Country reports
Die Hoffnung auf eine Lösung der strittigen Angelegenheiten und eine friedliche Einigung nach der Unabhängigkeit hat sich im Jahr Eins nicht erfüllt. Stattdessen bestimmten Säbelrasseln, Rebellentätigkeiten und blutige Stammesfehden mit Tausenden von Toten die Schlagzeilen. Militärische Auseinandersetzungen um ölreiche Grenzgebiete – die im April in Bombardements um das Ölfeld Heglig eskalierten – haben beide Staaten immer wieder an den Rand des Krieges gebracht. Aus dem Bürgerkrieg wurde ein „Fast-Krieg“ – und dieser ist inzwischen zu einem „kalten Krieg“ geworden, der beide Staaten in den Ruin zu treiben scheint.
Die Voraussetzungen für einen Staatsaufbau im Süden sind weiterhin denkbar schlecht. So überrascht es nicht, dass im ersten Lebensjahr des jungen Staates von Konfrontationen ständig, von Fortschritten hingegen kaum zu lesen war.
Staatsaufbau aus dem Nichts
Zudem gibt es nahezu nichts, worauf der Süden aufbauen könnte. Der Prozess einer Staatenbildung ist ohnehin ein langwieriger Vorgang, doch im Südsudan muss alles von Grund auf entstehen: Jahrzehnte des Bürgerkriegs haben ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen, der Aufbau startet gleichsam bei Null. Zur beispiellos dramatischen Unterentwicklung kommen noch eine Vielzahl innenpolitischer Konflikte hinzu.
Herausforderung Nummer Eins ist der Aufbau der Infrastruktur. Eine solche ist im Südsudan so gut wie gar nicht vorhanden. Es gibt kein nennenswertes Straßennetz, nur schätzungsweise hundert Kilometer geteerte Straßen. In der siebenmonatigen Regenzeit von April bis Oktober versinken die Wege im Schlamm, Brücken werden weggeschwemmt, ganze Regionen unpassierbar und weite Landesteile des mit neun Millionen Einwohnern äußerst dünn besiedelten Landes völlig abgeschnitten. Eine funktionierende Stromversorgung gibt es nicht, Wasserzugänge müssen erst geschaffen werden. Zunehmend problematisch gestaltet sich die Abfallentsorgung in der rasant wachsenden Hauptstadt Juba – ein Konzept hierfür ist nicht in Sicht. Auch ein Gesundheits- und Bildungssystem ist nicht existent: Die Gesundheitsversorgung ist ausschließlich von externer Hilfe abhängig und die Analphabetenrate bestürzend hoch. Beinah achtzig Prozent der Bevölkerung – unter den Frauen sind es sogar mehr als neunzig – können weder lesen, noch schreiben. Die Mütter- und Kindersterblichkeit erreicht Höchstwerte. Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt – nicht einmal die Grundversorgung seiner Bevölkerung kann der Staat garantieren. Hilfsorganisationen übernehmen diese Aufgabe und versorgen die Menschen mit dem Nötigsten. Auch die zahlreichen Flüchtlinge wären ohne ausländische Hilfe sich selbst überlassen – hunderttausende Rückkehrer aus dem Norden müssen versorgt und integriert werden. Der Staat scheint in jeder Hinsicht völlig überfordert, die nächste Nahrungsmittelkrise und humanitäre Katastrophe steht kurz bevor.
Bettelbriefe eines Präsidenten
Gleichzeitig bereichern sich die Eliten. In Juba macht sich Goldgräberstimmung breit, es regieren Dollarbündel und Wildwest, immer größere Geländewagen nehmen sich auf den engen, mit Schlaglöchern übersäten Straßen gegenseitig die Vorfahrt. Allgegenwärtig wuchert eine hemmungslose Korruption, die der Staatskasse auch den letzten Cent entzieht. Milliarden Dollar sind bereits verschwunden.
Es sind vor allem die politischen Eliten, deren Selbstbedienungsmentalität das Land ausblutet. Vor wenigen Wochen ging ein persönliches Schreiben des südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir durch die Presse, in dem er fünfundsiebzig Minister, Staatssekretäre und Regierungsbeamte aufforderte, unterschlagenes Geld an den Staat zurückzuzahlen. „Es ist ein Eingeständnis des kompletten Scheiterns und wohl einmalig in der Geschichte der modernen Regierungslehre“, schrieb das deutsche Wochenmagazin „Der Spiegel“. Rund vier Milliarden Dollar, überwiegend aus Öleinannahmen, seien verloren, „oder, um es einfacher zu sagen, von ehemaligen oder derzeitigen Beamten und von korrupten Individuen mit engen Drähten zu Mitarbeitern der Regierung gestohlen worden", so der Präsident wörtlich. Wohl nicht zufällig wählte er die „Wir-Form“, als er weiter verlauten ließ: "Wir haben für Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit gekämpft. (…) Und nun, da wir an der Macht sind, haben wir offenbar vergessen, wofür wir gekämpft haben und uns stattdessen selbst die Taschen gefüllt zu Lasten unserer Leute" (Sudan Tribune, 5. Juni 2012). Ob er auch selbst zu den Einsichtigen gehören wird, die auf ein hierfür eigens eingerichtetes Konto in Kenia Teile des Geldes zurücküberweisen, wird wohl ein Geheimnis bleiben: Vertraulichkeit und Amnestie sind die Belohnung, strafrechtliche Verfolgung ist nicht zu befürchten. Der verschwundene Betrag entspricht im Übrigen etwa der Summe, die die internationale Gemeinschaft bisher für den Wiederaufbau des Landes ausgegeben hat.
