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„Licht in die Köpfe bringen“ – wünschten sich zwei Gäste zu Beginn des 13. Erfurter Europagesprächs, dass am 10. Oktober im Haus Dacheröden stattfand. Diesen Wunsch hegten wohl zahlreiche Erfurter, denn der Festsaal des geschichtsträchtigen Hauses war bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt.
Das große Interesse war sicherlich dem Thema als auch den Podiumsteilnehmern geschuldet. Marion Walsmann, die Schirmherrin der Erfurter Europagespräche übernahm die Vorstellung der Gesprächsteilnehmer, die sich zum Thema „Die Europäische Staatsschuldenkrise – Krise der Europäischen Idee“ vorbereitet hatten. Zuvor jedoch unternahm die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten einen kleinen Exkurs zur Geschichte des „offenen“ Hauses, als Forum für einen Gedankenaustausch sowie zur aktuellen Situation in Europa und gab so einen Einstand in ein Thema, dass die Moderatorin und Journalistin Blanka Weber gekonnt erfrischend übernahm.
Walsmann informierte über den aktuellen Stand der Krise und stellte sich hinter das Anliegen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, keine Hilfen ohne eigene Initiativen anzubieten. Das derzeitige Krisenmanagement sei ein dynamischer Prozess, der nun in geordnete Bahnen gelenkt würde. Walsmann wies gleichfalls darauf hin, dass Defizite, die über Jahre anwuchsen, nicht über Nacht korrigiert werden können. Auch ein „Befreiungsschlag“ gäbe es nicht. Walsmann wertete gleichfalls Statistiken aus, die das Bild bzw. die Einstellung der Menschen zu Europa und dem Euro zeichneten. So sei das Vertrauen in den Euro wohl vorhanden, das Vertrauen in Europa ist jedoch gesunken. Dazu müssen Politik und Wirtschaft an einem „Strang“ ziehen. Die Thüringerin Walsmann vergaß auch nicht, einen Blick auf die nächsten Jahre zu werfen und bestand darauf, dass die Kohäsionspolitik auch nach den Jahren großer Fördermaßnahmen weiterhin auf hohem Niveau gestaltet werden solle. Walsmann hofft, dass mit Blick auf Staatsschuldenkrise künftig umsichtiger gehandelt werde und das Europa aus dieser Krise stärker hervorgeht.
Die mit Applaus bedachte Einführung und gute Stimmung im Festsaal nutzte der Pressesprecher der Europäischen Zentralbank Niels Bünemann zu einer Einschätzung der aktuellen Schuldenkrise aus „Frankfurter Sicht“. Hierbei stützte sich der Redner auf drei Schwerpunktfragen: „Warum haben wir die Krise? Warum ist es zur Krise gekommen? Was kann die EZB in der Krise tun“. Gleich zu Beginn dämpfte Bünemann die Erwartungen an die EZB „Es gäbe nur begrenzte Möglichkeiten der EZB, um die Krise überwinden zu helfen“.
Der Pressesprecher wagte in seiner begrenzten Redezeit einen Exkurs in die Anfänge der Integrationsprozesse in Europa und wies gleichfalls auf das Problem der flexiblen Wechselkurse hin, die im Handel nötig seien. Regeln seien nötig gewesen, um die Wirtschaft voranzutreiben, die letztendlich auch die D-Mark stark machten.
Dennoch, einzelne Staaten hielten sich nicht korrekt an die Abmachungen und eine Kette ungünstiger Verbindungen führte letztendlich zur aktuellen Situation. Allerdings, so betonte Bünemann, nicht der Euro befände sich in der Krise, denn der Währung ginge es gut. Die EZB könne für Preisstabilität und für die Liquidität der Banken, und so für eine Transmission der Zinsen sorgen.
