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Zu der elfköpfigen Delegation zählten unter anderem der Patriarch der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, Erzbischöfe der Ukrainisch-Orthodoxen, der Griechisch-Katholischen sowie der Römisch-Katholischen Kirche, Vertreter des Protestantismus und der Ukrainischen-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, der Mufti der geistlichen Verwaltung der Muslime sowie der stellvertretende oberste Rabbiner der Ukraine.
Die Teilnehmer sind im sogenannten All-Ukrainischen Kirchenrat organisiert und stehen für rund 85% der ukrainischen Bevölkerung, so dass hierdurch auch ein großer Anteil der ukrainischen Zivilgesellschaft widergespiegelt wird. Aufgrund der Vielfalt ihrer Glaubensrichtungen ist die Delegation zudem ein Vorbild für friedliche interreligiöse Zusammenarbeit.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung organisierte anlässlich des Besuchs ein Fachgespräch zum Thema „Die Religionsgemeinschaften in der Ukraine und der Konflikt im Osten des Landes“, welches in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung stattfand. An diesem deutsch-ukrainischen Gespräch nahmen Repräsentanten der hiesigen Religionsgemeinschaften, Medienvertreter, Experten von Think Tanks, Mandatsträger sowie Mitarbeiter politischer Institutionen teil. Ziel des Dialoges war es, sich ein klares Bild über die derzeitigen Verhältnisse des Konfliktes in der Ukraine zu verschaffen, Probleme darzulegen und künftige Handlungsstrategien zu erörtern.
Patriarch Filaret erklärte, er wolle die Wahrheit darüber sagen, was in der Ukraine stattfinde und Wege zeigen, wie diese Probleme gelöst werden können. Er mahnte, der Konflikt in der Ost-Ukraine dürfe nicht als ein allein ukrainisches Problem angesehen werden, sondern sei aufgrund der Aggression und der Verletzung von Völkerrecht und Nichteinhaltung von Verträgen seitens der Russischen Föderation ebenso eine Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft. Dieser Konflikt könne daher nur gemeinsam und mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Er riet dazu, die Sanktionen gegenüber dem Aggressor aufrecht zu erhalten. Nur mit starkem und konsequentem Druck könne Russland davon abgehalten werden, den Konflikt auf weitere Regionen der Ukraine und andere angrenzende Länder auszuweiten. Die große Herausforderung sei es, Russland zur Erfüllung der Minsker Verträge zu bewegen. Dies sei für die zukünftige Entwicklung der Ukraine und die internationale Zusammenarbeit von fundamentaler Bedeutung.
Genauso so wichtig sei jedoch auch, die Reformen im Land, vor allem in Bezug auf die Korruption, trotz des Konflikts weiter zu verfolgen. Die Korruption sei allerdings weniger ein Problem der gesetzgebenden Gewalt, sondern vielmehr ein Problem des Bewusstseins der Menschen. Hier müsse daher ein Paradigmenwechsel erfolgen – weg von der Denkweise des „Homo Sovieticus“ hin zu einer Verantwortungsmentalität. Die Religionsgemeinschaften arbeiten daher gezielt gegen die Korruption. Zusammen mit der Antikorruptionsbehörde, mit der Presse aber auch in den Gottesdiensten selbst werde das Thema angesprochen, um eine Veränderung des Bewusstseins für dieses Problem in der Gesellschaft zu erreichen.
Sviatoslav Shevchuk, Souveräner Erzbischof der Griechisch-Katholischen Kirche in der Ukraine, betonte, die ukrainische Gesellschaft wolle sich nach vorne bewegen – hin zur Demokratie und zur Europäischen Union. Denn schon seit langem verstehe sich die Ukraine nicht mehr als sowjetischer, sondern als europäischer Staat.
Es bestünden im Land jedoch diverse Mythen, welche es aufzuheben gelte. So herrsche in Teilen der Bevölkerung des Donbass die Illusion, die Intervention russischer Truppen würde mit einer „Rückführung in den sowjetischen Frühling“ eine Verbesserung ihrer derzeitigen Verhältnisse erwirken. Geschuldet sei dieses Denken vor allem der einseitigen Informationspolitik der Russischen Föderation, die massiven Einfluss auf die Bevölkerung im Donbass nimmt. Es sei daher von zentraler Bedeutung, diesen „Informationskrieg“ zu stoppen.
Erzbischof Shevchuk konstatierte jedoch auch, er habe gute Nachrichten zu überbringen: Es gebe in der Ukraine weder interethnische noch interkonfessionelle Konflikte. Im Gegenteil trage der Konflikt sogar dazu bei, dass die ukrainische Gesellschaft noch näher zusammenrückt. Obwohl ein großer Teil der Menschen aufgrund der angespannten politischen und wirtschaftlichen Lage am Rande der Armut lebt, sei die zwischenmenschliche Solidarität immens. So beteiligen sich mindestens 80 Prozent der Bevölkerung an der Freiwilligenbewegung. Es herrsche zudem Einigkeit darüber, „dass Zukunft nur in Freiheit stattfinden kann“. Dieses Engagement innerhalb der Bevölkerung sei ein „tiefer Ausdruck christlicher Nächstenliebe“.
Die Vertreter der ukrainischen Religionsgemeinschaften beklagten des Weiteren die wirtschaftliche Situation des Landes. Die Ukraine brauche dringend eine Art Marschall-Plan, Ähnlich wie Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges, um die Lebensverhältnisse der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Denn die vorherrschende Kriminalität und Korruption sei unter anderem ein Ergebnis der schlechten Erwerbsmöglichkeiten im Land. Es habe in diesem Bereich zwar schon Reformen gegeben, man stehe jedoch noch am Anfang eines lang andauernden Prozesses.
Die Religionsgemeinschaften haben seit Beginn des Konflikts aktiv humanitäre Hilfe geleistet. Nahrung, Kleidung, Arzneimittel und Fahrzeuge seien bereitgestellt worden, um Kindern, Flüchtlingen und Kriegsverwundeten beizustehen. Hierbei sei man für das Engagement deutscher Hilfsorganisationen, wie der Caritas, außerordentlich dankbar. Dass in diesem Maße auch aus dem Ausland humanitäre Hilfe geleistet werde, stärke die Verbindungen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union enorm.
Zentral für die Zukunft der Ukraine sei jedoch, dass sich das ukrainische Volk mit sich selbst aussöhnen muss. Über die Historie des Landes gäbe es zwar noch keine Einigkeit, aber allein die Tatsache, dass ein Dialog stattfinde, sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Mykola Danylewitsch, Vertreter der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, schilderte mit Blick auf den Osten der Ukraine, es sei bereits zu Angeboten gekommen, „verlassene Gotteshäuser“ zu übernehmen. Man sei sich jedoch einig, solche Angebote entschieden abzulehnen.
Akhmed Tamim, Scheich und Mufti der Geistlichen Verwaltung der Muslime in der Ukraine, erläuterte die derzeitige Situation insbesondere aus Sicht der Krim-Tataren.
Der Stellvertreter des Obersten Rabbiners der Ukraine, Gennadii Bilorytskyi, äußerte zudem den sehr persönlichen Wunsch, dass seine Kinder in einer „friedlichen, aber auch einigen Ukraine aufwachsen sollen“.
Mit Blick auf die Rolle Russlands in dem anhaltenden Konflikt kamen die Vertreter der Delegation zu folgendem Resümee: Kompromisse und Einigungen müssen immer „auf Grundlage der Wahrheit erfolgen“ und nicht durch das „Recht desjenigen, der die Kalaschnikow hat“.