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Country reports

Der Kampf um die Zukunft der Ukraine geht weiter

In wenigen Tagen soll sich nun das Schicksal der Krim entscheiden

Auch am letzten Wochenende war die Lage auf der Krim extrem angespannt, russische Truppenteile wurden auf mindestens 18.000 Mann verstärkt, die Grenzen abgeschottet, nur noch auf Schleichwegen gelangten Ortskundige auf die Halbinsel. Beobachtern einer Militärmission der OSZE wurde trotz vorheriger Vereinbarung mit der Führung in Moskau die Einreise auf die Krim mehrfach verwehrt. Dennoch hofft man in der Ukraine weiter auf eine diplomatische Lösung der Krise. In Simferopol und anderen Teilen der Krim gab es friedliche Demonstrationen für Frieden und den Verbleib der Krim in der Ukraine.

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Die Krim wurde am 19. Februar 1954, also vor genau 60 Jahren an die damalige ukrainische Sowjetrepublik angegliedert. Das, was gemeinhin als „Geschenk“ von Chruschtschow an seine ukrainischen Landsleute galt, muss auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen werden. Nach dem 2. Weltkrieg und der Vertreibung der Krimtataren lebten auf der Halbinsel nur noch an die 500.000 Menschen, eine Bewirtschaftung über das russische Festland, die Versorgung mit Gas, Strom und Wasser war praktisch unmöglich. Wasser erhält die Krim bis heute zu 85% aus dem Fluss Dnepr. Alle Straßen- und Schienenverbindungen laufen über ukrainisches Gebiet. Nach Russland hin gibt es lediglich die wetterabhängige Fährverbindung über die Meerenge von Kertsch. Der russische Ministerpräsident Medwedjew stellte zwar kürzlich für den Fall der Angliederung an Russland eine Brückenverbindung in Aussicht, doch dies wäre ein teures Großvorhaben von mehreren Jahren Bauzeit. 90% aller Nahrungsmittel und Industrieprodukte kommen aus der Ukraine, die Region erhält jährlich Transferzahlungen in Höhe von 2,65 Milliarden US$ von der Zentralregierung in Kiew. Die Arbeitslosigkeit auf der Krim ist hoch, vom Tourismus fließt nur ein Bruchteil in den Staatshaushalt. 6 Millionen Touristen besuchen die Krim jedes Jahr, davon ca. 1,5 Millionen Russen, der Rest sind Ukrainer.

Auf der Krim leben derzeit 2 Millionen Menschen, nach der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2001 sind 58% davon ethnische Russen, 24% Ukrainer, 12% Krimtataren sowie Angehörige anderer Volksgruppen. Noch Mitte Februar 2014 ergab eine Umfrage der Stiftung Demokratische Initiativen, dass sich 41% der 1,7 Millionen Wahlberechtigten auf der Krim für eine Anbindung an Russland aussprechen würden. Das für den 16. März vom Parlament der Krim anberaumte Referendum wird diese Zahl wohl nicht widerspiegeln. Mit Manipulationen käme man auf bis zu 80% Zustimmung für Russland, so wird bereits jetzt angenommen. Russische Streitkräfte erzeugen zudem seit nunmehr über einer Woche eine Drohkulisse und schüren Ängste bei den Menschen.

Letztendlich hat das Parlament der Krim ja auch bereits am 6. März beschlossen, das Verfahren einer Angliederung an die Russische Föderation einzuleiten. Die beiden Fragen des Referendums lassen dem Wähler ohnehin keine wirkliche Wahl. Sie lauten: „Sind Sie für die Vereinigung der Krim mit der Russischen Föderation?“ oder „Sind sie für die Wiederherstellung der Verfassung der Republik Krim von 1992 und für den Status der Krim als Teil der Ukraine?“. Die Verfassung von 1992 ist nicht mehr in Kraft. Mit ihr wurde eine quasi unabhängige Republik Krim ausgerufen, die nur formal im Staatsverband mit der Ukraine war. Verhandlungen führten erst später zur seitdem gültigen Autonomieregelung.

Mit Ausnahme vereinzelter Internetquellen ist die Informationslage auf der Halbinsel pro-russisch dominiert. Den ukrainischen Fernsehsendern 5. Kanal, 1+1 und INTER, die objektiv berichten, wurden die Frequenzen zugunsten russischer Sender entzogen. Der einzige krimtatarische Fernsehkanal ATR ist nur noch über Satellit zu empfangen. Refat Tschubarow, Chef des krimtatarischen Parlaments Medschlis, rief zum Boykott des Referendums auf. Die ungefähr 300.000 Krimtataren auf der Halbinsel sind gegen eine Vereinigung mit Russland. Safure Kajametowa, Abgeordnete im Parlament der Krim, berichtete bereits letzten Donnerstag über erste Einschüchterungsmaßnahmen gegenüber den Krimtataren. Seit dem Entschluss des Parlaments der Krim, sich Russland angliedern zu wollen, hätten unbekannte Personen damit begonnen, Wohnhäuser von Tataren zu markieren.

