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Das in der Nähe von Nordhausen gelegene Mittelbau-Dora war während des Dritten Reichs nach Buchenwald das zweitgrößte Konzentrationslager in Thüringen. Im August 1943 zunächst als Außenlager „Dora“ von Buchenwald gegründet, entstand im Herbst 1944 der verselbstständigte KZ-Komplex „Mittelbau“. Bis April 1945 bildete sich ein Netz von insgesamt 40 Außenlagern heraus. Hintergrund für die Gründung von Mittelbau-Dora waren Bombenangriffe auf die Forschungs- und Produktionsanlagen der Terrorwaffen V1 und V2 in Peenemünde.
Die Nationalsozialisten verlagerten daraufhin die Herstellung dieser „Vergeltungswaffen“ nach Untertage und entschieden sich für den Kohnstein, wo bereits ab 1936 ein Stollen für ein unterirdisches Treibstofflager entstanden war. Bis zur Befreiung des Lagers am 11. April 1945 durch US-amerikanische Truppen durchliefen etwa 60.000 Häftlinge das KZ. 20.000 von ihnen überlebten das Grauen nicht – sie starben unter unmenschlichen Bedingungen auf den Baustellen, an Hunger, Erschöpfung, auf den Todesmärschen in den letzten Kriegstagen oder wurden von der SS willkürlich hingerichtet.
Wie geht die junge Generation heute mit dieser dunkelsten Seite der deutschen Geschichte um? Welche pädagogischen Konzepte gibt es für Schülerinnen und Schüler, die Verbrechen des Dritten Reichs aufzuarbeiten? Wie kann mit dieser Gedenkstättenarbeit neuerlichen extremistischen Bestrebungen vorgebeugt und Rechts- wie Linksextremismus wirksam bekämpft werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Seminars des Bildungswerks Erfurt der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Das Seminar bestand aus drei Hauptteilen, die in unterschiedlichen Bausteinen zerlegt waren: Theoretische Beschäftigung mit der Geschichte des Dritten Reichs und mit dem System der Konzentrationslager; Führungen bzw. Selbsterkundungen im Gelände des ehemaligen Lagers; Theaterpädagogische Verarbeitung des Erlebten.
Der Eingangsbereich und der Appellplatz des ehemaligen KZ-Mittelbau-Dora:
In mehreren Diskussionsrunden beschäftigten sich die Jungen Erwachsenen – Schülerinnen und Schüler der Oberstufe am Gymnasium „Marie Curie“ Worbis – mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Unter fachlicher Betreuung der Gedenkstättenpädagogin Brita Scheuer, den Geschichtslehrern Gabriele Ertmer und Hans Dannoritzer sowie durch Dr. Andreas Schulze, Pädagogisch-Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bildungswerk Erfurt, rekapitulierten die Jugendlichen ihre bisherigen Kenntnisse über das Dritte Reich. Ein wichtiger pädagogischer Ansatz lief über Assoziationen: Anhand von Bildern – Fotografien bzw. Häftlingszeichnungen – sowie von Tagebuchaufzeichnungen früherer Insassen äußerten die Teilnehmer/innen ihre Vorstellungen von einem KZ. Die Bilder und Texte sprachen von Hunger, Strafen, schwerster Arbeit, Entbehrungen, Tod. Aber sie erzählten auch vom Alltag im Lager, den Beziehungen untereinander, von der Psyche der Häftlinge, von der ständigen Angst, gleichermaßen von der systematischen „Abstumpfung“.
In Exkursionen erkundete die Gruppe den einstigen Lagerkomplex, von dem nur noch wenige Spuren zu sehen sind, etwa der Appellplatz, das Krematorium, Fundamente eines Zellenbaus sowie einer Hinrichtungsstätte, Nachbauten von Baracken. Besonders makaber ist ein Sportplatz, auf dem Funktionshäftlinge Fußball spielen durften. Ein weiterer Rundgang führte durch die Stollenanlage, die ursprünglich länger als 10 km war. Nach dem Krieg wurde ein Teil des Stollens gesprengt; wenige 100 Meter sind seit 1995 wieder für Besucher geöffnet. Da ab 1943 noch kein Lager existierte, waren die Häftlinge zunächst in vier Kammern untergebracht, die als „Schlafstollen“ dienten. Die Insassen sahen zu dieser Zeit nie das Tageslicht. Erst allmählich errichteten Häftlinge das Lager über Tage. Im Januar 1944 lief die Produktion der A4-Rakete (V2) an die von den Nationalsozialisten als „Wunderwaffe“ propagiert war. Später mussten die Häftlinge auch die V1-Waffen (Flugbombe Fi 103) sowie den „Volksjäger“ He 162 produzieren; auch setzte kurz vor Kriegsende die Fertigung von Flugabwehrraketen ein. Für die Produktion dieser Waffen wurden vorwiegend Insassen eingesetzt, die aus entsprechenden Berufen kamen, z.B. Ingenieure, Physiklehrer usw. Neben der SS und anderen Wachmannschaften arbeiteten im Komplex auch Zivilangestellte als Vorarbeiter.
Andreas Mischok, Theaterpädagoge aus Bielefeld, begleitete das Seminar in Mittelbau-Dora mit einem Theaterworkshop. Ihre Wahrnehmungen setzten die Schülerinnen und Schüler an mehreren Tagen in künstlerischer Form um. Mischok arbeitete dabei nach Methoden des „Theaters der Unterdrückten“ von Augusto Boal. Die Gruppe verknüpfte das Thema des Ortes mit den Eindruck des Individuums. In Entspannungs- und Brainstorm-Übungen hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten und sich damit in die Situation des KZ hinein zu versetzen. Der Körper diente dabei als Medium zur Selbstdarstellung und Willensäußerung. Zu Aspekten der Unterdrückung im KZ entwickelte die Seminargruppe symbolhafte Standbilder und ausdrucksstarke Statuen. In der Methode Forumtheater griffen die Schüler/innen unter Anleitung des Trainers Mischok erneut ihre Erfahrungen auf. Individuell oder im Austausch mit Mitwirkenden suchten sie nach Handlungsalternativen, die auch auf die Bühne gebracht werden könnten. Rollenspiele verarbeiteten diese Perspektiven auch praktisch. Der Theaterworkshop hatte somit nicht das Ziel, ein Bühnenstück zu erarbeiten. Stattdessen diente er für die Jungen Erwachsenen zur persönlichen Verarbeitung und Sensibilisierung.
Zeugnisse des Grauens und unermesslichen Leides der Häftlinge - Überreste der unterirdischen Produktion nationalsozialistischer Terrorwaffen:
Veranstaltungsrückblick: Zeitzeugengespräche mit Willi Frohwein, einem Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora