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Country reports

Biden geht mit Kamala Harris ins Rennen

Erste Reaktionen und Kommentare in den U.S.-Medien

Am Dienstag hat Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Kamala Harris für das Amt der Vizepräsidentin nominiert. Bei einem Wahlsieg wäre sie in der Geschichte der USA die erste schwarze Frau auf diesem Posten. Der Auswahlprozess war über Wochen hinweg mit Spannung verfolgt worden.

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Zur Person

Die meisten US-Kommentatoren sind sich in ersten Reaktionen auf die Nominierung in einem Punkt einig: Die Entscheidung für Kamala Harris wird nahezu durchgängig als „historisch“ bewertet. Die Senatorin aus Kalifornien sei, schreibt Perry Bacon Jr. auf FiveThirtyEight, „die erste asiatische Amerikanerin („Asian American“) und die erste schwarze Frau in der amerikanischen Geschichte, die bei den allgemeinen Wahlen für das Amt des Präsidenten oder Vizepräsidenten einer der beiden großen politischen Parteien kandidiert hat.“ In den USA gilt Harris als „Schwarze“ mit asiatisch-amerikanischer Abstammung, weil ihre Mutter in Indien, und ihr Vater in Jamaika geboren wurden. Bacon erinnert daran, dass nach Barack Obama mit Kamala Harris erst zum zweiten Mal in der US-amerikanischen Geschichte eine Angehörige der schwarzen Bevölkerungsminderheit von einer der beiden großen Parteien für das Amt des Präsidenten oder Vizepräsidenten nominiert wurde. Sie ist nach Geraldine Ferraro (1984), Sarah Palin (2008) und Hillary Clinton (2016) auch erst die vierte Frau, die aus den Reihen der Demokraten und der Republikaner für eines der beiden Ämter kandidiert.

Alisa Wiersema und Libby Cathey weisen auf ABC News darauf hin, dass Harris „als zweite afroamerikanische Frau und erste südasiatisch-amerikanische Senatorin in der Geschichte bereits eine Reihe historischer Meilensteine erreicht“ habe. „Sie war auch die erste Afroamerikanerin und die erste Frau, die als Generalstaatsanwältin Kaliforniens diente.“ ABC News verweist auf „ein Band zwischen Harris und den Bidens“. Denn während ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin in Kalifornien war Harris mit Beau Biden befreundet. Der vor fünf Jahren verstorbene Sohn von Joe Biden war damals Generalstaatsanwalt im US-Bundesstaat Delaware.

Chris Cillizza konstatiert auf CNN, dass Kamala Harris für die Nominierung „monatelang die Spitzenkandidatin“ gewesen sei, „weil sie einfach Sinn machte“. Da sie zunächst selbst als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten angetreten war, sei Harris „auf nationaler Ebene überprüft“ und von den Medien getestet worden. „Sie hat Erfahrung in der Regierung - sowohl als kalifornische Generalstaatsanwältin als auch als US-Senatorin seit 2017. Mit 55 Jahren repräsentiert sie eine jüngere Generation von Führungspersönlichkeiten - etwas, das Biden, der am Tag der Amtseinführung 2021 78 Jahre alt sein wird, als einen wichtigen Faktor für seine Wahl nannte.“ Harris sei, fährt Cillizza fort, „eine historische Wahl als erste schwarze und südasiatische Frau (…) auf der nationalen Wahlliste einer großen Partei“. „Sie kommt aus Kalifornien, einer riesigen Schatzkammer sowohl demokratischer Stimmen als auch demokratischer Spender.“ Und nach dem Tod von George Floyd im Mai und während der anschließenden Proteste gegen Polizeigewalt und die Benachteiligung von Minderheiten habe sich Harris als „eine freimütige Stimme in Sachen Rassismus - und der Notwendigkeit einer Reform der Polizei“ positioniert. „Niemand sonst stand auf Bidens VP-Kurzliste, der so viele Kästchen angekreuzt hatte“, resümiert Cillizza.