Die Krimtataren

In diesem Jahr gedenkt man in der Ukraine auch des 70. Jahrestags der Vertreibung der krimtatarischen Bevölkerung 1944 nach Zentralasien. Bereits vor der Deportation waren Hunderttausende von Krimtataren durch Repressionen ums Leben gekommen. Der Hass gegen Willkür und Verletzung von Menschenrechten sitzt tief. Erst 1988 durften die Krimtataren wieder zurückkehren, allerdings nicht in ihre alten Siedlungsgebiete, bis heute sind sie auf der ganzen Halbinsel verstreut. Im Parlament der Autonomen Republik Krim sind sie unterrepräsentiert, verfügen aber über eine gute eigene Organisationsstruktur mit einem legislativen Gremium, dem Medschlis. Die Religionsgemeinden der sunnitischen Krimtataren sind in einem spirituellen Direktorium zusammengeschlossen, das enge Beziehungen zur Türkei unterhält. Radikale islamische Strömungen, deren Ziel die Errichtung eines Nationalstaats der Krimtataren ist, waren bisher marginalisiert. Es lässt sich aber nicht auszuschließen, dass sich diese Gruppierungen nach einer ungewollten Abspaltung von der Ukraine radikalisieren.

Die neue Regierung in Kiew

Die Regierung in Kiew fordert den Abzug der russischen Truppen von der Krim. Man sei bereit, über eine Erweiterung der Autonomie der Krim im Gespräch zwischen den Parlamenten in Kiew und Simferopol zu verhandeln. Die politische Führungsriege in Kiew steht nun vor zwei enormen Herausforderungen: der Verhinderung einer Abspaltung von Teilen des sowie der Abwendung des wirtschaftlichen Bankrotts.

Premierminister Arseni Jazenjuk bezeichnete sein neues Kabinett daher auch als „Gruppe politischer Selbstmörder“, da diese radikale Reform- und Sparmaßnahmen durchführen muss, um das Land aus der politischen und wirtschaftlichen Krise herauszuführen. Die sicherheitspolitische Krise auf der Krim hat diese Einschätzung noch einmal untermauert.

Die vor zwei Wochen ins Amt gekommene Regierung setzt sich aus erfahrenen Politikern der Parteien Batkiwschtschyna von Julia Timoschenko (7 Minister), der rechtsnationalen Swoboda von Oleh Tjahnybok (4 Minister), Experten und Maidan-Aktivisten (9 Minister), zusammen. Die größte politische Erfahrung weist sicherlich der Premierminister vor, der bereits Ämter auf verschiedenen politischen Ebenen ausgeübt hat. Sein Stellvertreter und Minister für regionale Entwicklung und Kommunales, Wolodymyr Groissman, wurde bereits im Alter von 28 Jahren zum Bürgermeister der westukrainischen Stadt Winnyzja gewählt und hat diese zu einem regionalen Wirtschaftszentrum ausgebaut. Die Zusammenarbeit zwischen den Regionen und der Zentralregierung in Kiew insbesondere in wirtschaftlichen Fragen wird sicherlich zu den Schlüsselaufgaben der neuen Regierung gehören.

Der Wirtschaftsminister Pawlo Scheremeta, der wie Groissman keiner politischen Partei angehört, ist Gründungsdekan der Kiewer Mohyla Business School und Präsident der Kiewer Wirtschaftsschule, die zu den besten Wissenschaftsinstitutionen des Landes gehören. Die Nähe zu den wirtschaftspolitischen Denkfabriken der Ukraine könnte ihm bei der Lösung der enormen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen von großem Nutzen sein.

Einer der prominentesten Vertreter der Maidan-Bewegung, Andri Paruby, ehemaliger Leiter der Selbstverteidigungseinheiten auf dem Maidan, wurde zum Vorsitzenden des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates ernannt. Der Batkiwschtschyna-Abgeordnete, der 1991 zu den Gründern der Vorgängerpartei der heutigen rechtsnationalen Swoboda gehörte, koordiniert nun die Arbeit der ukrainischen Sicherheitsbehörden und ist unmittelbar in die Geschehnisse um die Krim eingebunden.

