Country reports
Die Machtfülle ist jedoch weitergehend und schließt über die Monopolstellung der Parastatels (Telekommunikation, Transportsysteme, Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Postverkehr, usw.) nachhaltigen Einfluss auf die Wirtschaft ein. Auch die großen Organisationen der sog. Vibrant Civil Society sind tendenziell unter das Dach der Big Church, als die sich der ANC als Massenbewegung weiterhin versteht, geschlüpft. Auch andere Organisationen der Gesellschaft wie der Südafrikanische Studentenverband (SASCO), die Vereinigung der Kommunen (SALGA) oder der Dachverband der Zivilgesellschaftsorganisationen (SANCO) sind praktisch zu Vorfeldorganisationen des ANC geworden. Hinzu kommt, dass sich eine demokratische Kultur als Voraussetzung dafür, dass wichtige Ämter der Opposition oder unabhängigen Persönlichkeiten überlassen werden – wie bspw. der Vorsitz des Haushaltsausschusses im Parlament oder die Leitung der unabhängigen Verfassungsinstitutionen - bislang nicht herausgebildet hat. Wesentlich verantwortlich dafür sind die Ein-Parteiendominanz des ANC und das Wahlrecht mit geschlossenen Parteilisten, was in der Konsequenz das Imperative Mandat bedeutet und nicht nur die schwache Stellung der Abgeordneten begründet, sondern die Legislativorgane insgesamt zu Debattierforen ohne Einfluss degradiert. Diese Charakteristika gehören zum Konzept der National Democratic Revolution, die weiterhin Maxime und Leitidee des ANC ist (s. u.a. Brief Thabo Mbeki an Jacob Zuma v. Oktober 2008).
National Convention
In dieser Situation riefen einige abtrünnige ANC-Führungskader zu einer National Convention auf und luden am vergangenen Wochenende, vom 31. Oktober bis 2. November, in das Kongresszentrum des im Norden von Johannesburg gelegenen Stadtteils Sandton ein. Die drei wichtigsten Initiatoren waren der ehemalige Verteidigungsminister und Chairperson des ANC, Mosioua Lekota, der zurückgetretene Premier von Gauteng, Mbhazima Shilowa, sowie der frühere Präsident des Gewerkschaftsverbandes COSATU, Willie Madisha. Während Madisha bereits nach dem Parteitag in Polokwane abgesetzt und aus der Organisation ausgeschlossen wurde, stellten Lekota und Shilowa mit dem Rücktritt von Präsident Thabo Mbeki ihre politischen Ämter und später auch das Parteiamt zur Verfügung. Hinzu kamen die beiden in Polokwane gewählten Mitglieder des achtzigköpfigen Natioinal Executive Committee (NEC), Lyndall Shope-Mafole und Charlotte Lobe, die ebenfalls ihre Funktionen im ANC niederlegten.
Der Aufruf zur South African National Convention (SANC) erschien am Freitag in ganzseitigen Anzeigen (u.a. Soweten v. 31.10.2008). Darin bekannten die Initiatoren freimütig, dass sie sich zu lange über den Weg des ANC nach Polokwane geirrt und aus Parteiräson geschwiegen hätten.
Als Gefahr für die Demokratie Südafrikas werden vor allem die neue Gewalt in der Sprache von führenden ANC-Mitgliedern, die Bedrohung der Unabhängigkeit der Justiz und elementarer Verfassungsrechte, die Auflösung der Sondereinheit gegen organisiertes Verbrechen und öffentliche Korruption (Scorpions) und das Wiedererstarken des Demon of Tribalism angeführt.
Der ANC wird herausgefordert, indem die Abtrünnigen beanspruchen, die wahren Verfechter der Ziele des 1912 gegründeten ANC zu sein und auf dem Fundament der Freedom Charta zu stehen, das der ANC unter der aktuellen Führung verlassen habe.