Zum Führungsgespann

Andrea Mitchell, Korrespondentin von NBC News in Washington D.C., argumentiert: "Sie macht vor allem deshalb Sinn, weil er (Biden) glaubt, dass sie ein guter Regierungspartner sein wird. Sie hat Charisma, sie ist 55 Jahre alt, mehr als zwei Jahrzehnte jünger als er. Sie ist die Zukunft, sie wird als die Zukunft der demokratischen Partei bezeichnet. (...) Sie ist jemand, von der er (Biden) glaubt, dass sie eine Menge Energie in die Wahlliste einbringen kann".

Der Umstand, dass sich Joe Biden am Dienstag für einen „running mate“ entschieden hat, der ihn vor einigen Monaten, damals noch als Kandidatin für die U.S.-Präsidentschaft, öffentlich scharf attackiert hatte, wird von den Kommentatoren unterschiedlich bewertet. So fragt Howard Kurtz auf Fox News: „Wie hat sich Biden für sie entschieden, wo er doch angesichts seiner Erfahrung mit Barack Obama so viel Wert auf Kompatibilität legte? Biden sagt, er sei nicht nachtragend, und Kamala stand seinem verstorbenen Sohn Beau nahe.“ Aber, fragt Kurtz weiter: „Was bringt sie über ihre telegene Präsenz hinaus mit ins Spiel? Biden war bereits im Begriff, Kalifornien zu gewinnen. Sicherlich wird es mehr Aufregung in der schwarzen Gemeinschaft geben.“ Überdies, mutmaßt Kurtz, werde Harris als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten mit ihren Äußerungen jetzt einem „strengeren Drehbuch“ folgen müssen als während ihrer Präsidentschaftskandidatur. „Da Biden in den Umfragen führend ist, suchte er vielleicht nach jemandem, der beständig genug ist, dass sie seine Chancen einfach nicht verschlechtern würde.“ Demgegenüber glaubt CNN-Kommentator Chris Cillizza, es sei „schwer zu erkennen“, dass die damalige Attacke von Kamala Harris gegen Joe Biden „viel Schaden angerichtet hat, wenn man bedenkt, dass Biden Geschichte gemacht hat, indem er sich Harris ausgesucht hat“. Cillizza ist sogar davon überzeugt, dass Harris im Gegensatz zu dem knappen Dutzend anderer möglicher Kandidatinnen, die für die Nominierung in den vergangenen Wochen in den Medien besonders heiß diskutiert wurden, „keine offensichtliche Schwäche“ habe, „die die Trump-Kampagne ausnutzen“ könne.

Michael A. Cohen sekundiert in einem Beitrag für den Boston Globe geradezu euphorisch: „Sie hat ein nationales politisches Profil. Nachdem sie bereits für die Präsidentschaft kandidiert hat, ist sie weitgehend überprüft worden, und mit 55 Jahren bietet sie einen Kontrast zum 77-jährigen Biden. Sie ist auch eine geschliffene Kämpferin, die Spannung und Charisma in die nationale Wahlliste bringt. Vor allem hat sie die Erfahrung, glaubwürdig zu argumentieren, dass sie am ersten Tag das Amt des Präsidenten übernehmen könnte. Da Biden in den Umfragen mit zweistelligen Zahlen an der Spitze liegt, gab es für ihn keinen guten Grund, bei seiner Wahl zum Vizepräsidenten ein Risiko einzugehen. Die Tatsache, dass die Person, die die logische Wahl war, auch die sicherste war, machte diese Wahl zu einem Kinderspiel.“

