicht zu reagieren.
Zeitgleich offenbart sich, wie kritisch die Lage bei den Staatskonzernen ist, von denen viele marode oder gar technisch pleite sind. Der Staat hat kaum Mittel, um die Konzerne finanziell zu stützen. Es ist diese Realität, die die Aussagen Ramaphosas unglaubwürdig erscheinen lassen. Oppositionsvertreter und Analysten fragen sich, woher der Präsident die finanziellen Mittel nehmen möchte, mit denen er seine vielen Versprechungen umsetzen möchte.
Interne ANC-Machtkämpfe mindern Durchschlagskraft Ramaphosas
Das grundsätzliche Problem des Präsidenten ist, dass er mit seinem Reformweg innerhalb seiner eigenen Partei auf viel Widerstand stößt. Jahrzehntelange Alleinherrschaft des ANC haben dazu geführt, dass sich eine Kultur der Selbstbereicherung in der Partei etabliert hat. Zudem läuft der Gewerkschaftsverband COSATU, die seit Ende der Apartheid in einer Wahlallianz mit dem ANC stehen, gegen jegliche Privatisierungsvorhaben Sturm, da ihre Mitglieder überwiegend in den Staatsbetrieben arbeiten. Außerdem ist innerhalb des ANC die Annahme weit verbreitet, dass breit gefächerter Wohlstand nur mit großen Staatskonzernen in Schlüsselbereichen zu erreichen sei. Dabei liegt das Gegenteil auf der Hand. Egal, ob es um Eskom, die staatliche Fluglinie South African Airways, den Transport- und Logistikkonzern Transnet, den Personenbeförderer PRASA oder die Straßenbauagentur SANRAL geht: in den Staatsbetrieben herrschen Misswirtschaft, Verschuldung, Veruntreuung und Klientelismus. Die Schieflage der Staatsunternehmen – vor allem bei Eskom – können aufgrund ihrer Größe das ganze Land in den Abgrund reißen. Über Jahre hinweg dienten die Staatsunternehmen als Postenbeschaffer für meist inkompetente ANC-Politiker, die sich nicht selten zu Unrecht bereicherten.
Die Ankündigung Ramaphosas, die Staatskonzerne zu reformieren, sehen viele seiner Parteifreunde mit Argwohn, da sie um ihre Macht und Pfründe fürchten. Der ANC ist gespalten zwischen denjenigen, die Ramaphosas Reformkurs mittragen und denen, die das zu verhindern versuchen. Nicht selten sind letztere dem Lager des ehemaligen Präsidenten Zuma zuzuordnen. Personen, die dem Präsidenten nahestehen, sehen sogar die Möglichkeit, dass dem ANC eine Spaltung droht. Cyril Ramaphosa versucht dies zu verhindern. Lieber würde er als schwacher Präsident wahrgenommen, als dass er den ANC spalte, so ein Biograph Ramaphosas. Für den Kurs der langsamen, aber stetigen Reformen fehlen den meisten Bürgern jedoch Geduld und Verständnis. Sie erleben den Präsidenten als durchsetzungsschwach und wünschten sich mehrheitlich den großen Rundumschlag, bei dem Amtsträger mit zweifelhaftem Ruf entlassen oder gar der Prozess gemacht werden würde.
Die EFF versuchen aus der Krise politisches Kapital zu schlagen, indem sie den ANC rhetorisch links überholen. Die Veruntreuungsskandale, in die hochrangige Politiker des EFF verstrickt sind, hindern die Partei nicht daran, den ANC als abgehobene Elite darzustellen, die sich selbst bereichert und das einfache, schwarze Volk verraten haben. Mit aggressiver Agitation greifen die EFF die weiße Minderheit an, die mit dem Kapital zur Korruption der Regierung beitrüge. Es sind besonders junge, schwarze Wähler, die sich von der populistischen Rhetorik des Parteivorsitzenden Julius Malema angezogen fühlen. Die Partei selbst ist straff hierarchisch von oben nach unten organisiert. Malema selbst hat entschieden, sich nicht als „Parteivorsitzenden“, sondern als „Oberbefehlshaber“ zu bezeichnen.
Die Partei konnte bei den Wahlen 2019 von 6,4 auf 10,8 Prozent der Stimmen zulegen und stellt somit die drittstärkste Kraft in der Nationalversammlung. An allen großen Universitäten des Landes sind die EFF in den Studentenparlamenten stark vertreten. Je mehr das Wahlklientel des ANC altert und der Nimbus als Befreier des Landes verliert, umso eher profitieren die EFF. Sie versprechen neben der politischen auch die ökonomische Befreiung der schwarzen Bevölkerung und prangern die harsche ökonomische Ungleichheit in Südafrika an. Diese ist zwar allgegenwärtig, doch versinnbildlichen die EFF diese in ihrer Agitation an den „reichen Weißen“, die die „armen Schwarzen“ noch immer ausbeuteten. Sicherlich gehört die weiße Minderheit überproportional zur Mittel- und Oberschicht an. Doch es wird kaum berücksichtigt, dass die schwarze Bevölkerung deutlich aufgeholt hat und zahlenmäßig in allen Schichten stärker vertreten ist. Freilich wird in der öffentlichen Diskussion meist wenig differenziert.