6.500 Menschen waren dem Aufruf in das Convention Center in Sandton gefolgt. Auch ein aus Sicherheitsgründen erforderliches, kompliziertes Registrierungsverfahren (Online-Registrierung mit Rückbestätigung und die zusätzlich notwendige persönliche Einschreibung im Stadtteil Parkmore) schreckte die Delegierten und Beobachter der Versammlung, die aus allen Provinzen mit Bussen anreisten, nicht ab. Der Zugang zur Kongresshalle war streng kontrolliert. Bereits am frühen Samstagmorgen fanden sich viele Delegierte vor dem Tagungsgebäude ein und gingen singend und tanzend durch die abgesperrte Strasse. Spruchbänder und Plakate machten dem Ärger über “ihren” früheren ANC Luft. Ein starkes Polizeiaufgebot war mit freiwilligem Aufsichtspersonal gut koordiniert, musste jedoch bei den friedlichen Demonstrationen, bei denen es auch zum Zertrampeln von ANC-Mitgliederausweisen kam, nicht eingreifen. Im Unterschied zu einem Auftritt von Mbhayima Shilowa eine Woche zuvor im Stadtteil Orange in Soweto waren keine Gegendemonstranten des ANC aufmarschiert. Der Aufruf des amtierenden Staatspräsidenten, Kgalema Motlanthe, an die Mitglieder des ANC, demokratische Regeln zu akzeptieren, zeigte insofern Wirkung.
In seiner Eröffnungsrede setzte Mbhazima Shilowa den Ton für die gesamte Veranstaltung. Er rief die Verfassunggebende Versammlung der Jahre 1992-1996 in Erinnerung und stellte die Frage: Wer hätte in diesen Jahren gedacht, dass nur 15 Jahre später eine erneute National Convention notwendig sein werde? Damit hob er den Anspruch der Veranstaltung auf ein Weg markierendes Niveau an. Entsprechend waren die Themen gewählt, die Shilowa als inhaltliche Schwerpunkte der Versammlung auflistete:
- Rechtsstaat, Gleichheit vor dem Gesetz
- Social Cohesion, Werte, Moralische Grundlagen der Gesellschaft
- Verfassungsentwicklung, Demkratiekonstituierende Institutionen, Good Governance
- Partizipative Demokratie, Mehrparteiensystem, Politische Toleranz, Wahlsystem
In alphabetischer Reihenfolge gaben die Oppositionsparteien, darunter die African Christian Democratic Party (ACDP), die Democratic Alliance (DA), die Independent Democrats (ID), Inkatha Freedom Party (IFP) sowie das United Democratic Movement (UDM), Erklärungen ab. Alle Redner legten den Fokus auf die Einhaltung der Verfassung und die Stärkung des Rechtsstaats, die Verwirklichung eines Mehrparteiensystems, die Wichtigkeit nachhaltiger Reformen wie das Wahlrecht, die Bedeutung einer Werteorientierung in Politik und Gesellschaft sowie die Ablehnung von Gewalt auch in der politischen Sprache.
Vertreter der neun Provinzen schilderten die Lage an der Basis des ANC und erläuterten die Beweggründe für die Teilnahme an der National Convention. Dem folgten Stellungnahmen von Massenorganisationen aus den Bereichen Arbeit/Gewerkschaften, Wirtschaft, Jugend, Frauen und Zivilgesellschaft.
Den Beratungen der genannten zentralen Fragestellungen der Versammlung folgte am zweiten Tag eine Debatte und die Ausarbeitung von Entwürfen für die Positionierung der beabsichtigten neuen Partei, die die Delegierten nun in ihren Provinzen und Gremien diskutieren sollen. Bis zur vorgesehenen Gründung der neuen Partei wurde ein Interim Leadership Committee eingesetzt.
Neue Parteigründung
Einen Tag vor Beginn der Veranstaltung legte Mosiuoa Lekota sein Parteiamt im ANC nieder, von dem er seit seinem Aufruf für eine National Convention suspendiert war (s. Julia Weber, Länderbericht Südafrika, 9.10.2008) Damit war auch für ihn der Weg frei in einer neuen Partei, deren Gründung nun für den 16. Dezember 2008 vorgesehen ist, ein Führungsamt zu übernehmen. Andere, wie bspw. auch Mbhazima Shilowa, hatten diesen Schritt bereits vor einigen Tagen vollzogen. Als Veranstaltungsort wurde Blomfontein gewählt, wo 1912 der ANC gegründet wurde. Der 16. Dezember ist außerdem ein historisches Datum in Südafrika und wird heute als Day of Reconciliation – als Tag der Aussöhnung – gefeiert. Kurz vor Beginn der Nationalen Versammlung sickerte der neue Name für eine mögliche “Shikota”-Parteigründung durch: South African National Congress (SANC).