Erste Schritte hin zu Reformen und gegen eine Spaltung des Landes

Die Wahrscheinlichkeit einer Spaltung des Landes hatte im Laufe der politischen Umbrüche der letzten Monate zugenommen. Die Administration des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch nutzte ihre großen medialen Einflussmöglichkeiten, um die Maidan-Bewegung in den Medien als faschistische, antisemitische und terroristische Bewegung zu dämonisieren. Große Bevölkerungsteile im Süden und Osten des Landes haben ausschließlich diese gelenkte Berichterstattung, vor allem auch aus russischen Medien, wahrgenommen.

Die ukrainische Regierung hat nun erste wichtige Schritte eingeleitet, um diesem Problem entgegen zu wirken. Im Oblast Dnipropetrowsk, der industriell zweitwichtigsten Region im Osten der Ukraine, wurde Igor Kolomoisky zum Gouverneur ernannt. Der Oligarch ist Mitinhaber einer der größten Banken des Landes und gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten in der Ukraine. Zudem steht Kolomoisky dem Dachverband der jüdischen Organisationen vor und kann den Vorwürfen nach antisemitischen Entwicklungen in der Ukraine entgegenwirken. Außerdem wurde in der Region Donezk weiter östlich Sergij Taruta zum Gouverneur ernannt. Taruta ist Vorsitzender des Industriellen-Verbandes im Donbass und vertritt damit die bedeutendsten wirtschaftlichen Akteure des Landes.

Auch wenn die Europäische Union am 5. März bekannt gegeben hat, dass man der Ukraine kurz- und mittelfristige Finanzhilfen in Höhe von 11 Mrd. Euro geben werde und die USA sofortige Kredithilfen in Höhe von einer Milliarde US-Dollar vorbereitet haben, ist der Staatsbankrott der Ukraine noch nicht abgewendet. Die Regierung hat bereits umfassende Sparmaßnahmen vorgenommen, die zur Senkung der öffentlichen Ausgaben beitragen und die Neuverschuldung begrenzen sollen. Beispielsweise hat das Kabinett drastische Kürzungen staatlicher Finanzierungsprogramme beschlossen und einen beschleunigten Verkauf staatlicher Liegenschaften angekündigt. Eine langfristige Modernisierungsperspektive bildet das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, dessen Unterzeichnung die ukrainische Regierung als ihre außenpolitische Priorität ansieht.

Die wirtschaftlichen Reformmaßnahmen können allerdings nur bedingt wirken, falls Russland eine weitere Eskalation der Lage beabsichtigen sollte, was zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann. Es ist zu erwarten, dass die Regierung in Moskau weiter wirtschaftlich und finanzpolitisch Druck ausüben wird. Russische Banken und Privatpersonen haben zudem in dem strategisch wichtigen Telekommunikations- und Bankensektor weitreichenden Einfluss. Die größten Anbieter für mobile Telekommunikation und mehr als 20% des ukrainischen Bankensektors sind in russischem Besitz.

Neueste Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai

In politischen Kreisen Kiews wurde mit viel Verwunderung wahrgenommen, dass die Partei UDAR von Vitali Klitschko keine Regierungsverantwortung übernommen hat. Zunächst war unklar, ob hier ein politischer Kompromiss zwischen Batkiwschtschyna und UDAR im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen ausgehandelt wurde. Denn bisher hat nur Vitali Klitschko seine Kandidatur offiziell bekannt gegeben. Allerdings scheint sowohl eine Kandidatur von Julia Timoschenko als auch die des pro-europäischen Oligarchen Petro Poroschenko als sehr wahrscheinlich. Neueste Umfragen des Forschungszentrums SOCIS zeigen somit ein ganz anderes Bild als noch vor wenigen Monaten: Petro Poroschenko als Unterstützer des Maidan und medial mit dem 5. Kanal im Hintergrund liegt bei 21,2%, Vitali Klitschko kommt auf 14,6%, Julia Timoschenko auf 9,7%, der Kandidat der Partei der Regionen Sergij Tihibko erhält lediglich 7,1%, Petr Simonenko von den Kommunisten 5% und Oleh Tjahnibok von Swoboda 2,5%.

Festzustellen bleibt, dass die Regierung in ihren ersten Wochen erste positive Signale setzen konnte. Um jedoch die strategischen Probleme lösen zu können, wird es nun von größter Bedeutung sein, die Reformmaßnahmen eng mit den internationalen Partnern zu koordinieren und die Einigkeit des Landes zu bewahren. Falls man die wirtschaftliche Lage in Kiew nicht unter Kontrolle kriegen sollte, droht dem Land neben der politischen und wirtschaftlichen auch eine soziale Krise, die unumkehrbare Folgen für die Ukraine und ihre Nachbarn haben könnte. In diesem Kontext ist man in Kiew wie noch nie auf die nachhaltige Unterstützung aus Europa angewiesen.

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