Der Ölhahn ist zugedreht
Das gravierende Defizit wird zudem nicht durch Einnahmen aufgefangen, denn der Ölhahn ist zu: Aufgrund von Streitigkeiten mit dem Norden hatte der Süden Anfang des Jahres die Produktion eingestellt. Das Zerwürfnis entzündete sich an Transitgebühren: Im Südsudan liegen drei Viertel der Ölquellen, im Norden hingegen der einzige Ölhafen und die gesamte Infrastruktur. Der Norden ist auf das Öl des Südens angewiesen, der Süden auf den Export durch den Norden, doch gab es keine Einigung über die Gebühren für die Pipeline: der Süden zeigte sich nicht bereit, den horrenden Zahlungsansprüchen des Nordens Folge zu leisten. Letzterer „entschädigte“ sich kurzerhand selbst, indem er Öl im Wert von mehr als achthundert Millionen Dollar einbehielt. Daraufhin bezichtigte der Süden den Norden des Diebstahls und stoppte – unter dem Jubel des Parlamentes und allen internationalen Warnungen zum Trotz – schlichtweg den Export.
Ein Jahr nach seiner Gründung steht der Südsudan vor dem Bankrott
Es war ein Schnitt ins eigene Fleisch: 98 Prozent der Staatseinnahmen (rund zwei Milliarden jährlich) stammen aus dem Erdölverkauf. Diese Einnahmen bleiben nun aus. Berechnungen der Weltbank zufolge müssten die Währungsreserven noch in diesem Sommer zu Ende gehen. Steuereinnahmen von weniger als zwei Millionen Dollar sind dabei ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Wirtschaft steuert unaufhaltsam dem Kollaps entgegen.
Die desolate Lage im Land spiegelt dies wider – die Preisspirale schraubt sich immer weiter in die Höhe, Inflation grassiert, der Treibstoff geht aus. Wo überhaupt noch erhältlich, kostet der Liter Benzin inzwischen über sechs Dollar. „Unabhängig in die Pleite“ lauten die Kommentare zum ersten Jahrestag. Und: „Arm trotz Öl“.
Dabei ist der Südsudan ein reiches Land, auch über seine Ölvorkommen und Bodenschätze wie Gold, Eisen und Marmor hinaus: Über 90 Prozent der Böden gelten als fruchtbar, hinzu kommt eine Fülle an Wasser und Fisch. Dennoch reicht es nur zur Subsistenzwirtschaft: Aufgrund des Mangels an Bewässerungsanlagen und Strom, vor allem aber Transportwegen und somit Exportmöglichkeiten, gestaltet sich der Aufbau einer funktionierenden Agrarwirtschaft schwierig. Die prekäre Sicherheitslage – begleitet von tribalen, mit Kleinwaffen ausgetragenen Konflikten um Weideflächen und fruchtbares Land – gefährdet die Stabilität, die für eine effektive Landwirtschaft von Nöten wäre. Unklare Landrechte, Rechtsunsicherheit, „Landgrabbing“ und Korruption gesellen sich hinzu. Durch den Mangel an zentralen Verwaltungsstrukturen kommt es immer wieder zu Mehrfachbesteuerungen, die die Erlöse aus der Landwirtschaft weiter schmälern.
Die Diversifizierung der Wirtschaft wurde verpasst
Die Problemlage ist komplex und Lösungsansätze sind nicht in Sicht, zu sehr ist der Staat auf Erdöl fokussiert und mit der destabilisierenden Wirkung des andauernden Grenz- und Verteilungskonflikts mit dem Nordsudan beschäftigt. Die Diversifizierung der wirtschaftlichen Entwicklung wurde verpasst, der Staat ist von den Öleinannahmen abhängig. Um zumindest vom Norden unabhängig zu werden, wird nach alternativen Fördermöglichkeiten gesucht: Ein ambitioniertes Megaprojekt mit der Bezeichnung „Lamu Port-Southern Sudan-Ethiopia Transport Corridor Project“ (Lapsset) soll eine Pipelineroute vom Südsudan durch Kenia und Äthiopien nach Lamu an den indischen Ozean bringen, Hochleistungsstraßen und Eisenbahnlinien inklusive. Auf der kenianischen Fischerinsel soll gleichzeitig eine riesige Hafenanlage mit eigener Erdölraffinerie entstehen. Die Kosten des Baus betragen etwa fünfundzwanzig Milliarden USD, dessen geschätzte Dauer dreißig bis vierzig Jahre. Die Finanzierung ist jedoch nach wie vor unklar, auch gefährden hohe Umweltauflagen und das Sicherheitsrisiko zur somalischen Grenze die Durchführung des Projekts. Zudem wird hinterfragt, ob eine eigene Pipeline für den Südsudan überhaupt rentabel ist. Und aufgrund des drohenden Bankrotts verbieten sich Investitionen derzeit ohnehin.
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