Sicherlich ist damit die Absicht bei den Abspaltern verbunden, ANC Mitgliedern an der Basis, vor allem in den ländlichen Regionen und den ehemaligen Townships den Schritt “einfacher” zu machen, bei den Wahlen im April 2009 eine andere und damit die neue Partei zu wählen. Der erhobene Anspruch, die Teilnehmer der National Convention seien die wahren Hüter der Freedom Charta des ANC, passt in dieses Bild. Dahinter dürfte eine wohl überlegte Strategie stecken, da Umfragen des Afrobarometer und des World Value Survey über die Jahre seit dem demokratischen Wechsel belegen, dass unzufriedene ANC-Anhänger zwar den Wahlen fern bleiben, nicht aber den weitergehenden Schritt tun, ihre Stimme einer anderen Partei zu geben.
Der ANC gibt sich den Abspaltern und deren Aktivitäten gegenüber scheinbar gelassen. Allerdings deuteten bereits die teilweise massiven Störungen von Veranstaltungen der Abtrünnigen in den Provinzen darauf hin, dass man durchaus einen “Flächenbrand” befürchtet. Nur wenige Stunden vor Beginn der Nationalen Convention reichte der ANC einen Eilantrag beim Gericht in Pretoria ein, nachdem der neuen Gruppierung die Benutzung der ursprünglich geplanten Abkürzung SANC als Parteiname verboten werden soll. Einbezogen wurde auch die einberufene Versammlung, die nun nicht mehr South African National Convention (SANC (!)) genannt werden durfte. Da den Organisatoren verkehrstechnisch und vor dem Wochenende keine Zeit mehr blieb, vor Gericht vorzusprechen und Widerspruch einzulegen, wurde die Veranstaltung in November Convention umbenannt. Auch von dem Plan, die neue Partei SANC zu nennen, sind die Organisatoren Medienberichten zufolge bereits abgewichen. Einen Tag nach der Versammlung wurde bekannt, dass die Gruppierung nun South African Democratic Congress (SADC) heißen soll.
Für eine gewisse Beunruhigung im ANC spricht auch die öffentliche Umdeutung eines Schreibens, das der ehemalige Staatspräsident, Thabo Mbeki, Mitte Oktober an Parteipräsident Jacob Zuma richtete (veröffentlicht u.a. Daily News v. 31. 10. 2008). In Presseerklärungen gab Generalsekretär Gwede Mantashe bekannt, Thabo Mbeki habe sich in dem Schreiben von den Abspaltern distanziert und seine Loyalitaet gegenüber dem ANC erklärt. In Wirklichkeit betonte Thabo Mbeki in seinem mehrseitigen Schreiben, dass er von der Lekota/Shilowa Gruppe nicht um seine Mitwirkung nachgefragt wurde. Wohl aber habe Julius Malema von der Youth League am 7. 10. und Jacob Zuma selbst einen Tag später über die Medien erklärt, Mbeki würde für die Wahlkampagne des ANC in 2009 zur Verfügung stehen. Darüber habe er zu seiner Überraschung aus den Medien erfahren. Weder Malema noch Zuma hätten ihn darauf angesprochen. Gleichzeitig teilte Mbeki mit, dass er öffentlich jede Stellungnahme über seine Haltung gegenüber beiden Lagern abgelehnt habe.
Kritische Stimmen
In dem Schreiben weißt Mbeki darauf hin, dass er informell beide Seiten dazu aufgefordert habe, die strittigen Punkte offen anzusprechen und Lösungen anzustreben. Dazu dürfte es nun aber zu spät sein, vor allem deshalb, weil der ANC in seiner ersten Reaktion die Kritiker von den Ämtern suspendiert und damit sanktioniert hat. Die jetzt eingetretene Dynamik dürfte einen Brückenschlag nicht mehr ermöglichen.