Zur Partei

Demgegenüber kritisiert Andy Puzder in seiner Reaktion auf FOX Business: „Wie von den amerikanischen Arbeitnehmern befürchtet, hat der mutmaßliche Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, eine radikale Kandidatin gewählt.“ Die Nominierung sei ein „Vorstoß des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten nach ganz links. (…) Nach Monaten der Spekulation wissen wir jetzt genau, wohin Biden Amerika führen will. (…) Das Ticket der Demokratischen Partei ist endlich komplett - und unserer Wirtschaft zu helfen, sich von der verheerenden Coronavirus-Pandemie zu erholen, steht nicht auf ihrer radikalen Agenda“, meint Puzder. Noch weiter geht die Kritik von Kevin D. Williamson auf der Internetseite von National Review: „Joe Biden hat seinen running mate für 2020 benannt: Autoritarismus.“ Williamson wirft Kamala Harris für ihre Zeit als Generalstaatsanwältin in Kalifornien “Machtmissbrauch“ vor. „Mit der Wahl dieser korrupten Staatsanwältin zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin hat Joe Biden einen schwerwiegenden Fehler begangen, der“, so Williamson weiter, „seine ohnehin schon erheblichen Mängel im Urteilsvermögen deutlich macht."

Ob und wie weit die Nominierung von Kamala Harris die demokratische Partei nach links führt, ist unter den Kommentatoren ebenfalls umstritten. Perry Bacon Jr. bilanziert auf FiveThirtyEight: “Nachdem Bernie Sanders und Elizabeth Warren den Nominierungswettbewerb verloren hatten, drängten viele liberale Aktivisten Biden, Warren als seinen Vizekandidaten zu wählen. Sie waren erfolglos. Harris hat eine ziemlich liberale Stimmbilanz im Senat, aber sie ist nicht annähernd so weit links wie Warren. Harris hat zum Beispiel nicht die Auflösung von Facebook gefordert oder eine Vermögenssteuer unterstützt.” Bacon glaubt, dass „liberale Aktivisten“ es „schwer haben (könnten), ihre wichtigsten politischen Ziele durchzusetzen, selbst wenn die Demokraten im nächsten Jahr das Repräsentantenhaus, den Senat und die Präsidentschaft kontrollieren“. Von den im Falle eines Wahlsiegs für die Zeit ab 2021 absehbaren Führungspersönlichkeiten der Demokraten in Washington D.C. hätten „alle eine gewisse Distanz zum linken Flügel der Partei gehalten“. Ted Rall schreibt für das Wall Street Journal sogar: “Mit der Wahl von Senatorin Kamala Harris zu seiner Kandidatin sendet Joe Biden eine Botschaft an die progressive linke Basis der Demokratischen Partei: Fall tot um.“

Zu den Wählern

Mit Biden und Harris würden die Demokraten US-Präsident Donald Trump „genauso herausfordern, wie sie 2016 gegen ihn verloren haben“, meint Rall. Trump habe bewiesen, „dass es bei den Präsidentschaftswahlen jetzt darum geht, die Basis zu energetisieren, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Der Präsident hat sich wie üblich dem Kongress widersetzt und die Art und Weise seines Wahlkampfes bestimmt“, wobei seine Politik und Rhetorik den Demokraten wohl kaum gefallen würden. Für Biden und Harris hingegen bezweifelt Rall vergleichbare Mobilisierungseffekte. „Es ist kaum zu glauben, dass jüngere schwarze Wähler über die Bilanz von Ms. Harris als Bezirksstaatsanwältin von San Francisco und als Generalstaatsanwältin von Kalifornien hinwegblicken werden“, begründet er im Wall Street Journal. „Mr. Biden wird wahrscheinlich keinen großen Auftrieb von einer Kandidatin erhalten, die in erster Linie gewählt wurde, um die älteren schwarzen Wähler anzusprechen, die sich ohnehin für ihn (entschieden) hätten. Er (Biden) hat sicherlich die Progressiven entfremdet.“

Währenddessen argumentiert Chryl Laird in ihrem Beitrag für die New York Times: „(…) die Bedeutung dieser Entscheidung und ihre Bedeutung für schwarze Frauen, die treuesten Mitglieder der Demokratischen Partei, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Engagement schwarzer Frauen in der Partei ist oft nicht anerkannt worden, aber sie sind seit Generationen unermüdlich loyal gegenüber der Demokratischen Partei.“