Altpräsident de Klerk relativiert Apartheid
30 Jahre nach der Ankündigung des damaligen Präsidenten de Klerk, das Apartheidregime aufzulösen, debattiert man in Südafrika wieder mehr denn je über Rassismus in all seinen Formen. Unnötigerweise war es der Friedensnobelpreisträger selbst, der jüngst Öl ins Feuer goss, als er in einem 25-minütigen Fernsehinterview in einem Nebensatz anzweifelte, ob Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten ist. Für die EFF waren das eine passende Gelegenheit, bei der SONA lautstark den Verweis de Klerks zu fordern, da sie wussten, dass der ANC ihn trotz der Verwerflichkeit seiner Aussage nicht von der SONA ausschließen würde. Letztlich revidierte de Klerk seine Aussage ein paar Tage später über eine Mitteilung seiner Stiftung, doch zeigt der Vorfall wie leicht es in Südafrika sein kann, Politik entlang Hautfarben bedingter Trennlinien zu machen.
Die größte Oppositionspartei, die Democratic Alliance (DA), wusste wiederum nicht so recht, wie sie mit der Aussage de Klerks umgehen sollte. Die Partei hat turbulente Monate hinter sich. Nachdem man einen leichten Rückgang bei den Wahlen 2019 verzeichnete, erhöhte sich der Druck auf den damaligen Parteivorsitzenden Mmusi Maimane.Wenige Monate nach der Wahl trat dieser zurück, als die ehemalige Provinzgouverneurin des Western Cape, Helen Zille, auf die wichtige Position der Vorsitzenden des föderalen Exekutivrates der Partei gewählt wurde. Auch der beliebte, aber nicht unumstrittene Bürgermeister Johannesburgs, Herman Mashaba, trat zurück, da er und Maimane wussten, dass Zille an ihrer Absetzung arbeiten würde. Die Tatsache, dass mit Maimane und Mashaba zwei schwarze Führungspersonen der DA ihren Rücktritt einreichten, entpuppte sich als Imagedesaster für die Partei, die ohnehin den weitverbreiteten Ruf hat, den Interessen der (reichen) weißen Minderheit Vorrang zu geben.
Als Maimane Parteivorsitzender war, trieb er die Öffnung der Partei für junge, urbane Wähler der schwarzen Mittelschicht voran. Damit gingen auch Positionsverschiebungen einher. Beispielsweise machte er zweideutige Aussagen über das „Black Economic Empowerment“-Programm des ANC, nach dem Schwarze prioritär eingestellt werden müssen. Strategisch machte der Kurs Maimanes Sinn, da die DA ansonsten ihr Wählerpotential nicht ausweiten konnte. Damit einhergehend verlor die Partei jedoch eine geringe Anzahl von weißen Wählern an die ethno-konservative Partei Freedom Front Plus, die sich vor allem für die Interessen der Weißen im Land einsetzt. Der Verlust an hauptsächlich weißen Wählerstimmen war Grund genug, dass sich in der DA parteiinterner Widerstand gegen Maimane bildete. Interimsparteivorsitzender ist seither der Fraktionschef der DA in der Nationalversammlung, John Steenhuisen. Er versucht vor allem, Ruhe in die Partei bringen. In einer kürzlich gehaltenen Rede bekannte er sich dazu, dass die DA auf Koalitionspartner angewiesen sei, möchte man in Regierungsverantwortung gelangen. Hierfür sei ein Paradigmenwechsel notwendig. Koalitionsregierungen sind in Südafrika aufgrund der bisherigen Dominanz des ANC Neuland. Mit dem steten Niedergang der Regierungspartei ANC sind Koalitionen jedoch unausweichlich. Bisher haderten die Parteien mit dem richtigen Umgang mit Koalitionen. Einige Koalitionen auf lokaler Ebene scheiterten kläglich und führten zu Resignation unter den Wählern.
Der ehemalige DA-Vorsitzende Maimane arbeitet seither am Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Bewegung mit politischen Zielen. Seiner Meinung nach fehle es an der Bindung zwischen Bürgern und Parteien, weshalb man mit einer neuen Bewegung beginnen müsse. Sein ehemaliger Parteifreund Mashaba verliert derweil keine Zeit. Er hat die Neugründung einer Partei angekündigt, die vermutlich eine konservative, marktwirtschaftliche Ausrichtung haben und bereits bei den Lokalwahlen im Jahr 2021 antreten dürfte. Zuvor loteten Maimane und Mashaba die Möglichkeiten für ein gemeinsames politisches Projekt aus, doch konnte man sich letztlich nicht einigen.
Vor dem Hintergrund, dass Koalitionsregierungen zur politischen Zukunft Südafrikas gehören, macht der Versuch einer Parteineugründung Sinn. Der Unmut in der Bevölkerung über den ANC wird weiterhin zunehmen, da die Versorgung von Basisdienstleistungen wie Wasser, Strom, Bildung, Sicherheit, Transport und Wohnungsbau immer mehr in Mitleidenschaft gerät. Die großen Oppositionsparteien DA und EFF versuchen Wählerstimmen abzugreifen, doch angesichts einer effektiven Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent ist es der Kampf um die (überwiegend schwarzen) Nichtwähler, der über die politische Zukunft Südafrikas entscheiden wird.