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Seit dem Beginn der Waffenruhe in der Ostukraine, die durch das Minsker Abkommen im Februar 2015 festgelegt wurde, berichtet die OSZE von akuten Verstößen gegen die Vereinbarung. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Europäische Union und die USA noch keinen Lösungsansatz gefunden, der eine effektive Vorgehensweise gegen die russischen Aggressionen in den umkämpften Gebieten vorgeben kann. Dr. Thomas Mehlhausen stellte neben den unterschiedlichen Ansätzen der deutschen und polnischen Ostpolitik auch folgende drei Themen vor, die er besonders hervorhob: die Frage nach Waffenlieferungen in die umkämpften Gebiete, die Stimmung innerhalb der ukrainischen Bevölkerung zum Thema EU- und Nato Mitgliedschaft und den Plan der EU-Kommission eine europäischen Energieunion zu errichten.
Die Kämpfe um ostukrainisches Territorium halten auch 2015 weiterhin an. Nachdem das erste Abkommen zur Waffenniederlegung im September 2014 in Minsk unterzeichnet, aber kurze Zeit darauf als gescheitert erklärt wurde, starteten europäische Regierungsvertreter Anfang Februar einen erneuten Versuch, die Auseinandersetzungen zwischen dem ukrainischen Militär und pro-russischen Separatisten im Zuge des zweite Minsker Abkommen zu beenden. Seit dem Abschluss des Abkommens meldet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) anhaltende Verstöße gegen die dort vereinbarte Waffenruhe. Zudem würde die OSZE erheblich in ihrer Arbeit, die Beobachtung und Kontrolle zur Einhaltung des Friedensplans in der Ostukraine, behindert werden, da ihnen oft der Zugang zu den umkämpften Gebieten verwehrt bliebe. Trotz dieser trüben Aussichten, kann von kleinen Fortschritten berichtet werden. Neben dem Abzug schwerer Munition und Panzer wachse als Folge der Niederlegung der Waffen die Anzahl der in Kampf gefallenen Soldaten nur noch vereinzelt. Die europäischen Regierungschefs und die amerikanische Bundesregierung bestehen weiterhin auf eine diplomatische Lösung des Konfliktes. Eine Waffenlieferung an das ukrainische Militär komme für sie derzeit nicht in Frage. Der Plan sei, sich intensiver um gezielte Sanktionen zu bemühen, die bestimmte Sektoren der russischen Wirtschaft treffen sollen. Denn der Westen weiß, dass Präsident Wladimir Putin innerhalb kurzer Zeit mit militärischen Mitteln reagieren könne, sollte sich die EU und die USA dazu entscheiden, Waffen in die umkämpften Regionen zu liefern.
Daran anknüpfend analysierte Dr. Mehlhausen, dass sich die Europäische Union und die USA, aus dem oben genannten Grund, derzeit in einem akuten strategischen Dilemma befinden. Er führte aus, dass die westliche Allianz einerseits wisse, dass Präsident Putin auf politischen Druck seinerseits ebenfalls mit Druck reagiere, sodass eine zu aggressive Politik gegenüber Russland eine starke Tendenz zur Eskalation habe. Auf der anderen Seite berge die aktuelle Zurückhaltung des Westens die Gefahr, dass Russland die westlichen Signale ignoriere und seine expansive Außenpolitik fortführe.
Unter den europäischen Nationen gibt es verschiedene Ansichtsweisen, wie die derzeitige Osteuropapolitik weiterzuführen sei. Dr. Mehlhausen stellte hierbei als konkretes Beispiel die Osteuropapolitik Deutschlands und Polens gegenüber. Er führte aus, dass für Deutschland die Beziehungen mit dem Osten schon immer von strategischer Bedeutung waren. Für Polen jedoch seien diese sogar von nationalem existentiellem Interesse. Eine stabile und demokratisch geführte Ukraine galt für Polen über lange Jahre hinweg als Stabilitätsgarant für die Region. Hinsichtlich der Frage über eine potenzielle Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union und der NATO tendiere Deutschland zu dem Kompromiss, dass der Ukraine nach der Krise eine Mitgliedschaft in der EU offen stehe, diese jedoch nicht automatisch an eine Mitgliedschaft in der NATO gekoppelt sein darf. Ungeachtet aller Differenzen mit Russland, dürfe man Präsident Putin nach der Beendigung des Konfliktes in der Ostukraine nicht aus der Osteuropapolitik ausschließen. Eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO würde Russland nur noch weiter provozieren, da das Militärbündnis damit direkt an Russlands Grenzen stationiert wäre, so Dr. Mehlhauser. Diesen deutschen Standpunkt, einen Kompromiss mit Russland anzustreben, teile die polnische Regierung nicht. Polen plädiere für eine Mitgliedschaft der Ukraine sowohl in der EU als auch in der NATO, die zudem auch zeitnah umgesetzt werden solle. Eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO würde für Polen eine strategische Sicherheitslücke schließen, die derzeit noch für Polen und andere ehemalige Sowjet-Staaten bestehe.