Vier Thesen zum Thema stellte die nächste Gastrednerin, Dr. Céline-Agathe Caro, auf. Die Koordinatorin für Europapolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung betonte, dass die Überwindung der Krise für alle europäischen Länder eine Herausforderung darstelle, denn alle betreten Neuland. Momentan seien die EU-Länder noch zum Teil damit beschäftigt, das Feuer zu löschen – in Spanien und Griechenland vor allem – aber sie hätten die Schwächen im System erkannt. So sei jetzt die EU vor allem in der Phase der Behebung dieser Schwächen. Die entscheidende Frage dabei sei: Welcher Mix an Schuldenabbau, Strukturreformen und Wachstumsförderung in jedem Land der Eurozone richtig ist, um Stabilität wieder zu schaffen? Seit 2010 wurden auf EU-Ebene neue Instrumente entwickelt, um die Mitgliedstaaten bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Caro zählte in diesem Zusammenhang aktuelle europäische Mechanismen zur Überwindung der Krise – wie z.B. das Europäische Semester, den Euro-Plus-Pakt oder den Fiskalpakt – auf. Die Berliner Koordinatorin erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass für die Bundesregierung Solidarität (unter den Euroländern) und Verantwortung (in den jeweiligen Mitgliedstaaten) zwei Seiten einer Medaille seien. Eine Auflösung der gemeinsamen Währung wäre dagegen ein herber Rückschlag für die Integrationsgeschichte der Europäischen Union. Im Zeitalter der Globalisierung und der Entstehung einer multipolaren Welt sowie in Anbetracht der sinkenden Bevölkerungszahlen in Europa sei es für die europäischen Länder der sicherste Weg, die Vertiefung der EU-Integration als Chance für die Zukunft zu sehen. Denn ihre politischen und wirtschaftlichen Interesse, aber auch ihre Werte und Normen können die Mitgliedstaaten auf der Weltbühne am besten gemeinsam verteidigen. Gedanken zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips sowie zur Entwicklung einer Politischen Union warf die Europaexpertin in die Gästerunde. Diese reagierten natürlich, denn eine ihrer Thesen betraf auch die Notwendigkeit einer besseren Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern und der Bevölkerung in Bezug auf die Krise und die Zukunft der europäischen Integration. Neue Wege der Bürgerbeteiligung müssten auch entwickelt werden, um das Vertrauen der Leute in das europäische Projekt zurückzugewinnen.
Sachlich beurteilt die Polnische Botschaftsrätin Ewa Sadowska-Cieslak die aktuelle Situation. Sie charakterisiert den aktuellen Europa-Wandel eher normal, da er nicht zum ersten Mal innerhalb Europas stattfindet und auch in Polen für Diskussionen sorgt. Nur ungern denkt in diesem Zusammenhang die sympathische Botschaftsrätin an die polnische Schuldenkrise, die im Jahre 1989 ihren Höhepunkt erfuhr. Die Idee Europa sei jedoch lebendig. Wegen Konstruktionsfehlern an den Wurzeln müssen nun die Konsequenzen getragen und nachgebessert werden. Ihre Aussage „Wir wollen alle Europa“ soll nun weitergetragen und das Vertrauen wieder hergestellt werden. Die Polen sind proeuropäisch und haben interessanterweise bereits seit 1997 das Schuldenbremsprinzip in der Verfassung verankert. Allerdings habe dieser Eintrag kleine Unterschiede zum deutschen Entwurf, den die Botschaftern auch charmant erklärte. Erfolge lohnen sich und zahlen sich in gesamt Europa aus, sie verbessern die europäische Konkurrenzfähigkeit. Disziplin sei allerdings notwendig.
Das sieht auch Werner Reichert in seinem anschließenden Statement. Als Vorstandsvorsitzender der Erfurter Bank habe er sich eine „gesunden“ Blick auf die aktuelle Krisensituation bewahrt. Das Erfolgsrezept der Volkss- und Raiffeisenbank aber auch der Sparkassen sei das Konzept „Die Bank von Nebenan“, die allerdings große Geschäfte in ihrer Satzung nicht vorsehen. Andere Banken müssten andere Aufgabenfelder bedienen, um Europa auf dem Weltmarkt zu vertreten. Damit diese aber im Interesse der Staaten arbeiten, sollten Kontrollmechanismen sowie Schuldenbremsen greifen.
Keine Hilfe ohne Gegenleistung, auch dieses Thema schnitt der Vorstandsvorsitzende der Erfurter Bank e.G. Werner Reichert an, der zu Transfers an Schuldenländer bereit sei, um auch eine Zukunft für die jüngere Generation zu entwickeln. Weiterhin sprach Reichert ganz konkret über mögliche Hilfe für Griechenland, beispielweise in Verwaltungsmaßnahmen, Steuerverwaltung oder Abfallwirtschaft.
Einig waren sich die Experten in der offenen Gesprächsrunde, dass es kein Weg zurück gibt. Am Beispiel Polen, dass seine Wandlungsfähigkeit in seiner Krise hervorragend mit einer einheitlichen Bankenaufsicht unter Beweis stellte, zeige sich so auch der Wille nach dem Beitritt in die Eurozone.
Wenn jeder Europa in seinem Herzen trägt, wird alles gut. Dem fügte auch die Leiterin des Bildungswerkes Thüringen der KAS nichts hinzu – Maja Eib bedankte sich für die klaren Worte und das große Interesse an der inhaltlich gewinnbringenden Diskussion zur Zukunft Europas, die derzeit alle Europäer berührt.