In einem kritischen Kommentar meldet sich der frühere Führer der United Democratic Front (UDF), Reverend Alan Boesak, zu Wort (The Star v. 31.10.2008). Er setzt sich vor allem mit dem in der Öffentlichkeit ausgetragenen Anspruch beider Lager auseinander, die wahren Vertreter der Ziele und Ideale der Freedom Charta zu sein. Er listet dabei offen Versäumnisse des ANC in der Regierungsverantwortung auf und fragt u.a., wieso von 27 000 öffentlichen Schulen 24 000 als nicht funktionsfähig klassifiziert seien. Er klagt die Gewaltsprache und die Drohungen nicht nur von Julius Malema an, sondern hinterfragt auch die Aussage der Vizepräsidentin und ehemaligen Speakerin der National Assembly, Baleka Mbete, die im Hinblick auf die Abspalter öffentlich erklaerte “…certain people are not important enough to be killed”. Boesak sieht die andauernde Spaltungsdiskussion als Vergeudung von Ressourcen an und fordert, ebenso wie Mbeki, eine Debatte im gesamten ANC über die Ziele der Freedom Charta zu führen und für deren konsequente Umsetzung zu sorgen.
SADC - Eine Erfolgsstory?
Die November Convention war eindrucksvoll. Die erwartete Zahl von 4000 Teilnehmern wurde deutlich übertroffen. Insbesondere die Präsenz aller Provinzen könnte eine tragfähige Basis bilden. Einige wichtige Führungsmitglieder aus dem ANC sind zur neuen Formation gewechselt.
Aber der große Trend, vor allem der Wechsel weiterer Provinz-Regierungschefs, blieb bislang aus. Sicherlich spielt dabei die einseitige Machtfülle im ANC-Staat eine Rolle. Bedenkt man die gute Dotierung von öffentlichen Positionen, ein einfacher Gemeinderat verdient etwa 450 000 – 550 000 Rand, oder auch in den Parastatels und anderen vom ANC kontrollierten Einrichtungen, dann wird schon verständlich, dass sich ein Mancher (noch) bedeckt hält oder die Sicherung des eigenen Status vorzieht. Andererseits ist es nicht die erste Abspaltung, die der legendäre ANC übersteht. Der 1959 abgespaltete Pan Anfrican Congress (PAC) spielt heute politisch praktisc h keine Rolle mehr. Das von Bantu Holomisa und Rolf Meyer in 1997 abgespaltete United Democratic Movement (UDM) erreicht heute gerade 2 % und strebt nach einer Verschmelzung mit der neu entstehenden politischen Formation. Die Inkhata Freedom Party (IFP) ging nach dem Bruch mit dem ANC beim Treffen in London 1979 eigene Wege und etablierte sich als Befreiungsbewegung innerhalb Südafrikas. Als solche stellte sich IFP gegen Anschläge auf die Infrastruktur und lehnte auch Wirtschaftssanktionen ab, die am Ende die Ärmsten am meisten treffen würden. Hinzu kam die sich vergrößernde ideologische Kluft zum ANC. Auch IFP konnte sich gegenüber dem Big Church Movement nur als eine der kleineren Oppositionsparteien halten.
Auch große Namen blieben der November Versammlung fern. Erzbischof erem. Desmond Tutu, AIDS Aktivist Zackie Achmat und ANC-Veteran Kadar Asmal, alle gegenüber dem ANC auch öffentlich kritisch eingestellt, nahmen - trotz der geäußerten Grundsympathie - nicht teil.
Die anwesenden Oppositionsparteien bekundeten eine Übereinstimmung in den grundlegenden Zielen, die am Wochenende auf der Tagesordnung standen.
Andererseits sind sich die Parteien bewusst, dass eine ernstzunehmende neue Konkurrenzpartei bei den Wahlen 2009 antreten würde, sollte die Parteigründung am 16. Dezember erfolgreich verlaufen und weitere ANC-Kader und -Mitglieder zu der neuen Partei wechseln.
Das Parteiensystem in Südafrika ist in Bewegung geraten. Wichtiger aber: die Verfassungsmehrheit und damit die Einparteien-Dominanz des ANC ist herausgefordert und erscheint erstmals nicht mehr unüberwindbar. Das gibt Hoffnung für den in der Verfassung aus dem Jahr 1996 angelegten Parteienpluralismus in einem Mehrparteiensystem für Südafrika.