Eine wichtige Prämisse für die EU und die USA sei zudem, anzuerkennen, dass Präsident Putin hinsichtlich der Niederlegung des Konfliktes nicht bereit sei, diesen auf Grundlage westlicher Bedingungen und Forderungen zu beenden. Wie Kanzlerin Angela Merkel bereits formulierte, sei es ausschlaggebend, dass der Westen Präsident Putin im Falle einer russischen Niederlage einen Ausweg aus der Krise präsentiere, der es ihm ermögliche, sowohl seinen Respekt als auch seine Geltung innerhalb der russischen Bevölkerung zu wahren.
Die Aussage, man würde die Ukraine mit Waffenlieferung aus dem Ausland am besten vor den pro-russischen Separatisten schützen, hält Dr. Mehlhausen für nicht zutreffend. Seiner Meinung nach sei das ukrainische Militär auch mit der Unterstützung des Westens durch Waffen nicht in der Lage, effektiv gegen die pro-russischen Soldaten vorzugehen. Die Lieferungen würden ein hohes Risiko bergen, eine totale Eskalation des Konfliktes nach sich zu ziehen, zumal Russland als nukleare Supermacht mit dem Einsatz von atomaren Sprengkörpern drohen könne. Hinzu komme, dass Präsident Putin mit Waffenlieferungen aus dem Westen und besonders mit einem Intervenieren der USA die russische Bevölkerung weiterhin polarisieren könne. Putins anhaltende Propaganda gegen den Westen und insbesondere gegen die USA würde der russischen Nation vermitteln, dass sich Russland in einem Stellvertreterkrieg mit den USA befände, und nicht in einem Konflikt mit der Ukraine. Ungeachtet seiner Ablehnung gegenüber Waffenlieferungen in die Ostukraine stellte Dr. Mehlhausen dar, dass diese die Kosten für Präsident Putin, die russischen Interventionen in die umkämpften Gebiete weiterzuführen, stark erhöhen würden. Zudem bestehe die Gefahr, dass sich ohne weitere militärische Unterstützung die expansive Außenpolitik Russlands auf benachbarte Regionen ausdehnen könne und somit die territoriale Integrität von den Baltischen Staate, Georgien oder Moldawien akut gefährdet sei.
Das Stimmungsbild der ukrainischen Bevölkerung gegenüber einem Beitritt zur Europäischen Union und der NATO lasse sich laut Dr. Mehlhausen grob in zwei Richtungen differenzieren. Eine Umfrage ergab, dass 38% aller Ukrainer für einen Beitritt zur NATO stimmen würden und 36% dagegen. Wenn die Stimmen jedoch nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Regionen im Land anordnet werden, dann ergibt sich, dass 62% der Bevölkerung im Westen der Ukraine für eine Eingliederung in die NATO stimmen würde und 15% dagegen. Im Osten des Landes verhält es sich hingegen umgekehrt. 68% der Ukrainer würden sich gegen eine Mitgliedschaft in der NATO aussprechen und nur 9% dafür. Ähnlich sehe es bei der Befragung zur Mitgliedschaft in der EU aus. Die Ergebnisse zeigen, dass die Regionen sehr unterschiedlich über dieses Thema denken. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung favorisiere eine Lösung, bei der eine Neutralität zwischen der EU und Russland hergestellt werden könne.
Die Vorschläge der EU-Kommission eine europäische Energieunion zu errichten stoße derzeit noch auf einheitliche Ablehnung. Dennoch könnte eine Union die Widerstandsfähigkeit der EU bei Lieferengpässen verstärken. Bei diesem Konzept, soll Energie bei Ausfällen von Regionen mit einem Überschuss in Regionen mit Engpässen geliefert werden. Die im Februar vorgestellte Initiative wurde besonders im Hinblick auf die Ukraine-Krise interessant, die die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen darlegte. Die Energieunion würde nicht nur die Dependenzen gegenüber Russland verringern sondern auch als direkte Folge die Verhandlungsmacht der Europäischen Union stärken.
In seiner Abschlussbemerkung plädierte Dr. Mehlhausen für eine Fortsetzung der Sanktionen gegen Russland, die gezielt russische Wirtschaftszweige, wie etwa die Erdöl-Förderung treffen sollen. Um an dem von der EU und der Obama-Administration gesteckten Ziel der diplomatischen Lösung des Konflikts festhalten zu können, seien Sanktionen derzeit das effektivste Mittel, um Präsident Putins expansive Politik Schritt für Schritt eindämmen zu können.
Beitrag von Vanessa Maurer
Verantwortlich und Redaktion: Dr. Lars Hänsel