Ed O'Keefe, Korrespondent für CBS News, betonte in seiner ersten Reaktion auf die Nominierung, dass viele Wähler unter den Bevölkerungsminderheiten unter Umständen sogar abgeschreckt worden wären, hätte sich Biden nicht für eine schwarze Kandidatin entschieden. „Denken Sie daran, dass dies vor vier Jahren ein echtes Problem für Hillary Clinton war, vor allem in den großen Staaten des mittleren Westens wie Michigan und Wisconsin und bis zu einem gewissen Grad auch in Pennsylvania. Und seit der Wahlnacht 2016 ist man sich einig, dass viel mehr getan werden muss, um Wähler unter den Minderheiten, (und) jüngere Wähler, die einen solchen mutigen Schritt wünschen, zu motivieren und hervorzulocken. Und es ist ein mutiger Schritt.“

Perry Bacon hingegen glaubt, es sei „unwahrscheinlich, dass Harris selbst die schwarzen Wähler besonders begeistert“. Dies sei, fährt er fort, „keine zufällige Vermutung - Harris kandidierte während eines Großteils des letzten Jahres für das Präsidentenamt und war nicht der bevorzugte Kandidat älterer schwarzer Wähler in der Vorwahl der Demokraten (das war Biden) oder jüngerer schwarzer Wähler (das war Sanders oder Warren in früheren Phasen des Rennens)“. Überdies sei es, so Bacon, „wirklich schwer, so viel mehr Unterstützung von den schwarzen Wählern zu bekommen, die selbst bei Wahlen wie 2004 oder 2016 mit recht hohen Raten (deutlich höher als asiatisch-amerikanische oder hispanische Wähler) wählen und mit überwältigender Mehrheit die demokratischen Kandidaten unterstützen“.

Jennifer Rubin erinnert in der Washington Post an das Sprichwort, „dass ein Vizepräsident eine Wahl nicht gewinnen, sondern nur verlieren kann“. Nach Meinung der Kolumnistin liege „die Ironie darin, dass die Frau, die als „zu riskant“ für die Präsidentschaftskandidatur gilt, tatsächlich die sichere Wahl für die Vizepräsidentschaft ist“. Für Rubin kommt Harris „ohne Überraschungen. Sie ist versiert in der Außenpolitik. Sie kandidiert nicht zum ersten Mal für ein Amt“. Kamala Harris werde deshalb auf die kommenden Debatten vorbereitet sein. „Wir wissen, dass sie einen Schlag nach dem anderen austeilen kann. (Fragen Sie einfach Generalstaatsanwalt William P. Barr und Richter Brett M. Kavanaugh.) Die Medien haben sie während ihrer Präsidentschaftskandidatur ein Jahr lang überprüft. Sie ist Expertin und effektiv im Fernsehen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie von einem aggressiven Interviewer oder einem Zwischenrufer gestört wird.“ Im Ergebnis geht Rubin deshalb nicht davon aus, dass die Demokraten mit Kamala Harris als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten Wählerstimmen verlieren werden.

Kaum ist die Entscheidung über die Kandidatur gefallen, läutet Lindsay M. Chervinsky in einem Kommentar für USA Today die nächste Diskussion mit der Frage ein, welche Persönlichkeiten Joe Biden bei einem Wahlsieg als Minister vorsehen könnte. Chervinsky empfiehlt, dem Beispiel früherer Präsidenten, darunter Barack Obama, Abraham Lincoln und George Washington, zu folgen und Kandidaten „mit unterschiedlichen Perspektiven“ aufzustellen. „Erfolgreiche Präsidenten haben ihre Entscheidungsfindung verbessert, wenn ihre engsten Berater“, so Chervinsky, „ihre Positionen in Frage gestellt haben.“

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